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Als Bischof Ottmar sein Haupt erhebt, ist er allein in der Laube und im Garten.
Das wiegende Insekten summen ringsum ist die einzige Stimme der Mittagsstunde.
Die Körbe mit den leeren Schotenhülsen auf der Bank und die Schüsseln mit den Kernen – die grünen Perlen, die durch ihre Finger glitten – sind vor ihm auf dem Tische zurückgeblieben als Zeugen, daß er nicht geträumt hat.
Geträumt? O nein! Ein Iraum, ein böser, grausamer Traum, der wie ein Alp ihn lebenslänglich bedrücken wollte, ist von ihm gewichen, verscheucht durch den Strich einer milden Hand – verscheucht auf immer!
Ihre Verachtung, ihr Abscheu hatten ihn nie getroffen! Ihre Liebe war stärker als seine Verstellungskunst gewesen!
So wenig wie er je aufgehört hat sie zu lieben, ebenso wenig sie ihn.
Als sie Hugo von Laufen heiratete, der kaum mehr als das Schwert, das er im Kampfe mit ihrem verräterischen Verlobten kreuzte, sein eigen nannte, hatte Ottmar in diesem Schritte den Beweis erblickt, daß sie ihren Liebeskummer überwunden habe und daß der Zweck seines abgefeimten Fastnachtsspieles, sie von ihm selber frei zu machen, völlig erreicht sei. Das war ein bitterer Trost. Es war aber, was er gewollt hatte, und er war tapfer genug, es als einen Triumph zu genießen.
Nur ein Gedanke hatte ihn damals beunruhigt und ihm zugleich geschmeichelt: ob vielleicht in dieser Heirat etwas von ihrer Liebe zu ihm in seltsamer Verkleidung verborgen läge, und zwar als Trotz, der ihm zeigen sollte, daß sie seiner nicht mehr bedürfe? Nein, das war es nicht gewesen, das fühlte er jetzt. Nunmehr stellte sich aber eine neue Ahnung ein. Wäre es wohl doch am Ende möglich, daß die Liebe zu ihm bei diesem Ehebunde mitgewirkt habe, nicht freilich als Trotz verkleidet, wohl aber in Gehorsam verhüllt? Daß sie so gehandelt hatte, wie er wünschte, daß sie handeln sollte? Sie wollte – ›ihm das Spiel nicht verderben‹ – lauteten ihre Worte. Wie, wenn nun ihre Ehe der letzte große Trumpf wäre, womit sie eben dies Spiel zu seinem Vorteil entschiede?
Wenn es so war, dann hatte die Geliebte nicht aus Trotz einen Anderen geheiratet – was alltäglich und landläufig war, die leichte Zuflucht kleiner Jungfernseelen – nein, hier war etwas Unerhörtes und Heroisches geschehen! In liebevollem Verständnisse seines Willens, mit dem zartfühlenden Wunsche, ihn von allem Selbstvorwurf zu befreien, hatte sie die letzte Hand an seinen sinnreich geplanten Trugbau gelegt. Ja, sie hatte wirklich, nicht nur etwa »sozusagen«, aus Liebe zu ihm einen Anderen geehelicht. Diese Vorstellung hat in ihrer verwegenen Widersinnigkeit etwas so Anziehendes für seinen spitzfindigen und grübelnden Verstand, daß sie trotz ihrer Neuheit sofort ein vertrautes Antlitz zeigt. Sie spricht ihn unmittelbar an mit ihrem Tertullianischen » Prorsus credibile, quia ineptum, quia impossibile certum«. Es ist glaubhaft, weil töricht, gewiß, weil unmöglich.
Allerdings, Eines ist gewiß: dieses Weib hat ihn gedemütigt. Sein ganzer schlauer Plan scheiterte an ihrer klugen Liebe. Aber darin stak wiederum ein Paradoxon, das ihn mehr und mehr bezaubert; je länger er es betrachtet, um so mehr ist es nach seinem Geschmack. Er hat eine Demütigung erlitten, gewiß, was hat er aber bezweckt? Daß Renata aller Demütigung entgehen möchte. Und hat er nicht gerade dadurch, daß sie ihn demütigte, dies Ziel in allervollkommenstem Maße erreicht? Ja, dann war er ja gerade nicht gedemütigt worden. Dies war das Paradoxon!
Er spielt mit diesen Gedanken wie ein Marktgaukler mit seinen Kugeln.
