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Sechstes Kapitel.

Zu Grunde gelassen.

»Nur das Spankörbchen«, sagt der Gottesfreund, als die Tür sich hinter beiden geschlossen hat, denn Konrad ist zum Wächter geeilt wie Gertrud zu Mutter Ursula: – »Nur das Spankörbchen – und ihm einen schwerer zu tragenden Korb zu geben, würde das gute Kind wohl auch nicht übers Herz bringen! Oder was meinst du?«

»Ich gestehe«, antwortet Renata, »daß ich etwas beunruhigt bin durch den Eindruck, den der Famulus auf das unerfahrene Herz meiner Schwägerin gemacht hat, und der mir nicht lange verborgen blieb. Doch hat mich der Gedanke getröstet, daß Gertrud zwar ein Ritterfräulein ist, aber ein armes, so daß es nicht wahrscheinlich ist, daß er auf eine solche Eroberung ausgehe. Denn er ist in meinen Augen ganz der Mann, der mehr darauf bedacht ist, eine schöne Burg oder wenigstens ein schönes ländliches oder städtisches Anwesen zu erringen, als ein hübsches Mädchen.«

»In diesem Umstand» mag Grund zur Beruhigung liegen. Indessen, wer weiß, welche Zukunftsberechnungen er anstellen mag in dem Kopfe, auf den er entschieden nicht gefallen ist und trotz des unchristlichen Wunsches unseres biederen Konrad wohl auch schwerlich fallen wird! wir wollen ihn aber daraufhin gemeinsam beobachten.«

»Zum Glück ist das nicht möglich.«

»Wie so? Ist er nicht hier?«

»Bischof Ottmar hat ihn fortgeschickt.«

»Wie weit?«

»Ursprünglich allerdings nur nach Telheim – und zwar in Eurer Angelegenheit. Sie haben dort einen alten Volkssänger festgenommen, bei dem man ein Heft mit Bruchstücken von Eckeharts Predigten fand.«

Der Gottesfreund lacht leise: –

»So hoffte der Bischof wohl schon den Vogel im Käfig zu haben?«

Renata schüttelt den Kopf.

»Ich weiß nicht so recht, ob er dann noch wünschte, ihn zu fangen. Es war vorgestern – oder – ja, doch ... heute haben wir Freitag, und es war am Mittwoch, als er den Famulus wegschickte. Ich glaube, er benutzte den Telheimer Vorfall nur als einen Vorwand, um den jungen Mann von hier zu entfernen.«

»Meinst du? Mir scheint, es muß für ihn unbequem sein, den Famulus mehrere Tage zu entbehren.«

»Das schon, aber« – – Renatas Stimme wird unsicher und ihr Blick meidet den seinen –: »aber ich vermute, daß Bischof Ottmar ebenso wie ich bemerkt hat, daß zwischen Gertrud und seinem Famulus eine beginnende Neigung ihre Fäden spinnt. Er stand an meiner Seite auf dem Söller am Tage vorher, als dieser Vincentius – wie der Famulus heißt – aus der Stadt zurückkehrte, wohin ihn der Bischof geschickt hatte; er kam mit Gertrud zusammen, die er im Walde getroffen hatte und« – (hier muß sie ein wenig lächeln) – »er trug das Spankörbchen mit den Erdbeeren, die Gertrud für das Nachtmahl Seiner Hochwürden gepflückt hatte. Ich sah sehr wohl, daß ihm dies nicht recht gefiel, und deshalb, denk ich mir, hat er seinen Famulus weggeschickt, damit diese Sache nicht weiter gehen soll ... Wäre das nicht möglich?« fragt sie etwas schüchtern und ohne aufzublicken, denn sie fühlt, daß sie rot geworden ist.

»O, warum nicht!« antwortet der Gottesfreund, dem die Verwirrung, in die sie sich hineingeredet hat, nicht entgeht. Er kann sich einen näherliegenden Grund denken, warum der Bischof seinen Famulus während dieses Besuches gern von der Burg entfernt hält.

