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Auf der vom Fluß und Städtchen abgekehrten Seite hat Burg Langenstein ihren Obst- und Gemüsegarten.
Wohlig streckt er sich dort auf dem schrägen Hang aus. Im Rücken die Burgmauer, an deren Fläche Aprikosen und Weintrauben reifen und an deren Fuße die Kürbisse schwellen. Vor ihm der Wald, von dem ihn eine hohle Gasse trennt. Die dichtgedrängten Fichten steigen den Berg empor, hoch genug, um vollkommen Schutz zu gewähren, und mählig genug, um keinen schädlichen Schatten zu werfen.
Den ganzen Vormittag und bis tief in den Nachmittag hinein ruht der Sonnenschein auf diesem begünstigten Erdenfleck, wo das Laubnetz der Obstbäume einen dunkelgrünen, goldig-gesprenkelten Schattenteppich über das Gras breitet.
Die Burgfrau und ihre Schwägerin haben ein paar Stunden lang Schoten gepflückt und haben die Körbe in eine Laube getragen, wo auf dem schlichten Brettertisch ein paar große Tonschüsseln zur Aufnahme der Ernte bereit stehen. Aber zum Auskernen braucht Renata keine Hilfe. Sie schickt Gertrud hinauf, um die Arbeiten in Küche und Milchkammer zu beaufsichtigen.
Sie hat das Bedürfnis, allein zu sein.
Gar zu viel ist am gestrigen Abend auf sie hereingestürmt.
Obwohl die Nacht weniger als zuträglich dem Schlafe gewidmet war, und die Gedanken Stunde auf Stunde ihr Gemüt als freien Spielplatz besaßen, sehnt sie sich doch schon wieder, sich ihnen ungestört hingeben zu können. Vielleicht in der Hoffnung, daß sie hier in der freien Luft des hellen Tageslichtes etwas ruhiger und klarer werden.
Eine große Stille umfriedet sie – eine Stille, in der das Summen der Insekten taktmäßig schwingt und die nur belebt, nicht unterbrochen wird durch das Singen der Amseln in den Obstbäumen und der Finken am Waldrande.
Diese lieben Vogelstimmen künden die Wehmut des Abschieds, denn der Johannistag liegt mehr denn eine Woche zurück.
Jetzt aber wird die Stille gestört, obwohl der Ton, der an ihr Ohr dringt, leiser als Vogelgesang ist.
Die Gittertür des Gartens knarrt, die Klinke klirrt.
Über den Rasen nahen Schritte, die sie kennt, die sie mit unruhigem Herzpochen bewillkommnet.
Ist's ein Besuch, den sie erwartet? Ist es vielleicht gar mehr dieses Besuches als ihrer Gedanke wegen, daß sie hier die Einsamkeit suchte?
Sie weiß, daß er kommen muß.
Jetzt aber, als Bischof Ottmar ihr »Guten Morgen« bietet und ihr gegenüber Platz nimmt, steht ihr kein anderer Gesprächsanfang zu Gebot als die Frage, ob Seine Hochwürden in der ersten Nacht auf Burg Langenstein gut geschlafen habe.
Sie findet zu ihrem Schrecken, daß diese alltäglichste aller Fragen geradeswegs in die allertiefsten Geheimkammern ihres Seeleninneren führt.
»Die erste, und doch weit davon die erste zu sein, wie Ihr wohl wisset, edle Frau. Obwohl – was für Nächte ich hier verbracht habe, das kann nur ich selber wissen. Übrigens mehr geträumt als geschlafen, um Eure freundliche Frage nicht unbeantwortet zu lassen. Aber freilich war es nicht des Schlafes wegen, daß ich mir die alte Turmkammer auswählte.«
Seine weiße Hand streicht über die Brauen, und er blickt eine Weile schweigend vor sich hin, zuerst nach unten, dann auf seine Wirtin, die sich über ihre häusliche Arbeit beugt, so daß das leinene Kopftuch wenig mehr als die Nasenspitze, die Lippen und die Rundung des Kinnes unverborgen läßt.
»Ich sagte Euch gestern abend, daß ich mir selber versprochen hatte, bevor ich zur Ruhe ginge, einen Blick hinüber nach dem Kalvarienberg zu senden. Dies Gelübde habe ich treulich gehalten. Wohl ein paar Stunden saß ich am offenen Fenster in der lauen Nachtluft und konnte meinen Blick nicht von dem Passionswege abwenden, der im Vollmondlichte deutlich zu sehen war, wie er sich die Hügellehne hinan windet und von den weißen Kapellen gleichsam punktiert wird. Mir war's, als ob alle Meilensteine eines ganzen Lebensweges sich dort versammelt hätten, zur bequemen Übersicht. Und gewißlich gab es unter diesen weißen Zeichen eines, das ich sehr wohl unterscheiden konnte und das für mich ein Meilenstein gewesen ist, und zwar ein solcher, bei dem sich die Wege teilen, nach Aufstieg und nach Niedergang.«
»Euer Weg, Hochwürden, hat Euch weit und hoch geführt. Ohne Zweifel wird er Euch noch höher führen. Wie Ihr dort saßet und den Passionsweg überschautet, muß es für Euch ein tröstlicher Gedanke gewesen sein, daß Ihr keinen Grund habt, die Wegwahl zu bereuen, die Ihr an jenem Meilensteine getroffen.«
Die roten Lippen, die am Rande des Kopftuches gerade noch sichtbar sind, sprechen diese Worte leise, fast flüsternd, und ein kaum merkliches Zittern gleitet über die bewegten Wellenlinien.
