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Der große und der kleine Tornow-See

Im Mummelsee, im dunklen See,
Da blühn der Lilien viele.
Schnezler

Die »Märkische Schweiz« um Buckow herum ist zum großen Teil ein Besitztum der Grafen Flemming und Itzenplitz.

Der Itzenplitzsche Anteil an diesem Stück schöner Natur liegt im Norden und Nordosten des großen Schermützel-Sees und umfaßt das Areal der Güter Bollersdorf und Pritzhagen.

Von dem Bollersdorfer Plateau sprachen wir bereits im vorigen Kapitel; ebenso von dem schönen Blick, den der abschüssige Rand desselben auf den unten liegenden Schermützel-See gestattet.

Dorf Bollersdorf, dessen kleine gotische Kirche dem kahlen Plateau einen malerischen Reiz verleiht, ist ohne Bedeutung. Seine Besitzer wechselten oft. In der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts war es Eigentum des Generallieutenant von Görtzke, der, nach Ankauf des jetzt Marwitzschen Friedersdorf, auch noch Kienitz und Bollersdorf an sich brachte. Nach seinem Tode aber scheint es sofort in andre Hände übergegangen zu sein. Die schon genannte Kirche geht bis ins vierzehnte Jahrhundert zurück. Bei einem vor Jahresfrist stattfindenden Umbau wurden in der geöffneten Gruft Särge der alten, im Lande Beeskow-Storkow begüterten Familie Löschebrand gefunden.

1763 kam Bollersdorf durch Schenkung in Besitz des Generalmajors von Lestwitz und teilte seitdem, hinsichtlich seiner Besitzverhältnisse, das Schicksal des Lestwitz-Itzenplitzischen Güterkomplexes: Friedland, Kunersdorf, Bollersdorf, Pritzhagen, dem es von da ab zugehörte.

Pritzhagen liegt mehr östlich, und das coupierte Terrain gestattet keinen Blick auf den Schermützel-See. Das Dorf selbst ist unbedeutend wie Bollersdorf. Viele Jahrhunderte lang besaßen es die »Rutze« oder die »von Reutze«, wie sie später genannt wurden. Schon 1375 finden sie sich, dem Landbuche nach, an dieser Stelle. Der letzte, wie es scheint, war »Junker Hans«, ein Weidmann von altem Schrot und Korn, der seine Passion mit dem Leben bezahlte. Sein Name lebt fort in der Junker-Hansens-»Kehle«, was in der Gebirgssprache der »Märkischen Schweiz« soviel wie Schlucht bedeutet. In Pritzhagen weiß und erzählt noch jedes Kind von dem »tollen Junker«, der bei Verfolgung eines Hirsches in die »Kehle« fiel und den Hals brach. Eine Meile weiter aber weiß niemand mehr von ihm. Ein allerlokalster Ruhm.

 

Pritzhagen bedeutet wenig, seine Berge und Schluchten jedoch bedeuten viel, selbst seine »Kehlen«.

Als einer seiner reizendsten Punkte gilt der Dachsberg, kaum eine Viertelstunde vom Dorf entfernt und mit Recht ein Lieblingsplatz aller märkischen Touristen. Auch Berliner huldigen ihm. Und das ist doch schließlich immer das Entscheidende!

Aber den Dachsberg in Ehren, in Wahrheit sind es doch seine beiden Seen, wie namentlich auch die Schlucht, die diese verbindet, was seine Schönheit ausmacht. Die beiden Seen heißen der kleine und große Tornow-See, und die Schlucht heißt die » Silberkehle«. Jene blicken zu dem Berge hinauf, der seinerseits terrassenförmig ansteigt. Am Fuße der Treppe breitet sich der große Tornow aus, auf dem mittleren Absatz aber liegt der kleine Tornow, dunkel und still und in verschwiegener Tiefe.

Von der Kuppe des Hügels herab überblickt man nur den kleineren See; Baumpartien fassen ihn ein und beschränken die weitere Fernsicht. Das Terrassenförmige des Berges kommt deshalb wenig zur Erscheinung. Möglich, daß das Landschaftsbild an Reiz gewönne, wenn ein unbehindertes Auge, die Stufen der Treppen herniedersteigend, erst bei der kleineren und dann endlich tief unten bei der größeren Wasserfläche verweilen könnte. Aber auch wie es ist, ist es schön.