»Aber wenn die Reise nur Telheim gilt, dann dürfte es wohl nicht lange dauern, bevor du ihn wieder zu Gesichte bekommst.«

»Sie geht aber weiter, denn er muß von dort nach Regensburg und dort wird er mehrere Tage festgehalten werden. Er soll als Stellvertreter seines Herrn bei der Beisetzung im Mittelmünster anwesend sein – ja, Ihr habt vielleicht nicht gehört, daß dort die Äbtissin heimgegangen ist.«

»Doch, ich hörte es gestern, und ich habe dabei an dich gedacht. Ich weiß ja, wie viel sie dir einst gewesen ist. Es wird dir recht ans Herz gegangen sein.«

Renata hat an der Ecke einer Bank Platz genommen. Er steht neben ihr und legt seine Hand milde auf ihren gesenkten Kopf.

»Ja, sie war sehr, sehr gut zu mir damals in Regensburg,« spricht sie leise, nicht ohne eine Stimme des innern Vorwurfs zu vernehmen; sie hat der dahingeschiedenen mütterlichen Freundin in diesen bewegten Tagen nicht so innig gedacht, wie sie es unter gewöhnlichen Umständen wohl getan hätte.

»Schwester Mechtildis gehörte zwar nicht zu den Unseren, wie Schwester Maria und Schwester Bertha. Aber ihre Denk- und Gefühlsweise war doch von der der Gottesfreunde nicht sehr verschieden, wie ich eben durch jene beiden zu meiner Freude erfahren habe; das war für jene ein nicht geringes Glück. Nun bin ich begierig zu wissen, wer wohl ihre Nachfolgerin werden wird. Nicht nur um jener beiden willen. Aber das Mittelmünster ist eins der wichtigsten Stifte, und die reine Lehre hat dort schon Fuß gefaßt. Es ist von Wichtigkeit und macht einen großen Unterschied, ob es im Geiste der verstorbenen weiter geleitet wird, oder aber ob dort auf dem Äbtissinstuhle ein engherziges und beschränktes Frauenwesen sitzt, das in der Knechtesfurcht des Judengottes erzogen ist und nie den Freiheitshauch christusförmiger Religiosität gespürt hat; wie das bei einer Neubesetzung zu einer Zeit wie dieser, wo papistisches Zelotentum allenthalben sein Haupt erhebt, nur gar zu leicht geschehen kann. Aber Seine Hochwürden hat wohl noch nichts zu dir über seine Pläne rücksichtlich der Besetzung verlauten lassen?«

Renata blickt auf und sieht ihn mit einem seltsamen, etwas verlegenen und dabei doch fast versteckt schalkhaften Lächeln an.

»Ja doch, Meister! Zwar kann ich Euch nicht sagen, wer die Nachfolgerin der Schwester Mechtildis werden wird, aber ich bin wenigstens der einzige Mensch, der da weiß, wen Seine Hochwürden für diese Stellung im Sinne hat.«

Der Gottesfreund stutzt: – ihr Lächeln scheint fast nur so gedeutet werden zu können, als ob gerade eine der beiden Gottesfreundinnen des Stiftes zur Leiterin ausersehen wäre; was ihm doch andererseits nicht recht glaubhaft erscheint. Denn sie sind beide ziemlich bescheidener Herkunft, und es ist ihm wohlbekannt, daß die Kirchenfürsten sich bei der Besetzung solcher Ämter hauptsächlich durch aristokratische Gesichtspunkte leiten lassen, es sei denn, daß ein besonderer Ruf der Frömmigkeit oder Gelehrtheit eine Ausnahme zu machen empfiehlt, was aber hier wohl kaum der Fall ist, denn diese beiden ›Freundinnen‹ gehören nicht zu den Geistern, die nach außen glänzen.

»Nun? und wen hätte er denn im Sinnes«

»Keine andere als – mich, Meister.« Die Antwort ist so überraschend, daß der große Gottesfreund in völliger Befremdung einen Schritt zurücktritt.

