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Kaum hat sich der Widerhall der Hufschläge vom Burghofe und von der Torwölbung her verloren, als es an die Tür pocht und der Hausmeier hereintritt, um zu melden, daß Seine Hochwürden bitten, zu einem Gespräch vorgelassen zu werden, wenn es der Herrin nicht unbequem wäre, ihn zu empfangen.
Sofort erhebt sich die bescheidene Gertrud von der gemeinsamen Arbeit, einem gestickten, für die Kapelle bestimmten Teppiche; ein Wort Renatas läßt sie aber ihren Platz wieder einnehmen.
Eher gehorsam als bereitwillig.
Gar zu gern hätte sie den Beiden den geräumigen Saal überlassen, um selber in die Stadtstube hinauf zu eilen und eine Reihe Abschiedsblicke nach ihrem schwarzen Ritter zu werfen. Zieht er doch auf Abenteuer hinaus – wer weiß, auf was für gefährliche. Jedenfalls werden sie ihn auf mehrere Tage von Langenstein entfernen.
Die beiden Frauen haben nicht lange zu warten, bevor der Bischof hereintritt.
Er beginnt sofort, die fromme Arbeit zu bewundern; lobt das sinnreiche Rebenmuster mit romanischen Ornamenten; vermutet, eine solche Stickerei müsse recht lange Zeit in Anspruch nehmen, tröstet sich aber durch die Betrachtung, daß die Kapelle erst erbaut werden soll, wundert sich, daß die Kaufleute in Regensburg solche köstlich gefärbte Wollgarne und vor allem diese herrliche Seide führen, und erfährt, daß der ihm wohlbekannte Johannes Fugger in Augsburg das seidene Garn aus Venedig beschafft hat. Besinnt sich, daß Fräulein von Laufens Mutter sehr geschickt mit der Nadel war, was sich mithin vererbte, ... wird nach und nach wortkarger ... schweigt ... streicht sich mit der Hand das Kinn ... räuspert sich – – – –
»Das Anliegen, edle Frau, zu dem ich mir dies Gespräch ausbat, ist von sehr wichtiger und ich darf sagen vertraulicher Natur ... es handelt sich dabei sogar um Amtssachen im Dienste einer hervorragenden kirchlichen Institution ... Ich hoffe also nicht unhöflich zu erscheinen, wenn ich bedaure, solches nur Euren Ohren anvertrauen zu können.«
Mit einem Blick fordert Renata die Schwägerin auf, sich zurückzuziehen, was diese tut, nachdem sie sich vor Seiner Hochwürden tief bis auf den Fußboden verbeugt hat.
Sie nimmt einen ausgesprochenen Zweifel mit sich jene kirchliche Institution betreffend, deren Angelegenheit zwischen den beiden unter vier Augen verhandelt werden muß, verbunden mit einer gewissen Eifersucht, ihres verstorbenen Bruders wegen, vor allem aber zieht sie eine beflügelnde Sehnsucht nach der Stadtstube, wo es für die Aussicht hoffentlich noch nicht zu spät ist ....
»Mein Famulus,« beginnt Ottmar, indem er Renata gegenüber Platz nimmt, »ist soeben weggeritten auf eine Mission, die ihn auf mehrere Tage von hier entfernen muß.«
»Ich entnahm das aus den Äußerungen, die du beim Mittagsmahle fallen ließest ... Ist es erlaubt zu fragen, was das für eine Mission ist?« fügt sie hinzu, denn ihr Gast scheint eine solche Frage zu erwarten.
Ottmar neigt sich vor, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt.
»Es gibt nichts, Renata, wonach du mich nicht fragen darfst. Die Sache war die, daß aus vielen Ortschaften Berichte eingelaufen sind über die Festnahme verdächtiger Personen, in welchen man den gesuchten großen Gottesfreund vermutet. Fast alle diese Berichte sind mehr oder weniger belanglos; aber ein Fall war da, der mir eine genaue Untersuchung zu erfordern schien.«
Renata hält ihren Blick auf die Arbeit gesenkt. Ihre Nadel setzt bedächtig Stich neben Stich.