»Sagen wir das nicht so sicher, auf daß wir nicht zuschanden werden! Was einer armen irrenden Menschenseele am besten fromme, das zu entscheiden ist dem Verstande nicht leicht, und der gerade Weg ist nicht immer der sicherste.«
Das Kopftuch erhebt sich ein wenig.
Ein Blick der warmen, goldigbraunen Augen fliegt rasch zu ihm hinüber – voll Verwunderung und Überraschung, wie Ottmar wohl erkennt. Gerade jetzt aber fehlt dem stolzen Kirchenfürsten der Mut, um mit diesen Frauenaugen einen Blick zu wechseln. Er faßt sich bald genug ein Herz, aber schon haben sie sich wieder unter das Tuch geflüchtet.
»Es ist dort, wo der Weg zum erstenmal nach links umbiegt. Die Kapelle lehnt sich an die alte vom Blitz getroffene Eiche. Damals hatte sie nur noch ein Drittel ihrer Krone, mag sein, daß sie später ganz eingegangen ist.«
»Sie grünt noch immer,« klingt es unter dem Kopftuch hervor.
»Das ist mir lieb zu hören. Ihr Laub flüsterte so traulich in jener Herbstnacht, als ich dort vor der Kapelle lag. Es ist, wie Ihr wißt, die Station des Passionsweges, wo Jesus unter dem Kreuze zusammenbricht. An dieses Bildwerk dachte ich eben, als ich gestern sagte, ich hätte Passionen berühmter Meister gesehen, die keinen so starken Eindruck auf mich gemacht hatten, wie gerade dieses. Zwar war es wohl nur ein einfacher Künstler von geringer Ausbildung, der damals diesen Christuskopf in Holz schnitzte. Ich glaube aber, er muß wohl selber großes Herzeleid und bittere Seelenqual durchlitten haben, da es ihm möglich war, einen solchen Ausdruck in die Züge des Schmerzensmannes zu legen, so daß es mir immer vorkommt, als seien sie das lebensvolle Abbild eines Menschen. Und vollends in jener Nacht, als mein Herz sich im Todeskampfe wand und ich zu diesem Antlitz emporblickte! Der Mond umfloß es mit seinem Lichte, und die Wettereiche ließ den Schatten ihrer Blätter darüber spielen: da wurden die Züge so lebendig, daß ich in meinem wirren und geängstigten Zustande meinte, der Heiland selber habe sich zu mir herabgebeugt und sei gegenwärtig in dem, was bis dahin nur geschnitztes und bemaltes Lindenholz war. So sprach ich denn zu diesem Bilde gleichwie zu einem Freunde und klagte ihm meine bittere Not. Ja, ich fragte – vermessen und gotteslästerlich, wie ein sündhafter Mensch nur zu fragen vermag, wenn Krankheit der Seele die Vernunft von ihrem hohen Thron gestoßen hat – fragte, ob das Kreuz, worunter er zusammenbrach, schwerer sei als das, welches er auf meine schwachen Schultern gelegt hatte.«
Bischof Ottmar schweigt.
Sein Blick ruht geistesabwesend auf dem Rasengrün vor der Laube, wo eine Amsel zwischen den Sonnenflecken umherhüpft und mit schräg gehaltenem Kopfe so herzhaft singt, als ob es in dieser Welt weder Dornenkrone noch Kreuztragung gäbe.
»Wenig habt Ihr, als Ihr friedlich in Eurem Kämmerlein schliefet – wenig habt Ihr da geahnt, was Euer Verlobter zur selbigen Stunde litt. Denn ich ließ nicht die Sonne lächeln zu dem, worüber der Mond geweint, und wenn ich bei Euch war, gab ich streng acht, daß eitel Lachen um meine Lippen und Scherz auf meiner Zunge war.«
»Ihr tatet das. Und mag sein, es wäre für uns beide besser gewesen, wenn Ihr Euch weniger Zwang angetan hättet und Euch mit Fleisch und Blut beraten, anstatt mit bemaltem Holz. Aber trotzdem besinne ich mich sehr wohl, daß mein Vater in jenen Tagen besorgt sein Haupt schüttelte und sagte: ›Es steht nicht gut mit Ottmar. Er scheint die Schwermut ererbt zu haben, die sein Großvater vom heiligen Lande zurückbrachte, und ich fürchte, er hat schwere Glaubensanfechtungen zu bestehen und verbirgt es vor uns‹.« –
»Glaubensanfechtungen? Ach ja, so kann man's wohl nennen. Doch handelte es sich nicht um Zweifel, wie bei so Vielen, die da fürchten, nicht den rechten Glauben zu haben, und mit ihrer vermessenen Vernunft Ärgernis daran nehmen, daß sie die tiefen Mysterien der Kirchenlehre nicht zu durchschauen vermögen. Ich dürfte wohl mit dem Apostel sagen, ich hätte meine Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen genommen. Nein, meine Anfechtung war die, daß es mir immer deutlicher wurde – wie ein furchtbares, Herz und Nieren durchdringendes göttliches Licht ging es mir auf, daß ich meine Braut verlassen müsse. Euch, die ich geliebt habe, solange ich wußte, daß ich ein Herz hatte.«
Die fleißigen Finger, die so eifrig der häuslichen Arbeit obliegen als gälte es das Leben, daß dies Gericht rechtzeitig fertig werde, zittern vielleicht ein wenig, halten jedoch keinen Augenblick mit ihrer Tätigkeit inne. Die Schoten zerplatzen mit regelmäßigen, kleinen Knallen, während die grünen Perlen reihenweise in die Tonschüssel rollen, die auf ihrem Schoße ruht.
