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Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren
Dürstete Friedrichs Blut. |
Christian Fr. Daniel Schubart |
Mit Vergunst,
Der Will' ist eins, ein andres ist die Kunst. |
Eine halbe Meile nördlich von Tamsel liegt Zorndorf. Der Weg führt zunächst durch eine tiefe Schlucht, die hier, unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette torartig durchbricht und, immer ansteigend, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die Fahrt, die sehr malerisch beginnt, verliert sehr bald ihren Charakter; Sand und Baumwurzeln treten an die Stelle von mit Laubholz besetzten Berglehnen, bis endlich das freundlich daliegende Zorndorf die ziemlich reizlose Öde wieder unterbricht.
Zorndorf ist wohlhabend, wie fast alle Dörfer, wo Schlachten geschlagen wurden. Ob es lediglich daran liegt, daß die während des Kampfes zerstörten Dörfer besser und hübscher wiederaufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große Kirchhöfe, einen reicheren Acker schaffen? Es stehe dahin. Vielleicht auch kommt noch ein Drittes hinzu. Das Auferbauen aus Trümmern schafft nicht nur einfach ein neues Dorf, es schafft auch, in nötig gewordener Anspannung, ein rührigeres Geschlecht. Und Fleiß und Energie, einmal wachgerufen, vererben sich weiter von Vater auf Sohn.
Unser Wagen hielt vor dem Krug, und mein in Zorndorf halb heimischer Reisegefährte rief nach dem Krüger. Und siehe da, aus einem kleinen dürftigen Laden trat eine Hünengestalt heraus, grüßte und stellte sich halb dienstlich neben den Tritt unseres Wagens. Seine riesige Gestalt und die kleine Ladentür paßten wenig zusammen. Ein ähnlich komisches Verhältnis bestand zwischen seiner Gestalt und seinem Namen.
»Guten Tag, Herr Nonnenprediger.«
Der Angeredete erwiderte ruhig den Gruß und verzog keine Miene.
»Herr Nonnenprediger«, fuhr mein Reisegefährte fort, »einer von den Bauern hier sammelt ja wohl alles, was auf dem Schlachtfelde gefunden wird. Verlohnt es sich, bei ihm vorzufahren?«
Nonnenpredigers Mund ging in ein leises Grinsen über, das über seine Stellung zu »vaterländischen Altertümern« keine weiteren Zweifel gestattete.
»Können Sie uns nicht ohngefähr sagen, was der Bauer alles hat?«
»Kanonenkugeln, Gewehrläufe, Schäfte, Flintensteine.«
»Nicht den Lehnstuhl, drauf Friedrich der Große die Nacht vorher geschlafen hat?«
»Nein, der steht in der Neudammschen Mühle.«
»Sonst nichts?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Danke schön. Guten Abend, Herr Nonnenprediger. – Fahr zu!«
Und so ging es weiter, an der hübschen neuen Kirche vorbei, hinaus ins Freie.
Unmittelbar hinter Zorndorf beginnt das Schlachtfeld. Es ist ein Viereck, das von der Neumühlschen Forst und dem Zicher Bach im Westen und Osten und von der Mietzel und einem Höhenzug im Norden und Süden gebildet wird. An dem Höhenzuge liegen Wilkersdorf und Zorndorf. Auf diesem Stückchen Erde wurde die Schlacht geschlagen. Der Boden ist wellenförmig, aber die Einschnitte ziehen sich nicht horizontal von West nach Ost, sondern senkrecht von Nord nach Süd, so daß das ganze Terrain mit seinen Höhen und Tiefen einer Tischplatte gleicht, auf der eine Riesenhand mit gespreizten Fingern liegt. Das an jenem Tage den Mittelpunkt der russischen Stellung bildende Dorf Quartschen entspricht dem Handgelenk. Hier trafen alle Höhen und Tiefen in einem Punkte fächerförmig zusammen.
