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2. Falkenberg

Da liegt zu Füßen ein schimmernd Bild,
An die Berge geschmiegt das weite Gefild,
Falter fliegen im Sonnenstrahl.
Paul Heyse

Etwa wie sich Heringsdorf zu Swinemünde verhält, so verhält sich Falkenberg zu Freienwalde. Ein Dorf, das, durch seine schöne Lage, vielleicht auch durch den schlichten Zauber des Ländlichen bevorzugt, dem eigentlichen Badeorte gefährlich zu werden droht. So dort wie hier. Und wie sich zwischen Heringsdorf und Swinemünde ein tannenbekränzter Dünenrücken zieht, der von seinen höchsten Punkten einen prächtigen Blick in die grünliche See hinaus gestattet, so ziehen sich zwischen Freienwalde und Falkenberg die steilen, tannen- und laubholzbesetzten Abhänge des Barnim-Plateaus, dessen Kuppen meilenweit in das grüne Bruchland herniedersehen.

Der Weg von Freienwalde nach Falkenberg ist begreiflicherweise derselbe wie von Falkenberg nach Freienwalde; wir fahren also, am Fuße des Plateaus hin, denselben malerischen Weg zurück, auf dem wir im vorigen Kapitel Freienwalde entgegenfuhren. Die Pflaumenbäume sind noch dieselben wie am Tage vorher, aber nicht nur die Kinder fehlen, deren Übermut wir etwas zugute halten durften, auch der Baldachin fehlt, dessen ausgezackte Wachsleinwand gestern die Pflaumen von den Bäumen harkte. Ohne Erlebnis, ohne Lärm und Jubel, nur dem stillen Eindruck der Landschaft und der Herbstesfrische hingegeben, beenden wir unsern Weg und biegen jetzt, mit plötzlicher Schwenkung nach links, in die Falkenberger Dorfstraße ein. Bis dahin am Rande der Berge fahrend, sind wir mit Hülfe dieser Biegung nicht nur in das Dorf, sondern auch in die Berge selbst geraten. Die steile Wand, die eben noch frei ins Bruch blickte, blickt jetzt auf eine Hügelwand gegenüber; das Bild hat seinen Charakter geändert, und unser Weg ist ein Hohlweg, eine Schlucht geworden. In dieser Schlucht liegt Falkenberg. Die einschließenden Berge gewähren die schönste und wechselndste Aussicht; der Abhang rechts blickt in das Bruch, die Wände und Kuppen zur Linken aber blicken in die Verschlingungen und Kesseltiefen der eigentlichen Wald- und Berglandschaft hinein.

Ehe wir indessen diese Wände und Kuppen ersteigen, um von ihnen aus Umschau zu halten, steigen wir in die zuunterst gelegene Gasse des Dorfes nieder, wohin uns die weiße Wand und mehr noch der melodische Lärm einer Wassermühle lockt. Dort sind wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Tür, und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der Mühlbach schäumt, pickende Hühner um uns her und Sommerfäden in der Luft, so rasten wir und plaudern von Falkenberg und seinen Bewohnern.

Falkenberg ist doppellebig. Seine Natur bringt das so mit sich, und während es die Wiesen zu einem Bruchdorfe machen, machen es die Berge mit ihren Quellen und schattigen Plätzen zu einem Brunnen- und Badedorf. Im Einklang mit dieser Doppellebigkeit unterscheiden wir denn auch einen Sommer- und einen Winter-Falkenberger.

Der Winter-Falkenberger oder der Falkenberger außerhalb der Saison ist ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger oder der Falkenberger in der Saison. Der Winter-Falkenberger ist ganz Märker, das heißt ein Norddeutscher mit starkem Beisatz von wendischem Blut. Er ist fleißig, ordentlich, strebsam, aber mißtrauisch, eigensinnig und zu querulieren geneigt. Hört man ihn selbst darüber sprechen, so hat er freilich recht. Die Heuwirtschaft bleibt doch immer die Hauptsache für ihn, das Fundament seines Wohlstandes, und seine Wiese, dies Stück Bruchland, ist mit Abgaben überbürdet. »Die Verwallung«, so hebt der Winter-Falkenberger an, »hat uns Gutes gebracht, aber auch viel Böses. Sonst stand das Wasser auf unsern Wiesen, und wir hatten eine unsichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir die Eindeichung und bringen unser Heu trocken herein, aber wir müssen für den Deich, der uns schützt, eine so hohe Abgabe oder Beisteuer zahlen, daß mancher schon gedacht hat: ohne Deich wär es besser. Unser ganzes Unglück ist, daß sie ›da oben‹ die Abgaben und die Beisteuer ungerecht verteilen. Die Herren von der Regierung sagen: ›Wir haben den Damm gebaut und das Oderbruch trockengelegt. Wo wir das Bruch von vielem Wasser befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von wenig Wasser befreit haben, da wird auch nur wenig bezahlt.‹ Das klingt sehr schön und sehr gerecht, ist aber Ungerechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns stand das Wasser alle Frühjahr am höchsten, elf Fuß hoch und drüber, während es in andern Teilen des Bruches, und zwar in den besten und reichsten, nur einen Fuß hoch stand. Was geschieht nun? Wir müssen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elffachen Wassermasse befreit. Aber überschwemmtes Land ist überschwemmtes Land, und es ist ganz gleich, ob das Wasser einen Fuß oder elf Fuß hoch auf Wiese und Acker gestanden hat.«

