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So war der allgemeine Verlauf, und die Frage entsteht: Wie stellte sich unser Andreas Fromm zu dieser veränderten Sachlage? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Fromm, der dem Zelotismus der Wittenberger jahrelang voll Unwillen und Unbehagen den Rücken gekehrt und den Duldungsprinzipien der Reformierten sich zugewandt hatte, mußte das leis geknüpfte Band auch wieder lösen, als er erkannte, daß die Reformierten ihren Sieg nur erfochten hätten, um schließlich eine noch härtere Unduldsamkeit zu üben, als die der wittenbergischen Eiferer gewesen war. Er war, wie wir gesehen haben, eine auf Freiheit, Maß und Schönheit gestellte Natur und jede Art der Bedrückung ihm gleich verhaßt. Mehr denn einmal wurd er Zeuge der Gewissensangst, die einzelne Geistliche bei Unterschrift des Reverses empfanden, und der Entschluß reifte in ihm heran, sich gegen diese Bedrückung aufzulehnen. Die Gelegenheit bot sich bald. Johann Müller, Prediger zu Ribbeck, der einer Streitsache wegen vor das Konsistorium geladen war, sollte bei dieser Gelegenheit unterschreiben und weigerte sich dessen mit der Versicherung, »daß die Unterschrift wider sein Gewissen sei«. Als man immer heftiger in den erschrockenen Mann eindrang, konnte sich Fromm nicht länger halten. Er erklärte es für Unrecht, einen Revers zu fordern, wenn jemand sein Gewissen dadurch beschwert fühle, und brach zuletzt in die Worte aus: »Vim patitur ecclesia Lutherana«, die lutherische Kirche leidet Zwang.

Dies Wort, von einem Mitgliede des Konsistoriums inmitten einer Sitzung derselben ausgesprochen, konnte nicht verfehlen, ein außerordentliches Aufsehen zu machen. Es wurde dem Kurfürsten hinterbracht. Dieser, der, wie es scheint, unserm Fromm wohlwollte, verlangte nur, »daß das Scandalum hinweggenommen und die Äußerung von seiten des Propstes als eine Übereilung anerkannt werde«. Aber hierzu konnte sich Fromm nicht verstehen. Er schrieb an den Kurfürsten, er habe anfangs, da er noch auf Toleranz zwischen den beiden Parteien gehofft, das Unheil, das nun herauskomme, nicht vor Augen gesehen und habe zugegeben, soviel das Gewissen nur zugeben könne. Nunmehr aber sei er, re diu et accurate pensitata, der Ansicht, daß die begehrten Reverse von den Lutherischen nicht mit gutem Gewissen ausgestellt werden könnten. »Ich bitte«, so schließt er, »um Gottes und so vieler geängstigten Gewissen Willen, Ew. Kurfürstliche Durchlaucht erbarme sich doch und überhebe sowohl die Prediger als die Ordinandos des Reverses und lasse uns doch in Gnaden widerfahren, was den Päpstlichen nicht versaget wird.«

Nach dieser Erklärung wurde Fromm aus dem Konsistorium entlassen. Die Beziehungen zwischen ihm und den Reformierten waren abgebrochen, und was das Schlimmste war, auch das Luthertum zeigte sich abgeneigt, demjenigen, der so lange sein wenigstens scheinbarer Gegner gewesen war, jetzt goldene Brücken zu bauen. Es gab nur ein Mittel, eine kirchliche Gemeinschaft wieder zu gewinnen, und dies Mittel hieß: Widerruf, Lossagung von aller Synkretisterei und Glaubensvermengung. Fromm, vergeblich nach einem andern Ausweg suchend, war endlich bereit, unter das Joch hinwegzugehen, aber er mochte das beschämende Wort des Widerrufs wenigstens nicht in Berlin, nicht innerhalb seiner alten Umgebung sprechen. Auch stand der reformierte Stosch mit den Frommschen Briefen im Hintergrund und wartete auf einen Éclat. Diesen »Éclat« wollte Fromm unter allen Umständen vermeiden. So verließ er denn heimlich die Stadt, am 20. Juli 1666, in der er jahrelang, wie selbst seine Gegner nicht zu bestreiten wagten, segensreich gewirkt hatte.

Er ging nach Wittenberg, wo er in die Hände des strengen Abraham Calov fiel. Dieser unterzog ihn einer Prüfung und nahm ihn endlich in die streng-lutherische Gemeinschaft wieder auf, nachdem der scheinbar Bekehrte den in Sachsen gebräuchlichen Religionseid geschworen und dieselbe »Formula Concordiae« unterschrieben hatte, gegen die er, während der Jahre seiner besten Kraft, als gegen einen Druck und Zwang der Gewissen (wie später gegen die Reverse) geeifert hatte.