Auf einem zwischen zwei dieser Vertiefungen, dem Zaber- und dem Galgengrunde, gelegenen Hügelrücken entschied sich die Schlacht. Richtiger: von hier aus wurde sie entschieden. Von Zorndorf her den Zabergrund hinaufrückend, begleitete Seydlitz am äußersten linken Flügel der preußischen Aufstellung den Auf- und Vormarsch der Angriffskolonnen. Selber ungesehen, sah er seinerseits alles. Auf die Aufforderung des Königs, »anzugreifen, bei Gefahr seines Kopfes«, gab er die bekannte Antwort: » Nach der Schlacht stehe dem Könige sein Kopf zu Befehl; während derselben mög er ihm noch erlauben, davon in seinem Dienste Gebrauch zu machen.« Der Zeitpunkt war eben noch nicht da. Im Moment aber, als die bereits siegreichen Russen ihre Reiterei vorschickten, um in die fliehenden preußischen Bataillone einzuhauen, schwenkte Seydlitz plötzlich rechts, passierte den Bach und stieg aus der Tiefe herauf. Und nun wie Sturm über das Plateau zwischen dem Zaber- und Galgengrund hinfegend, führte er jene weltberühmte Attacke aus, die mit der Niederwerfung des zunächststehenden russischen Hügels endigte und, sechs Stunden später gegen den andern Flügel wiederholt, den Tag zugunsten des Königs abschloß.
»Seydlitz, auch diesen Sieg verdank ich Ihm.« – »Nicht mir, Majestät. Hier diesem Löwen, dem Rittmeister von Wakenitz.« Es war überhaupt, wie ein Tag glänzender Attacken, so auch ein Tag glänzender Impromptus und Repliken. »Keine Schlacht ist verloren, solange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat« etc.
Die Chaussee von Zorndorf nach Quartschen läuft auf der Höhe des flachen Hügelrückens zwischen dem Zaber- und Galgengrunde hin und durchschneidet also genau denjenigen Teil des Schlachtfeldes, auf dem die Würfel fielen.
Wir machen den Weg bei Sonnenuntergang. Der goldene Ball hängt verschleiert am Horizont, die Luft ist still, und nur hoch im Blauen singt es und klingt es noch. So geht es zwischen dem wogenden Korn dahin.
Etwa 1000 Schritt hinter Zorndorf passieren wir einen altmodischen Bauerhof mit Plankenzaun und Strohdach. Wieder 500 Schritte weiter fällt uns, rechts am Weg, ein auf verschiedenen Stufen errichtetes und das Kornfeld weithin überragendes Steinmonument auf, das am 25. August 1826 von Männern des Kreises an ebendem Punkte aufgebaut wurde, wo, alter Überlieferung zufolge, der König hielt und den Gang der Schlacht ordnete und überblickte. Diesem Punkte gilt unser Besuch.
Wir lassen halten und suchen nach einem Feldweg. Aber nichts der Art ist zu finden. Besucher auf dem Schlachtfelde von Zorndorf sind so selten, daß es sich nicht verlohnt, einen Weg nach dem Denkmale hin offenzuhalten. Lauter Ackerland. Oder wie es in dem Chamissoschen Liede heißt: »Der Pflug geht drüber hin.« Nach langem Suchen entdecken wir endlich eine Furche, die uns in gerader Linie, wenn auch von schräg liegenden Halmen völlig verdeckt, dem Denkmal entgegenführt. Wir stehen nun vor einem Sand- und Lehmhügel von der Form eines Backofens, auf dem sich das Monument erhebt. Der Aufgang ist steil, und man kann deutlich erkennen, daß die früher sich allmählich abflachenden Wände von dem Bauer, dem jetzt das Feld gehört, ab- und niedergepflügt wurden, um dadurch ein paar Quadratruten Ackerland zu gewinnen. Bauernegoismus ist sicherlich das einzige Motiv gewesen, aber der Egoismus ist hier zum Segen ausgeschlagen, und der Hügel mit seinen jetzt steil abfallenden Wänden, hier und dort von Liguster und Distelbüschen überwachsen, nimmt sich vortrefflich aus als Postament für das auf seiner Höhe errichtete Denkmal. Dieses ist einfachster Art. Es besteht aus drei Granitstufen, auf deren oberster sich ein Oblong, ebenfalls aus Granit, erhebt. Das Ganze ein etwa mannshoher, höchst schlichter Steinbau, der früher an einer seiner Fronten eine Inschrift trug. Man liest noch jetzt: »Hier stand Friedrich... M.D.C.C.L.VIII.« Alles andere ist verlöscht.