Ein Läckeln umflattert seine Lippen, und ein fast glucksendes Lacken klingt in seiner Stimme, als er vor sich hinmurmelt: – » tunc bene navigavi cum naufragium feci«. Da machte ich gute Schiffahrt, als ich Schiffbruch erlitt. Und inzwischen gewinnt der eine Gedanke die Oberhand: – »Sie liebt mich! Keinen Augenblick hat sie aufgehört mich zu lieben!«
Dieser Gedanke ist überall. Der ganze weite Himmelsraum scheint ebenso davon erfüllt zu sein wie von dem einförmig schwingenden Insektensummen.
Als er den Kopf wieder erhebt, ist er nicht mehr allein.
Schritte im Grase sind es, die ihn zum Aufblicken veranlassen. Aber Renata ist nicht zurückgekehrt.
Draußen vor der Laube steht sein Famulus.
Ein schwarzer Schatten im Sonnenlichte.
Vincentius hat den Kopf zu ehrerbietigem Gruße geneigt. Das Gesicht ist nur als ein unregelmäßiges, gelbweißes Dreieck sichtbar – als ob die Tuschfarbe hier das Pergament nicht gedeckt hätte.
Von dem kleinen weißen Fleck im großen schwarzen kommt eine weiche Stimme:
»Euer Hochwürden haben eine lange Unterredung mit der Rittersfrau gehabt. Ist's erlaubt zu fragen, ob Euer Hochwürden dadurch dem Zweck dieses Besuches schon näher gerückt sind?«
Bischof Ottmar richtet seinen Blick auf den kleinen weißen Fleck, von dem die Stimme ausgeht – einen leeren Blick, in welchem Schatten der Verwunderung und des Nichtverstehens schweben. Längst schon hat sich der Fleck zu einem wohlgeformten, wenn auch etwas scharfen Gesicht umgewandelt, bevor ein verstehendes Lächeln in diesem Blick aufleuchtet. Das Lächeln ist voll paradoxer und ironischer Laune. Es wäre keineswegs schmeichelhaft für den Frager, wenn es ihm gegolten hätte. Es haftet jedoch nirgends, und wenn es den großen schwarzen Fleck mitnimmt, geschieht das nur, weil es eben das Ganze umfaßt.
›Der Zweck meines Besuches?‹ Es dauert eine Weile, bevor Bischof Ottmar aus den Gefühlshöhen, in denen er schwebte, endlich zum staubigen Fußboden der Bischofs-Kanzlei, auf dem er für gewöhnlich mit seinem Famulus verhandelt, zurückkehren kann, und zwar so endgültig zurückkehren, daß diese Worte sich mehr als nur äußerliches Gehör verschaffen können.
›Mein Zweck –?‹ Ja, so ist es! Der Fleck draußen hat recht: – er hat einen Zweck hier; und im Lichte jenes Gespräches, dessen warme, bewegte Worte noch in seinem Herzen widerhallen, ist der Gedanke, daß er sich hier eigentlich in der Eigenschaft eines Katechisators, um nicht zu sagen eines Inquisitors befindet, eine Vorstellung, die seinen Sinn für Widerspruch ungemein kitzelt.
Von mehr als einer Seite waren nämlich Verdächtigungen gegen Frau von Laufen-Langenstein laut geworden: – sie hege ketzerische Anschauungen, gehöre einer verbotenen Sekte an, ja, ginge mit Plänen um, die eine große Gefahr für die Rechtgläubigkeit und für die heilige Sache der Kirche im ganzen Lande bedeuteten.
Zwar hatte Ottmar in seinem Allerheiligsten des Regensburger Palastes ob solcher Anschuldigungen die Achseln gezuckt; jedoch nur um bald danach in seiner Kanzlei die Miene des Großinquisitors aufzusetzen und zu erklären, dies sei eine ernste Sache, die er von Grund aus untersuchen müsse. Um dies jedoch ohne Aufsehen tun zu können, beabsichtige er, eine Visitationsreise zu unternehmen. Diese sei nun so zu legen, daß sie ihn gleich anfangs nach Langenstein führe. Er hoffe zuversichtlich, daß die dort wohnende Edeldame sich von allem Verdacht werde reinigen können; sei sie doch die Enkelin eines frommen Kreuzritters, der rühmlich an dem letzten Kampf um das heilige Grab beteiligt war. Um jedoch seiner Umgebung zu zeigen, daß er keineswegs gesonnen sei, der Ketzergefahr gegenüber ein Auge zuzudrücken, führte er sofort eine Maßregel aus, die er schon längere Zeit erwogen hatte. Er ließ jene Bekanntmachung anschlagen, die eine hohe Belohnung auf die Gefangennahme des ›großen Gottesfreundes‹ aussetzte. Denn auch das Gerücht lag in der Luft, daß dieser Erzketzer, der um so gefürchteter war, weil niemand etwas Rechtes von ihm wußte, sich auf einer apostolischen Wanderung befinde, um die geheimen Gemeinden in Süddeutschland und besonders, wie man glaubte, in Franken zu besuchen ...
