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Kränzlin

                        Darum still
Füg ich mich, wie Gott es will.
Und soll ich den Tod erleiden,
Stirbt ein braver Reitersmann.

Altes, eine halbe Meile von Neuruppin gelegenes Rittergut, jetzt im Besitze der Familien Scherz und Zieten.

Wie beinah alle Güter im Ruppinschen, bestand auch Kränzlin aus einer ganzen Anzahl von Rittersitzen, und in den Jahrzehnten, die dem Dreißigjährigen Kriege vorausgingen, waren hier vier Familien ansässig: die von Leeste, von der Gröben, von Gühlen und von Fratz.

Die letzteren kann man als die recht eigentliche Kränzliner Familie bezeichnen. Schon 1327 werden die von Fratz genannt, und sie sind es, an die die alte Sage vom »Räuberberg bei Kränzlin« anknüpft, die zunächst Feldmann in seinen schriftlichen Aufzeichnungen und nach ihm W. Schwartz in seinen märkischen Sagen erzählt.

Danach lag eine kurze Strecke vor dem Dorfe, rechts vom Ruppiner Weg, eine Burg, von der übrigens noch zu Anfang dieses Jahrhunderts Wall und Graben erkennbar waren. Hier hausten in der Quitzow-Zeit, und auch vorher und nachher, die von Fratz. Von der Burg aus ging eine Leitung nach der Brücke des nahen Kränzliner Damms hinüber, und zwar ein Draht, der jedesmal, wenn ein Wagen über die Brücke fuhr, eine Alarmglocke innerhalb der Burg in Bewegung setzte. Sowie diese Glocke anschlug, warf sich alles zu Pferde und griff die Reisenden an. Auf die Klagen, die seitens der so Beraubten bei dem regierenden Grafen (der, wie wir wissen, in Alten-Ruppin residierte) anhängig gemacht wurden, drohte dieser dem Fratz, »er werd ihm die Burg anzünden, wenn er das Unwesen weiter treibe«. Der Kränzliner Burgherr schlug aber die Warnung in den Wind, mocht auch wohl glauben, ein »Steinchen im Brette« zu haben. Er irrte jedoch. Eines Tages, als der Fratz in Ruppin war, schickte der Graf seine Leute hinaus, die die Kränzliner Burg ersteigen und brechen mußten. Nach einer andern Lesart hätte der Graf, verräterischerweise, den Fratz zu Gaste geladen und ihm schließlich, vom Turme des Alt-Ruppiner Schlosses aus, seine derweilen in Brand gesteckte Burg gezeigt. Diese zweite Lesart ist aber neueren Datums und wahrscheinlich erst entstanden, nachdem an der alten Burgstelle Holzkohlen und abgebrannte Balken entdeckt worden waren.

Die Familie Fratz besaß Anteile von Kränzlin bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein. Um diese Zeit waren es fromme Leute, die zu ihrem Doktor Luther hielten und Patenen und Abendmahlskelche schenkten. Ein solcher ist der Kirche erhalten geblieben. Die Inschrift desselben lautet: »Diesen Kelch hat Wolf Fratz und seine Hausfrau Maria Riben zu Gottes Ehre geben.« Dazu ein aufgelötetes Kruzifix und die Jahreszahl 1600. Vier Wappenbilder sind eingegraben: ein Pfau, dazu W. F. (Wolf Fratz); ein Fisch oder eine Otter, dazu M. R. (Maria Riben). Von den zwei andern Wappen scheint eins das Zietensche zu sein. An einigen Stellen des Kelches ist das Gold abgekratzt. Ich hörte dabei, daß die Dorfbewohner, wenn einer der Ihren schwer krank ist sich gern an den Prediger wenden und etwas Gold vom Abendmahlskelch für ihren Kranken erbitten. Sie mischen es dann in die Medizin und glauben fest, wenn noch etwas helfen kann, so hilft das.