»Das war das Kreuz, von dem ich Sünder meinte, es dürfe wohl noch schwerer sein, als jenes, das meinen Heiland in die Knie drückte.«
»Ihr habt Euren Beruf zum Dienst der Kirche so stark und gebieterisch empfunden« – klingt es leise, halb als Erläuterung, halb als Frage.
Allein der Bischof schüttelt den Kopf.
»Das kam erst später ... und auch nicht gerade als Beruf ... Wohl aber hatte Euer guter Vater recht, wenn er meinte, ich habe von meinem Großvater etwas ererbt. Und das war mehr als bloß ein Bluterbe. Seine Geschichte war sonderbar und mag Euch wohl unbekannt geblieben sein. Zwar war Euer eigener Großvater, auf dessen Knien Ihr so oft saßet, sein getreuer Waffengefährte gewesen und wird Euch viel erzählt haben von dem, was sie zusammen erlebten, als sie für das heilige Grab stritten. Das aber, glaube ich, hat man Eurem jungfräulichen Ohre vorenthalten ... Denn es war da eine sarazenische Magd, ein wunderherrliches Weib anzusehen – ja von ihr habt Ihr freilich gehört, denn Euer Großvater trug sie aus dem brennenden Palaste, den die Kreuzfahrer stürmten, und rettete sie mit eigener Lebensgefahr. Und zum Dank schenkte sie ihm das köstliche Kristallfläschchen, gefüllt mit einer Essenz arabischer Kräuter, die jeden Schmerz zu stillen vermag. Gewiß habt Ihr es noch in Eurem Besitze.«
»Ich habe es, und ich habe von jener Sarazenin gehört, aber auch nicht mehr.«
»So dachte ich mir's. Es gab aber eine andere Feuersbrunst, die hatte sie selber angefacht, und in der ging sie zugrunde. Mein Großvater sündigte mit ihr, deren Leben der Eurige gerettet – mit dem heidnischen Weibe – doppelte und dreifache Sünde, denn er hatte Weib und Kind zu Hause. Die Sarazenin war aus vornehmem Geschlecht Ihre Verwandten entdeckten das Verhältnis und ließen sie umbringen. Seit jenem Tage war mein Ahnherr nicht mehr der Mann, der er gewesen. Als nun gar die Stadt Akka verloren ging, gerade hundert Jahre nachdem die Ritter des Kreuzes sie erobert hatten, und als wir den letzten Fußbreit des gelobten Landes aufgeben mußten, da wurde es mehr und mehr sein fester Glaube, daß dies um der Sünden der Kreuzfahrer willen geschehe, und daß er der größte Sünder von allen sei, ja daß er recht eigentlich die Schuld trüge, daß das heilige Grab verloren ging. ›Gleich Judas habe ich meinen Heiland mit einem Kusse verraten,‹ rief er dann – ›und gleich ihm muß ich ewig brennen.‹«
Diese Worte ergreifen den Bischof so stark, daß seine Stimme zittert und sich eine kleine Weile durch Schweigen erholen muß.
»Der arme Mann!« seufzt Renata. »Von seiner Schwermut habe ich wohl gehört, aber nie geahnt, was es für eine Bewandtnis damit hatte.«
»Ja, ein armer Mann war und blieb er. Er wurde ein alter Mann, alt genug, um mich auf seinen Knien reiten zu lassen, den Kopf über mich zu schütteln und zu murmeln, ich sähe ihm ähnlich und auch über meinem Haupte schwebe der Fluch. Zeitweilig war es besser, aber nie auf die Dauer. Es halfen ihm weder Bußübungen noch Geschenke an die Klöster. Als er auf den Tod daniederlag, wurde es nun ganz arg, obwohl sein Jugendfreund, ein frommer Abt aus Regensburg, Tag und Nacht bei ihm las und betete. Dann kam Euer Großvater herüber. Er hatte die Flasche der Sarazenin mitgebracht und träufelte einige Tropfen in einen Becher Weines. Als mein Großvater getrunken hatte, wurde er viel ruhiger, und wir glaubten, er dürfe jetzt in Frieden heimgehen, wir waren alle knieend um ihn versammelt; der Abt las das Miserere, und ein Chorknabe schwenkte das Räuchergefäß, um die bösen Geister zu verscheuchen. Plötzlich aber richtete sich der Sterbende im Bette auf und rief laut einen fremden, heidnischen Frauennamen, so daß wir uns alle bekreuzten. – ›Siehst du sie, Valentin?‹ rief er Eurem Großvater zu, ›ist sie nicht schön in ihren Flammen? du sahst sie doch schon einmal in den Flammen ... siehst du sie, meine Höllenbraut? Sagte ich dir nicht, ich müsse ewig brennen? Sie kommt, mich zu holen, ich werde in ihren Armen brennen!‹ – Zu meinem unsagbaren und unvergeßlichen Grauen gab er mit diesen Worten und mit lautem Geschrei seinen Geist auf.«
