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Fünftes Kapitel

Der Volkssänger

»Was habt ihr da, Famulus^«

Die Vormittagssonne, deren Strahlen durch die gelben und grünlichen Scheibchen hereinleuchten, vergoldet die Papiere, die Vincentius in der Hand hält.

»Ein reitender Bote hat Verschiedenes von größerer und geringerer Wichtigkeit gebracht, Hochwürden. Zunächst ist hier ein Schreiben vom Mittelmünster.«

Er reicht Bischof Ottmar den großen Brief, der mit einer schwarzen Schnur verschlossen ist, deren Enden in eine mit dem Siegel des vornehmen Frauenstiftes gestempelten Bleikapsel eingelagert sind.

»Die Äbtissin war leidend, als ich von ihr Abschied nahm,« sagt der Bischof und lehnt sich im Armsessel zurück, die Briefschaft in den Händen drehend, ohne sich zu entschließen, sie zu öffnen. »Eine gute und fromme Frau, deren Freundschaft mir viel wert ist.«

Zögernd nimmt er eine Schere vom Tische und zerschneidet die Schnur.

Nachdem er den Brief gelesen, legt er ihn auf den Tisch, geht ans Fenster, das er öffnet, und bleibt eine Weile dort stehen, den Blick auf den Tannenwald gerichtet, dessen Duft mit dem freien Sonnenlichte in die Turmkammer hereinströmt.

Als er sich umwendet, liegt nur noch ein leichter Schatten auf seinen Zügen.

»Es ist, wie ich befürchtete. Schwester Mechthildis hat uns verlassen – sie ist zum ewigen Frieden eingegangen.«

Vincentius neigt mit ehrfurchtsvoller Teilnahme den Kopf.

Der Bischof geht hin und her; tausende von Stäubchen wirbeln in dem Sonnenbalken, der vom offenen Fenster schräg ins Zimmer ragt.

Schließlich bleibt er am Tische stehen, nimmt das Schreiben des Stiftes zur Hand und liest es sorgfältig durch. Nach und nach bekommt sein Gesicht einen anderen Ausdruck. Erstens – so will es Vincentius dünken – als ob ihm ein ganz neuer Gedanke durch seine Fruchtbarkeit einleuchte; dann spielt ein Funke fast schalkhafter Laune in den Augen.

»Vincentius, Ihr seid ein junger Mann, dem es, wie mir scheint, nicht schwer fällt, auf gutem Fuße mit dem weiblichen Geschlechte zu stehen, Älteren wie Jüngeren, so daß Ihr Euch wohl ein Urteil zutrauen dürft und Andere sich bei Euch Rat holen können. Was meint Ihr? Wie sollen wir diesen Posten am besten besetzen und Schwester Mechthildis eine würdige Nachfolgerin geben? Befindet sich im Stifte selbst eine Schwester, die ihren Platz einnehmen könnte?«

Vincentius räuspert sich im vollen Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit und seiner Sachkenntnis.

»Da Euer Hochwürden mir die Ehre erzeigen, mich aufzufordern, meine Meinung zu sagen, so ist es die, daß ein Stift wie das Mittelmünster, in dem Bischofssitze Regensburg, zur Vorsteherin eine Dame haben muß, die auch weltlich eine hervorragende Stellung einnimmt; wenn auch nicht eine Dame fürstlichen Geblüts – eine solche ist nicht immer leicht zu finden – so doch eine des hohen Adels, wie die Verstorbene; oder jedenfalls aus einer Adelsfamilie, die einen Namen guten Klanges hat, besonders im Ohre der Kirche, wenn es nicht unbescheiden ist, es zu sagen, eines Adelsgeschlechtes wie desjenigen, dem Hochwürden selber angehören; denn bei dem Namen von Winterstetten denkt ein jeder sofort an den Kreuzfahrer.«

Er räuspert sich wieder und streicht mit der Hand über Lippen und Kinn, äußerst befriedigt von dieser Wendung. Denn sie enthält eine offenbare Schmeichelei, daneben jedoch den verborgenen Stachel, daß die von Winterstetten nicht zum hohen Adel gehören.

Ottmar scheint nur das Erstere zu bemerken, denn er nickt seinem Famulus beifällig lächelnd zu.