Es war nicht Renatas Absicht, als sie von Vincentius' Sendung nach Regensburg zur Beisetzung der Äbtissin zu sprechen anfing, schon jetzt den Meister mit dieser ganzen Mittelmünsterfrage bekannt zu machen – ja, sie hat im ersten Augenblicke gar nicht daran gedacht, daß diese Frage, die geradeswegs in die Geheimkammer ihres Verhältnisses zu Ottmar hineinführt, unmittelbar mit dem Ableben der Schwester Mechtildis zusammenhänge. Aber seine gerade, ebenso nichtsahnende wie unerwartete Frage läßt ihr keine Wahl übrig.

Und sie erzählt ausführlich von Ottmars Plan, dessen Beweggrund in dieser Darstellung freilich ausschließlich der wird, sie durch eine solche Stellung gegen den Verdacht der Ketzerei zu schützen. Daß eine Hauptrücksicht dabei der lebhafte Wunsch ist, sie beständig in seiner unmittelbaren Nähe zu haben, ja sogar in amtlichen Verkehr mit ihr zu treten – dies zu verschweigen fühlt sie sich nicht nur berechtigt sondern sogar dazu verbunden. Übrigens ist ihr Jugendverhältnis zu Ottmar dem Meister wohlbekannt, und er wird sich wohl seine eigenen Gedanken über diesen seltsamen Vorschlag Seiner Hochwürden zur Besetzung des Äbtissinstuhles machen.

Er tut das, während er, die Hände auf dem Rücken, mit langen Schritten den Raum der Länge nach durchschreitet, den Blick unter der gesenkten Stirn aufwärts ins Unbestimmte gerichtet. Die Sonne ist höher gestiegen; bei jeder Wanderung durchschneidet er die beiden schrägen Strahlen ihres Lichtblickes, und jedesmal versetzt er Milchstraßen von Staubsternchen in ein wildes Chaoswirbeln, das nicht zur Ruhe kommen kann.

So war Ottmar über die Lichtbrücke auf dem blanken Fußboden des Saales hin und her gegangen, während er ihr beredt ein Bild ausmalte von jenem Regensburger Zusammenleben, dem sie jetzt in ihrer Darstellung so sorgfältig aus dem Wege geht.

Und Renata fühlt mit plötzlicher Deutlichkeit, wie sonderbar sie mitten zwischen diese beiden Männer gestellt worden ist. Noch vor wenigen Tagen war der eine nur eine wehmütige Jugenderinnerung gewesen; selbst war er vor langen Jahren gänzlich aus dem Kreise ihres Daseins hinausgetreten, in dessen Mittelpunkt fest und unverrückbar der andere stand; und nichts hätte ihren Gedanken ferner gelegen, als die Vorstellung – Furcht oder Hoffnung – daß er wieder in ihrem Leben auftauchen würde. Und jetzt ist er da – schon eine Selbstverständlichkeit! Der Kreis ist eine Elipse geworden mit diesen beiden Männern als Brennpunkten.

Zwei sehr verschiedene Männer. Schon äußerlich so verschieden!

Dort die hagere Gestalt mit dem energischen Prosilgesicht, der gebogenen Nase, der bronzeharten Wange, dem scharfen Kinn, den geschnitzten Lippen, dem feurigen Blick des so klaren, blauen Auges; hier der stämmige, zur Fülle neigende Mann, dessen rundliches Antlitz von vorn gesehen am ausdrucksvollsten wirkt – mit seiner breiten steinartigen Stirn, von der zu beiden Seiten das dunkle Haar bis auf den Kragen herabfällt, dem weich modellierten Munde, dem Kinne mit dem Grübchen, vor allem aber dem seltsam tiefen Blicke der fast schwarzen Augen.

Dieser Blick ist jetzt nicht mehr mit jener ihm eigenen Richtung nach oben ins Leere gewandt; sondern er ruht väterlich besorgt auf ihr. Denn auch seine Wanderung ist ein paar Schritte von ihr wieder zum Stillstand gekommen.