Der kleine Tornow ist einer jener »Teufelsseen«, denen man in der Mark, an den Abhängen der Hügel, so oft begegnet. Ihr Name bezeichnet ihren Charakter. Das Wasser ist schwarz, dunkle Baumgruppen schließen es ein, breite Teichrosenblätter bilden einen Uferkranz, und die Oberfläche bleibt spiegelglatt, auch wenn der Wind durch den Wald zieht. Es ist, als hätten diese dunklen Wasser einen besonderen Zug in die Tiefe und als stünden sie fester und unbeweglicher da als andere. Der schönste See der Art im nördlichen Deutschland war vielleicht der Jordan-See auf der Insel Wollin. Still, dunkel, einsam, von Kiefern eingeschlossen, lag er da. Braune, halbverfaulte Baumstämme überragten hier und da seine Fläche, so daß es war, als richteten sich Krokodile auf und sögen mit zurückgebogenem Kopf die Nachtluft ein. Die Blätter und Stiele der Nymphäen machten den See unpassierbar. Guter Wille und wenig Geschmack haben dies kostbare, Stück Natur zerstört. Die Baumstümpfe sind fort und die Nymphäen auch. Statt ihrer ist ein Kahn da, der nun über die glatte, prosaisch gewordene Fläche hingleitet, als wär es ein See wie jeder andre.

So ist auch der kleine Tornow einer von jenen Seen, an denen Sage und Märchen am liebsten verweilen und von Prinzessinnen erzählen, die in der Johannisnacht aus dem dunklen Wasser steigen und mit Silberrosen im Haar freundlich-traurig am Ufer sitzen.

Nicht so der große Tornow-See, der funfzig Fuß tiefer seine breite und hellere Wasserfläche am Fuß des Berges ausdehnt. Ihm schreiten wir jetzt zu. Unser Weg dahin ist die Silberkehle.

Die Silberkehle führt ihren poetischen Namen daher, weil an beiden Abhängen, wo das von Moos und Humus entkleidete Erdreich sichtbar wird, eine Wand von Glimmersand zutage tritt. Dieser Glimmersand blitzt und glitzert wie Silber und liegt so fest auf, daß es möglich ist, Namen und Figuren wie in Sandstein hineinzuschneiden. Die Silberkehle hat völlig den Charakter einer Gebirgsschlucht und zeigt auf ihrem Lauf ein tief ausgehöhltes Bett mit all den Zerstörungen niederstürzender Bäche. Feldsteine, fest in den Sand gerammt, Laubholzbäume rechts und links über den Weg geworfen, Spuren von Wind und Wasser überall. Aber heute, wo wir des Weges kommen, ruht ringsumher der Streit der Elemente. Wie eine Mühle am Sonntag, so liegt die Silberkehle da, das Triebrad steht still, das Wehr ist gesperrt. Erst im Frühjahr, wenn der Schnee schmilzt, oder im Sommer, wenn die Regengüsse kommen, dann wird es wieder lebendig hier. Dann jagt das Wasser zu Tale, dann ist es wieder, als schäumten und klapperten hundert Räder hier, und wieder werden neue Bäume unterhöhlt und gefällt und die eingerammten Steine wie Kiesel weiter nach unten gerissen.

Wir sahen das Bild bei Herbstesstille; nur am Fuße des Berges plätscherten ein paar Quellen. So traten wir aus der Enge der Schlucht ins Freie und blickten auf die Fläche des großen Sees. Er ist dem kleinen Tornow unähnlich, liebt das Licht wie dieser den Schatten und gewährt ein Bild heiterer Ruhe. Grün ansteigende Ufer fassen ihn ein, rote Fichtenstämme spiegeln sich, und wenn erst, wie beabsichtigt, der Wasserdruck des höher gelegenen kleinen Sees benutzt sein wird, um mitten auf dem großen einen natürlichen Springbrunnen steigen zu lassen, so wird dieser Eindruck des Heiteren noch gewachsen sein.

Am Ufer des großen Tornow-Sees erhebt sich eine Villa, ein Schweizerhaus. Der Erbauer, in Huldigung gegen den Ort, an dem er den zierlichen Bau entstehen ließ, hat ihm den Namen »Haus Tornow« gegeben. Das hat einen guten Klang. Stille weilt rundum. Es ist ein Platz für Rast und Ruhe, und wer empfände nicht die Sehnsucht danach! Bilder schmücken die Zimmer der Villa, und Wein und Blumen ranken sich an Wand und Laubengang empor. Aber der schönste Blick, den »Haus Tornow« gewährt, bleibt doch der auf den See. Ein Kahn liegt bereit und trägt uns darüberhin, leicht und glatt. Denn hier walten keine tückischen Mächte. Aus der Tiefe des »kleinen Tornow« herauf könnt uns eine Hand, eine Stimme vielleicht nach unten ziehn, aber das Wasser des großen Tornow, das eben in tausend Tropfen von unserm Ruder fällt, funkelt in allen Farben des Lichts. Ein Schwarm Tauben blitzt durch die Luft, und ein Reh tritt aus dem Wald ans Ufer und blickt uns an. Es weiß, es darf es.

»Friede« ist die Parole am großen Tornow-See.


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