»In Telheim haben sie einen Mann gefangen genommen, der wenigstens kein gewöhnlicher Volkssänger ist, denn man hat bei ihm ein Heft mit Auszügen aus den Predigten Meister Eckeharts gefunden.«
Ist ein ganz leises Zittern der nadelführenden Hand zu bemerken?
Ottmar glaubt es.
»Und die Beschreibung paßt wohl auch?«
»Genau: – ein alter Mann mit weißem Barte, der ihm über die Brust hinunterwallt. Auch fehlt weder die ärmliche Meldung noch der junge Mann, der seine Harfe trägt.«
Es ist kaum ein Lächeln zu nennen, und es huscht so flüchtig über ihre Lippen, daß jeder andere Beobachter wohl nichts bemerkt hätte. Aber Ottmar ist von jeher mit diesen Zügen zu vertraut, als daß ihm eine solche Erscheinung entgehen sollte. Er zieht daraus den Schluß, daß sie einen Augenblick lebhaft beunruhigt gewesen, jetzt aber gänzlich beruhigt sei. Und den weiteren: sie weiß, daß der große Gottesfreund in diesen Tagen gar wohl an einem Orte wie Telheim auftauchen könne, daß er jedoch keinesfalls so aussehen würde.
»Dann glaubst du wohl, daß der ausgesetzte Preis schon die erwünschte Frucht gezeitigt habe?« fragt Renata, und in ihrer Stimme ist ein leiser Spott ebenso unverkennbar, wie jenes vorüberhuschende Lächeln in ihren Gesichtszügen es war.
»Nein, ich glaube das nicht, Renata. Und da du meinst, er sei mit Unrecht beschuldigt, hoffe ich es auch nicht ... Immerhin war ausreichender Grund da, diesen Fall genauer zu prüfen, und ich benutzte diesen Vorwand, um meinen Famulus auf mehrere Tage von der Burg wegzuschicken.«
Eine lebhafte Röte ergießt sich über die Wange der Stickerin, die sich eiligst über die auf dem Tische vor ihr liegenden Gebinde von Wolle und die seidenen Strähnen beugt, um zwei Farbentöne zu vergleichen.
»In der Tat wird dieser Auftrag ihn bis in die nächste Woche hinein fernhalten. Denn von Telheim muß er sich nach Regensburg begeben, um mein Stellvertreter bei einer Feier in Mittelmünster zu sein. Das alte ehrwürdige Stift ist dir ja wohlbekannt.« Renata nickt mit einem Lächeln, das die goldigen Reflexe der Kindheitserinnerungen widerspiegelt.
»Ach ja! wie manch liebes Mal hab' ich als Kind in dem herrlichen Stiftsgarten gespielt, der an den meiner Muhme grenzte.«
»Ich entsinne mich wohl, daß du davon sprachst. Und das mag auch der Hauptgrund gewesen sein, weshalb ich diesem Stift immer einen besonderen Anteil entgegenbrachte. Sicher erinnerst du dich auch der Äbtissin?«
»Mutter Mechthildis? Wie könnte ich sie wohl vergessen, so freundlich wie sie damals zu mir war? Und besonders auch einmal viel später. Es war in jenen Karnevalswochen. Da traf sie mich eines Tages in einer Ecke des Stiftsgartens, wohin ich mich geflüchtet hatte, um meinen Tränen freien Lauf zu lassen. Ich schüttete mein Herz vor ihr aus, und sie tröstete mich, wie sonst wohl nur eine Mutter Trost spenden kann.«
»Ach, hätte ich das nur geahnt! Vieles von ihrem liebevollen Wesen zu mir – ihr Blick, ihre Miene zumal, als ich das letztemal mit ihr sprach und im Begriff stand, hierher zu reisen – gar vieles wird mir dadurch klar! Die gute Seele!«
»Es ist ihr doch nichts zugestoßen?«
»Zugestoßen? Nein, Renata. Gott hat sie zu der Seligkeit gerufen, die er seinen Auserwählten bereitet hat.«
Renata neigt den Kopf.
Sie schweigen beide eine Weile.
