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So kam der dritte Tag. Das Operieren mit den Flügeln war erfolglos geblieben. Es blieb also nur noch übrig, wenn man Verbrauchtes nicht wiederholen wollte, den Feind an seiner stärksten Stelle zu fassen: im Zentrum. Zu diesem Behufe war es unerläßlich, sich zuvörderst in Besitz jenes Gehölzes zu setzen, das sich am Fuße des dominierenden Plateaus hinzog. Ein Angriff auf dasselbe glich einem Verzweiflungscoup, und Sparr erkannte die ganze Schwierigkeit desselben. Dennoch ging er vor und führte die Sache siegreich hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er das im Walde versteckte Fußvolk durch konzentriertes Geschützfeuer zwang, sich hügelanwärts zu ziehen, und diesen Rückzugs- und Verwirrungsmoment benutzte, das gesamte Zentrum avancieren zu lassen. Infanteriekolonnen säuberten das Gehölz, während seine Kavallerie: fünf Schwadronen brandenburgischer Kürassiere, bergan stürmte und die durch ihr eigenes Fußvolk bereits in Unordnung geratene polnische Reiterei nach kurzem Kampf über den Haufen warf.
Einmal aus ihrer unangreifbar geglaubten Position herausgeschlagen, wandten sich die Polen zur Flucht und wurden teils in einen Morast, teils in die Weichsel getrieben. Viele der Flüchtigen ertranken.
Die Verbündeten hielten anderntags ihren Einzug in Warschau.
Es war dies – beinahe zwanzig Jahre vor Fehrbellin – der erste große Waffenakt der Brandenburger, die von diesem Tag an durch länger als ein Jahrhundert hin, nämlich vom 18. Juli 1656 bis zum 18. Juni 1757, immer siegreich kämpften. Erst der Tag von Kolin brachte die Demütigung einer Niederlage.
Wenn diese Waffentat nichtsdestoweniger halb vergessen ist und jedenfalls nirgends im Herzen unseres Volkes fortlebt so hat dies zunächst seinen Grund darin, daß alle Siege, bei denen kleinere Völker an der Seite eines größeren auftreten, immer nur dem letzteren als kriegerische Großtat angerechnet werden. Die Stärkeren verfahren dabei systematisch-absprechend und behaupten ihre Sätze so nachdrücklich und so beharrlich, daß das kleinere Volk schließlich selber glaubt, es habe eigentlich wenig oder gar nichts bei der Sache getan. Es kommt aber in dem vorliegenden Falle noch ein anderes hinzu: das ermangelnde Lokalinteresse. Fehrbellin liegt uns nah, und Warschau liegt uns fern. Bis diese Stunde feiern wir Großbeeren und Dennewitz auf Kosten größerer und entscheidungsreicherer Aktionen, nur weil uns an beiden Tagen allerpersönlichst das Feuer auf den Nägeln brannte. Die Menschen sind Egoisten in allen Stücken. Auch in diesen.
Die Beschreibungen der Schlacht von Warschau pflegen Sparrs und seines ausschlaggebenden Angriffs immer nur obenhin zu erwähnen, was uns, aus schon angeführten Gründen, eben nicht wundernehmen darf. Pufendorfs »De rebus a Carolo Gustavo gestis« kam den Schweden zugute, nicht uns, und im eigenen Lande entbehrten wir der Chronisten, die sich unsers brandenburgischen Feldherrn angenommen hätten. So müssen wir denn, was die hervorragende Mitwirkung des letztren an der großen, dreitägigen Aktion angeht, uns mit einem mittelbaren Beweise begnügen, den wir am besten in den Auszeichnungen finden, die der Kurfürst von jenem Tag an für unseren Otto Christoph von Sparr hatte. Am 26. Juni 1657 wurd er zum Generalfeldmarschall ernannt und sein Gehalt auf eine für die damalige Zeit überraschende Höhe festgesetzt. Er erhielt 800 Taler monatlich, Futter für vierzig Pferde und Verpflegung für eine zahlreiche Dienerschaft. Wegen schlechter Finanzlage des Landes wurden die Gehälter bald darauf (1660) herabgesetzt, und Sparr erhielt von da ab nur noch ungefähr 500 Taler monatlich und 120 Scheffel Korn. Auch Karl Gustav, unter dessen Augen er bei Warschau gekämpft hatte, bestätigte das Entscheidende des Sparrschen Angriffs, indem er kurz nach der Schlacht von ihm sagte: »Dieser alte Vater Sparr hat sich als ein kriegskundiger General erwiesen. Er hat seines Amtes unerschrocken gewaltet und alles weislich hinausgeführt.«
Der Schwedisch-Polnische Krieg verlief nicht plötzlich. Wir verfolgen unsren »Feldmarschall« aber nicht weiter auf seinen Zügen durch Pommern und Mecklenburg, bis nach Holstein und Jütland hinauf, sondern wenden uns vielmehr jenem letzten Abschnitte seines Lebens zu, der dem am 1. Mai 1660 geschlossenen Frieden von Oliva folgte.
