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Drittes Kapitel

Was der Hausmeier flüstert

Anstatt sich zu beeilen und dieser Weisung zu folgen, tritt Konrad, sobald er sich mit dem jungen Mädchen allein sieht, ganz nahe an sie heran und sagt mit gedämpfter, eindringlicher Stimme: –

»Das muß verhütet werden, Fräulein Gertrud. Die Gebieterin darf nicht mit den Sachen zu den Kranken in die Stadt hinuntergehen.«

»Ich wünsche selber, daß sie es aufgebe. Aber daran ist nicht zu denken. Sie ist überzeugt, daß ihr die Seuche nichts anhaben kann, weil sie sich nicht vor ihr fürchtet. Mit mir ist's anders, darum will sie mich nicht mithaben.«

»Ich denke nicht an die Ansteckung. Es gibt etwas Schlimmeres dort unten.«

»Schlimmeres! ... Was kann dort unten schlimmer sein als die Seuche, wenn es auch nicht der schwarze Tod ist?«

»Abergläubische Menschen in ihrer Angst und böse Menschen in ihrem Haß, das ist's, was ich schlimmer als die Seuche und als den schwarzen Tod selber nenne, Fräulein Gertrud. Von der ersten Art wimmelt's dort unten; und wenn Stephan, der Wirt im ›goldenen Stierkopf‹, kein gutes Beispiel der zweiten ist, so kann ich nur sagen, ich habe nicht das Bedürfnis, ein besseres kennen zu lernen.«

»Ist er daran, Böses zu stiften? Gallig sieht er Einen ja immer an, wenn man einmal vorbeikommt, obwohl er honigsüß lächelt und sich krümmt, als ob er den Weg dahinrollen möchte. Ich wünschte, er hätte nie die Erlaubnis bekommen, sich dort als Gastwirt niederzulassen, gerade da an der Brücke, wo ich jeden Tag, wenn Gott die liebe Sonne scheinen läßt, sein vergoldetes Schild im Wasser blinken sehe. Das ist mir immer wie eine Drohung, wie wenn jemand den bösen Blick hat. Und meine Schwägerin fühlt es auch, denn es ist noch keine Stunde her, da sagte sie: ›Wenn nur wenigstens das Schild nicht so hinge, daß es sich im Wasser spiegelt!«

»Ich wünsche von Herzen, weder sein vergoldetes Schild noch seine runde Fratze, die eher einem Kupferkessel gleicht, wären so nahe, daß sie sich hier spiegeln könnten. Und ich sagte es schon damals, mehr als einmal habe ich's unserer gnädigsten Herrin gesagt, es war verkehrt, ihm zu erlauben, sich dort niederzulassen.«

»Ich weiß wohl. Aber meine Schwägerin meint, sie würde ihr Herrschaftsrecht mißbrauchen, wenn sie ihm das verböte. Es sei schon hart für ihn, von hier weggejagt zu werden – –«

»Hart? nach seinen Betrügereien und Diebstählen? Mit der Hundepeitsche hätte man ihn jagen sollen, so weit, daß er nicht wagte, die Zinnen des Burgfrieds auch nur von ferne zu sehen! Aber was geschehen ist, ist halt geschehen, und Böses wird daraus fließen, wenn wir uns nicht vorsehen.«

»Aber im Namen aller Heiligen: was kann er uns denn Schlimmes antun?«

»Das kann er tun, daß er jedem, der bei einer Kanne Wein oder bei einem Krug Bier sein Gewäsch anhören will, sagt und beteuert, alle Seuche und Pestilenz, die Städtchen und Gegend plagen, komme von dieser Burg herunter, die ein Ketzernest sei, ein Begardenhaus, das man ausräuchern müsse, damit nicht alle darunter leiden.«

»Das sagt er?«

»Er sagt Schlimmeres als das.«

Gertrud stützt sich erblassend auf den Tisch – ihre bebenden Lippen können kaum ein »Noch Schlimmeres?« hervorstoßen.

Der lange Hausmeier beugt sich, als ob er das, was er zu sagen hat, selbst unter vier Augen und in einem wohlverschlossenen Zimmer nur flüsternd mitteilen könne: –

»Stephan war ja noch hier, vor fünf Jahren, als mein guter Herr, Euer Bruder – Gott hab' ihn selig! – so hinsiechte und schließlich heimging.«

Das junge Mädchen nickt. Ihr blühendes Gesicht ist nicht mehr blaß; es ist grau.