»Und wegen ihres Todes willst du mit mir sprechen?«
»Ja.«
»Vielleicht über die Beisetzung?«
»O nein. Über eine würdige Ausfüllung des Platzes, der nun leer steht.«
»Aber in dieser Frage kannst du doch kaum meinen Rat gebrauchen.«
»O, ich weiß nicht. Ich habe sogar nicht verschmäht, meinen Famulus um Rat zu fragen ... Wie gefällt dir übrigens der junge Mann?«
»Nicht sehr, um die Wahrheit zu sagen.... Warum, weiß ich selber kaum... Wenn du ihn schätzest, werde ich versuchen, einen besseren Eindruck von ihm zu bekommen.«
»Vincentius ist jedenfalls ein sehr kluger Kopf. Das hat er auch bei dieser Gelegenheit bewiesen. Denn ohne sich zu bedenken, machte er sofort die richtige Bemerkung, ein Stift wie das Mittelmünster brauche eine Vorsteherin, die aus einem hervorragenden Geschlechte stamme und sich entweder durch weltlichen Rang oder dadurch auszeichne, daß der Name in den Ohren der Kirche einen guten Klang habe. Als Beispiel nannte er meine eigene Familie. Heinrich von Winterstetten ist unvergessen als einer der letzten Kreuzfahrer, und das wiegt hier jeden weltlichen Adelsrang auf.«
»Das leuchtet mir ein. Gewiß war das ein Zeichen guter Urteilskraft.«
Renata blickt nachdenklich auf das Muster ihrer Arbeit.
»Ich weiß aber nicht, wer aus deiner Familie – – ja da ist freilich Schwester Sophia in München – –«
Bischof Ottmar schüttelt lächelnd den Kopf.
Seine Base im Clarissen-Kloster in der Residenz Bayerns war seit zehn Jahren stocktaub und hatte von jeher einen äußerst dürftigen Verstand besessen.
»Nein, von ihr kann freilich nicht die Rede sein. Aber fällt dir denn gar nicht ein, daß deine Familie sich genau in derselben Lage befindet? Valentin von Langenstein ist ein ebenso bekannter Kreuzfahrer wie Heinrich von Winterstetten.«
»Ach ja. Jetzt versteh' ich, warum du mich fragst.«
Wiederum zieht sie das Muster zu Rat, als ob die Rebe, die sich zwischen Pfeilern und Bogen hindurch schlängelt, der Stammbaum derer von Langenstein wäre. Auf keinem ihrer Blätter jedoch scheint sie einen passenden Namen zu finden. Die goldigbraunen Augen heben sich zu dem Freund empor mit einem Blicke, der daran zweifelt ihm helfen zu können.
»Kein weibliches Mitglied unserer Familie befindet sich in einem Kloster oder geistlichen Stift. Nicht in der entferntesten Linie ist jemand zu finden. Schwester Anna starb im Frühjahr, aber das weißt du vielleicht nicht.«
»Nein, das wußte ich nicht.«
»Jedenfalls war sie die einzige.«
»Es gibt noch eine, die in Frage kommt, wenn auch weder im Kloster noch im Stift. Du selbst, Renata.«
»Ich?« Sie sinkt gegen die senkrechte Rücklehne des Stuhles zurück und betrachtet ihn mit einem Blick, als zweifle sie, ob er scherze oder im Ernst rede.
»Das scheint dir nun ein wunderlicher, wohl gar ein wilder Gedanke. Und doch war er der erste, der mir kam, sobald ich mich etwas von dem Stoß erholt hatte, den mir der plötzliche Verlust dieser mütterlichen Freundin versetzte. Ja, es scheint mir, als ob dieser Gedanke mir von ihr selber eingegeben sei; als ob sie auf den Äbtissinstuhl zeige, den sie hat leer stehen lassen: ›dort soll nun eine sitzen, die dir unendlich mehr Trost und Stütze sein wird als ich es konnte.‹ –«
Renata antwortet nicht.
Ihr Blick, noch immer vom Rebenmuster gefesselt, meidet den seinigen.
Sie ist gerührt; noch mehr ist sie verwirrt.
Was soll sie ihm antworten? Wie diese neue Hoffnung vernichten, die offenbar so tiefe Wurzeln in ihm geschlagen hat? Welche Gründe ins Feld führen, gegen die sein Eifer nicht sofort Rat zu schaffen weiß?