»Entsetzlich!«
»Ich war damals noch ein Knabe, gerade fünfzehn Jahr alt. Vielleicht war der Eindruck auf meine Imaginatio deshalb um so stärker, weil er noch ungehemmt war von der Vernunft, die wenige Jahre nachher zur Entwicklung gelangte. Dazu kamen noch jene Worte, die ich den Greis mehr denn einmal hatte murmeln hören: – ›Der arme Junge! er sieht mir ähnlich, er wird mir nacharten; über seinem Haupte schwebt der Fluch!‹ – Ja, er schwebte darüber und warf schon seine Schatten über mein junges Leben. Wie Ihr Euch wohl erinnert, war mein Vater gleich Eurem eigenen, seinem treuen Freunde, ein frohgemuter Mann, leichten und lichten Gemütes, fröhlich mit seinem Falken auf dem Handschuh oder mit dem Becher in der Hand. Allein die Sünden der Väter werden bis ins vierte Glied heimgesucht – die Wahrheit dieses Schriftwortes lernte ich in ihrer ganzen Furchtbarkeit kennen, als ich dann in die Jahre hineinwuchs, die sonst die hellsten des Lebens sind, das rechte Erbteil des Mutes und der Hoffnung. Nur ein lockender Gedanke leuchtet mir: das gelobte Land!... O, daß doch ein zweiter Petrus von Amiens durch die Lande zöge, die nochmals von jenem mächtigen ›Gott will es!‹ widerhallten! Mit welch flammender Seele wäre ich in den Kampf gegen die Ungläubigen gezogen, um mit meinem jungen Blute für die Sünde des Großvaters zu büßen und seine arme Seele aus dem Fegefeuer zu erlösen! Denn zuversichtlich hoffte ich, daß es dessen Flammen und nicht die unauslöschlichen der Hölle seien, die ihn im Augenblicke des Sterbens umlodert hatten. Und damit hätte ich wohl auch den Fluch von meinem eigenen Haupt abwenden können. Aber ach – die große Glaubenszeit war auf immer dahin, das empfand ich mehr und mehr, als ich in das waffentüchtige Alter hineinrückte, wo ich jener und ihrer Kreuzzüge so sehr bedurfte. Bei dieser Erkenntnis wurde es gar finster um mich. Dann aber kam Licht – und zwar aus einer ganz anderen Himmelsgegend als der, von der es heißt: ex oriente lux. Mein besorgter Vater entschloß sich, mich hierher zu schicken, zu seinem alten Kameraden auf Langenstein, in dem er einen Spiegel aller ritterlichen Tugenden sah – und mit Recht.«
»In der Tat, ein edlerer Rittersmann wäre nicht leicht zu finden gewesen, seine Tochter darf das wohl sagen. Auch weiß ich, daß er die Gefühle Eures Vaters willig erwiderte.«
»Gott lohne es ihm! Ja, ihr gegenseitiges Vertrauen war wohl begründet. Auch wurde mein Vater in der Hoffnung kaum getäuscht, daß auch ich aus solchem Rittertugendspiegel einige Lichtstrahlen empfahen würde. Obwohl eher Licht auf mich ausstrahlte von einem Spiegel noch viel höherer Tugenden, den unsere heilige Frau im Glanze der Altarkerzen uns vorhält, den jedoch auch ab und zu ein irdisches Frauenbild im Tageslicht erstrahlen läßt. Übrigens mag es sein, daß mein kluger Vater auch dies in seinen Gedanken hegte, als er mich nach der Burg Langenstein schickte, wo, wie er gar wohl wußte, solch ein Spiegel zu finden war.«
Hätte Renata von ihrer Arbeit aufgeblickt, würde sie sich wohl gefragt haben, ob in jenen Jugendtagen je ein liebevollerer Blick auf ihr ruhte – einer, der deutlicher als dieser jetzt sich dem schönsten Bilde seiner ritterlichen Madonna-Andacht gegenüber befand.
