Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Was der Hausmeier meldet

Die beiden Frauen, deren gespannte Blicke dem eintretenden Hausmeier begegnen, sind keine Sekunde im Zweifel darüber, daß er wichtige und böse Nachrichten bringt. Daß er sie so schnell wie möglich bringt, sehen sie auch.

Aus dem krausen Haare, das wie eine rotbraune Mütze tief in die Stirn gezogen ist und jede andere Kopfbedeckung überflüssig macht, perlen die Schweißtropfen in die Runzeln hinunter, die den schmalen Hautstreifen über den buschigen Brauen durchfurchen. Unter dem struppigen, graugesprenkelten Bart arbeiten die Muskeln sichtbar, als ob ein zäher Bissen tüchtig zusammengekaut und hinuntergewürgt werden müsse.

»Nein, Herrin! der schwarze Tod ist es nicht!«

Ein Befreiungsseufzer aus zwei halbgeöffneten Lippenpaaren! Schon den schrecklichen Namen gebannt zu wissen, ist ein großer Gewinn.

»Aber schlimm genug ist es, wie es auch heißen mag. Wohl ein paar Dutzend sind gestorben, meistens Rinder. Im Gäßchen hinter der Brücke ist die Krankheit fast in jedem zweiten Haus, und in der Badergasse steht's nicht viel besser. Der Küster ist krank, dem Stadtschreiber liegen seine Frau und seine jüngste Tochter darnieder.«

»Gehst du mit hinunter?«

»Wie Ihr befehlt, Herrin.«

»Nein, ich meine, bist du nicht zu müde? Die Luft ist schwül, und du hast dir gewiß keine Ruhe gegönnt.«

Ein paar kleine scharfe Augen und eine starke Reihe gelber Zähne lachen plötzlich mitten im haarigen Gesicht auf. Dies ist seine ganze Antwort, aber sie genügt.

»Nun, dann kannst du mir ja unterwegs alles Nähere berichten ... Und was sonst? ... Denn ich sehe, daß mehr da ist ... Hast du etwas vom Meister gehört?«

»Nein – das heißt, wo er ist, hab' ich nicht erfahren – leider.«

»Aber was sonst? ... Etwas hast du gehört ... um Gottes willen! es ist ihm doch nichts Böses zugestoßen?«

»Noch nicht, Herrin, beruhigt Euch!«

»Noch nicht – !«

»Aber ich habe das gesehen, was sich gar wohl als eine härtere Heimsuchung erweisen könnte denn irgendeine Seuche und Landplage, und wäre es auch der schwarze Tod selber. An der Kirchentür fand ich eine Bekanntmachung angeschlagen des Inhaltes, daß jeder, der den Mann Gottes in die Hände der Schriftgelehrten und der Pharisäer überantwortet – – das heißt, das war nicht gerade der Wortlaut – – – «

»Nein, nein – ich verstehe – «

»Item ein jeder, der Mitteilungen macht, die zu seiner Gefangennahme führen, soll zweihundert rheinische Gulden empfahn.«

»Barmherziger Himmel! Ein Preis auf seinen Kopf! – Und von wem rührt die Bekanntmachung her?«

Das haarige Gesicht scheint noch haariger zu werden.

»Bischof Ottmar hat Hand und Siegel daruntergesetzt.«

»Ottmar?« ruft Gertrud, – »dachte ich mir's doch!«

Von Renatas Lippen kommt kein Ausruf.

Sie ist aufgesprungen und steht eine Weile, tief atmend und vor sich hinstarrend, unbeweglich da.

Endlich schüttelt sie mit Gewalt die Lähmung ab, die der Laut eines Namens über sie geworfen hat.