So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes oder gar einer Regierungslaune angesehen, bis ich schließlich mich überzeugt habe, daß das »wendische Blut« ihn doch auf falsche Wege geführt und ihn bitterer und eigensinniger gemacht hat als nötig. Die Sache ist nämlich die: Bruchländereien, in denen das Wasser vordem elf Fuß hoch zu stehen pflegte, genossen das traurige Vorrecht, alle Jahre überschwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Wasser jahrelang von jeder Überschwemmung befreit blieben. Ein Fuß Wasser oder elf Fuß Wasser ist freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Wasser-Leute hatten eben das Wasser immer, während es die Ein-Fuß-Wasser-Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müssen aber doch alljährlich ihre Beisteuer zahlen.

Der Winter-Falkenberger ist märkisch, der Sommer-Falkenberger ist thüringisch, eine Art Ruhlenser: freundlich, gebildet, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, gibt Auskunft, zeigt den Weg. Überall gute Form und gute Sitte, eine »Manierlichkeit«, wie sie sonst in den Marken, zumal in den Odergegenden, nicht leicht betroffen wird. Diese Manierlichkeit ist freilich zum guten Teil etwas bloß Angenommenes, aber doch nicht allein. Der modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen auf den Menschen selber übt, zeigt sich auch hier. Die Falkenberger, solange sich ihr Auge nur auf Wasser und Wiese richtete, blieben wendisch-märkische Fischersleute von altem, etwas gröblichem Schrot und Korn; von dem Augenblick an aber, wo sie sich um die Sommerzeit ihren Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer so nah gelegenen und doch so spät erst entdeckten thüringischen Natur entstand etwas von thüringischer Sitte, von sächsischem Schliff. – Welch Unterschied jetzt zwischen einem märkischen Sanddorf und diesem gebirgsdorfartigen Falkenberg! In jenem findet sich nur, was nötig, im glücklichsten Falle, was nützlich ist, aber nichts von dem, was ziert und schmückt. Zieht sich nichtsdestoweniger eine Allee durch solch ein Sanddorf hin, so darf man sicher sein, daß sie ein Befehl ins Leben gerufen hat. Der freie Wille, der eigene Trieb der Dörfler hätte sie nie gepflanzt. Wie anders hier. Um die alten Obstbaumstämme rankt sich der sorglich gepflegte Efeu am Gitterdraht, Weingänge laufen an der Rückfront der Häuser hin, der Ebereschenbaum lehnt sich an den Vorbau der Häuser, und Bank und Laube haben ihren bestimmten Platz. Der Brunnen, das Bienenhaus, Kleines und Großes fügt sich malerisch in das Ganze ein, denn der Sinn für das, was gefällt, ist lebendig geworden und wirkt selbständig-tätig in jedem Moment.

Aber freilich Anleitung und Schulung ging dem »Selbständig-tätig-Sein« der Falkenberger voraus, und das Beste nach dieser Seite hin verdanken sie wohl dem Natur- und Schönheitssinn ihres nächsten Nachbars, des Besitzers von Cöthen, eines Dorfes, dessen Bergpartien und Hügelabhänge den malerischen Rahmen des mehr in der Tiefe gelegenen Falkenbergs bilden.

In dies Cöthener Bergterritorium hinein ermöglichen sich nun, als vorzüglichster Reiz eines Falkenberger Aufenthalts, allerhand Ausflüge und Partien. Wir treffen aber wohl das Richtige, wenn wir nur drei Punkte besonders namhaft machen und ihnen den Preis der Schönheit zuerkennen. Es sind dies die Karlsburg, die Idas-Eiche und der Cöthener Park. Einer kurzen Beschreibung derselben schick ich eine Beschreibung des ihnen gemeinschaftlichen Terrains voraus. Dieses Terrain ist ein nach vorn hin geöffnetes Kesseltal und hat die Form eines Hufeisens oder eines griechischen Omega. Auf der geschlungenen Berglinie, die das Kesseltal bildet, befinden sich Kuppen, unter denen die zumeist nach vorn hin gelegenen: die Karlsburg und die Idas-Eiche (a und b), mit Recht als die schönsten gelten. Am meisten zurück gelegen liegt das Dorf Cöthen (c). Von ihm aus zieht sich dann, an einem Bach oder Fließ entlang und von Bergwänden eingefaßt, der Cöthner Park bis an die Grenze des Falkenberger Gebiets.