Er hat alles gehört – nicht nur was sie mit Worten sagte. Sehr klar sieht er, daß der Hauptbeweggrund des Bischofs der ist, die Jugendgeliebte, zu der es ihn jetzt unwiderstehlich zieht (den Ketzerfreund seines Traumes!), in seiner unmittelbaren Nähe zu haben; er begreift gar wohl, daß es sich hier für Renata um die Wahl zwischen Ottmar von Winterstetten und ihm selber handelt, wenn sie als Äbtissin im Mittelmünster sitzt, wo bleibt dann der erquickende Verkehr des geistlichen Vaters mit seiner geistlichen Tochter? Wenn auch die Besuche durch Jahre getrennt waren, so gestaltete sich dafür während derselben das Zusammensein um so traulicher, der Gedankenaustausch um so reger. Auch hat er die Hoffnung gehegt, in Zukunft das neueinzurichtende Stift Langenstein, das Haus ihres gemeinsamen Sinnens, diese Hochburg der Freunde Gottes in Franken, alljährlich auf längere Zeit besuchen zu können, was ihm selbst der bisherige sparsame persönliche Verkehr mit Renata gewesen ist – frische, schattige Oasen, zu denen er Hinblicken, auf die er zurücksehen konnte – hat er wohl gefühlt; aber ganz bewußt wird es ihm erst in diesem Augenblicke, da die Fortsetzung eines solchen Verkehrs in Frage gestellt wird.

Aber freilich – seitdem er seine Berge verlassen, um sich auf diese Wanderung zu begeben, hat sich so manches verändert. Seine eigene Achtung ist erfolgt, die Nachricht von der päpstlichen Sendung zweier Inquisitoren nach Deutschland hat sich bestätigt, viele sich gegenseitig stützende Gerüchte von bevorstehenden Gewaltmaßregeln verbreiteten sich, einige Anzeichen des Anfangs sind sichtbar – wozu auch die ihm jetzt erst bekannt gewordene Anschuldigung der Ketzerei gegen Renata bei dem Regensburger Bischofsstuhle gehört: – all dies läßt nur zu deutlich erkennen, daß eine Zeit der Unterdrückung und der scharfen Verfolgung der Freunde Gottes jeder Richtung bevorsteht. Da ist denn freilich die Sorge um die Sicherheit seiner Tochter Renata ungleich wichtiger als die Frage, wie ihr gegenseitiger Verkehr sich gestalten solle; – durch die Ungunst der Zeiten würde er vielleicht sowieso auf Jahre hinaus unterbunden sein. Und darin hat ja der Bischof recht, daß sie nirgend sicherer geschützt sein kann, als wenn er sie zur Äbtissin des Mittelmünsterstiftes macht. Und ferner: hat er nicht soeben selber gesagt, daß es von der größten Wichtigkeit für die Sache der Gottesfreunde in ganz Süddeutschland sei, in welchem Geiste dies große vornehme Stift geleitet wird? Hat er nicht eifrig gefragt, ob sie nicht wisse, wer für dieses Amt in Aussicht genommen sei? Nun, welche Antwort könnte ihm dann willkommener sein, als diese, daß seine eigene Tochter die Erwählte ist? Vorausgesetzt allerdings, daß sie ohne Skrupel diese Stellung übernehmen kann – ohne Einbuße ihrer Gewissensreinheit und ihrer Seelenruhe, denn auf deren Kosten darf weder ihre Lebenssicherheit noch die Förderung des religiösen Gemeinwesens erkauft werden.

»Nun, was hast du denn auf diesen Vorschlag geantwortet, Renata?«

Seine weiche, tiefe Stimme tönt an ihr Ohr wie eine Glocke,die zu innerer Sammlung und Entscheidung ruft.

Aber die Frage selbst macht sie stutzen.