»Ich sehe, ich habe Eure Urteilskraft nicht überschätzt. Ich selbst bin auch dieser Meinung und finde sie durch die Eurige bekräftigt. Leider gibt es nun im Mittelmünsterstift keine Schwester, die diese Anforderung erfüllt, wir müssen also den Posten bis auf weiteres durch eine stellvertretende Äbtissin besetzen, welche Schwester würdet Ihr dazu vorschlagen?«

»In Betracht kämen meiner Meinung nach Schwester Elisabeth und Schwester Irene. Schwester Elisabeth ist die gelehrtere, aber Schwester Irene hat etwas Würdigeres an sich.«

»Der letztere Punkt muß bei dieser Wahl den Ausschlag geben, wir bleiben bei Schwester Irene.«

»Was nun die Frage betrifft, welche Dame aus einem anderen Stift oder Kloster für die dauernde Besetzung – –«

»Ja ja, Vincentius – est quadam prodire tenus Es genügt bis zu einer gewissen Grenze fortzuschreiten. (Horaz.). Das weitere hat Zeit.«

Vincentius errötet bei dieser bündigen Abweisung, was sein Vorgesetzter zu seinem Troste nicht bemerkt.

Denn dieser hat sich schon weggewendet und sich in den Sessel geworfen, um die Feder einzutauchen und, ohne weiteres Überlegen, ein paar Dutzend Zeilen in rasender Hast, aber freilich auch mit kaum leserlichen Schriftzügen auf das erste beste Stück Papier zu werfen.

»Hier der Brief. Ihr müßt dies in den formellen Rahmen einfügen und das Geschäftsmäßige, alles die Besetzung Betreffende, aus eigenen Mitteln hinzufügen ... – Nun aber das Zustellen – –«

Der Bischof blickt vor sich nieder, mit nachdenklichem Stirnrunzeln, aber mit einem Lächeln um die Lippen.

»Ein solches Schreiben sollte bei dieser außerordentlichen Gelegenheit dem Stifte kaum durch einen gewöhnlichen Boten übermittelt werden – –«

›O je!‹ denkt Vincentius – ›Weht der Wind von der Seite! Das also war es, was ihm vorhin einfiel: – er will diese Gelegenheit benützen, um mich auf ein paar Tage wegzuschicken, wie gestern auf ein paar Stunden.‹

Schnell entschlossen legt er die Papiere, die er in der Hand halt, auf den Tisch.

»Ach ja – Ihr habt mehr. Ist es etwas von Wichtigkeit?«

»Es betrifft die Gefangennahme des großen Gottesfreundes.«

»Wie –? ... Man hat – – ist es möglich, daß man eine Spur gefunden hat?«

Der Bischof nimmt diese Sache ernst genug. Es fällt aber seinem Famulus auf, daß die echte eifrige Hoffnung nicht in dieser Frage klingt.

»Es sind von allen Seiten Berichte eingelaufen. In dem Eifer, die ausgesetzte Belohnung zu gewinnen, scheint man so ziemlich alle fahrenden Leute, deren man habhaft werden konnte und die nicht mehr Jünglinge sind, verhaftet zu haben. Das Meiste scheinen mir Dokumente menschlicher Dummheit zu sein. Indessen ist ein Fall da, der den andern so unähnlich sieht, daß Euer Hochwürden es gewiß nicht bereuen werden, ihm Eure ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen.«

»Nun also?«

»In Telheim haben sie einen alten Sänger festgenommen, der ganz der Beschreibung entspricht – –«

Der Bischof zuckt die Achsel.

»Man hat bei ihm ein kleines Manuskript gefunden, das nicht – wie man erwarten sollte, wenn die Rolle, in der er umherzog, echt und kein Mummenspiel war – nicht, sage ich, Volkslieder und Schwänke enthielt, sondern ein Andachtsbuch war. Lucus a non lucendo freilich, denn um gotteslästerlicheren Zeugs willen ist wohl noch kein Ketzer in deutschen Landen verbrannt worden.«

Bischof Ottmar seht sich aufrecht und umspannt die Armlehne mit den Händen, daß die Knöchel weiß werden.

Kein Zweifel, daß dies ihm Eindruck macht. Allein der Eindruck ist nicht der erwartete: – nicht der frohe Eifer des Jägers, der die Hunde auf der Fährte Wildes bellen hört; eher – seltsam genug – Bestürzung.

»Wenn ich die Aufmerksamkeit Euer Hochwürden auf ein paar Hauptstellen hinlenken darf –«

»Gewiß. Leset – – leset!«

Vincentius blättert schon im Heft mit Fingern, die vor Eifer zittern.