Die Karlsburg, ein heiteres, villenartiges Gebäude, blickt von dem sogenannten Paschenberg aus in die Oderbruchlandschaft hinein. Was ihr als Aussichtspunkt einen besondern Reiz verleiht, ist die aparte Schönheit des Vordergrundes, des Dorfes Falkenberg selbst, über dessen Schluchten, Dächer und Türme hinweg der Blick zu der weiten, grünen Fläche des Bruches hinüberschweift. Leicht vom Dorf aus zu erreichen, ist, zumal um die Mittagsstunde, die Karlsburg der bevorzugte Platz der Falkenberger Sommergäste, und hier in Front des Hauses, unter dem säulengetragenen, geißblattumrankten Vorbau, klingen bei festlichen Gelegenheiten (die sich ja immer finden) die Gläser zusammen, und die bereitstehenden Böller donnern dazwischen und wecken das Echo in den Bergen.

Noch schöner ist die Idas-Eiche. Der Blick ins Bruch ist derselbe, der in die Berge aber umfaßt den ganzen Inhalt des zu Füßen liegenden Kesseltales: Berglehnen und geschlungene Wege, Laubholzgruppen, Häuser und Hütten. Man kann hier von einem Avers und Revers der Landschaft sprechen. Nach beiden Seiten hin ein gleich gewinnendes Bild. Was übrigens diesem Punkte seine begeistertsten Freunde wirbt, ist ein bloßes genrehaftes Beiwerk: eine breite Treppe, die sich spiralförmig um den alten Stamm der Eiche windet und oben in einen Rundtisch oder, poetischer, in eine »Tafelrunde« ausmündet. Die höchste Krone des Baumes spannt sich dann als Schirm über dieser gitterumfaßten Plattform, und wenn der Karlsburg, nach altem Herkommen, der helle Mittag gehört, so gehört der Idas-Eiche die Dämmerstunde, wenn »auf am Himmelsbogen die goldnen Sterne zogen«. Dann ist diese Plattform ein Balkon, wie ich hierlands auf keinem schöneren gesessen. Aus dem Dunkel des Waldes blinken einzelne Lichter herauf, am Horizonte, jenseits des Bruches, ziehen lichtweiße Streifen und verschwinden wieder – nichts ist wach als der Abendwind, der die Eiche, die uns trägt, in ein leises Schwanken bringt. Und das Geplauder wird stiller und stiller, bis es endlich schweigt. Immer heller funkeln die Sterne, immer weiter wird der Blick, bis endlich, wie aus Bann und Märchenschlummer, erst das Rasseln eines schweren Postwagens und dann das begleitende Posthorn uns weckt, das von der Falkenberger Berglehne her herüberklingt.

Der Cöthener Park. Von der Idas-Eiche bis Dorf Cöthen ist wenig weiter als 1000 Schritt, und die Cöthener Dorfstraße passierend, führt uns unser Weg unmittelbar an den Eingang des Parks. Er ist etwas altfränkisch und stammt noch aus einer Zeit, wo man gewissen perspektivischen Künsten den Vorrang einräumte vor der landschaftlichen Schönheitslinie. Marmorköpfe, über deren Bedeutung an der speziell von ihnen eingenommenen Stelle vielleicht immer ein Dunkel walten wird, blicken rätselhaft aus allerhand Felsgemäuer hervor, und Delphine und Löwen speien Wasser und lassen es sich nicht anfechten, daß ihre alabasterweißen Unterkiefer von Eisenocker längst braun geworden sind. Dazu Tempelchen und Muschelgrotten und all die Künste jener alten Parks, deren Musterstücken wir nach wie vor in Schwetzingen und Wörlitz begegnen. Dennoch hat dieser Cöthener Park seine Eigentümlichkeit, weil das Stück Natur eigentümlich war, das zu seiner Anlage genommen wurde. Es ist eine reich mit Laubholz, namentlich mit schönen Buchen, besetzte Schlucht, durch die sich ein Fließ, ein Bach, zieht. Dieser Bach, der in seiner künstlich vielfachen Verzweigung dem Parke hier und dort den Charakter eines Elsbruches gibt, ist in Wahrheit der Quell seiner Schönheit überhaupt. Er begleitet uns von Schritt zu Schritt und ist unser Führer durch die labyrinthischen Gänge. Und nicht genug damit, alle Minuten hält er an, um noch ein übriges für uns zu tun: hier stürzt er sich vom Wehr, aber nur, um an nächster Stelle schon als Springbrunnen wieder aufzusteigen; hier treibt er ein Wasserrad, dort speist er eine überlaufende Vase, und aus der langsam sich drehenden Scheibe daneben spritzen seine dünnen Strahlen zugleich als Schmuck und als treibende Kraft.

Am wenigsten glücklich ist der Park in Inschriften. Wir entschlagen uns ihrer aber und folgen lieber dem plätschernden Fließ, dessen Lauf uns nach einem kurzen Spaziergange durch die Mitte des umwaldeten Kesseltals in die malerisch verschlungenen Straßen von Dorf Falkenberg zurückführt.


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