Die Umkehr, hart wie sie war, hätte wenig zu bedeuten gehabt, wenn sie ehrlich gemeint gewesen wäre. Aber sie war nicht ehrlich gemeint und konnte es nicht sein. Alles, was unserm Fromm jemals als Bedrückung und Unfreiheit, gleichviel von welcher Seite her, erschienen war, erschien ihm jetzt nicht minder so, und wenn er nichtsdestoweniger dem Ansinnen Abraham Calovs nachgab, so folgte er mehr einer stumpfen Verzweiflung als einer neuen, freudigen Überzeugung.

Daß ihn Wittenberg wenig befriedigte, zeigte sich bald. Die Superintendentur in Eisenberg im Sächsischen war vakant geworden, und alles deutete darauf hin, daß ihm dieselbe zufallen werde; aber diese Aussicht, statt ihn zu erheben, drückte ihn vollends nieder. Abraham Calov und »Formula Concordiae«, Wittenberg und starres Luthertum, alles lag bergeschwer auf ihm, schwerer denn je zuvor, und seine Seele sehnte sich nach Freiheit oder wenigstens nach Ruhe. So beschloß er zu fliehen. Eine Reise vorschützend, machte er sich von Abraham Calov fort und ging mit seiner Frau und fünf Kindern heimlich und in aller Stille nach Prag. Zu Anfang des Jahres 1668 legte er daselbst in einer Kirche der Jesuiten das katholische Glaubensbekenntnis ab. Nicht lange darauf wurd er in den gewöhnlichen Abstufungen zum Priester geweiht. Sein Übertritt machte Aufsehen, sowohl innerhalb der protestantischen wie katholischen Welt, und ein Jesuit, namens Tanner, entwarf einen ausführlichen Bericht über die Feierlichkeiten, die bei der Konversion stattgefunden hatten. Die Protestanten ihrerseits begnügten sich, Spottverse auf ihn zu machen, und einer stellte aus seinem Namen Andreas Fromm das Anagramm zusammen: den fraß Roma. Fromm selbst lebte noch eine Reihe von Jahren und starb 1685 als Canonicus zu Leitmeritz in Böhmen. Während dieser seiner letzten Epoche, die, wenn nicht die glücklichste, so doch jedenfalls die friedlichste Zeit seines Lebens war, soll er, nach Ansicht Otto Schulz's (des bekannten Berliner Schulrats und Herausgebers der Paul Gerhardtschen Lieder), die »Lehninschen Weissagungen« geschrieben und die Muße, die ihm der Katholizismus gewährte, zu einem Verurteilungsgedicht der protestantischen Hohenzollern benutzt haben. Ich kann diese Ansicht nicht teilen. Ausführlicher über die »Lehninsche Weissagung« spreche ich bei Gelegenheit von » Kloster Lehnin«, in einem spätren Bande dieser »Wanderungen«. Hier nur so viel, daß bekanntlich der Streit noch immer schwankt, ob die »Lehninsche Weissagung. wirklich von einem Lehniner Mönche ums Jahr 1300 oder aber, als Falsifikat, in einer spätern Epoche geschrieben wurde. Die meisten Stimmen vereinigen sich dahin, daß die sogenannte Prophezeiung am Schluß des siebzehnten Jahrhunderts in den letzten Lebensjahren des Großen Kurfürsten oder doch nur wenig später entstanden ist, trennen sich aber in der Frage, wer der Verfasser gewesen sei. Jeder, der sich mit der »Weissagung« beschäftigt hat, hat auch seinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Der Kandidat unseres Otto Schulz heißt – Andreas Fromm. Drei Beweise bringt er für die Verfasserschaft des letzteren bei: 1. er hatte vor vielen andern die Fähigkeit und 2. vor vielen andern die Veranlassung (Groll, Bitterkeit) dazu; endlich 3. war er der spezielle Freund Martin Seidels, in dessen Bibliothek man (nach Seidels Tode) das Manuskript der »Weissagung« vorfand. Diese drei Punkte sind sehr geschickt zusammengestellt, aber sie genügen keineswegs. Nach der ganzen Charakteranlage Fromms liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß er seine Sicherheit und seine Muße zu einem Angriff auf die Hohenzollern (die dem Unfrieden und den Zänkereien gerad ebenso abhold waren wie er selbst) hätte benutzen sollen. Das lag nicht in ihm. Außerdem sprechen Einzelheiten, besonders in den acht Zeilen, die sich auf George Wilhelm und den Großen Kurfürsten beziehen, gegen diese Annahme, teils durch das, was sie sagen, noch mehr durch das, was sie nicht sagen.