»Ja, hier ist so eine Stelle: – ›Das Laufen nach der Krone bedeutet Abkehr von allem Erschaffenen und Einswerden mit dem Unerschaffenen. Wenn die Seele dahin gelangt, so verliert sie ihren Namen: Gott zieht sie so völlig in sich, daß sie selber darüber zunichte wird, wie die Sonne das Morgenrot an sich zieht, daß es zunichte wird ... Darum will ich nun nicht weiter von der Seele reden, denn sie hat dort in der Einheit des göttlichen Wesens ihren Namen verloren. Darum heißt sie da nicht mehr Seele, ihr Name ist: unermeßliches Wesen.‹ –«

Vincentius wirft einen eifrig spähenden Blick auf seinen Herrn, der, im Sessel zurückgelehnt, das Kinn in die Hand gestützt, nur mit einem schwachen Nicken seine Aufmerksamkeit bezeugt.

»Nicht wahr, Hochwürden? man könnte sich wohl denken, daß dies von jenem Erzketzer, den wir suchen, geschrieben sei. Ketzerisch ist es auf alle Fälle – die menschliche Seele wird vernichtet! Und gewöhnlich scheint es mir auch nicht zu sein.«

»Sicherlich nicht gewöhnlich.«

»Und dann hier –«

Vincentius blättert weiter: –

»Ja: – ›Hätte ich einen Gott, den ich erkennen könnte, ich wollte ihn nicht länger für Gott halten! Erkennst du etwas von ihm: nichts von dem ist er. Und indem du doch etwas ›erkennst‹, gerätst du in den Zustand des Nichterkennens und durch diesen – in den Zustand eines Tieres! Denn was der Erkenntnis bar ist an den Kreaturen, das ist das Tierische an ihnen. Willst du also nicht zum Tier herabsinken, so erkenne du nichts von dem nie gekündeten Gotte!‹ –«

Er hebt frohlockend das Heft in die Höhe: –

»Ich möchte wohl wissen, was auf diese Weise aus der heiligen Theologie werden sollte!«

»Das möget Ihr wohl sagen, Vincentius,« stimmt der Bischof bei – mit jenem Lächeln, das Vincentius nicht mag.

Um so eifriger fährt er weiter im Texte fort:

»Und worauf Euer Hochwürden gestern besonders Gewicht legten, daß der große Gottesfreund zu den Brüdern des freien Geistes gehöre, sollte das nicht seine Bekräftigung finden in einer Stelle wie diese: – ›So ernst nehmen es die Gerechten mit der Gerechtigkeit: wenn Gott nicht gerecht wäre, er wäre ihnen keine Bohne wert.‹ ... Gott wäre ihnen keine Bohne wert! Mir graut's, eine solche Blasphemie auch nur in den Mund zu nehmen. Und weiter: – ›Sage ich also: Gott ist gut – das ist nicht wahr; Gott ist nicht gut, ich bin gut.‹ –«

Seine Stimme versagt, Er steht steif da, gelähmt durch die gotteslästerlichen Worte, die er aussprechen mußte. Der erwartete Ausbruch bei seinem Herrn bleibt freilich, zu seiner Enttäuschung, aus. Die Stirnrunzeln bezeugen jedoch, daß der mächtige Kirchenfürst keineswegs unachtsam sei, daß er Alles höre und wäge.

»Können selbst die Brüder und Schwestern des freien Geistes eine lästerlichere Rede führen als diese? Doch was sag' ich,« unterbricht Vincentius sich selber, zu dieser Ciceronianischen Wendung hingerissen durch die Bewunderung, die er der geistvollen Geschicklichkeit zollt, womit er sich in wohlberechneter Steigerung diesen Vortrag zurechtgelegt hat: – »was sag' ich? Finde ich hier nicht Worte, die in ihrer Vermessenheit selbst jene in den Schatten stellen?«

»Nun? Da macht Ihr mich wirklich begierig.«

»Euer Hochwürden werden nicht enttäuscht sein. Denn hier sagt der Verfasser: – ›Abermals will ich nie Gesagtes sagen: Gottheit und Gott sind verschieden wie Himmel und Erde; aber vor allem: Auch der innere und äußere Mensch sind so verschieden wie Himmel und Erde! Freilich Gott steht um tausend Meilen höher: Aber auch Gott wird und vergeht!‹ –«