Das Monument ist schlicht genug. Aber der Blick über das Schlachtfeld hin, das jetzt schattenhaft-grau vor der dahinter gelagerten Abendröte liegt, ist entzückend. Der Abend schickt einen Luftzug; ein leises Rauschen und Knistern ist in den Halmen; die Lerchen sind eben still geworden, und nur von rechts und links her rufen die Unken über das Feld hin. Die hausen noch im Zaber- und Galgengrund, wenn auch freilich nicht mehr wie sonst. Denn die beiden Gründe haben längst aufgehört eigentliche Wasserrinnen zu sein; die Kultur hat sie trockengelegt, und nur wo hier und da noch ein Restchen Sumpfwasser in der Vertiefung steht, halten sich ihre alten Bewohner.
Noch einmal, es ist ein schlichtes Monument, das an dieser Stelle das Gedächtnis an den Tag von Zorndorf zu wahren trachtet. Aber es ist gut, daß es schlicht ist. Prächtige Monumente gehören in die Stadt, in das Bereich der Kunst. Zu Wald und Feld stimmen Denkmäler, die sich einreihen in den Hausrat der Natur. Übergang und Verschmelzung, nicht Gegensatz. Würfel und Obelisk werden auf Schlachtfeldern noch lange das beste bleiben.
Mein Reisegefährte, zu dem ich in diesem Sinne gesprochen haben mochte, legte seine Hand auf meine Schulter und sagte lächelnd: »Sie haben recht. Dieser Stein weiß davon zu erzählen. Es schleicht sich nämlich etwas von höherer Kunstexistenz in sein Leben ein. Aber es waren keine glücklichen Tage.«
Auf meine Bitte fuhr der Sprecher fort: »Gern erzähl ich davon. Es soll Ihnen nichts verschwiegen bleiben. Aber ändern wir zuvor unsere Front und nehmen wir auf den Stufen der Rückseite Platz, damit wir nach Bauer Mertens' Gehöft hinübersehen können. Denn das Gehöft und seine Insassen spielen mit.«
Ich tat wie geboten.
»Sie haben im Tamseler Parke sicherlich das Monument gesehen, das auf seiner Spitze die Rauchsche Viktoria trägt. Dies Monument hat Graf Hermann Schwerin errichten lassen, ein sehr liebenswürdiger und kunstsinniger Herr. Sie werden gleich sehen, warum ich mit ihm beginne.
Es war um 1846, als ein benachbarter Freund bei dem Tamseler Grafen erschien und ihm von einem Küstriner Klempner erzählte, der in überpatriotischem Eifer auf die Idee gekommen war, den Alten Fritz in Weißblech zu treiben. Er hatte jahrelang seine Feierabendstunden darangesetzt. Nun stand der große König endlich fix und fertig da, sieben Fuß hoch und blank wie ein Zinnlöffel. Aber niemand wollt ihn haben. Der Graf, der nicht nur ein kunstsinniger, sondern vor allem auch ein sehr gütiger Herr war, überlegte sich's einen Augenblick, akzeptierte dann das angebotene Kunstwerk, zahlte den Preis und traf seine Dispositionen.