»Mit diesem Bildnis in meinem Herzen besaß ich freilich einen Talisman gegen die Dämonen, die anfingen, meine Seele zu einer Wüste zu machen. Und da es mir nun mit erwidernder Liebe zulächelte, meinte ich selber im Paradies zu sein, geborgen vor allen Greueln der Hölle. Als aber dieser Seligkeitsrausch etwas von seiner ersten betäubenden Süßigkeit verlor und nun ein täglicher Kräftigungstrank der Seele wurde, da rührte sich wieder jener Eumenidenchor in der Tiefe des Gemütes, der sich nur hatte einschläfern lassen, und die Schreckenschatten stiegen empor und krochen über mich. Wohl wollte ich dann Zuflucht suchen bei der Lichtgestalt, die mir der Himmel gesandt hatte. Aber ach, ich konnte sie nicht mehr erreichen. Sie wich zurück, wenn ich meine Hand nach ihr ausstreckte. Und sprach ich dann zu Euch von der Erbsünde und vom heiligen Zorne Gottes, vom Fegefeuer und von der Hölle, von der Flucht des Zeitlichen und der furchtbaren Majestät der Ewigkeit, so hattet Ihr nur wenig Gehör für solche Rede.«
»Ich war ein leichtsinniges Geschöpf, leider – das ist nur zu wahr.«
»Ach nein, das nicht ... wir wollen das nicht sagen, nicht leichtsinnig, wenn auch Euer Sinn gegen den meinen gewogen, sicherlich leicht war, wie es der Jugend natürlich ist. Am liebsten saßet Ihr hoch im Sattel auf Eurem guten Schimmel, der so stolz mit Euch durch den grünen Wald und über die braune Heide flog. Und wenn in den Sälen der Regensburger Rittertürme die Kerzen strahlten, wer Euch da so leicht im Tanze dahinschweben sah, dem mochte wohl das Herz im Leibe lachen. Ich finde jedoch darin wenig oder nichts zu tadeln.«
»Und dennoch war es eitel-törichtes Wesen, wäre nur mehr Ernst, ja Trauer und Reue in mir gewesen, dann hätte ich Euch damals ein Trost und eine Stütze sein können.«
»Möglich, daß Ihr mir das hättet sein können – und doch –!... Wer weiß? ... Wer weiß, ob ich Euch dann mit derselben einfach-schönen, großen Liebe geliebt hätte, für die nichts anderes auf der Welt war als Ihr?... Wer darf das sagen? Denn seltsam gemischt ist der Lebenstrunk, der uns an der Schwelle dieses irdischen Daseins dargeboten wird ... Nein, nein! lassen wir meiner Jugend dies lichte Bildnis, das ihr gehört. Stören wir seine Züge nicht – nicht einmal mit dem Wunsche, es zu tieferem Ernste, zu innigerem Ausdruck umwandeln zu können! ... Damals freilich drang die Frage immer unabweislicher auf mich ein, ob all diese Lieblichkeit, die einem Anderen ein Segen gewesen wäre, nicht mir, mit meinem schweren Geisteserbe, zum Fluch gereichen würde? Und schließlich stand es vor meinen Augen wie ein Schicksalsspruch: Du mußt zwischen deiner Liebe und dem Heil deiner Seele wählen. Da war es denn, daß ich in jener Nacht vor der Kapelle an der Wettereiche lag und in meiner Verzweiflung so vermessen den zusammenbrechenden Heiland fragte, ob sein Kreuz schwerer sei, als das, das auf meinen Schultern lag. Als ich dann aber traurig und wankelmütig zögernden Fußes den Berg hinabschritt und mich plötzlich vor der Kapelle befand, wo das Geschehnis in Gethsemane mit kaum geringerer Kraft als jenes mit Simon von Kyrene dargestellt ist, und gerade in demselben Augenblicke der Vollmond aus einer Wolke hervortrat – da zitterten die Knie unter mir: – wenn dort der unter dem Kreuze hinsinkende Jesus lebendige Züge zu bekommen und meinen Worten zu lauschen schien, so wandte er hier den Kopf nach mir um, öffnete die Lippen und sagte: ›Willst du mich gleich Judas durch einen Kuß verraten?‹ Dies waren die Worte, die ich nur zu wohl kannte und die mein Großvater in seiner Seelenangst immer wiederholt hatte. Da flüchtete ich entsetzt den Berg hinunter, eilte in meine Turmkammer und vergrub das Gesicht in die Kissen – doch nicht um Ruhe zu suchen. Denn bevor noch jemand in der Burg erwachte, war ich schon weit weg, und wir sahen uns, wie Ihr wißt, erst in Regensburg wieder.«
Ein tiefer, aber kaum hörbarer Seufzer hebt und senkt den Brustlatz der jungen Frau. Von ihren Fingern fallen die grünen Perlen wie die Kugeln eines Rosenkranzes.
»Wohl weiß ich, welche Frage jetzt auf Euren Lippen schwebt.«
Renata erhebt fragend den Blick zu ihm, als ob sie es selber nicht wisse.
»Es ist die Frage: – ›Wie steht aber dies mit Eurem Betragen zu Regensburg im Einklang, als ich dort in den Karnevalswochen bei meiner Muhme war? –«
Ist das nicht der Widerschein eines Lächelns in ihren Augen, um die Lippen? wehmütig, bitter, spöttisch, verschämt, oder etwa nur erwartungsvoll – er weiß es nicht.
»Allerdings ist die Frage nur zu berechtigt, und ich bin hier, um sie zu beantworten. Als ich gestern nacht am Fenster saß und dort hinüberblickte, da überkam es mich, daß ich Euch offenbaren müsse, was Ihr jetzt hören sollt. Das heißt nun freilich gleichsam wie mit einem künstlichen Erdbeben den Bau umstürzen, den ich zu Eurem Schutze selber mit blutenden Händen Stein auf Stein aufgeführt habe – ein Entschluß, fast ebenso furchtbar wie jener, womit ich damals den Plan zu diesem seltsamsten aller Wahnbauwerke legte. Aber es muß sein. Ich kann es nicht mehr ertragen, nein, ich will es nicht mehr ertragen, von Euch verkannt, der Gegenstand Eurer Verachtung, Eures Abscheus zu sein. Eure Liebe, die ich einst besaß, könnt Ihr mir nicht wieder schenken: aber Verständnis will ich bei Euch finden.«
Ein entschlossener, fast harter Zug liegt um Ottmars Mund, als er jetzt schweigt. Die kräftigen, beweglichen Lippen pressen sich fest zusammen, öffnen sich jedoch ein paar mal ein wenig, um sich von der Zungenspitze benetzen zu lassen, als ob die Worte, die jetzt hervorgebracht werden müssen, sonst nicht über sie gleiten könnten.