»Hm.«

»Gott vergeht! Hat man je eine solche Rederei vernommen? ... Und weiter: – ›Da ich noch stand in meiner ersten Ursache, da hatte ich keinen Gott: ich gehörte mir selber! Ich wollte nicht, ich begehrte nicht, denn ich war da ein bestimmungsloses Sein und ein Erkenner meiner selbst in göttlicher Wahrheit. Da wollte ich mich selber und wollte kein Anderes: was ich wollte, das war ich, und was ich war, das wollte ich. Hier stand ich Gottes und aller Dinge ledig. Als ich aber aus diesem meinem freien Willen heraustrat und mein geschaffenes Wesen erhielt, damit hatte ich auch einen Gott. Denn ehe die Kreaturen waren, war Gott nicht Gott: er war was er war! Und auch als die Kreaturen wurden und ihr geschaffenes Wesen begannen, da war er nicht in sich selber ›Gott‹, sondern in den Kreaturen war er Gott. Nun behaupten wir, Gott, bloß wie er Gott ist, ist nicht das Endziel der Schöpfung und besitzt nicht so große Wesensfülle, wie das geringste Geschöpf in Gott sie hat! Und gesetzt, eine Fliege hätte Vernunft und vermöchte, kraft der Vernunft, hinzustreben zu dem ewigen Abgrunde des göttlichen Wesens, aus dem sie gekommen ist: so sagen wir, Gott samt allem, was er als Gott ist, könnte Erfüllung und Genügen nicht einmal dieser Fliege geben! Darum bitten wir, daß wir Gottes ledig werden.‹ –«

»Aha! Dacht' ich mir's doch, dacht' ich mir's doch!«

»Und an wen richtet er wohl solche bespöttelichen, satanischen Worte? Hier wird es uns ausdrücklich gesagt: ›An Euch wende ich mich, Ihr Brüder und Schwestern, die Ihr Gottes Freunde seid‹. – › GOTTES FREUNDE‹! ... was sagen Euer Hochwürden dazu?«

»Ich sage, mein guter Vincentius, was wahr ist. Diese Schrift ist weder mehr noch weniger als eine Auswahl aus den Predigten Meister Eckeharts.«

»Meister Eckeharts!«

Das Gesicht des Famulus wird so lang wie ausgewalzter Kuchenteig.

Er war so sicher, einen großen Fund gemacht zu haben! Klug genug, um zu sehen, daß dies nicht Werktagskost ist, hat er nicht ganz ohne Grund geschlossen, daß ein Mann, der offenbar verkleidet als Sänger umherwandert mit einem solchen Werk – gewiß doch eigenem Geistesprodukt – in seiner Tasche, kaum ein anderer als der so eifrig gesuchte Gottesfreund sein kann ... Und nun entpuppt sich diese Schrift als die Arbeit eines berühmten Mannes, wohlbekannt seit einem halben Jahrhundert!

Die Niederlage Vincentius' ist vollkommen. Und es ist nur ein geringer Trost, seinen hohen Vorgesetzten daran erinnern zu können, daß Meister Eckehart verketzert ist und seine Werke auf der schwarzen Liste stehen.

»Es ist wahr, daß die bedauerliche Bulle ›in agro dominico‹, die die Franziskaner durchsetzten, siebzehn Sätze von Meister Eckehart für ketzerisch und elf für übelklingend und überdreist erklärt hat – –«

»Dann darf ich sagen, daß diese zu den siebzehn gehören –«

»Dürft Ihr? Ihr seid ein dreister junger Mann, Vincentius! Was mich betrifft, so würde ich, da die Ausdrucksweise des großen Dominikaners – und Ihr werdet übrigens wohl tun, nicht zu vergessen, daß Meister Eckehart auf immer die Zierde und der Stolz des Ordens sein wird, dem anzugehören mir Ehre ist – –«

Famulus neigt reuevoll den Kopf.

»Also, ich sage: in Anbetracht seiner eigentümlichen Ausdrucksweise und philosophischen Terminologie würde ich der Meinung sein, daß das, was Ihr hier vorgetragen habt, nicht eigentlich ketzerisch zu nennen ist; daß es aber allerdings den Sätzen zuzurechnen ist, von denen unser Ordenskapitel in Venedig, während der Meister noch den höchsten Lehrstuhl schmückte, warnend meinte, man dürfe in Predigten vor ungelehrten Laien nicht Dinge vortragen, die leicht mißverstanden werden und zur Ketzerei verleiten können.«

»Ist es aber in diesem Falle gestattet, daß ein Mann, der als Volkssänger umherzieht, eine solche Schrift bei sich führt –?«

Es ist nur ein mattes Rückzugsgefecht, das übrigens sofort abgewiesen wird: –

»Ich habe keine Treibjagd auf Kleinwild eröffnet. Ich stelle nur dem großen Edelwilde nach.«

Vincentius läßt den Kopf hängen. Er sieht ein, daß nichts mehr zu machen ist.