»Ich sehe wohl, daß es dir schwer fällt, dich mit diesem Gedanken vertraut zu machen. Das wundert mich keineswegs. Glaube auch nicht, daß ich dich drängen will oder jetzt schon eine Antwort von dir erwarte. Zuerst mußt du wissen, worum es sich handelt, was für eine Anstalt das Mittelmünster eigentlich ist, und was aus ihr gemacht werden kann, welche die Obliegenheiten der Äbtissin sind – –«
Renata nickt. Nichts ist ihr im Augenblick lieber, als eine stumme Zuhörerin zu sein.
Sie hat ihre Nadel wieder zur Hand genommen und setzt regelmäßig Stich neben Stich mit dunkelvioletter Wolle in die Schattenseite einer Traube, während Ottmar, vom Gedanken an das bevorstehende Zusammenleben in Regensburg hingerissen, sich über Geschichte, Institutionen und Zukunftsmöglichkeiten Mittelmünsters verbreitet.
Renata vernimmt das nur mit halbem Ohr.
Soll sie ihm offen sagen: ›Ich gehöre dem geheimen Kreis der Gottesfreunde an – du siehst also, daß du mich unmöglich zur Äbtissin eines solchen rechtgläubigen Stiftes ernennen kannst‹? Dies ist der einzige entscheidende Grund, und es ist nicht möglich, ihm mit dem zu begegnen. Soll sie sich auf ihre Freiheit berufen, auf die sie verzichten müßte? Würde er es verstehen, daß sie deshalb es ablehnt, seinen brennenden Wunsch zu erfüllen? Denn brennend ist er: noch mehr als die Worte verrät es der Stimmklang, welche Macht diese Vorstellung mit all ihren Zusammenhängen schon gewonnen hat über ein Gemüt, das die ganze Beweglichkeit der Jugend bewahrt hat, um sie mit der Unerschütterlichkeit des Manneswillens zu paaren.
Aber gibt er ihr nicht selber einen guten Vorwand an die Hand, wenn er jetzt so lebhaft die schönen Zukunftsmöglichkeiten Mittelmünsters ausmalt?
»Und mein eigenes Stift – Burg Langenstein? Alles, was ich damit vorhabe? Das ist die kleinere Sache, gewiß, aber es ist meine eigene. Und sie sollte ich aufgeben? Alles, was ich mir erdacht, ja schon halbwegs angefangen habe – das sollte ich im Stiche lassen?«
»Sicherlich nicht, Renata, das wollen wir in erster Linie weiterführen. Alles soll nach deinen Bestimmungen und Anweisungen ausgeführt werden – laß das meine Sache sein. Ehe du jene hohe Stellung antrittst, mußt du wenigstens ein Jahr im Stifte verbringen, erst dann kann ich dich zur Äbtissin ernennen. Natürlich ist das überhaupt ein außerordentlicher Schritt, du kannst dich aber darauf verlassen, daß ich Mittel und Wege zu finden weiß. Bist du aber erst Äbtissin im Mittelmünster, dann wird dir der Weg nach Langenstein wenig Mühe machen. Du kannst, so oft es dir beliebt, den alten Ort besuchen – auch dann und wann auf kürzere Zeit hier wohnen, so daß du das Steuer fest in deiner Hand behältst. Schwester Irene, die Vizeäbtissin, kann, wenn du fort bist, stets wieder in diese Stellung eintreten; das läßt sich alles aufs beste einrichten.«
»Aber es wird nie das werden, mein Stift Langenstein wird auf diese Weise nie das werden, wie wenn ich ständig hier wohne und ihm alle meine Kräfte widme.«
»O, das weiß ich nicht! Sicher aber ist, daß das Ganze, ich meine dein gesamtes Lebenswerk, wohl ein anderes wird, dafür aber sich um so reicher und bedeutungsvoller gestaltet. Ich sagte dir gestern, dies Langensteiner Stift solle unsere gemeinsame Arbeit werden, ein Werk, das unsere Lebensfäden wieder zusammenknüpft. So soll es auch bleiben, nur daß eben dieses Werk sich auf einer weit höheren Stufe wiederholt. Stift Langenstein und Stift Mittelmünster – das ist derselbe Choral, erst auf einem Psalterium, dann auf einer Orgel gespielt.«
Renata seufzt. Diese Vorstellung hat ohne Zweifel etwas verlockendes. Etwas, das zu ihrer Unternehmungslust, zur Weite ihres Blickes, zu der Kraft, die sie in sich fühlt, mächtig spricht. Ihre Schultern sehnen sich danach, diese Doppellast stolz zu tragen. Und es ist auch etwas darin, das zu einem anderen, einem weiblicheren Gefühl hingebender Sehnsucht in ihr spricht.