Ein paar Tage später traf alles in Tamsel ein. Tamsel aber war nicht Bestimmungsort. Der Graf hatte bereits anderweitig darüber verfügt, freilich mit einer an Vorahnung grenzenden Besorgnis.
Es war Anfang November, und zu mitternächtiger Stunde hielt ein Leiterwagen vor dem Schloß. Jetzt mußte sich's entscheiden. Die Statue wurde rasch aufgeladen, und ehe zehn Minuten um waren, setzte sich der Zug unter Begleitung von einem Mauerpolier und drei Gesellen in Bewegung. Andere Dienstleute folgten. Es ging still durch Schlucht und Wald, noch stiller durch Zorndorf hin, an Mertens' Gehöft vorüber, bis der Wagen hier zu Füßen des Hügels hielt. Und nun rasch und ängstlich und mit fast gespenstischer Stille wurde der blecherne Fritz auf den Granitwürfel gestellt. Sie können noch sehen, wo der Mörtel gesessen hat. Dann in stiller Nacht, wie der Zug gekommen war, verschwand er auch wieder.
Am andern Morgen trat Mertens' ältester Sohn in die Haustür, um nach dem Wetter zu sehen. Er sah auch zufällig nach dem Monument hinüber und bemerkte, daß eine menschliche Figur auf dem Steinwürfel stand. Er dacht aber nichts Arges dabei und ging in den Stall, um die Pferde zu futtern. Als er nach einer Stunde wieder in die Haustür trat, wurd es ihm verwundersam, und er brummte vor sich hin: ›He steiht ümmer noch!‹ Und er weckte nun den Alten. Der kam und alles Hausgesinde mit ihm. Aber es blieb, wie es war. ›De snaksche Kerl steiht ümmer noch‹, wiederholte der Sohn. Und in der Tat, im Nebel des Novembermorgens, regungslos und rätselvoll, stand eine menschliche Figur auf dem Zorndorfer Schlachtenstein. Welche Hypothesen in jener Stunde geboren sein mögen, ist schwer zu sagen. Endlich, wie sich von selbst versteht, löste sich der Spuk.
Die Mertensschen waren nun zufrieden, aber Graf Schwerin war es nicht. Sein künstlerisches Gewissen schlug ihm, und wenn anfangs das gute Herz über die ästhetischen Instinkte gesiegt hatte, so rächten sich diese jetzt und drangen ihrerseits auf Abhülfe. Der Graf, wenn er des Weges kam, ging an dem ›Alten Fritzen‹ vorüber wie an einer Schuld, welche Sühne verlangte.
Und endlich fand er sie. Nachdem das Bildnis einen Winter lang allen Stürmen getrotzt und jegliches Blanke seiner Erscheinung längst eingebüßt hatte, erschienen die Vermummten wieder, und siehe da, nächtlicherweile, wie die Statue gekommen war, so verschwand sie wieder. Eine kurze, freudlose Existenz. Wie Leidtragende folgten der Mauerpolier und die Seinen und geleiteten die Figur nach Tamsel zurück. In einem der dortigen Kohlenkeller ist sie verschollen.«
Völlige Dämmerung lagerte jetzt auf den Feldern, und war es nun die Kühle des Abends oder die Stelle, auf der wir standen, ein leises Frösteln überlief mich. Dann sprangen wir über die Ligusterwand hinweg in die hohen Halme hinein, und Arm und Brust vorschiebend, schwammen wir durch das Kornfeld hindurch. Wir hörten nichts als ein Rauschen und Knistern, selbst im Zabergrunde war es still geworden, und unser Gespräch belebte sich erst wieder, als der Wagen über die Landstraße hinrollte und in das Prusten unserer Pferde hinein Bauer Mertens uns seinen »guten Abend« bot. Es klang treuherzig genug, ahnungslos, daß er und sein Ältester eben die Helden oder doch die Mitspielenden in einer Geschichte gewesen waren.