Geduldig wartet der Famulus auf Antwort. Er ist daran gewöhnt, daß sein hoher Vorgesetzter bisweilen recht zerstreut ist. Bei dieser Gelegenheit peinigt ihn freilich die Angst, daß er durch seine unberufene Frage seinen Herrn vor den Kopf gestoßen habe. Bald beruhigt ihn jedoch das launige, keineswegs grimmige Lächeln, das die Lippen Seiner Hochwürden umspielt und auch nicht verläßt, als sie sich nun endlich bewegen.
»Vincentius, Ihr seid ein junger Mann, allerdings im Besitze sehr brauchbarer Fähigkeiten, immerhin aber noch ein zu grüner Baum, um Früchte zu tragen, die nicht im Handumdrehen reifen, wollte ich auf solche Weise mit der Tür ins Haus fallen, dann ist es sehr unwahrscheinlich, daß ich die Wahrheit ans Tageslicht fördern würde; eher dürfte ich sie wohl bis in das tiefste Kellerloch verscheuchen. Deshalb bin ich nicht nach Langenstein aufgebrochen. Warum dann nicht ruhig in Regensburg bleiben und die Dame vor mein Tribunal laden? Nein, nein, mein Lieber! Diese Sache will Weile haben. Das Gespräch, das ich hier mit Frau von Laufen führte, ist höchstens als ein Exordium zu betrachten.«
Vincentius neigt den Kopf, dankbar für die erteilte Belehrung.
Allein obwohl eine fast unmerkliche Handbewegung und der abgewandte Blick andeuten, daß der Bischof das Gespräch als beendigt ansieht, bleibt er stehen und räuspert sich – mehr ein aufdringliches als ein bescheidenes Räuspern.
Bischof Ottmar blickt – nicht gerade einladend – auf: –
»Nun?«
»Nämlich, ich glaube – mit Erlaubnis Eurer Hochwürden glaub' ich etwas entdeckt, eine Spur gefunden zu haben, die vielleicht weit führen könnte.«
Die kräftigen, geradlinigen Brauen des Bischofs heben sich bogenförmig – ob vor Bewunderung für den Scharfsinn des jungen Mannes, oder vor Mißbilligung, weil dieser auf eigene Faust handelt, oder einfach vor Ungeduld – ist nicht zu unterscheiden.
»Euer Hochwürden werden entschuldigen, wenn meine einleitende Bemerkung vielleicht etwas eitel klingt. Ich konnte nämlich bei meiner Ankunft gestern bemerken, daß die junge Dame, namens Gertrud, wenn ich recht verstand, eine Schwester des verstorbenen Gemahls der Burgfrau – –«
»Ja?«
»– daß ihre Aufmerksamkeit mit einer gewissen Anteilnahme, sogar mit Gefallen an meiner geringen Person haftete – – unzweifelhaft eine Folge des einsamen Lebens in einer solchen Burg – –«
»Unzweifelhaft!«
Der Famulus räuspert sich, etwas überwältigt durch die Bereitwilligkeit, womit der Meister die seelenkundige Erklärung dieses Wunders gutheißt.
»Da nun solche Dinge, an sich sehr unbedeutend, bisweilen zu wichtigen Aufklärungen führen, werden Euer Hochwürden es gewiß billigen, wenn ich den Entschluß faßte, diesen Umstand zu benützen und dem gnädigen Ritterfräulein meine Huldigung zu Füßen zu legen.«
Bischof Ottmar sieht nicht aus, als ob er etwas billige.