Das Vogelgezwitscher vom Waldrande, der Gesang der Amsel in den Obstbäumen ist verstummt. In schläfrigem Insektensummen schwingt die Mittagsstunde ringsum wie mit klanglosem Geläute.
»Denn noch war mein Kreuz auf meiner Schulter; jetzt aber sollte ich daran festgenagelt werden. Gott verzeihe wir, wenn meine Worte lästerlich klingen, aber ich weiß es nicht anders auszudrücken, wie mir zumute war: gerade so, als ob ich mich selber festnageln sollte ... Wie sollte ich sie verlassen, die ich liebte? – Nein, das war ja nicht die Frage, sondern so: – wie sollte ich das Band der Verlobung, das uns verknüpfte – wie schon alle wußten, obwohl die Feier noch nicht stattgefunden hatte – wie sollte ich es lösen? Sollte ein Schatten auf ihren Namen fallen? Sollten die Leute sagen: – ›Er mag wohl Grund gehabt haben, sie zu verlassen. Er ist ein frommer, gottesfürchtiger Herr, sie ein leichtsinniges Wesen. Um seiner Seele willen hat er das Band zerrissen, durch das sie ihn hinuntergezogen hätte, da er sie doch nicht zu sich emporzuziehen vermochte‹? – Unmöglich? Schon der Gedanke ein Frevel! Nein, auf meinem Haupte mußte, für alle sichtbar, die Schuld ruhen. Und zwar nicht auf die Art, daß ich mich schuldig erklärte, so daß die Leute wohl gar sagen könnten: ›er war edelmütig genug, die Schuld auf sich zu nehmen‹. –«
Wäre sein Blick auf Renata gerichtet gewesen, so hätte er ein leises, unwillkürliches Kopfschütteln gewahrt, von dem sie offenbar selber nichts weiß.
Wie unwahrscheinlich, daß die Leute gerade so gedacht und geurteilt hätten! Wie viel wahrscheinlicher, daß sie ganz von selber auf seiten der verlassenen Braut gewesen wären! Aber wie bezeichnend die Selbstverständlichkeit, womit er die Leute für sich Partei ergreifen ließ! Wie erkannte sie ihn wieder in diesem spitzfindigen Zuge seiner fast genialen Mannesselbstsucht, einer Selbstsucht, die keineswegs die größte Selbstaufopferung ausschloß, wohl aber unwillkürlich alles auf sich selbst als auf die Hauptperson bezog!
Solche Gedanken ziehen durch den Frauenkopf, als er sich so leise und unbewußt schüttelt.
Aber Ottmar blickt nicht auf. Das straffe Zusammenfassen seiner Gedanken zu einer klaren Mitteilung seines damaligen sonderbaren Gemütszustandes nimmt ihn zu sehr in Anspruch.
»Nein, nein – ich mußte mich nicht schuldig bekennen, ich mußte die Schuld sichtbar auf mich nehmen. Und sie selber! Mußte die Welt betrogen werden, dann vor allem auch sie, die zu täuschen am schwierigsten war. Sie mußte mich in einem solchen Licht erblicken, daß sie ihrem Gott dankte, wenn sie einem Zusammenleben mit mir entging. Ja, noch mehr: ich mußte es so wenden, daß sie sich einbildete, sie selbst sei es, die das Tischtuch zwischen uns beiden durchschneide, damit kein Gefühl des Verlassenwerdens und der Demütigung einen Schatten über ihr stolzes, jugendfrohes Gemüt werfe, geschweige denn, daß eine Sehnsucht nach mir, dem Verabscheuten, ihre Freiheit binden, ihre Zukunft hemmen könne.«
Jener Zug von Härte – der Härte des Asketen gegen sich selbst – liegt eisern um Mundwinkel und Kinn. In dem halb gesenkten Auge erblickt Renata jenen Schimmer trüber Fanatismusglut, nach dem sie am vorhergehenden Abend so ängstlich gespäht hatte.
»Das war es, was ich als meine grausame Pflicht auffaßte, und Ihr wißt, wie vollkommen es mir gelang sie zu erfüllen.«
Diesmal sieht er auf, in Erwartung eines Wortes, eines bestätigenden Zeichens – nur eines Kopfneigens. Aber vergebens. Seine fleißige Wirtin und stumme Zuhörerin – fast mehr das erstere könnte man glauben – vertauscht nur die volle Tonschüssel mit einer leeren, in welche die Schoten sofort mit einem kalten, trockenen Klang zu fallen anfangen.