»Aber, –« fährt der Prälat nachdenklich fort, – »ich weiß nicht, ob deshalb hinlänglich Grund vorhanden ist, diese Spur zu verschmähen. Dieser große Gottesfreund ist offenbar kein gewöhnlicher Geist. Was wäre natürlicher, als daß er eine solche Schrift bei sich führt, wohl gar selber diesen Auszug zusammengestellt hat? Es ist an sich ja selbstverständlich, daß er aus diesem Born religiösen Tiefsinnes schöpft, der leider nur zu leicht sich von unlauteren Geistern mißbrauchen läßt, wodurch diese dann sogar den Vorteil haben, ihre Irrlehren unter einem Namen verbergen zu können, der trotz jener beklagenwerten Bulle immer noch ein großes Ansehen besitzt und vielleicht seinem Richter teuer ist.«

»Gewiß, Hochwürden, gewiß,« stammelt Vincentius, der eine neue Hoffnung aufleuchten sieht und nur bedauert, daß er nicht selber gescheit genug war, um der Sache diese Wendung zu geben.

»Alles wohl überlegt, wird es das Beste sein, daß Ihr selber nach Telheim geht. Ich weiß wirklich nicht, wem ich sonst eine so wichtige Mission anvertrauen sollte.«

Vincentius verbeugt sich, überwältigt durch das Zutrauen, während sein Herz wieder sinkt:

›Da schlüpfte die Katze aus dem Sack! Es ist deutlich genug: – er hält jenen Bänkelsänger in Telheim ebensowenig für den Erzketzer wie mich. Er will mich nur aus dem Wege haben, und dieser Vorwand scheint ihm noch günstiger zu sein als der Brief an das Mittelmünster, der zuerst dazu dienen sollte.‹

»Laßt sehen! Wenn Ihr sofort nach dem Mittagsmahle reitet, könnt Ihr noch heute Abend das Kloster Weltenburg erreichen, wo Ihr über die Donau setzt. Die Karmeliter werden Euch gut verpflegen, und der Prior wird Euch mit einem kräftigen Reittier versehen, um die Reise fortzusetzen. Ihr könnt dann Morgen abend in Telheim sein – besser sich nicht zu übereilen, als halbwegs liegen zu bleiben. Dort verhört Ihr den Gefangenen und stellt eine vorläufige Untersuchung an. Ihr führt ihn dann nach Regensburg, wo er bis auf weiteres im Dominikanerkloster in Haft gehalten wird und wo Ihr den Prior gründlich mit der Sache bekannt macht. Den Brief an das Mittelmünster werden wir dann doch durch den reitenden Boten bestellen lassen. Schadet nichts, da Ihr ja selber nach Regensburg kommt, wo Ihr das Stift besuchen werdet, um meine persönliche Teilnahme zu überbringen und wo Ihr auch noch mein Stellvertreter bei der Beisetzung seid – –«

›Wie er versteht, es von Tag zu Tag in die Länge zu ziehen!‹

»Aber kann Euer Hochwürden so viele Tage meiner Hilfe entraten?«

»Allerdings ... hm ... das wird unbequem sein. Indessen, ich werde es ertragen müssen. Ich muß dann eben meine Briefe selber schreiben, was am schlimmsten für die sein wird, die sie lesen sollen ... oder ich muß mich in Geduld bei der Federführung üben. Hat vielleicht auch sein Gutes, wichtigere Schreiben kann ich vielleicht den Frauen des Hauses diktieren – Eure Freundin, Fräulein von Laufen, hat gewiß eine gute Handschrift.«

»Aber ich glaube, daß ich Telheim wenigstens morgen um die Mittagsstunde erreichen kann, wenn ich, anstatt über Weltenburg – –«

»Nein, nein! Ich habe Eure Fahrt mit Überlegung angeordnet. Nicht etwa nur weil der Klosterstall wohl versehen ist, obschon auch das von Wichtigkeit ist. Denn es ist nicht so leicht, wie Eure Unkenntnis sich das vorstellt, einen schlechten Reiter beritten zu machen. Nein, ich lege besonderes Gewicht darauf, daß Ihr mit dem Prior sprecht, für den ich Euch einen Brief mitgeben werde. Er ist ein Mann von großer Erfahrung, gerade in solchen Sachen ... Also, in einer Stunde erwarte ich den Brief an das Mittelmünster zur Unterschrift und Versiegelung.«

Eine Handbewegung unterstreicht die Verabschiedung.

Allein der Famulus bleibt stehen.