»– Und ich darf sagen, daß schon mein erster Schritt vom Glück gekrönt wurde.«
»Hm –«
»Es gelang mir, Fräulein Gertrud zwischen Keller und Speisegewölbe abzufangen. Obwohl sie recht beschäftigt und eilig tat, ließ sie sich willig genug zu einem Gespräche verlocken, in dessen Verlaufe sie mit ihrer Kenntnis der lateinischen Sprache ein wenig groß tat. Nun stellte ich mich an, als ob ich einigen Zweifel rücksichtlich der Tiefe solcher Gelehrsamkeit hege; und um scherzhafterweise das Fräulein zu examinieren, nahm ich ein Büchlein hervor, das ich bei mir trug und das kein anderes war als Vulgata, Novum Testamentum. Ich habe nämlich die Gewohnheit, vereinzelte müßige halbe Stunden zum Studium dieses Buches zu benutzen, weil ja die Ketzer ganz besonders aus diesem Quell schöpfen.«
»Ein gut erwählter Lesestoff und ein trefflicher Beweggrund.«
Vincentius neigt den Kopf, für das ihm zugeteilte Lob dankend.
»Die Stelle, die ich aufschlug – es war in den Episteln – übersetzte sie ganz nett; an einem Punkte jedoch wollte ich ihre Verdeutschung nicht gelten lassen. Sie ereiferte sich und behauptete, sie könne mir beweisen, daß sie recht habe. – ›Und wie würdet Ihr das wohl beweisen?‹ – fragte ich mit einer Verwunderung, die nicht ohne die frohe Erwartung war, es könne nunmehr wohl etwas Wichtiges an den Tag kommen. Statt aller Antwort sprang sie die Treppe hinan, wohl nach ihrer Kammer, und kehrte sogleich, eine kleine Schrift in der Hand, zurück. Und was für eine Schrift meint Ihr wohl, daß es war? Die Episteln Sankt Pauls in deutscher Sprache.«
Die Züge des Bischofs, die bisher zur Enttäuschung des Famulus nur eine recht mäßige Teilnahme bezeugen, werden jetzt plötzlich von einem ernsten, ja fast bestürzten Ausdruck überschattet.
»In deutscher Sprache, Euer Hochwürden.«
Eine kleine Weile verstreicht, ehe sich die Lippen seines Herrn und Meisters bewegen.
»Es ist gewiß nicht zu billigen, daß das Neue Testament sich in den Händen der Laien befindet, ohne auch nur den Schutz gegen Mißverständnisse der gänzlich Unmündigen zu haben, den die lateinische Sprache doch einigermaßen gewährt.«
»Und ich gebe zu bedenken, daß ein Gerücht wissen will, diese Burg stehe im Begriffe, sich zu einem Beginenhaus umzuwandeln. Ist nun nicht solch ein Fund geeignet, dies Gerücht zu bestätigen?«
»Ich will das nicht leugnen. Doch müßt Ihr wissen, Vincentius, daß ich die Sache dieser Begarden und Beginen keineswegs in einem so schwarzen Lichte sehe, wie die meisten meiner Amtsbrüder. Und was zumal ihre Häuser und Stifte betrifft, so erblicke ich darin nur Asyle für arme und kranke oder auch nur einsam stehende Menschen, die gemeinsam ein stilles Leben führen wollen. Solche sollte man an der Hand nehmen und sie auf den rechten Weg leiten, was ich auch hier zu tun gedenke, falls die Frau dieser Burg ähnliches im Sinne haben sollte.«
»Euer Hochwürden müssen das am besten verstehen. Aber sonst haben wir doch das Wort eines heiligen Vaters dafür, daß diese Begarden eine pestilenzialische Plage der Christenheit seien.«
»Eines ›Vaters‹, der seine ›Heiligkeit‹ dadurch erhielt, daß er seinen Vorgänger auf dem Stuhle Petri vergiftete!«
»Ich habe wohl solches flüstern hören, aber ich meinte halt, auch ein Papst hat seine Feinde in diesen bösen Zeiten – –«
»Wohl mögt Ihr dies ›böse Zeiten‹ nennen, wo die heilige Kirche geteilt ist, und die Gefangenschaft ihrer Oberhäupter mit doppeltem Recht ›das babylonische Exil‹ genannt wird, weil der päpstliche Hof zu Avignon ein wahres Babel, ein Sammelplatz aller Laster ist, ja wo ein Mann den Thron der Christenheit bestieg, der in seiner Jugend Seeräuber war.«
Vincentius erhebt seine Augen gen Himmel: –
»O über die unerschöpfliche Gnade Gottes und ihre unerforschlichen Wege! Muß uns das nicht an ihn erinnern, der zur rechten Hand des Heilandes gekreuzigt ward und längst mit ihm im Paradiese ist?«
Der Bischof betrachtete seinen Famulus mit einem verwirrenden Blick, voll halbverborgener Verachtung und unverhohlener Bewunderung – beides zu einem Lächeln vereinigt, das Vincentius sehr gut kennt und das er keineswegs mag.
