Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Das dritte, das dritte, noch wissen wir's nicht,
Doch bleibt es das Best an der ganzen Geschicht, Courage, Courage! |
Chamisso |
Buckow hat einen guten Klang hierlands, ähnlich wie Freienwalde, und bei bloßer Nennung des Namens steigen freundliche Landschaftsbilder auf: Berg und See, Tannenabhänge und Laubholzschluchten, Quellen, die über Kiesel plätschern, und Birken, die, vom Winde halb entwurzelt, ihre langen Zweige bis in den Waldbach niedertauchen.
Ja, Buckow ist schön, aber doch mit Einschränkung. Es hängt alles davon ab, ob wir Buckow die Gegend oder Buckow die Stadt meinen – allen Respekt vor jener, aber Vorsorge gegen diese. Seine Häuser kleben wie Nester an Abhängen und Hügelkanten, und sein Straßenpflaster, um das Schlimmste vorwegzunehmen, ist lebensgefährlich. Es weckt mit seiner hals- und wagenbrechenden Passage die Vorstellung, als wohnten nur Schmiede und Chirurgen in der Stadt, die schließlich auch leben wollen. Von Löchern ist längst keine Rede mehr; wo dergleichen waren, sind sie zu einer rinnenartigen Vertiefung geworden, und als Friedrich Wilhelm IV. vor einer Reihe von Jahren Buckow passierte, sah sich die Kommune veranlaßt, die Hauptstraße der Stadt fußhoch mit Sand bestreuen zu lassen. Dieser Beschluß wurde aber nicht gleich gefaßt. Viele hatten vielmehr vorgeschlagen, das Pflaster zu lassen, wie es sei, um den König desto eher zu einer milden Beisteuer zu bewegen, in dankbarer Erinnerung »an Rettung aus Lebensgefahr«. Aber der Vorschlag mußte freilich scheitern, weil eben niemand diese Rettung als gesichert voraussagen durfte. So wurde denn Sand gestreut und das alte Pflaster der Stadt erhalten. Für schwache Achsen ist Buckow dasselbe, was Wien für schwache Lungen ist – keiner kommt heil heraus.
Buckow war einmal wohlhabend, aber das ist lange her. Im vierzehnten Jahrhundert, auch später noch, blühte hier der Hopfenbau und gab dreiunddreißig Hopfengärtnern reichliche Nahrung. Sie gewannen jährlich weit über 1000 Wispel, und der Buckower Hopfen war es, der dem Bernauer Bier zu seinem Ruhme half. Noch gibt es Hopfengärten in Buckow, aber ihre Bedeutung für die Stadt ist hin, und die überall siegreiche Kartoffel erobert auch hier das Terrain. Kümmerlich schlägt sich die Stadt mit Spaten und Hacke durch; Kommunalvermögen ist nicht da; die vier Jahrmärkte werden nicht besucht, und die alte Hügelkirche, mit reichem Altar und mächtigen Glocken, würde schwerlich in solcher Stattlichkeit auf die Stadt herabsehen, wenn sie vom jetzigen Buckow gebaut werden sollte.
Die Buckower sind ordentliche, fleißige Leute, die sich's sauer werden lassen; aber sei es, daß ihre wendisch-deutsche Blutmischung nicht ganz die richtige ist oder daß sie's nicht verwinden können, vor lieber langer Zeit einmal reich gewesen zu sein, gleichviel, sie haben eine Vorliebe fürs Prozessieren und gelegentlich auch wohl für die Selbsthülfe. Es existieren darüber viel heitre und viel traurige Geschichten. Eine Geschichte dieser Art, die lustig und traurig zugleich, spielte vor kurzem erst, als die Buckower mit ihrem »Grafen« – dem Grafen Flemming, Besitzer der Herrschaft Buckow – in Streit gerieten. Dieser Streit nahm ein paar Tage lang den Charakter an, als habe sich ein Vorgang aus dem fünfzehnten Jahrhundert in unsre Zeit hinein verirrt; die Bürger zogen zu Felde, schlugen die gräflichen Mannen in die Flucht, nahmen Posseß vom streitigen Terrain und pflanzten ihr Banner auf dem eroberten Grund und Boden auf. Kurzum, eine mittelalterliche Fehde in bester Form. Streitobjekt war ein Forst, den der Graf als seine, die Stadt als ihre beanspruchte. Die Gerichte hatten zugunsten des Grafen entschieden, aber die Stadt schüttelte den Kopf, und so geschah, was eben gemeldet. Ein Bänkelsänger, der just des Weges kam, hörte von dem kaum geschlichteten Streit, und das Balladenhafte des Vorganges rasch erkennend, brachte er alles in »neue Reime aus diesem Jahr«. Ich habe das Blatt zufällig in die Hand bekommen und gebe etliche Strophen daraus.