Keinen Augenblick hat sie es ernstlich in Erwägung gezogen, Äbtissin im Mittelmünster zu werden. Aber jetzt wo sie daran denkt, fällt es ihr auf, daß sie doch nicht abgelehnt habe. Dazu ist es ja gar nicht gekommen. Und sie ist froh darüber. Denn nach den Äußerungen des Meisters muß sie annehmen, daß er sie gern an der Spitze dieses Stiftes sehen würde. Ihr selber freilich war vor allem der Gedanke unerträglich gewesen, daß sie dadurch von diesem väterlichen Freunde getrennt würde; aber wie kann sie erwarten, daß ein ähnliches Gefühl in seiner Brust spricht? Was kann sie, ein schwaches Weib, ihm, dem Großen sein, der nur für das Gemeinwohl, für die sichtbar-unsichtbare Kirche Sinn haben kann?

»Ich habe noch nicht geantwortet, Meister Bischof Ottmar wollte keine Antwort haben, er meinte, es sei eine so wichtige Lebensfrage, und sie käme mir so unerwartet und plötzlich, daß ich mir Zeit nehmen solle, um mich mit diesem Gedanken vertraut zu machen und das Ganze in aller Ruhe zu überlegen. Ja, er ging rasch zur Tür hinaus, als er das gesagt hatte, gleichsam um zu verhindern, daß ich sofort etwas antwortete, wodurch ich mich dann später gebunden fühlte. Seitdem haben wir nicht mehr davon gesprochen – – wenigstens nichts Entscheidendes«, fügt sie, etwas zögernd, hinzu.

Denn freilich war ja in der Nacht diese Frage wieder zur Sprache gekommen, aber gewaltsam unterbrochen worden. Ihre in so grellem Lichte sich plötzlich offenbarende Ketzerei hatte in ihren Augen zwar die Sache beendet – aber wie, wenn Ottmar es anders ansähe? Wenn er wohl gar einer der ihrigen würde? – Hatte nicht der Meister am Anfange seiner Predigt eine solche Wendung angedeutet? Würde das nicht die Sachlage von Grund aus ändern?

Der Meister hat sich auf die Ecke der vor ihr stehenden Bank niedergelassen.

Vielleicht trübt ein Schatten der Enttäuschung seinen Blick – möglich, daß seine Stimme freudiger und fester geklungen hätte, wenn ihm die Gewißheit geworden wäre, das Herz seiner Tochter habe sofort einen solchen Vorschlag abgelehnt, aber sie ist mild und ruhig wie immer, als er antwortet: –

»Ich kann es gar wohl begreifen, Renata, daß du die Entscheidung aufschobst, bis du dich mit mir über eine so wichtige Frage beraten konntest.«

Renata ergreift seine Hand.

»O, Herr, seid ihr nicht der Meister, dem ich mich an Gottes Statt zu Grunde gelassen? wie sollte ich denn nicht vor allem wünschen, eine Frage, von deren Lösung der Rest meines Lebens abhängt, mit Euch zu besprechen? Aber eine so tröstliche Aussicht war mir ja nicht vergönnt! Konnte ich doch gar nicht hoffen, in nächster Zeit mit Euch zu sprechen.«

»Wieso denn nicht, Renata? Hattet ihr es denn schon aufgegeben, mich diesmal zu sehen?«

»Mußten wir das nicht? Wußten wir doch, daß Ihr Bischof Ottmar in Lengefeld getroffen hattet und daß es Euch wohl bekannt war, daß er sich hier aufhält?«

»Eben. Und dabei konnte dir der Gedanke nicht einfallen: ›Der Meister weiß, welches mein Verhältnis zu Ottmar von Winterstetten ist. Er muß sich sagen, daß mir die schwersten inneren Kämpfe bevorstehen. Daß sie auch diese neue Form annehmen sollten – die Gefahr, die eine solche Stellung mit sich führen könnte, in seiner unmittelbaren Nähe, in stetigem amtlichem Verkehr mit ihm – –«

Renata zuckt leise zusammen. Die Hände, die in ihrem Schoße ruhen, drücken sich krampfhaft ineinander. Sie hat ja diese Seite der Sache mit keiner Silbe berührt! aber der Meister hat sie sofort gesehen, hat sie als selbstverständlich betrachtet ...!