Ruhmgekrönt kehrte Sparr in die Heimat zurück. Er war der erste Mann im Lande und nahm an Rang und Ansehen dieselbe Stellung ein, wie sie fünfzehn Jahre später der alte Derfflinger innehatte. Er war der Beirat und Vertraute seines Fürsten, besaß Schlösser und Häuser Das Stadthaus des Feldmarschalls lag in der Spandauer Straße und bildet jetzt mit seinen Seiten- und Hintergebäuden den dritten Posthof. Unmittelbar zur Linken, wenn man aus dem zweiten Posthof in den dritten eintritt befindet sich ein in Stein gehauenes Brustbild des alten Sparr und unter demselben folgende, im Auftrag der Baronin von Blumenthal (gebornen von Schwerin) angefertigte Inschrift: »Aeternitati sacer heros illustrissim. L. B. Otto Christoph de Sparr coeli possessiones occupaturus gratam circumspexit posteritatem et linquendae huic sedi singulari mentis destinatione heredem fecit illustriss. dominam Louisam B. de Blumenthal ex domo Schwerina. Atque ea testatura benefico cineri quanti fuerit hoc inter vivos donum simul ut perennius esset generosae mentis monumentum. Ingenti id sumptu a damnosa die vindicavit et restituit in fimitatem et decus hoc quod lector prospicis. Servet hunc verticem salus et limen custodiat Jehovae vigil. oculus. Heroi autem nostro in Sion esto habitatio et in pace locus ejus. Anno 1668.« (in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gehörte das Sparrsche Stadthaus dem Minister Adam Otto von Viereck.) und im Lande Barnim die Güter: Prenden, Trampe, Lanke, Ützdorf, Heckelberg, Dannenberg und Tiefensee.
Und betrachten wir nun den Inhalt dieser letzten Lebensjahre, so werden wir nicht ohne eine gewisse Rührung gewahr, wie der alte Kriegsmann in wenig Friedensjahren nachzuholen trachtet, was er in einem Leben voll Krieg und Unruhe versäumt. Aus allem spricht das tiefe Verlangen nach Auferbauen, die Sehnsucht nach Sammlung, nach Frieden in sich und nach Frieden mit Gott. Unser Sparr ist nicht länger mehr der Oberst Sparr, über den die Küstriner Kammer klagt, »daß er den Mühlenknecht in Ketten gelegt und das Volk gedrückt habe«, nein, er, dessen Scharen so manche Kirche gestürmt und erbrochen, stellt sein Herz jetzt auf die Tröstungen der Kirche und zeigt sich beflissen, ihre Gnaden durch Demut und Wohltun und frommen Wandel zu verdienen. Wenn es daneben noch ein anderes, ein mehr auf diese Welt Gerichtetes für ihn gibt, so ist es der verzeihliche Wunsch, sein eigenes Leben zu einer Abrundung zu bringen und seinen und seines Geschlechtes Ruhm der Nachwelt zu überliefern. Eine Familienstiftung und die Herstellung eines prächtigen Erbbegräbnisses beschäftigen ihn. Aber seine reichen Mittel und seine Sorgen gehören doch in erster Reihe dem Allgemeinen. Er baut Kirchen und Türme, schenkt Glasmalereien und Glocken, und vor allem ist es die Marienkirche zu Berlin, die sich in jeglicher Weise seines Beistandes in Not und Gefahr erfreut. Im Jahre 1661 wurde die Turmspitze vom Blitz getroffen, und die hervorbrechenden Flammen machten alsbald die Befürchtung rege, daß die Kirche selbst vom Feuer verzehrt werden würde. Der alte Feldzeugmeister aber wußte Rat, und mit einer damals im ganzen Lande bewunderten Kühnheit und Geschicklichkeit ließ er die brennende Turmspitze herunterschießen. War er so der Retter der Kirche geworden, so war es jetzt nicht minder sein Stolz, auch der Wiedererbauer des durch ihn zertrümmerten Turms zu werden. Er schien dies zur Ehrenaufgabe seiner letzten Lebensjahre machen zu wollen, überschätzte jedoch seine Mittel und führte dadurch seinen eigenen Ruin herbei, ohne seinen Lieblingswunsch erfüllt zu sehen. Seine Erben haben später ihrer Mißbilligung dieses frommen Eifers kein Hehl gehabt und nach seinem Tode folgende Worte des Evangelisten Lukas auf eine Kupfertafel niederschreiben lassen: »Wer ist aber unter euch, der einen Turm bauen will und sitzet nicht zuvor und überschlägt die Kosten, ob er's habe, hinauszuführen? Auf daß nicht, wo er den Grund geleget hat und kann's nicht hinausführen, alle, die es sehen, fangen an, seiner zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hob an zu bauen und kann's nicht hinausführen. Oder welcher König will sich begeben in einen Streit wider einen andren König und sitzet nicht zuvor und ratschlaget, ob er könne mit zehntausend begegnen dem, der über ihn kommt mit zwanzigtausend?«