Die Bürger von Buckow saßen beim Bier,
Das gab ein Lärmen und Streiten, Sie sprachen vom Grafen und ihrem Prozeß, Von Instanzen, ersten und zweiten. Sie wußten es alle klipp und klar,
Drum (hieß es) hätten sie appelliert,
So klang es. Nur einer saß am Tisch,
Er leerte das aufgehobene Glas
Er strich den Schaum sich aus dem Bart
Ihr habt keinen Mut; dieweil ihr hie
Ihr habt keinen Mut; ich sprech es mit Scham,
Ihr wißt nichts von der hohen Magie,
Ihr kommet nie und nimmer zum Ziel
Greift zu, verschafft euch selber Recht
|
Nun folgen sechs, acht Strophen, in denen beschrieben wird, wie alles dem Redner zujubelt, wie die Bürger sich rüsten und andern Tages wirklich ausziehen, um die »Pfändung der Gräflichen« vorzunehmen. Drei andre Strophen schildern den Zug selbst Die drei Strophen, die den Zug schildern, sind folgende:
Der Führer ritt einen Scheckenfuchs,
Er ritt ihn kurz auf Trense, Dann folgten die Schützen; dann ackerlich Volk Mit Sichel und mit Sense. Die Schützen trugen manch Rüstungsstück
Im ganzen waren es fünfzig Mann
|
Und als sie sich nahten dem strittigen Grund –
Da, vernehmbar aus dem Gehege Her klangen schon durch die stille Luft Der Holzaxt dumpfe Schläge. Der Tag war heiß, die Luft war still,
|
Der Kampf ist nun kurz. Die gräflichen Holzschläger strecken die Waffen, und die Sägen und Äxte werden gepfändet. Ein Hurra klingt dreimal durch den Wald. Aber der Sieg ist von keiner Dauer. Die Gräflichen verstärken sich und rücken andrentags, unterstützt durch die ganze Polizeimacht der Kreise Barnim und Lebus, ins Feld. Die Polizei, bekanntlich ein prosaisches Institut ohne Glauben an Gespenster, hat auch kein Herz für Romantik und Mittelalter und schickt die Buckower in sehr bestimmten Ausdrücken heim.
Die Buckower sprechen noch immerzu
Vom Forst und ihrem Streite; Und doch, wo das strittige Waldstück stand, Da stehen jetzt Klafter und Scheite. Und kommt ein Buckower still entlang,
|
Aber ich habe vielleicht zu lange schon bei den Buckowern verweilt; wenden wir uns wieder ihrer Stadt zu. Buckow und seine Umgebungen bilden die »Märkische Schweiz«. Freilich geht es der Stadt mit diesem Namen und Anspruch nicht viel besser als mit ihrem Forst, denn Freienwalde tritt mit überlegener Miene in die Schranken und sagt: »Dieser Name ist mein.«
Wo liegt denn nun aber die wirkliche Märkische Schweiz? Wir werden uns einen Dualismus, wie auch sonst wohl, gefallen lassen müssen. Freienwalde ist immerhin eine Dame, Buckow ist eine ländliche Schönheit, die mit nacktem Fuß in den See tritt und unter Weidenzweigen ihr Haar flicht. Nun wähle jeder nach seinem Sinn. Binnen kurzem wird sich solche Wahl erleichtern. Die neuprojektierte Eisenbahn zwischen Berlin und Küstrin führt auf kürzeste Entfernung an Buckow vorüber, und einmal in den Verkehr hineingezogen, wird das »Aschenputtel« von heute ihrer bevorzugten Schwester vielleicht schon morgen gefährlich werden.
Buckow liegt in einem Kesseltale, dessen Sohle von einem großen See gebildet wird. Dieser See hat die Form eines abgestumpften Halbmonds, ist also bohnen- oder nierenförmig und heißt der Schermützel-See. Wir werden noch weiter von ihm hören. An der konkaven Seite des Sees, ziemlich genau an der Stelle, wo sich das hüglige Erdreich in den See hineinbuchtet liegt die Stadt, von der aus sich in kürzester Zeit und mit leichtester Mühe die verschiedensten Ausflüge in die Umgegend ermöglichen. Alle diese Ausflüge, verschieden, wie sie sind, lassen sich nichtsdestoweniger in drei ganz bestimmte Gruppen bringen: in Spazierfahrten über den See, in Besteigung des Bollersdorfer Plateaus und in Wanderungen durch die Täler und Schluchten der nach Nord und Ost hin gelegenen »Märkischen Schweiz«.
Besteigen wir zunächst das Plateau.