»Die Fastnachtszeit in Regensburg mit ihren Festlichkeiten, ihren Aufzügen, ihrem Mummenschanz kam meinem Vorhaben in hohem Grade zustatten, und noch besser half mir Eure Base, die übermütige und leichtsinnige Adelgunde von Feuchtwangen. An ihr war wenig oder nichts zu verderben. Ohne Bedenken konnte ich mich zu ihrem betörten Sklaven machen; ebenso wie sie sich auf dem Gipfel des Glückes befand, weil sie an ihren Triumphwagen denjenigen fesseln durfte, der von Rechts wegen ihrer Base gehörte; ihrer Base, deren edle und anmutige Schönheit, wie sie sehr wohl wußte, neben ihren eigenen zur Schau gestellten Üppigkeiten wie ein Rosenbusch neben einem bunten Beete Giftblumen wirkte, wenn sie von Eitelkeit noch mehr als vom Wein berauscht mit mir scherzte, und wir um die Wette spöttische Blicke zu Euch hinübersandten, wo Ihr blaß und schweigsam in einer Ecke saßet: – dann thronte wohl in ihrem Herzen eine teuflische Freude; was aber in dem meinigen wütete, ja, um das mit Worten zu schildern, müßte ich wohl die Geistesgaben eines Vergil und Ovid und anderer heidnischen Poeten haben.«
»Was für ein auserlesenes Stückchen jungfräulicher Einfalt muß ich gewesen sein, um all das für bare Münze zu nehmen! Es ist wenigstens ein Trost, sich zu erinnern, daß ich keineswegs in jener einsamen Ecke sitzen blieb, sondern bald lernte, an der Hand Anderer zum Tanz anzutreten, um Euch und Eurer Dame Blick um Blick wiederzugeben.«
Bischof Ottmar blickt sie einigermaßen verwundert an.
Tiefen Eindruck hatte er sich von seiner angefangenen Beichte nicht erwartet. Der Ton stimmt so wenig im Zusammenklange, daß es eine kleine Weile dauert, bevor er seinen eigenen wiederfindet.
»Ihr tatet das, und das war gut. Darin irrt Ihr aber höchlich, wenn Ihr von Einfalt sprecht. Denn wie hättet Ihr nicht glauben sollen, was Ihr mit eigenen Augen gewahrtet? Niemals hat ein Histrione, der in einem Mysterium tragierte, sein Gesicht fleißiger vor dem Spiegel geübt, um sich die Züge und Mienen eines Judas anzueignen, als ich in jenen schlimmen Tagen mit Fleiß und Studium mein Gesicht lehrte, sich in die rechten Schalksfalten zu legen. Und je mehr meine Zähren flossen, wenn ich mich allein in meinem Kämmerlein befand, desto eifriger achtete ich darauf, daß frecher Schimpf und herzlose Lache mir im Aug' und auf den Lippen saßen, wenn ich mich draußen mitten in der lärmenden Menge zeigte, und besonders da, wo Ihr mich sehen konntet.«
»Und als dann zuletzt der gute Hugo sich zu meinem Ritter aufwarf, um den mir zugefügten Unglimpf zu rächen und sehr gegen meinen Wunsch vor aller Augen Euch seinen Handschuh ins Gesicht warf und Euch zum Zweikampfe herausforderte, und Ihr dann heimlich unsere lustige Stadt verließet: – da geschah das wohl nicht, weil Euch der Mut fehlte, ihm in einem Waffengange zu begegnen?«
Ein tiefes, zorniges Rot flammt bis in die Schläfe Ottmars hinauf. Er lacht hart und kurz.
»Es kann mich kaum Wunder nehmen, wenn Ihr wie alle Anderen meine Flucht so deutet. Hab' ich doch selber damals nichts Besseres gewünscht! Denn hätte ich das Schicksal selbst zum Mitspieler gehabt, damit es mir die rechten Karten in die Hand spiele, was hätte ich mir Besseres ausbitten können als gerade diesen Degen? Aber allerdings war dies die schwerste Probe, auf die mich mein bitterer Vorsatz stellte, daß ich, ein Abkömmling des ruhmvollen Geschlechtes derer von Winterstetten, ich, dessen Großvater um das heilige Grab gekämpft hatte, – mich nun heimlich davon schleichen mußte, damit mein Name als der eines Feiglings in den Straßenschmutz des Karnevals getreten werde ... Und dabei sagte ich mir noch, daß ich gerade dafür dankbar sein müßte. Denn mit dieser falschen Karte gewann ich das Spiel.«
»Ihr glaubtet es so gewiß?«
»Und hatte ich nicht recht? Ich gewann es auf zwiefache Weise. Denn nicht nur setzte ich mich selbst so tief herab, daß ich nunmehr gänzlich aus Eurem Herzen ausgeschlossen war, so daß gewiß von da an sich kein schwacher Sehnsuchtsgedanke mehr nach dem ehrlosen Flüchtling verirrte. Nein: gleichzeitig hob ich ihn empor, und das genau in demselben Maße, so daß ich hoffen durfte, er würde jetzt meinen verscherzten Platz einnehmen. Wie es ja auch geschah.«
»Ja, da habt Ihr freilich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und habt allen Grund, auf diesen Schwabenstreich stolz zu sein.«
Ottmar seufzt.