Es ist, als ob er das spüre, und nun keinen Augenblick verliere, um sich an diese zu wenden.
»Die neue Burg Langenstein sollte ja eine Heimstätte für unser neues Zusammenleben werden, wie ganz anders frei und vollkommen wird sich dies aber in Regensburg entfalten können! Nur vereinzelte Besuche könnten mich bisweilen hierherführen, ich wäre ein verhältnismäßig seltener Gast. Dort aber wird mein Amt und das deinige uns immer zusammenbringen, und zwar auf die ungezwungenste Weise. Ja, noch mehr. Die Äbtissin Mittelmünsters ist keineswegs innerhalb der Klostermauern gefesselt. Schwester Mechthildis lebte aus eigener Wahl streng klösterlich. Sie hatte eine tiefe Trauer, die sie nie ganz überwand und wodurch sie der Welt gänzlich fremd wurde. Du hast aber die Freiheit, an aller edeln Geselligkeit in den Rittertürmen Regensburgs und in meinem Palaste teilzunehmen. Nicht einmal ein Ordensanzug braucht dich von anderen Frauen deines Standes hemmend zu unterscheiden. Als Kind hab' ich die Vorgängerin der Schwester Mechtildis in Sammet und Seide im Saale meines Oheims stolzieren sehen. So werden wir uns immer wieder treffen, haben hundert, teils zufällige, teils verabredete Begegnungen, auf die wir hoffen, auf die wir hinblicken können – – –«
Ottmar hat sich erhoben und geht im Saale hin und her, vom Fenster zum Kamine, der in seinem mächtigen Aufbau von roten Backsteinen mit dem weitausladenden Rauchfange und den kissenbelegten Sitzplätzen ziemlich die Hälfte der einen Kurzwand einnimmt.
Die Sonne scheint durch rubinrote, violette, goldgelbe und orangefarbige Scheiben herein, die das Wappen der Langensteiner bilden. Mit schnellen, federnden Schritten durchmißt er die bunte Lichtdrucke, die über die blankschwarze Diele gespannt ist, während er ihr das lockende Regensburger Zukunftsbild ausmalt.
Renata hat ihre Arbeit vergessen und folgt ihm mit einem Blicke, der wärmer und leuchtender ist, als sie wohl selber weiß. Es ist herzerquickend, wie jugendlich er in diesem Traume auflebt, dessen allbeherrschender Mittelpunkt sie selber ist. Diesen Traum mitzuträumen, läßt ihr Gemüt beseligt aufatmen, wenn sie auch weiß, daß er sich nie verwirklichen wird.
Als er sie nun aber mit einem halb erwartungsvollen Lächeln ansieht, fühlt sie, daß gar zu viel verräterisches Leben in ihrem Blick ist, und nimmt wieder ihre Zuflucht zu Nadel und Garn.
»Hast du aber auch bedacht, ob du dadurch nicht dir selbst und deiner Stellung ernstlich schadest? Hast du dir überlegt, von welchen Gefahren ein solches Verhältnis umgeben ist und was böse Zungen daraus machen können?«
Ottmar ist am Kamine stehen geblieben.
Da er nicht antwortet, wagt sie es, zwischen zwei Stichen einen Blick auf ihn zu werfen.
Der Herd ist geräumig genug, um eine ganze Birke zu verschlingen. Ottmar sieht aus, als ob er nicht übel Lust hätte, ein solches Riesenfeuer dort anzufachen, um alle jene bösen Zungen darin zu verbrennen und ihre Asche in alle Winde streuen zu lassen, damit nicht die Atome einer einzigen sich bei der letzten Posaune zusammenfinden könnten, um gegen ihn und die Dame seine Herzens Zeugnis abzulegen.