 

Das idyllisch gelegene, hinter Gartenbäumen anmutig versteckte Predigerhaus zu Kränzlin war, von Jugend an, ein Lieblingsaufenthalt Schinkels. Seine ältere Schwester Sophie war daselbst an den Prediger Wagner verheiratet. In seinen Knabenjahren hatte Schinkel ein Giebelzimmer des Hauses ganz mit Bildern ausgemalt. Aus dieser oder (nach Wolzogen) aus einer etwas späteren Zeit stammt auch ein Spiegelportrait, das S. damals von sich selbst anfertigte. Es ist in großen Umrissen, skizzenhaft, mit dem Bleistift entworfen; die schärferen Striche mit Tinte dazwischengezogen. Das Bildnis befindet sich jetzt im Besitz Fräulein Rosa Wagners in Ruppin, einer Nichte Schinkels. Es ist zugleich eine Erinnerung an die Kränzliner Pfarre.

Bis Anfang der zwanziger Jahre pflegte Schinkel das ihm teure Dorf alljährlich während der Sommermonate zu besuchen.

 

Die Kirche, ein alter gotischer Bau mit hoher Schindelspitze, hat in den letzten Jahren eine Renovation erfahren, die von den früheren Monumenten das meiste entfernte Von diesen alten Grabsteinen ist einer der Kirche erhalten geblieben. Er wurde seinerzeit dem »hochedlen und mannhaften Herrn Gottfried Lehnmann, kurfürstlich brandenburgischem Capitainlieutenant zu Roß und Erbherrn auf Kränzlin«, errichtet, der 1628 geboren war und 1689 starb. Dieser Stein bietet nichts Besonderes, außer daß er, wie so vieles andre, darauf hinweist daß unter dem Großen Kurfürsten viele Bürgerliche in die Rittergüter und in die Armee einrückten. Diese Tatsache ist längst bekannt, aber sie ist, soviel ich weiß, auf ihre Ursache hin noch nicht befragt worden. War es lediglich eine Folge des Dreißigjährigen Krieges, der die Rittergüter entvölkert hatte, oder lagen dem allem auch Anschauungen und Prinzipien zugrunde? Wir standen, wie später unter dem Einfluß des Französischen, so damals entschieden unter dem Einfluß des republikanisch Holländischen. Vielleicht liegt hierin eine teilweise Erklärung. , dagegen in die Lage kam, neue Gedenktafeln einfügen zu müssen.

Beide Tafeln befinden sich in der Mitte der Kirche. Die eine, bronzen und in gotischen Formen ausgeführt, trägt folgende Inschrift: »Mit Gott für König und Vaterland. Ernst Hermann Scherz, geboren den 8. September 1848 zu Kränzlin, Einjährig-Freiwilliger im brandenburgischen Husarenregiment Nr. 3 (Zieten-Husaren), fiel am 26. Dezember 1870 bei Olivet, südlich Orléans.«

Die Inschrift der schwarzen Marmortafel gegenüber lautet wie folgt: »Für König und Vaterland starb im Kriege gegen Frankreich am 26. August 1870 zu Vionville, infolge seiner in der Schlacht bei Mars-la-Tour erhaltenen Verwundung, Rudolph Hartmann. Einjährig-Freiwilliger im 4. brandenburgischen Infanterieregiment Nr. 24, im Alter von einundzwanzig Jahren.«

Die lapidare Kürze der Inschriften verrät nichts von dem Weh, das die Todesfälle dieser beiden Jünglinge schufen. Beide zu Kränzlin geboren, beide gleichen Alters, beide Einjährig-Freiwillige, standen sie im selben Armeecorps gegen denselben Feind. Mit ihnen waren dreiunddreißig andere Kränzliner in den Krieg gezogen, und alle kehrten zurück, wenn auch verwundet; die einzigen zwei, die die Heimat nicht wiedersahen, waren die Söhne der Gutsherrschaft und des Gutsadministrators. Die Zietensche Hälfte von Kränzlin wird administriert.

Von dem einen sei hier erzählt.