Der Gottesfreund hat ihre Bewegung bemerkt – nach einer unwillkürlichen, fast unmerklichen Pause fährt seine Stimme ebenso ruhig und bedachtsam fort: –

»Dies hat er zwar nicht ahnen können, aber er kennt die Hauptsache: er weiß, was in den Jugendtagen zwischen mir und Ottmar hier und in Regensburg vorgefallen ist. Er ist ein Kenner des menschlichen Herzens und versteht gar wohl, welche Gefühle rege werden müssen, welche Flammen aus alter Asche nur zu leicht hervorbrechen können, wenn wir beide uns begegnen – und nicht von ohngefähr, denn sicher ist Bischof Ottmar nach Burg Langenstein gereist, weil ihn die Sehnsucht trieb? All das wird er sich sagen. Sicherlich wird er seine Tochter nicht im Stiche lassen, daß sie ohne seinen Beistand so schwere Lebenskämpfe durchkämpfen müsse.«

Er legt seine Hand auf Renatas Schulter: –

»Konnte dir kein solcher Gedanke kommen, meine Tochter?«

»Er ist mir wohl gekommen, Vater! aber ich durfte mich ihm nicht hingeben. Schon ihn zu hegen erschien mir ein Unrecht. Ihr habt eine so große Lebensaufgabe vor Euch, wichtigere Dinge nehmen Euch in Anspruch als die Seelennot des Einzelnen – selbst der Einzigen, die sich Eure Tochter nennen darf.«

»Nicht der erste Gedanke war ein Unrecht; der zweite war es, wie du siehst. Ein Unrecht, das du meiner Liebe tatest.«

Renata ergreift seine Hand und küßt sie.

»Und heißen, unaussprechlichen Dank für solche Liebe! Aber würde ich ihrer wert sein – und Gott weiß, ich bin es wenig genug! – aber würde ich ihrer nicht zehnfach unwürdiger sein, wenn ich gewünscht hätte, daß Ihr Euch um meinetwillen in Gefahr begebt, ja daß Ihr meinetwegen sogar – – «

»Den Kopf in die Höhle des Löwen steckt, wie der brave Konrad heute früh sagen wollte, als ihm die Worte in der Kehle stecken blieben, weil er diesen Löwen mit gezähmten Schritten mir auf den Fersen folgen sah. Nein, ich denke nicht, daß er mich verschlingt, sowenig wie jener Leu den Androkles zerreißen wollte. Denn tatsächlich habe ich ihn von einem Dorn befreit, der ihm tief ins Fleisch gedrungen war. Wenigstens will es mich bedünken, als ob der schlimmste Stachel ausgezogen wäre.«

»Ihr sprachet von Bischof Ottmar in Eurer Predigt, als von einer Dämmernatur, in deren Gemüt sich der Kampf zwischen Finsternis und Licht zum guten Ausgang wende, wird er wohl einer der Unsrigen, ein Gottesfreund, werden?«

»Ich denke, daß er dazu schon stark auf dem Wege und daß der Ohnmachtszustand, in dem ich ihn auf dem Kalvarienberg fand, eine jener schweren Krisen war, die besonders bei starken und feurigen Naturen dem Durchbruch zur inneren Klarheit vorangehen, von dem Ausgange dieses Seelenkampfes wird es aber wohl abhängen, was du in der Mittelmünsterfrage antworten willst und – kannst.«

Renata nickt.

Der Gottesfreund erhebt sich.

»Augenblicklich heißt es, ihn heil durch das körperliche Fieber zu bringen, das dem geistigen gefolgt ist, und das der Nachttau herbeiführte, dem er sich nach der glühenden Tageshitze so unvorsichtig aussetzte.«

»Und wenn ihn das Fieber tötet? – so bin ich seine Mörderin – ja, ich! Ich habe ihn in die Nacht hinausgejagt, krank wie er war, krank am Gemüt, – vielleicht auch schon am Körper!«

Sie hat sich an die Brust des väterlichen Freundes geworfen.