Sie hat wohl auch in jungen Tagen gelegentlich einen Schimmer von dieser Seite seiner Natur bemerkt, was aber damals rot sprühte, das leuchtet jetzt weißglühend, es erschreckt und blendet sie. Schnell wendet sie ihren Blick wieder der Weinbeere zu, die um ein Dutzend Stiche reift, bevor er seine Sprache wiedergefunden hat, die jetzt übrigens ruhig genug ist:
»Du hast da eine Seite der Sache berührt, die allerdings erörtert werden muß. Ja, mit den bösen Zungen bekommen wir es auf alle Fälle zu tun. Wir müssen auf sie Rücksicht nehmen, und wir müssen uns über sie hinwegsetzen – beides bis zu einem gewissen Grade. Hier wie dort. Ich bin nicht so sicher, ob sie nicht hier noch gefährlicher sind, wo du so abgesondert lebst, und wo man meine Besuche nicht geheim halten kann noch soll, während unser Beisammensein sich der allgemeinen Aufmerksamkeit entzieht, wenn ich ›gefährlich‹ sage, denke ich dabei nicht an mich und meine Stellung, sondern an deinen guten Ruf.«
Renata nickt und vergönnt sich einen flüchtigen Blick.
In seinen Augen stehen Zärtlichkeit und Besorgnis geschrieben; um seinen Mund liegt ein Zug, der deutlich zeigt: dieser Mann hält seine Stellung für so hoch, daß alles Gerede der Menge ihm gleich den Windstößen gilt, die den Straßenstaub unter den Hufen seines Pferdes emporwirbeln.
»In Regensburg hingegen wird gerade die Öffentlichkeit, womit unser Verhältnis auftritt, sein bester Schutz vor dem Pöbel sein – womit ich den in Sammet und Zobel meine, denn mit ihm haben wir es zu tun. Er wird zweifelsohne damit anfangen, zu schielen und zu flüstern, aber er wird sich an unser Verhältnis gewöhnen und es schließlich anerkennen, wie so manche minnigliche Freundschaft zwischen einem Prälaten und einer edelen Ritterdame anerkannt, ja hochgehalten worden ist als eine geistige Ehe.«
Renata beugt sich tiefer über ihre Arbeit, deren Muster sie auch so kaum unterscheiden kann.
»Aber sind solche böse, mißdeutende Zungen die einzige Gefahr, Ottmar? Gibt es nicht eine weit größere, die uns droht – eine, die sich in uns selber verbirgt?«
Der Klang dieser Worte jagt ihr einen Schrecken ins Blut. Sie wünscht sie unausgesprochen. Ein scharfer Schmerz in der Spitze des linken Daumens ist ihr eine willkommene Ablenkung. Es kostet sie einige Anstrengung, einen kleinen Ausruf zurückzuhalten, und diese Tat der Selbstbeherrschung gibt ihr die Ruhe wieder. – –
Ottmars Stimme klingt unerwartet nahe, gerade über ihr.
»Dies stellt allerdings jenen ›echten Weinstock‹ vor, von dem der Evangelist spricht; aber du färbst seine Beeren mit zu echtem Purpur. Es ist ja doch nur ein gesticktes Bild.«
Sie blickt hinab. Ein Blutstropfen ihres Fingers hat eine der vorgezeichneten Beeren gerötet.