Ernst Hermann Scherz stand in den Weihnachtstagen 1870 mit den Zieten-Husaren in Olivet. Am 25. Dezember war seitens einer Franctireurabteilung, die sich in einem zwischen Olivet und Chaumont gelegenen Walde festgesetzt hatte, auf eine Patrouille geschossen worden. Daraufhin erfolgte der Befehl, den Maire von Chaumont zu verhaften. Ein Unteroffizier und vier Husaren, die sich sämtlich als Freiwillige gemeldet hatten, wurden mit Ausführung dieses Befehls beauftragt.

Am 26. um zwei Uhr morgens brach dies Kommando auf. Zu früher Stunde war man in Chaumont, verhaftete den Maire und trat den Rückweg mit ihm an. Der Gefangene hatte in einem requirierten Wagen Platz gefunden; links neben ihm (zu Pferde) der Unteroffizier, zwei Husaren vorauf, die beiden andern schlossen. Als der Zug das Wäldchen erreicht hatte, aus dem am Tage zuvor auf die Patrouille geschossen worden war, nahm Hermann Scherz, der die Tête hatte, eine an der Lisière hin aufgestellte, kaum noch nach Deckung suchende Franctireurabteilung wahr und rief dem Unteroffizier zu: »Wir werden gleich unter Feuer kommen!« Dies waren seine letzten Worte. Schüsse fielen, und H. Scherz stürzte leblos aus dem Sattel; ebenso wurde das Pferd seines Nebenmannes tödlich getroffen, der, rasch erkennend, daß in dieser Lage nichts mehr zu helfen sei, sich in den Sattel des stehengebliebenen Scherzschen Pferdes warf und in Gemeinschaft mit dem Rest des kleinen Kommandos auf Olivet zusprengte.

Hier wurde sofort Meldung gemacht. Der Rittmeister ließ 100 Husaren aufsitzen, requirierte 26 Jäger vom 3. Jägerbataillon, und fort ging es, wieder dem Wäldchen zu. Als man den Punkt erreichte, wo der Überfall stattgefunden hatte, lag die Leiche des Gefallenen, ausgeplündert und entkleidet, auf der Chaussee. Die wütenden Kameraden wandten sich von der Leiche fort, umstellten das Gehölz und gingen wie zu einem Kesseltreiben vor. Der ganze Franctireurhaufen steckte noch darin, einzelne fielen, bis man zuletzt ein Dutzend auf engstem Raume zusammengetrieben hatte. Widerstand wie Flucht waren gleich unmöglich, und so streckten sie die Waffen und ergaben sich unsern Jägern und Husaren. Unter den Gefangenen war auch der Anführer. Man fand H. Scherz' Wertsachen in seinem Besitze, riß ihn an die Stelle, wo die durch ihn geplünderte Leiche lag, und erschoß ihn neben derselben. Ob die andern Gefangenen diesen Tag überlebten, hab ich nicht in Erfahrung gebracht.

Der Heimtransport im Kampfe Gefallener war damals aufs äußerste erschwert, in diesem Falle jedoch ermöglichten es die Verhältnisse. In einen doppelten Sarg eingeschlossen, wie der Erlaß es heischte, traf am 13. Januar die Leiche auf dem Neustädter Bahnhof ein und wurde von Anverwandten in Empfang genommen. Aber die Teilnahme beschränkte sich nicht auf einen engsten Kreis, und man darf sagen, die halbe Grafschaft geleitete diesen Toten auf seinem letzten Gange. Der Weg war weit und noch viele Ortschaften zu passieren; von Turm zu Turm, bei Näherkommen des Zuges, gingen die Glocken, und Prediger und Schuljugend empfingen den Sarg und begleiteten ihn unter Gesang von Dorf zu Dorf. Er empfing die letzten Ehren für viele, die draußen in fremde Erde gebettet worden waren, und jeder beweinte seinen Toten in diesem Toten. Aber über alles bloß Selbstsüchtige hinaus, das unser Erbteil ist, rührte sein Geschick aufs herzlichste, denn auch von ihm hieß es: »Und viele waren, die seiner Sitten Freundlichkeit erfahren.«

Nun ruht er in der Familiengruft, nahe der Kirche.

Wie viele Tafeln in den Dorfkirchen unseres Landes, die dem, der sie zu lesen versteht, eine gleiche Geschichte erzählen!


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