Die anhaltende seelische Spannung dieser Tage: die vielfache Sorge und Angst – die Bedrängnis von außen und von innen – der Kampf mit der Liebe und mit dem Geliebten – schließlich die schmerzliche Krönung durch den furchtbar schmerzlichen Sieg – all dies löst sich jetzt in einem fast krampfhaften Schluchzen aus. Gestützt von seinem kräftigen Arm, den Kopf an seine Schulter lehnend, weint sie lange laut schluchzend, dann nach und nach stiller werdend, durch den Glockenklang seiner Stimme mehr noch als durch seine Worte beruhigt.

Endlich läßt er sie wieder auf die Bank niedergleiten und bittet sie, ihm nun zu sagen, was sich denn eigentlich zugetragen habe.

Zuerst stammelnd, nach Worten suchend und von Seufzern unterbrochen, dann nach und nach ruhiger berichtet Renata die Geheimnisse der Nacht, von dem Augenblick ab, wo Ottmar, den Beweis des Verrates in der Hand, ihr Gemach betrat, um sich mit ihr über die erforderlichen Maßregeln zu beraten, bis zu dem Augenblick, wo er, von ihrem furchtbaren Worte wie vom Bannstrahl getroffen, gleich einem Wahnsinnigen zur Tür hinausstürmte.

Mit manchem leisem Kopfschütteln und unwillkürlicher Handbewegung lauscht der Gottesfreund ihrer Erzählung. Jetzt erst sieht er klar nach allen Seiten und begreift, daß die Sachen viel verwickelter und schwieriger liegen, als er sich es vorgestellt hatte.

Seufzend erhebt er sich – denn auch er hat wieder Platz genommen.

»So bin ich also doch zu spät gekommen, und mein tapferes Kind hat ganz allein seine Sache, ohne meine Hilfe, durchkämpfen müssen, bis zum bittern Ende. Nun, vielleicht ist es besser so. Eigener Sieg ist doppelter Sieg.«

»Und wenn ich ihn durch solchen Sieg getötet hättet«

»Du hast getan, was du nicht unterlassen konntest. Darum sorge dich nicht, sondern laß den Rest der Vorsehung anheimgestellt sein. Und, glaube mir, wenn das geschehen sollte, was du fürchtest, dann wird es für ihn ein seligeres Ende sein, als wenn er seinen Willen durchgesetzt hätte. So wollen wir auch hier sagen: Respice finem! Sieh' nach dem Ende. Gewiß würde er den Tod ebenso gern aus deiner Hand nehmen wie Hugo.«

»Mein Gott! bin ich denn da, um denen, die ich liebe, den Tod zu geben!«

»Warum nicht, meine Tochter? Leben geben ist gemeinhin eine üppige Handlung der Selbstliebe. Ja das Leben ist recht eigentlich ›der Sünde Sold‹ – dieses Leben nämlich. Und wenn Sankt Paulus – scheinbar umgekehrt sagt ›der Tod ist der Sünde Sold‹, so kommt das auf dasselbe hinaus. Denn dies Leben ist ja eben der Tod unseres wahren göttlichen Selbstes, und ist auch schon von den Weisen alter Zeit so genannt worden.«

»So ist es, Herr, und doch ist der Gedanke schwer zu ertragen, die Geberin solcher Gabe zu sein.«

»Muß ich es dir nochmals sagen, mein Kind? Nicht auf die Gabe kommt es an, Honig oder Galle – das gilt gleich; die Gesinnung, die sie darreicht, ist alles. Deine Gesinnung war rein: – euch beide, und gewiß nicht zum wenigsten ihn, vor Sünde und Befleckung zu bewahren. Das kann nur zum Guten ausschlagen – so oder so. Also, respice finem! Doch das Ende ist noch nicht da. Komm, wir wollen keinen Augenblick mehr verlieren, um uns zu überzeugen, wie es dem Freunde – hoffen wir unserem Freunde und Gottes! – gehen mag.«

Mit diesen Worten öffnet er die Tür der Bodenkammer und läßt Renata voranschreiten. –


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