»Renata! Wir wollen nicht mit unserem Herzblut ein Bild, einen leeren Schemen färben. Das Leben, das unser hätte sein sollen, wurde durch meine Torheit und meinen Wahnsinn verscherzt. Ein Schatten – meine Schwermut, meine angeerbte Seelenangst – sog mit Vampyrlippen sein frisches Jugendblut ein, bis er die Farbe des Lebens gewann und für mich wirklicher als die Wirklichkeit ward. Doch siehe, in ihrer Gnade hat die Vorsehung uns diese neue Möglichkeit gegeben. O, meine süße Geliebte! sollen wir ihr Geschenk von uns weisen, es scheuen aus Furcht vor einem neuen Schatten, dem Gespenst einer Gefahr in uns selber? Besser dieser Gefahr trotzen, besser sie bekämpfen, besser – ja, ich wage es zu sagen – besser ihr unterliegen, als uns im voraus durch sie das Glück verscheuchen lassen, das noch unser werden kann – und soll.«
Renatas Kopf sinkt auf ihren Arm, der neben der verlassenen Stickerei ruht. Von dem gelben Glasstück in einem Wappenfeld schießt ein Strahl über die braunen Flechten, sie mit goldigem Schein überglänzend. Zärtlich ruht der Blick Ottmars auf dieser Haarfülle. Der Gedanke erfreut ihn, daß sie nicht der Schere zum Opfer zu fallen brauche, wie es geschehen müßte, wenn Renata in ein gewöhnliches Kloster einträte.
So sicher ist er schon seiner Sache!
»Es sind weder äußere noch innere Gefahren, die die Macht haben werden, um uns im Wege zu stehen,« fährt er fort, indem er sich mit einer Willensanstrengung abwendet; denn ihn überkommt die Versuchung, einen brennenden Kuß auf diesen gebeugten Nacken zu drücken, dort wo seine warme Elfenbeinfarbe in den weichen Schatten des Haares hineingleitet.
Wie er sich entfernt und seine Wanderung zwischen Fenster und Kamin wieder aufnimmt, hat Renata das Gefühl, als würde ein Druck von ihr weggenommen.
»Aber wie ich dir schon sagte, ich will nicht in dich dringen. Ich erwarte nicht, daß du jetzt eine Entscheidung triffst. Ein solcher Schritt will wohl überlegt sein. Auch kann ich mir denken, daß dir Bedenklichkeiten ganz anderer Art kommen werden – dir vielleicht schon gekommen sind. Du bist eben nicht wie die Anderen – Gott sei Dank –, deine Anschauungen, deine Gefühle sind nicht die der Menge. ›Wie werde ich in das Mittelmünster hineinpassen?‹ fragst du dich wohl. ›Werde ich in dieser Luft atmen können, unter dem Drucke flachstirnigen Massenglaubens und engherziger Frömmigkeit?‹ – denn so wirst du dir den dortigen Geist vorstellen, und viel mehr darf man von einer solchen Anstalt in der Tat auch nicht erwarten. Du mußt aber bedenken, daß eine Hirtin über der Herde stehen soll ... Es mag aber wohl sein, daß du dir sogar sagst: – ›Ich würde mich eines Betruges schuldig machen, wenn ich mit meinen Anschauungen in eine solche kirchliche Stellung träte‹.«–
Renata blickt erschrocken zu ihm auf.
›Mein Gott! liegen denn meine geheimsten Gedanken vor diesem Manne offen wie ein Buch?‹
»Darum sag' ich dir ausdrücklich: weise solche Bedenken weit von dir weg! Du sprachst gestern selber von Meister Eckehart, wie verschieden war doch sein religiöses Denken und Schauen – verschieden besonders in seiner eigentümlichen, stark persönlichen Ausdrucksweise – von allem, was Kirchensprache ist und sein muß! So verschieden in der Tat, daß es ja bekanntlich den Gegnern unseres Ordens gelang, bei einem Papste, der sich an Frankreich verkauft hatte, die Verketzerung dieses deutschen Gottesdenkers durchzusetzen. Aber bis zu seinem Tode hatte er, zwar nicht unangefochten, aber siegreich, den höchsten Lehrstuhl der Christenheit inne, denselben, auf dem vor ihm Albertus Magnus gesessen. Glaubst du, daß er mit Gewissenszweifeln an dieser hohen Stelle stand? Daß er nicht im Gegenteil sich selber sagte: – gerade dies, daß ich höher denke und tiefer schaue als die Menge der Kirchenlehrer, gerade das verpflichtet mich hier zu stehen?«
Renatas Kopf ist wieder auf ihren Arm gesunken.
Sie atmet tief, fast stöhnend.
Ein ganzer Chor von Stimmen in ihrem Inneren gebietet ihr, dieser Stimme zu lauschen, so geliebt und so liebreich, vor allem aber so verständig und welterfahren und zugleich so besorgt um ihr Wohl; endlich auch mächtig genug, um dies Wohl zu fördern.