»Vincentius, Ihr könnt Euch Hoffnung machen, die Ritterwürde zu erlangen, wenn nicht bei lebendigem Leibe so doch im Tode, der hoffentlich noch auf sich warten läßt, dieweil ich für Eure Fähigkeiten noch Verwendung habe.«
»Ich danke Eurer Hochwürden für die gute Meinung. Aber wie versteh' ich das von der Ritterwürde?«
»Wißt Ihr nicht, daß ein Scholastikus das Vorrecht hat, als ein Ritter begraben zu werden? Und wahrlich, Ihr seid ein großer Scholastikus.«
Vincentius neigt den Kopf, wie es sich bei solcher Gelegenheit geziemt. Vielleicht doch hauptsächlich, um sein Gesicht zu verbergen. Es hat Röte in den gewöhnlich so blassen Wangen bekommen und ein Lächeln um die dünnen Lippen. Es würde jedoch schwierig zu entscheiden sein, ob der junge Mann sich bis zur Verlegenheit geschmeichelt fühlt oder ob er sich unter dem Stich eines versteckten Stachels krümmt.
»Euer Hochwürden betrachten mich wohl mit zu gütigen Augen, wenn ich aber mit meinem Bericht fortfahren darf – –«
»Ach, der ist noch nicht zu Ende?«
»Hätte ich nichts Wichtigeres zu berichten als was ich schon die Ehre hatte, Hochwürden zu sagen, dann wäre ich zu der Behauptung kaum berechtigt gewesen, ich hätte eine Spur gefunden, die vielleicht weit führen dürfte.«
»Nun, also?«
»Als ich nun diese wichtige Schrift in der Hand hatte, ließ ich mich durch die offenbare Ungeduld des Mädchens nicht irre machen, sondern blätterte
darin und sah mir besonders das Titelblatt an, das in kräftigen Schriftzügen die Inschrift trug: ›An Hugos Schwester, von ihrem und Gottes Freunde‹.«
Bischof Ottmar ist gewohnt, seine Gesichtszüge zu beherrschen. Ein plötzlicher Ruck der Mundwinkel und ein Aufblitzen der Augen zeigt jedoch dem jungen Manne, daß diese Worte seinen Herrn nicht gleichgültig lassen.
»Also als ›Gottesfreund‹ bezeichnet sich der Geber, offenbar ein Freund des verstorbenen Herrn von Laufen-Langenstein. Sollten wir hier nicht unvermutet auf die Fußtapfen des Erzketzers gestoßen sein, auf dessen Kopf Hochwürden einen Preis setzen?«
Der Bischof lächelt – etwas geringschätzig.
»Die Hoffnung dürfte etwas voreilig sein. Unzählige nennen sich Gottesfreunde. Ich sehe darin keinen Grund, daß dieser gerade der sogenannte ›große‹ sein sollte.«
»Nicht? Ich glaube doch einen zu sehen, Euer Hochwürden werden nicht vergessen haben, daß unter den verschiedenen Verdächtigungen, die gegen Frau von Laufen eingingen, auch die war, sie stehe in geheimer Verbindung mit dem Erzketzer.«
»Ein Gerücht, worauf ich nicht das Geringste gebe. Was ihren verstorbenen Gemahl betrifft, so habe ich Hugo von Laufen in jungen Jahren gut gekannt. Er war eine offene, fröhliche Natur, ein Mann für Wald und Haide, keineswegs gehörte er zu den Leuten, die leicht eine Beute solcher Wanderapostel werden.«
»Könnte es sich aber nicht um eine Jugendbekanntschaft handeln? Solche werden oft durch äußere Umstände zwischen recht verschiedenartigen Naturen geschlossen und sind sehr dauerhaft. In diesem Falle wäre es wohl möglich, daß jener Unbekannte hier eine Spur hinterlassen hätte. Die ganze Sache scheint mir aber, mit Verlaub Eurer Hochwürden, von solcher Wichtigkeit zu sein, daß man auch das scheinbar Geringfügigste nicht aus dem Auge lassen sollte.«
Vincentius räuspert sich, der Bedeutung seiner Ausführung bescheiden bewußt, und tritt einen Schritt näher, mit der Miene eines Kanzlers, der seinem Herrscher Vortrag hält.