Wir wählen dazu, statt der Fahrt über den See, einen Umweg, und zwar durch jene lieblichen Schluchten und Waldpartien, die von einem Bergwasser, dem Marienfließ, durchflossen werden. Alles hat hier den mitteldeutschen Charakter. Wer den Harz, wer Thüringen und die Sächsische Schweiz kennt, ist manche liebe Stunde unter gleichen Bildern und Eindrücken bergan gestiegen. Tannen und Lärchenbäume fassen zu beiden Seiten die Hügelabhänge ein, Buchen und Birken sind in das Nadelholz eingestreut, der Kuckuck ruft, der Bach plätschert, und auf dem frischen Rasen, der das Wandern so leicht macht, liegen die Tannenäpfel oder spielen die Schatten und Lichter der Nachmittagssonne. So auch hier. Über die primitivsten Brücken hinweg – sechs Feldsteine quer durch den Bach – schreiten wir vom linken auf das rechte und wieder vom rechten auf das linke Ufer, bis wir, nach halbstündigem Marsche den Tann ohne Weg und Steg durchbrechend, uns plötzlich auf dem ersehnten Plateau befinden, das wir, den Windungen des Baches folgend, fast wie auf einer Wendeltreppe ohne Stufen erstiegen haben. Aber noch wissen wir es kaum, daß es ein Höhepunkt ist, auf dem wir stehen, denn das Plateau dehnt sich bis zum Horizont hin wie eine Ebene vor uns aus, und erst am Ausgang eines tiefen Ackereinschnitts, der uns einer hier und dort unterbrochenen Wand von Brombeer- und Weißdornsträuchern entgegenführte, blicken wir überrascht in eine völlig senkrechte Tiefe nieder. Fünfhundert Fuß unter uns der See.
Wir nehmen nun unsern Stand und haben vielleicht das schönste Landschaftsbild vor uns, das die »Märkische Schweiz« oder doch der »Kanton Buckow« aufzuweisen vermag. Links und rechts, in gleicher Höhe mit uns, die Raps- und Saatfelder des Plateaus, unmittelbar unter uns der blaue, leis gekräuselte Schermützel-See, drüben am andern Ufer, in den Schluchten verschwindend und wieder zum Vorschein kommend, die Stadt und endlich hinter derselben eine bis hoch hinauf mit jungen frischgrünen Kiefern und dunklen Schwarztannen besetzte Berglehne. Die Nachmittagssonne fällt auf die Stadt, die mit ihren roten Dächern und weißen Giebeln wie ein Bild auf dem dunklen Hintergrunde der Tannen steht, das Auge aber, wohin es auch durch die Mannigfaltigkeit des Bildes gelockt werden möge, kehrt immer wieder auf den rätselvollen See zurück, der in genau zu verfolgenden Linien unter uns liegt.
Auf den rätselvollen See. Noch wissen wir es nicht, aber wir ahnen es, daß er unter andern Schätzen auch einen Sagenschatz umschließen muß, und unser Führer, ein Buckower Fischer, der uns bis hierher schweigend geleitet, hebt jetzt an: »Dort unten liegt die alte Stadt. Drüben am andern Ufer, wo Sie die spiegelglatte Stelle sehen, dort hat Alt-Buckow gestanden. Wir kennen die Stelle ganz genau. Von dem Eck dort, wo die Binsen hundert Schritt weit in den See hineingehen, bis hier gradüber von uns, wo die Weiden ins Wasser hängen – so weit ging die Stadt. Ich spreche nicht von Glocken, die bei Sonnenuntergang klingen, Alt-Buckow hatte schwerlich Glocken, aber das müssen Sie schon glauben, daß wir an klaren Tagen zehn Fuß tief unterm Spiegel allerhand Pfahlwerk stehen sehn, Blockhäuser vielleicht, jedenfalls Zaun und Steg, und mancher unter uns hat etwas von dem Pfahlwerk herausgeholt und ihm einen guten Platz im Hausflur gegeben. Wir denken, es ist ein Segen dabei.« Der Erzählende machte hier eine Pause, während deren er mich scharf ansah. Dann fuhr er fort: »Drüben, wo die Stadt stand, ist der See flach, wenigstens eine kurze Strecke; hier unter uns aber ist er tief, an hundert Fuß und darüber; hier wimmelt es auch von Fischen, aber wir haben wenig davon. Wenn wir hier Netze ziehn, so gehen die Fische tiefer, und wollen wir ihnen nach, so kommen wir in den alten Eichwald, der hier unten steht. Die Maschen zerreißen dann, die Fische schlüpfen durch, und ein paar abgebrochene Zacken sind alles, was wir mit nach oben bringen. Ja, so hat sich's geändert. Einst war alles Berg hier, und Stadt und Wald standen zwischen hüben und drüben, wie wir beide jetzt auf dieser Höhe stehn. In einer Nacht aber war alles vorbei. Der Berg ging nach unten, und der See kam herauf.«
Eine kühle Luft wehte über das Feld, und ein leises Unbehagen lief mir über den Rücken. Indessen, ich wußte doch nun, was es war, daß mich der Schermützel so ganz anders angeblickt hatte wie manch andrer See, und ich warf mich nieder und streckte den Kopf über den Abgrund hinaus, wenigstens den Wunsch im Herzen, unten ein Eichenskelett bis an den Wasserspiegel heraufragen und die Fische durch seine Zackenkronen hindurchhuschen zu sehn. Ich sah es auch wirklich, aber mit dem Bewußtsein, daß es Täuschung sei.