»Und dennoch ward es mir schwer genug. Ein bleiernes Gewicht fiel mir vom Herzen, als Hugo meiner Spur folgte und mich in Straßburg fand.«
»Und so mußte denn der Ärmste mit seinem Blut die Zeche bezahlen.«
»Mit meinem Willen nicht. Gott ist mein Zeuge, daß es mir fern lag, ihm Schaden zufügen zu wollen. Einmal, weil er recht hatte, noch mehr, weil er Euch liebte, am meisten jedoch, weil ich in ihm das Werkzeug der Vorsehung sah, das wieder gut zu machen, was ich gegen Euch verbrochen hatte. Ich wußte, und jeder in unserem Keise wußte es, daß ich ein Meister in der Waffenführung war. Es konnte mir nicht schwer fallen, ihn zu entwaffnen, so daß er höchstens mit einer leichten Schramme davon kam. Und so wäre es auch gekommen, wenn nicht seine unbändige Heftigkeit im Ausfall ihm meine Schwertspitze in die Seite gerannt und ihm eine recht tiefe Wunde beigebracht hätte. Indes er hat doch wenig Grund gehabt, dies zu beklagen, wenn, wie ich vermute, die Verletzung, die er Euretwegen sich zuzog, ihm einen kürzeren und sicherern Weg zu Eurem Herzen bahnte, als er sonst wohl gefunden hätte. Auch könnt Ihr glauben, daß ich Gott für seine Führung dankte, als ich kaum ein Jahr nachher die erhoffte Nachricht von Eurer Verlobung mit Hugo erhielt.«
»Ich glaube das gern und preise die Schöpferhand, daß sie das Weib aus der Rippe des Mannes bildete und nicht etwa aus einem Stückchen des Stirnknochens: – auf daß es für einen klugen Mann ein Leichtes sei, einer törichten Jungfrau ein X für ein U vorzumachen.«
Diesmal ist jener Mißklang so grell, daß Ottmar fast erschrocken aufblickt.
In der Tiefe ihres Auges sprüht ein Licht, das ihn an die Schalkheit des jungen Mädchens erinnert. Nur, daß es so von Wehmut überschattet ist und aus einem so großen Ernst hervorbricht, daß dieser Blick zu ihm herüberleuchtet wie ein Band zarter Regenbogenfarben auf der Gewitterwolke durch den zerrissenen Silberschleier eines Regenschauers.
Seine Stimme ist weniger fest, sie klingt fast bittend, als er antwortet: –
»O sagt nicht, daß es mir leicht war, was mir so schwer fiel!«
»Vielleicht fiel es noch schwerer und war dennoch unendlich leichter für ein junges Mädchen, die angehende Leuchte der Kirche hinters Licht zu führen.«
Fragend, zweifelnd – ob er auch recht höre – blickt der Bischof die Burgfrau an.
»Ja, wer von uns beiden war nun eigentlich das leichtgläubigere Wesen? – Ich, die ich mich sofort fragte: – ›Sind dies Ottmars eigene Züge, die sich verändert haben, oder nur eine Larve, die er vors Gesicht nimmt, um mich zu täuschen?‹ – oder Ihr, die Ihr Euch keinen Augenblick gefragt habt: – ›Sollte sie wirklich keinen Verdacht schöpfen? ob ihr Herz doch nicht meine Mumme durchschaut und das meine unter diesem Narrenputz verbluten sieht?‹ – «
Bischof Ottmar ist aufgesprungen. Seine Hände erheben sich, halb abwehrend, halb als ob sie nach etwas Flüchtigem griffen.
»Mein Gott! versteh' ich Euch recht? Nein, nein – das ist nicht möglich! wie oft hab' ich damals Zorn und Verachtung aus Euren Augen blitzen sehen, daß ich mich am liebsten klaftertief in der Erde verborgen hätte! Und Schlimmeres noch: – Euren Schmerz, Eure Tränen, die Ihr zurückdrängtet!«
»Und glaubt Ihr, nur Ihr Männer hättet einen Freibrief auf die Verstellungskunst? Meint Ihr, im Hause meiner Muhme hätte kein Spiegel gehangen, vor dem ich mein Gesicht in betrügerischen Falten üben konnte?«
»Aber warum? – warum? – Wenn es mir doch nicht gelungen war, Euch von mir selbst und von Eurer Minne durch frommen Betrug frei zu machen – – warum dann – –?«
»Warum sollte ich Euch das Spiel dadurch verderben, daß ich selber nicht mitspielte? Nein – so wollen wir es nicht sagen! Sondern wie ich es selber fühlte, als ich von Eurer Liebe überzeugt war, Eure Glaubensanfechtungen ahnte und auch erriet, daß ich Euch als ein der Eitelkeit dieser Welt verschriebenes Wesen vorkam, ohne wahres Verhältnis zu Gott, fern der festen Grundlage, auf der du selber leben und sterben wolltest! – Freilich war ich auch teilweise so, wenn auch nicht ganz so, wie du glaubtest. Denn mir war es nicht wie dir gegeben, über diese Dinge zu sprechen. Und da ich auch genau die seltsam gewundenen Irrgänge deiner Denkungsart erkannte, so daß ich sie verstand – das heißt, nicht sofort, o nein, im Anfange war das, was du von Enttäuschung und Gekränktheit sahst, echt genug; aber nach und nach verstand ich doch alles – verstand zumal, was du bei jedem Schritt auf dem Dornenpfad littest, den du dir vorschriebst und, wie du meintest, zu meinem heilsamen Betrug wandeln mußtest. Als ich nun so weit war, wie konnte mich etwas anderes als tiefes Mitleid erfüllen? Ja was konnte ich wohl anderes tun, als dir bei diesem Werke behilflich sein, damit du den Trost fandest, den du suchtest: das Bewußtsein, mein Leben nicht verkrüppelt zu haben, die Überzeugung, daß es dir gelungen sei, mich von meiner Liebe und von aller Anhänglichkeit an dich befreit zu haben.«
Bischof Ottmar sinkt vornüber zusammen – das Gesicht in die Hände verborgen: –
»Renata! ... Renata!«