»Was nun den Zustand unten in der Stadt betrifft – –«

»Ja ja, wir sprachen ja gestern Abend davon, wie gesagt, einstweilen ist da nichts mehr zu tun. Heute Abend oder spätestens morgen früh muß die Mission von Regensburg ankommen, und sie wird die erforderlichen Schritte zur Bekämpfung der Seuche unternehmen.«

Neue abschließende Handbewegung.

Neues Zögern.

»Hm ... Es ist nicht so sehr die Seuche selbst, die ich meine, als der Zustand der Gemüter ... Es gärt dort unten, man kann sagen, die Stadt ist schon halb in Aufruhr – und er richtet sich gegen diese Burg ... gegen die Burgfrau.«

»Was sagt Ihr?«

Ottmar ist aufgesprungen und steht schweratmend vor dem Famulus, der unwillkürlich einen Schritt zurücktritt.

»Und das sagt Ihr mir erst jetzt!«

»Euer Hochwürden hatten halt gestern Abend nur wenig Zeit übrig.«

Ottmar beißt sich auf die Lippe.

Er war in seiner Turmkammer damit beschäftigt gewesen, eines seiner alten lateinischen Minnecarmina aus dem Gedächtnis wieder herzustellen und auszubessern, als ihn sein Famulus unterbrach, um Bericht über den Zustand unten abzulegen.

»Und außerdem schien es mir, ich würde dadurch Euer Hochwürden einen schlechten Schlaftrunk geben. Und da doch immerhin keine unmittelbare Gefahr ... !«

»Gefahr!.. unmittelbare Gefahr ... !«

Bischof Ottmar vermag es kaum, seine Verachtung herauszufauchen, während er in der kleinen Kammer hin und her schreitet, wie ein Löwe in seinem Käfig.

»Da Euer Hochwürden mich aber jetzt auf mehrere Tage fortschicken, halte ich es doch für meine Pflicht – –«

»Also, was ist dort unten los?«

Der Bischof bleibt mit einem so plötzlichen Ruck vor seinem Famulus stehen, daß dem jungen Mann ein Schauer in die Glieder fährt und seine sonst so geläufige Zunge den Dienst versagt.

»So sprecht doch, Mensch!«

»Ja ... hm ... es ist ... mit der Erlaubnis Euer Hochwürden ist es dasselbe Gerede: daß die Burg schon halbwegs ein Begarden- und Beginenhaus sei, und daß die Burgfrau im Begriff stehe, sie gänzlich dazu umzuschaffen.«

»Und was geht's das Pack da unten an?«

»Mit Verlaub, sie meinen, es gehe sie insofern an, als die Ketzerei der gestrengen Frau, von der Einige meinen, sie stehe im gotteslästerlichen Zeichen der Brüder und Schwestern des freien Geistes –«

»Aha!«

»Andere sprechen von dem großen Gottesfreund und meinen, wer die ausgesetzte Belohnung gewinnen wolle, der täte am besten, ihn auf Burg Langenstein zu suchen.«

»So? Das täte er? – Den möchte ich sehen, der sich zu diesem Zwecke hierherwagt.«

»Diese arge Ketzerei werde jetzt an ihnen heimgesucht, meinen sie.«

»Die Pest erwürge sie alle, die undankbaren Tiere! ›Tiere‹ sage ich? Ein Hund, ein Pferd ist dankbar gegen den, der sie gut behandelt, und dies Otterngezücht, auf das sie hat Wohltaten regnen lassen und in deren verseuchte Gäßchen sie sich selber hinunterbegeben wollte, um Hilfe zu bringen –«

»Einige sehen gerade darin ein Zeugnis ihrer Schuld, wissen wir doch, daß die Hexen durch ihre höllische Salbe gegen Ansteckung gefeit sind.«

»Immer besser! Also Ketzerin und Hexe – –«

»Einige fügen hinzu: Giftmischerin.«

»Gift – –! ... Famulus, seid Ihr von Sinnen!«

»Es gibt wenigstens Einen dort unten, der darauf schwört, Frau von Laufen habe ihren Gemahl vergiftet.«

»Ach so! ... Nun, da Ihr doch wohl die näheren Umstände kennt, seid Ihr vielleicht so gut, mir diese mitzuteilen.«

Die eisige Ruhe, womit die Aufforderung erfolgt, wirkt nicht gerade aufmunternd. Die Stimme des Famulus ist sehr unsicher, als er sich anschickt, seinem Herrn dasselbe zu berichten, was der Hausmeier Gertrud gerade in dem Augenblick zuflüsterte, als der junge Mann an die Pforte pochte. –