»Und Stephan fängt an, den Leuten ins Ohr zu raunen – er hat's meinem Paten, dem Bader, ins Ohr geraunt – daß Eure Schwägerin ihren Gemahl niemals leiden mochte. Gott verzeih' es ihm, dem ehrenschänderischen Schurken! Als ob wir nicht gesehen hätten, wie die beiden zusammen lebten, daß jedes Ehepaar der Christenheit sich's zum Muster hätte nehmen können ... Sie sei einem anderen in Liebe zugetan gewesen, einem hohen, vornehmen Manne, aber den Namen hat er nicht genannt; und wegen solcher sündhaften, ehebrecherischen Liebe habe sie ihren Gemahl vergiftet.«

Ein Schrei unterbricht ihn.

Gertrud sinkt auf den Stuhl nieder.

»Und wir, die wir gesehen haben, wie die Gebieterin ihn pflegte, ohne von seinem Lager zu weichen! Sollte man wohl glauben, daß es solche Schändlichkeit gäbe! Zwar der heilige Apostel sagt uns, daß die Zunge ein Feuer und eine Welt von Ungerechtigkeit sei, – und ein solches Feuer ist die Zunge Stephans, die Gott in seinem Munde verdorren lasse, bevor sie die verbrennt, deren Gewand er nicht wert ist zu berühren. Denn die getreueste Fürsorge, womit je eine Gattin ihren todkranken Gemahl gepflegt hat, die wendet er gegen unsere gnädige Herrin, bezeugend und beschwörend, sie habe ihm ein schleichendes Gift aus einer kleinen Flasche gegeben, die er selber in ihrer Hand sah und die sie in dem Ebenholzschrein aufbewahrt, der gerade hier auf dem Tische stand und den Eure Schwägerin in den Schrank stellte. Und daß der Schrein viele Arzeneien enthält, das wissen wir ja alle. Es sei aber ein längliches Fläschchen von goldgesprenkeltem Glase, das der Großvater der gnädigen Frau vom Kreuzzuge nach dem Lande der Sarazenen, wo sie solche Teufeleien wie Giftmischerei und Zaubertränke gar fleißig betreiben, mit nach Hause gebracht habe. Denn Stephan hatte das von seinem Vater gehört, der damals ein Bub war, als der Kreuzfahrer heimkehrte ... Nein, nein, Fräulein Gertrud, Ihr dürft den Mut nicht sinken lassen.«

»Aber was sollen wir tun? was sollen wir tun?«

»Wir sollen Gott vertrauen, und wir sollen vor allem dafür sorgen, daß die Gebieterin nicht zu den Kranken in die Stadt geht.«

»Ist's möglich, daß sie sich vor ihr fürchten, die ihnen immer nur Gutes getan?«

»O, es werden wohl nicht viele dem bösen Gerede Stephans glauben, bis jetzt wohl nicht, obwohl es besser ist, nicht daran zu erinnern, gerade in diesen Tagen. Besser sagen, sie fürchte sich vor der Ansteckung; das können sie verstehen. Wenn aber die Herrin die Kranken besuchte und die Seuche nähme zu und viele von ihnen stürben: wer weiß dann, was für eine Feuersbrunst die kleine Flamme, die Stephan im Munde trägt, anzünden kann! Ach ja, dies sind böse Zeiten, gleich jenen, als die erste Gemeinde auf der Erde in die Gewalt der Heiden gegeben war, die auch nicht schlimmer sein konnten als das, was sich jetzt die Kirche Christi und ihr Haupt und ihre Diener nennt. Steht jemand in dem Rufe, etwas mehr als sein Vaterunser zu wissen, dann ist's nicht weit bis zum Scheiterhaufen. Nein, wir müssen die Herrin von der Stadt fernhalten, das müssen wir vor allem tun.«

»Aber was sollen wir ihr sagen, damit sie ihren Vorsatz aufgibt?«

»Ja, was glaubt Ihr wohl, Fräulein Gertrud, was ich getan habe, seit ich über die Brücke ging? Nichts anders als mein bißchen Kopf geplagt, um das herauszufinden! Und nichts als Schweiß hab' ich herausgebracht. Das war ja gerade mein Trost, daß Ihr, mit Verlaub, so viel Witz in Eurem kleinen Finger habt, wie ich im ganzen Körper.«

Das junge Mädchen scheint für eine solche Vertrauenserklärung nicht ganz unempfänglich zu sein, sie neigt sich vor, das Kinn in die Hand gestützt, die Stirn in ratlosem Grübeln gerunzelt. Ganz im Gegenteil glättet sich unterdessen das schmale Stück Stirnhaut, das zwischen den fast zusammengewachsenen Brauen und der braunen Haarmütze des Mannes sichtbar ist – glättet sich zusehends unter dem beruhigenden Einflusse der verheißungsvollen Gedankenarbeit, die augenscheinlich gerade unter seinem Blick am Werke ist.


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