Ebensowenig kann ich mich denen anschließen, die den ehemaligen Propst von Sankt Petri zu einem zweideutigen, mindestens zu einem schwachen Charakter haben stempeln wollen. Er war einfach ein Mann, der in einer kirchlichen Zeit, die durchaus ein »Entweder-Oder« verlangte, sich mit Wärme für ein »Weder-Noch« entschied. Er war ein feinfühliger Mann, dem alles Gröbliche und Rücksichtslose widerstrebte, er war ein freisinniger Mann, dem alles tyrannische Wesen, gleichviel ob es Hof oder Geistlichkeit, Volk oder Regierung übte, widerstand. Als der lutherische Zelotismus drückte und peinigte, neigte er sich dem glatteren und mehr weltmännischen Calvinismus zu, als umgekehrt die Reformierten Gewissenszwang zu üben begannen, stellte er sich wieder – nicht der Dogmen halber, sondern als freier Mann – auf die lutherische Seite. Es gebrach ihm an dogmatischer Strenge, das wird zuzugeben sein, aber er hatte die schönsten Seiten des Christentums: die Liebe und die Freiheit. Wäre er eine schwache oder gar eine zweideutige Natur gewesen, hätte er sein irdisches Wohl über sein ewiges gesetzt, so hätten wir die Wandlung, die ihn wieder zu den Lutherischen zurückführte, sich nie an ihm vollziehen sehen. Seine Briefe an Stosch hatten ihn bereits halb in das Lager der Calvinisten hinübergeführt, und er brauchte auf dem betretenen Wege nur einfach weiterzuschreiten, um einer glänzenden Laufbahn sicher zu sein. Die Reformierten hätten ihn freudig begrüßt und die Lutheraner ihn ohne Verwunderung scheiden sehen. Er tat es aber nicht und hatte den Mut, auf halbem Wege stillzustehen und sich zwischen die Parteien zu stellen. Er wußte, daß sein Schicksal in Stoschs Händen lag, aber er sprach dennoch in voller Sitzung des Konsistoriums sein »Vim patitur ecclesia Lutherana«, weil, über die Klugheit und alle Berechnung hinaus, sein Herz immer bei den Unterdrückten war. Daß er sich dem Abraham Calov auf kurze Zeit überantwortete, statt gleich den Schritt in den Ruhehafen des Katholizismus zu tun, mag man tadeln, aber die Mutter dieser ängstlich nach dem Ziele tappenden Verirrung war die – Verwirrung. Pastor Reinhart, einer von den hartköpfigsten Lutheranern jener Epoche, soll freilich, lange bevor die geschilderte Katastrophe kam, über unsern Fromm geäußert haben: » Der Kerl sieht aus wie ein Jesuit, und er wird auch noch einer werden«, aber aus diesem Kraftspruch, der ohne Not zu einer Art Prophezeiung gemacht worden ist, ist doch einfach nur der Schluß zu ziehen, daß unser Andreas Fromm von St. Petri ein Mann von glatteren Formen war als Elias Sigismund Reinhart von St. Nikolai. Übrigens existiert bekanntlich auch heute noch kein Geistlicher, und wenn er an der Grenze der Lichtfreundschaft stände, dem nicht irgendeinmal nachgesagt worden wäre: »er säh aus wie ein Jesuit und würd auch noch einer werden«.

Andreas Fromm flüchtete in den Katholizismus. Die aus Gewissenhaftigkeit und Eigensinn, aus Überzeugungstreue und engherziger Philisterei geborenen Zänkereien jener Epoche trieben ihn an ein Ziel, an das er, in den glücklichen Jahren seines Wirkens, nicht einmal gedacht haben mochte. Konsistorialrat Martin Friedrich Seidel, Fromms besonderer Freund, schrieb über ihn: »Wollte Gott, es wäre dieser Fromm mit Glimpf und gütlichen Mitteln bei unserer lutherischen Kirche behalten und von solchen extremen Schritten abgehalten worden. Ich muß ihm das Zeugnis geben, daß ihm Gott stattliche Gaben verliehen hatte.« Und selbst Otto Schulz, der sonst eher als Ankläger denn als Verteidiger unseres Fromm auftritt, schließt mit den Worten: »Seine innerste Gesinnung war christlich; nichts als das Gezänk im Innern der evangelischen Kirche und das Schwanken, sowohl in der Lehre als in der Verfassung, haben ihn aus der Kirche herausgetrieben.«


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