»Also das ist die Geschichte? ... Nun, das sarazenische Fläschchen ist Tatsache. Ich habe es selber in der Hand gehabt. Als mein Großvater auf den Tod lag und schwer litt, kam sein alter Waffengefährte vom Kreuzzuge her, der Großvater der Frau von Laufen, von Burg Langenstein zu uns auf Winterstetten herüber und gab dem Kranken etliche Tropfen jenes arabischen Balsams in einem Becher Weines, was bedeutende Linderung der Qualen schuf. Offenbar hat sich hier beim Tode des Burgherrn Ähnliches ereignet, denn auch er soll schwer gelitten haben – den Tod von der Tür halten können die Tropfen nicht, sie sind kein Lebenselexir. Dies ist die Grundlage des schönen Märchens, das Ihr mir soeben erzählt habt.«

»O, natürlich ist es dummes Volksgerede ... ich selber hab' es nie für etwas anderes gehalten ... nur meinte ich – –«

Der brave Famulus stottert. Er sieht wohl ein, daß seine Sache auf recht schwachen Füßen steht; ja er fühlt sich – noch mehr als er es sieht – von jenem Lächeln, das er nicht mag, mit vollster Lichtstärke bestrahlt.

»Ja, ja, mein lieber Vincentius, ich sagte Euch gestern, Ihr könntet ein großer Scholastikus werden, aber zu einem brauchbaren Richter oder sonstigen Obrigkeitsperson – dazu habt Ihr nicht das Zeug, so wenig wie zu einem guten Reiter. Und weil wir gerade bei der Reiterei sind: wenn Ihr jetzt fortreitet, dann könnt Ihr, da das Wetter heiß ist, im Kastanienschatten vor dem goldenen Stierkopfe halten und Euch vom Wirt einen Steigbügeltrunk reichen lassen, den Ihr aufs Wohl seiner Herrschaft trinken mögt. Wenn Ihr ihm aber den Becher zurückgebt, dann könnt Ihr immerhin Eurem biederen Gewährsmann ins Ohr raunen, daß im Rathause zu Regensburg ein paar Folterbänke stehen. Und sollte es mir kund werden, daß er je wieder eine Silbe von dieser Sache jemandem zugeflüstert hat – und wäre es auch seinem Beichtvater: dann werde ich jedes Knöchelchen seines sündhaften Leibes, von unten herauf, Zoll für Zoll, zerbrechen lassen – – versteht Er?«

Das ›Er‹, womit der Bischof schließt, ist mehr als eine abschließende Handbewegung.

Famulus verbeugt sich zur Tür hinaus und ist froh, sie hinter sich ins Schloß fallen zu hören.

Sehr wackelig in den Knien – die Wendeltreppen der Burg sind steil und die Stufen ausgetreten – erreicht er seine Kammer, wo er auf einen Stuhl sinkt, einigermaßen, als ob neben ihm Vorbereitungen getroffen würden, um jedes Knöchelchen seines sündhaften Leibes, von unten herauf, Zoll für Zoll, zu zerbrechen.

In der Hand hält er das Blatt, über das die bischöflichen Schriftzüge – mehr Adlerkrallen als Krähenfüße – zerstreut sind. Seine nächste Aufgabe ist, diese zu deuten und ins Reine zu schreiben, sie in einen würdigen Rahmen passender, feierlicher Wendungen einzufügen und mit geschäftsmäßigen Bemerkungen zu versehen.

Nur eine kurze Stunde bleibt ihm für diese nicht ganz leichte Arbeit, und doch scheint er keine Eile zu haben, zu beginnen. Andere Gedanken nehmen sein Gemüt in Anspruch.

Er sieht sich fortgeschickt just in dem Augenblicke, wo es ihm am allerungelegensten ist. Fortgeschickt durch Einen, dem offenbar sehr daran liegt, daß er so lange wie möglich entfernt wird: – dies ist das zusammengehörige Tatsachenpaar, das sein Sinnen und Denken beschäftigt.

Am allerungelegensten. Denn sitzt er hier nicht im Mittelpunkt eines weitgesponnenen Netzes seiner Fäden, starker und zäher Fäden, die unwiderstehlich seine Spinnennatur kitzeln. Und gerade jetzt muß ihn eine brutale Hand hinwegführen, so daß er nicht weiter spinnen kann, nicht mehr die Maschen knüpfen, damit eine so glänzende Fliege wie Frau Renata im Garne hängen bleibt.