Wir traten nun den Rückweg an und plauderten über dies und das. Des Sees Sagen verließen mich nicht und begleiteten mich bis schließlich wieder daheim, wo ich in Büchern nachzuschlagen und nach der Vorgeschichte des »großen Schermützel« zu suchen begann. Was ich fand, ist das. Viele unsrer märkischen Seen und seeartigen Vertiefungen sollen durch sogenannte Erdfälle entstanden sein. Man hat keine andre Erklärung. Plötzlich und unvermittelt inmitten eines Plateaus auftretend, wie dies namentlich beim Schermützel-See der Fall ist, ist es nicht möglich, von hereinbrechenden Wasserfluten, von Flußbett oder Strömungen zu sprechen. Es ist nichts von außen Herantretendes, was die Erklärung geben kann, es muß vielmehr ein innerlicher Vorgang, ein eminent lokaler sein. Man denkt sich die Sache so. Das Innere der Erde hat Höhlen, deren Wände und Deckengewölbe die Hand der Natur mit Kalk oder Gipsmassen umkleidet hat. Solche natürlichen Tunnel sind entweder völlig hohl und leer oder aber mehr oder weniger mit Wasser gefüllt. Über solchem gewölbten Riesentunnel liegt Erdreich, wieviel, ist gleichgültig, und auf dem Erdreich steht eine Stadt oder wächst ein Wald. So geht es durch ein Jahrtausend. Da plötzlich, sei es durch einen Ruck von unten oder durch sickernde Wasser von oben her, bricht das Tunnelgewölbe ein, und wie ein Haus, das seine Balkenlage verliert, in den Keller stürzt, so fährt nun das Erdreich mit allem, was darauf wuchs und stand, in die plötzlich geöffnete Tiefe herab. War der Tunnel leer, so zeigt sich nunmehr einfach eine Vertiefung, wo sonst eine Fläche war, war der Tunnel aber umgekehrt ein riesiges übermauertes Wasserreservoir, so schlagen nun die frei gewordenen Wasser über allem, was niedergefahren ist, zusammen, und – ein See steht ruhig über Stadt und Wald.
Eine geognostische Autorität hat die hübsche Wendung gebraucht: »daß die Natur bei der Bildung von Erdfällen nur erst selten auf frischer Tat ertappt worden sei«, ein Umstand, zu dem wir uns, so lehrreich das Gegenteil auch sein würde, im ganzen genommen zu gratulieren haben. Wär es anders, wären wir in der Lage, diese »Erdfälle«, wie Sternschnuppenfälle im August, regelmäßig beobachten zu können, so würde das mit Vulkanen übersäete Zentralamerika ein vergleichungsweise bequemer Aufenthalt sein. Denn was sind schließlich » Erdbeben« gegen solche » Erdfälle«, wo die Erde gleichsam sich selbst zu verschlingen beginnt. Sind übrigens die Annahmen über die Bildung mehrerer unsrer größten und schönsten Seen nur halbwegs richtig, so haben die Vorbewohner der Mark von diesen »interessanten Naturerscheinungen« mehr denn zur Genüge gehabt. Der Kressinsche See nicht weit von Saarmund, der Gohlitz-See im Amt Lehnin, der Gudelack-See bei Lindow und der große Paarsteiner See bei Kloster Chorin sollen durch solche Erdfälle entstanden sein, der zahlreichen, überall vorkommenden Teufelsseen ganz zu geschweigen. Wo zwischen zwei abschüssigen Hügelwänden sich plötzlich ein trichterförmiger See einklemmt, der weder Zu- noch Abfluß, wohl aber eine bedeutende Tiefe hat, da liegt immer Grund vor, einen früher oder später erfolgten »Erdfall« zu vermuten. Erzählt aber gar die Sage von untergegangenen Dörfern und Städten, so ist es gut, dem Volksmunde zu glauben und die Zweifel zu Haus zu lassen. Ob die Glocken dann abends in der Tiefe klingen oder nicht – der ist nicht beneidenswert, der sie schlechterdings nicht zu hören vermag.