Hand in Hand mit dem Turmbau, der Armut hinterließ, wo Reichtum gewesen war, ging die Erbauung eines Sparrschen Erbbegräbnisses Das Sparrsche Erbbegräbnis in der Marienkirche besteht in einem an der Nordseite des Chors gelegenen Anbau, dessen oberer Teil einen kleinen, jetzt zum Teil zur Bibliothek eingerichteten Saal enthält. Darunter befindet sich die eigentliche Gruft, über deren am innern Chor befindlichem Eingange sich das Grabdenkmal von weißem Marmor erhebt. Dasselbe zeigt, in architektonischer Einfassung von zwei Säulen nebst Sims, einen etwas überlebensgroßen, geharnischten Mann, kniend vor einem Pult, auf welchem ein Buch nebst Totenkopf und Kruzifix. Hinter dem Betenden, zur Linken des Beschauers, ein helmtragender Edelknabe in ganzer Figur. Unter der Decke des Pultes schaut, mit nach seinem Herrn gewandtem Kopfe, ein Hund hervor. An der mit leiser Architekturandeutung versehenen Fläche hinter der Hauptfigur stehen in deutscher Sprache die Verse Hesekiel 37, 3-6 und Hiob 19, 25. Über dem Sims eine gleichsam zum Giebel sich gestaltende Gruppe: inmitten das einfache Sparrsche Wappen, von Mars und Minerva gehalten, zu deren Seiten je zwei an Geschützen gefesselte sitzende Figuren. Dahinter eine Anzahl Fahnen. Das Ganze, im Übergang von Renaissance zum Barockstil, trägt zwar in der gebotenen, herkömmlichen Anordnung die Manier oder den Charakter der Zeit, erweist sich dagegen in seiner Ausführung höchst verdienstlich. Ist gleich ein geharnischter Mann der möglichst ungünstige Gegenstand für Skulptur, so sind doch Kopf und Hände der knienden Hauptfigur vortrefflich modelliert, überhaupt aber ist im Ganzen, wie in den Teilen, zumal in den Nebenfiguren, ein künstlerisch modifizierter Realismus unverkennbar. Es offenbart sich darin etwas von dem kräftigen Geiste Schlüters, verbunden mit einem Anfluge jener Manier, die die französische Bildhauerkunst des vorigen Jahrhunderts beherrschte. Wer das Werk schuf, ist nicht mit Sicherheit festgestellt. Die Tradition nennt den jüngeren Artus Quellinus, einen Holländer, den Sohn und Schüler seines gleichnamigen Vaters. Das Denkmal selbst trägt weder Namen noch Chiffre. , das bis diesen Augenblick nicht bloß eine Zierde der Marienkirche, sondern ihre größte Sehenswürdigkeit ausmacht. Ob es ihm vergönnt war, sein gebeugt Gemüt an der Schönheit jenes prächtigen Marmorbildes aufzurichten, das, von der Hand des Artus Quellinus, den Eingang zur eigentlichen Gruft umgibt, oder ob er hinstarb, eh es vollendet war, sind Fragen, die wir unentschieden lassen. Krank an Körper und Seele, verließ er im Frühjahr 1668 die Hauptstadt, um sie mit Augen nicht wiederzusehen. Er mochte fühlen, daß sein Ende nahe sei. Am 3. Mai vermachte er der Freifrau Luise Hedwig von Blumenthal, der Tochter seines Freundes Otto von Schwerin, sein Stadthaus in der Spandauer Straße; sechs Tage später schied er aus dieser Welt, am 9. Mai 1668, auf seinem Lieblingsschlosse zu Prenden. Der reiche Mann, der hochgestellte Diener seines Fürsten starb in Dürftigkeit. Die Leichenpredigt, die Propst Andreas Müller hielt, konnte wegen Mangels an Geld nicht gedruckt werden, und noch 1675, also sieben Jahre nach Sparrs Tode, bat der Propst bei den Erben desselben um Zahlung gehabter Unkosten und Auslagen. Die Beisetzung der Leiche erfolgte, wie das alte Kirchenbuch von Sankt Marien besagt, »am 12. Mai, abends in der Still', im Beisein vornehmer Leute«.
Turm und Erbbegräbnis, die beiden Denkmale, die sich der Feldmarschall bei Lebzeiten gesetzt, hatten ihn zum armen Manne gemacht. Aber, wie so oft, was ihn erniedrigt hatte, hatte ihn auch erhöht. Turm und Erbbegräbnis sind es, die seinen Namen in der Erinnerung der Nachwelt festgehalten haben und bis diesen Tag von einem Ruhm erzählen, der ohne das ernste, halb rätselvolle Steinbild des Artus Quellinus vergessener wäre, als er es ist.