›Ein Glück wenigstens, daß ich gestern nachmittag der kleinen Gertrud beim Erdbeerpflücken behilflich war und bei der Gelegenheit aus ihr herauslockte, was für eine Bewandtnis es eigentlich mit Herrn Ottmar und Frau Renata hat. Also ein ungetreuer Liebhaber, der getreu ist – o ja, das ist so recht eine Rolle für meinen Herrn und Meister. Und wie tief er drin steckt, das zeigte sich ja jetzt deutlich genug, als ich ihm einen Schimmer – aber einen recht kräftigen – der Verhältnisse unten im Städtchen gab. Ein schöner Retzermeister! Er würde alles tun, um sie zu retten. Das ist auch der Grund, weshalb ich fort muß ... und zugleich, damit er ungestört sein kleines Minnespiel hier betreiben kann – wie schon gestern Nachmittag. Und als es ihm einfiel, mich von dannen zu schicken, wußte er noch nicht einmal von der Gefahr unten ... Nur recht weit weg mit diesem Famulus! wahrlich, es sollte mich nicht wundernehmen, wenn er, sobald ich ihm den Brief zur Unterschrift bringe, wieder etwas Neues erfunden hätte – etwa einen, kleinen Abstecher nach Augsburg oder gar nach München!

›Und wer weiß, ob ich bei meiner Rückkehr nicht das Nest leer finde. Das muß – wenn irgend möglich – verhindert werden, denn das Spiel gestaltet sich jetzt recht schwierig und nicht wenig gefährlich. Dafür ist der Gewinn hoch – die Burg Langenstein als Gertruds Erbe! Oho, mein spöttischer Meister, ich kann noch ohne alle Scholastik zu einem ritterlichen Begräbnis kommen! ... gar nicht davon zu reden, daß es mir zu besonderem Spaß gereichen wird, Euch schachmatt zu setzen ... O nein, ich werde gewiß meinen Steigbügeltrunk nicht vergessen, und dabei nicht versäumen, dem Wirt einen Floh ins Ohr zu setzen und zwar einen bissigen: – daß seine Herrschaft sich vor ihm fürchte und deshalb ihren Galan, Seine Hochwürden, derartig gegen ihn aufhetze, daß er seine einzige Rettung für Gut und Leben darin suchen müsse, die Gärung in der Stadt zum Wachsen zu bringen und die ganze Bürgerschaft für sich zu gewinnen, um die Ketzerin aus ihrem Neste zu jagen ... Ja, mit dieser Karte muß das Spiel gewonnen werden!

›Aber jammerschade ist es, daß ich nicht mit Bruder Martin sprechen kann. Es war ein glücklicher Gedanke von mir, sein Kommen durchzusetzen. Erst wollte der Bischof nicht, denn er hat ihn nicht gern; er konnte aber nicht leugnen, daß er der arzneikundigste Bruder des ganzen Klosters ist. Das Gefühl ist gegenseitig, Bruder Martin haßt den Bischof, seit dieser den Bruder Ambrosius zum Prior machte, der viel jünger wenn auch klüger ist. Bruder Martin geht auf Ketzer wie ein Schwein auf Trüffeln. Ei ei! wenn er seinen Bischof darauf ertappen könnte, daß er die Hand über eine Ketzerin hält – oder wohl gar über den großen Gottesfreund selbst, denn auch dazu kann es kommen, wenn Frau Renata mit diesem unter einer Decke steckt – na, das wäre so ein Trüffelgericht nach seinem Geschmack! ... Immer schnüffle, Bruder Martin, immer schnüffle! ... Und nun muß ich nachmittags fort, während er am Abend erwartet wird! ist das nicht zum Rasendwerden? ... Da bleibt nichts andres übrig als zu schreiben! Ich muß einen Brief an ihn im Elisabethinerinnenhause zurücklassen ... Hm – gefährlich das! Die Frauenzimmer sind so neugierig. Freilich sah die Vorsteherin recht blöde aus ... Nein, nein! der Wirt zum goldenen Stierkopf ist ein besserer Weg; der hat seine eigene Haut zu hüten – und seine Knöchelchen!

›Und jetzt den Brief an das Mittelmünster.‹

Er legt das Papier mit den Adlerkrallen vor sich hin und macht sich an die Arbeit, der er freilich kaum die Sorgfalt widmet, auf die ein bischöfliches Schreiben bei so feierlicher Gelegenheit Anspruch hat. Ihm ist aber vor allem daran gelegen, Zeit zu erübrigen für seinen Brief an Bruder Martin, wozu er vorher einen Entwurf schreiben muß, denn da hat jedes Wort Bedeutung.

O, das ist ein gar wichtiger Brief, der an Bruder Martin!


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