Aber eine einzelne Stimme dringt durch diesen ganzen Chor und will sich nicht übertäuben lassen:
›Ja, lausche! Merke dir, was er sagt! Hör' ihn, denn er hat recht – recht auf seine Weise, wie sollte er nicht, er muß es ja wissen, denn er ist der Mann der Kirche. Der Weg, den er dir zeigt, ist der Weg der Kirche und der Welt; es ist nicht der der Gottesfreunde. Höre, und merke dir seine Worte! Denn du mußt jetzt wählen zwischen ihm und dem anderen, zwischen dem großen Freunde der Kirche und dem großen Freunde Gottes; zwischen dem Geliebten deiner Jugend und dem Meister, dessen Worte und Schriften, dessen gutes Beispiel dein Trost und deine Hoffnung ward, dem du dich an Gottes statt zugrunde gelassen hast! Was wird aus dieser geistigen Tochterschaft werden, wenn du im Mittelmünsterstifte zu Regensburg als Äbtissin Hof hältst? ... Höre und wähle!
Ottmar schreitet nicht mehr hin und her. Er ist näher getreten. Sie weiß, daß er ihr gegenüber, dort am Tische steht. Sie fühlt seinen Blick auf sich ruhen.
»Weißt du, Renata, warum ich mich jetzt hier auf Burg Langenstein befinde?«
»Um mich wiederzusehen.«
Sie blickt auf mit ihrem leuchtenden Lächeln, als sie so seiner seltsamen Frage mit ihrer einfachen, geraden Antwort begegnet.
So einfach-gerade, daß er trotz seinem besorgten Ernste selber lächeln muß, als er antwortet: –
»Du hast recht, Renata. Das war der Grund. Aber wir Männer, und besonders Männer in meiner Stellung, wir haben oft zwiefachen Grund. Einen, aus dem wir handeln und einen, mit dem wir Anderen und oft auch uns selber unsere Handlungen erklären. Ein solcher Scheingrund war der, daß du der Ketzerei bezichtigt bist.«
»Dann bist du also hier, um mich zu verhören?«
»Ich bin hier, wie du selber sagst, um dich zu sehen. Ich legte jenen Anschuldigungen so wenig Gewicht bei, daß, als ich mich entschloß hierher zu reisen, ich kaum daran dachte, dir dadurch als Schutz zu dienen. Jetzt aber habe ich die Überzeugung gewonnen, daß Leute, die dir schaden wollen, in deiner unmittelbaren Nähe sitzen, daß du im Städtchen dort unten einen bittern Feind hast, zwar keine hochstehende Persönlichkeit, aber vielleicht doch keine ungefährliche.«
»Ich weiß, wer es ist.«
Ottmar nickt.
»Auch dies Lot muß in die Wagschale gelegt werden, wenn sie das genaue Gewicht angeben soll. Es wiegt sehr für das Mittelmünster gegen Langenstein. Schon von solch einer spähenden Nachbarschaft fern zu sein, ist für dich ein großer Gewinn. Ein noch größerer ist, daß du, wenn du in dies Stift eintrittst, die beste Antwort auf derlei Gerüchte gibst, und daß ich sie vollende und unterstreiche, indem ich dich zur Äbtissin des Stiftes mache. Denke daran, was ich dir gestern von dem Unwetter sagte, das vom Welschlande her im Anzug ist; und daß derjenige klug tut, der beizeiten den Schutz der Kirche aufsucht, wo ist dieser Schutz stärker als im Schatten des Krummstabes? Dazu hat sich heute ein unerwarteter Weg geöffnet. Gib mir jetzt keine Antwort, aber denke darüber nach, Renata!«
Sie hört seine Schritte auf der Diele, hört die Tür sich öffnen und hinter ihm schließen.
Hört in ihrem Inneren die vielen Stimmen und jene eine:
›Höre ihn! Er zeigt dir seinen Weg, seinen und den der Kirche. Den Weg, der von der Gefahr, vom Martyrium wegführt – – und weg von dem Pfade der Gottesfreunde.‹ –