»Euer Hochwürden wissen, daß der Papst zwei Inquisitoren nach Deutschland schickt; vielleicht sind sie jetzt schon auf dem Weg über die Alpen. Seine kaiserliche Majestät hat, wie ich gestern unterwegs hörte, an alle Obrigkeiten einen Erlaß gerichtet, daß sie in jeder Beziehung den Inquisitoren bei ihrer schwierigen Aufgabe, die Ketzerei im Reiche auszurotten, behilflich sein sollen. Wenn es Euch nun gelänge, noch bevor die päpstlichen Inquisitoren ihre Wirksamkeit eröffnen, diesen geheimnisvollen Hauptketzer gefangen zu nehmen und abzuurteilen, dann wäre dies eine große Tat, die Euch die Kirche hoch anrechnen würde. Ja, ich stehe nicht an zu sagen, es würde ein mächtiger Schritt vorwärts sein auf dem Wege, der einen Mann von Euren Gaben und Eurer Tatkraft weit und hoch führen muß. Sogar der Kardinalshut wäre nur die geringere Aussicht am Ziele dieses Weges. Denn mich sollte es nicht wundernehmen, wenn durch Euch die Hoffnung in Erfüllung ginge, daß die Tiara wieder einmal ein deutsches Haupt krönt.«
Wenn der Famulus der Eitelkeit seines Herrn hat schmeicheln wollen, scheint er sich verrechnet zu haben. Unter gerunzelten Brauen blitzt ein zorniger Blick seinem eigenen lächelnden entgegen, und eine barsche Stimme weist ihn zurecht:
»Meint Ihr, solche weltliche Beweggründe, Ehrgeiz und Machtgier, seien meine Triebfedern, wenn ich mich endlich entschließe, gegen einen gefährlichen Ketzer einzuschreiten? Glaubt Ihr, ich will meinen Purpur mit Ketzerblut färben?«
»Gott behüte! Ihr mißversteht meine Worte, die vielleicht schlecht gewählt waren, weiß doch niemand besser als Euer Famulus, daß, wenn Ihr nach der höchsten Kirchenwürde strebt, es nur geschieht, um das Übel, worüber Ihr klagt, zu beseitigen, der babylonischen Gefangenschaft ein Ende zu bereiten, das Getrennte zu vereinigen, Zucht und heilige Ordnung wieder herzustellen und wie ein zweiter Hildebrand wieder eine goldene Ära heraufzubeschwören.«
»Ja, ja – genug dieses unziemlichen Geredes, wie gut es auch gemeint sei! Dessen aber könnt Ihr gewiß sein, daß ich nichts unbeachtet lassen will, was zur Festnahme des großen Ketzers führt. Denn er gehört den Brüdern des freien Geistes an, und der Gott, dessen Freund er sich nennt, ist somit kein anderer als der alte heidnische
Pan, und seine Geheimlehre ist eine Verherrlichung, ja Vergöttlichung aller Gelüste des Fleisches, weshalb ich denn auch geschworen habe, daß, falls er sich auf mein Gebiet wagt, es sein letzter Gang sein soll ... Gibt's noch mehr?«
»Nur dies: Wenn Euer Hochwürden nicht gerade jetzt meiner Dienste bedürfen, möchte ich um Erlaubnis bitten, nach Langenstein hinuntergehen zu dürfen, um zu sehen, ob das Pferd sein Lahmen überstanden hat.«
»Das ist recht wohl bedacht, denn es ist allerdings wünschenswert, daß das Tier bald wieder gebrauchsfähig wird. Zwar zweifle ich nicht, daß der Burgstall Euch beritten machen kann; aber Ihr seid nun einmal an den Schimmel gewöhnt, der ein ruhiges Tier ist und auch sonst gar nicht zum Stolpern geneigt, wenn man nicht sitzt und döst und ihm die Zügel über den Kamm hängen läßt, was ein Reiter eben nicht darf. Wenn man reitet, dann reitet man ... Es ist Mittag jetzt. Nach der Mahlzeit habt Ihr Eure Freiheit.« – –
Ein Befreiungsseufzer hebt und senkt die Brust Ottmars, als der schwarze Schatten aus dem Sonnenlicht entschwunden ist und sein Blick ungehindert auf dem grünen Grasteppich ausruhen kann, über den das Laubnetz der Obstbäume sein unregelmäßiges Muster goldener Kreisgruppen breitet.