»Ist sein Name angegeben?«

»Es war kaum zu erwarten, daß die Männer Belials einen Namen auf ihre unreine Zunge nehmen sollten, den seine eigenen Getreuen nicht kennen. Sonst aber ist er richtig genug genannt: ›Der Erzketzer, den sie den großen Gottesfreund nennen‹ – das sind die Worte, wie sie an der Kirchentür zu lesen stehen.«

»Aber keine Beschreibung seiner Person ist gegeben, wonach ihn bösgesinnte Leute erkennen können?«

Diese Frage läßt einen schalkhaften Funken in den kleinen klaren Augen aufleuchten, die im Schatten des Brauengebüsches liegen, und verursacht ein seltsames Kräuseln der Lippen, wo sie sich im Bartgestrüppe verbergen. Auch ruft sie einen leisen, beinahe grunzenden Laut hervor, der seine Antwort einleitet: –

»Doch, gnädige Herrin, eine Beschreibung ist gegeben. Der Erzketzer sei ein alter Mann mit einem weißen Bart, der ihm über die Brust herabwallt. Er sei in ein grobes Gewand gehüllt und ziehe durchs Land als einer der fahrenden Leut', ein Spielmann oder ein Bänkelsänger, auch sei er gewöhnlich von einem Knaben begleitet, der seine Harfe trägt.«

Auch um Renatas zusammengepreßte Lippen spielt jetzt ein Lächeln:

»Es steht geschrieben: ›Seid einfältig wie die Tauben und klug wie die Schlangen.‹ Mich sollte es wahrlich wundernehmen, wenn wir den Meister diesmal in derselben Gestalt zu sehen bekämen wie das letztemal.«

»Wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, eine Meinung zu äußern, so war das derselbe Gedanke, der durch meinen eigenen Kopf ging, als ich die Beschreibung las. Aber wie auch immer der Mann Gottes sich verkleiden möge – und ich denke, diese Augen sollten wohl durch eine Mönchskutte und durch einen Roller oder einen Harnisch sehen können, falls er als Landsknecht oder als Rittersmann käme: – sicher ist, daß alles, was ich das Meinige nenne und was ich der Gunst und Freigebigkeit meines seligen Herrn und der gnädigsten Herrin verdanke, das gäbe ich gern dafür, um dorthin gehen zu können, wo er jetzt weilt. Dann würde ich ihn auf verborgenen Wegen hierher führen. Haben wir ihn erst hier, dann glaube ich auch, daß wir ihn verbergen können, während sie alle fahrenden Spielleute mit weißem Bart nach Regensburg in den bischöflichen Palast schleppen, bis sie das Spiel satt bekommen.«

»Du hast recht, Konrad. Auch das wollen wir unterwegs besprechen, was wir wohl unternehmen könnten, um ihn sicher hierher zu geleiten. Und ist er erst innerhalb dieser Mauern, und sie kämen mit Speeren und Katapulten – erst über unsere Leichen sollten sie zu ihm vordringen.«

Rank und stolz steht sie da, ein paar Zoll höher denn sonst. Halb scheu, halb bewundernd blickt Gertrud die Schwägerin an. Der Hausmeier nickt mit einem derben, treuherzigen Lächeln: – ›Mögen sie nur kommen! So denken wir alle hier.‹

»Und auch dann sollen sie ihn nicht lebendig in ihre blutigen Hände bekommen, denk' ich, um ihn zum Scheiterhaufen zu schleppen und seinen Tod zu einem Schauspiel für den Pöbel zu machen. Dafür ist gesorgt.«

Bei diesen Worten taucht ihr Blick in den offenen Ebenholzschrein hinab. Unwillkürlich greift ihre Hand den goldglänzenden Seidenstoff, der das sarazenische Fläschchen umhüllt, dessen kühles Glas sie durch die Falten fühlt, während sie es, noch sorgfältiger von weichen Sachen geschützt, in die Ecke hineindrückt. Sie klappt den Deckel zu und verschließt ihn mit einem kleinen Stahlschlüssel, den sie an einer Schnur am Halse trägt. Dann stellt sie den Schrein auf den Boden des Schrankes.

»Aber es wird schon Abend, und wir müssen die Zeit nützen! Ich gehe, mich zurechtzumachen. Laß Kurt die Sattelsäcke dort holen und sage der guten Ursula, sie möge dir ein kräftiges Abendbrot geben, was du wohl verdient hast.«


 << zurück weiter >>