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Gottberg

                        Weiter rückt die Horde,
Und ausgestorben, wie ein Kirchhof, bleibt
Der Acker, das zerstampfte Saatfeld liegen,
Und um des Jahres Ernte ist's getan.
Schiller

Eine Meile östlich von Ganzer liegt Gottberg. Seit Beginn des vorigen Jahrhunderts wechselten die Besitzer mannigfach, bis dahin aber, namentlich während der Zeit der Reformation und des Dreißigjährigen Krieges, war es ein Quitzowsches Gut. Nur dieser Zeitabschnitt interessiert uns hier, denn ihm gehören die Gottberger Kirchenbücher an, die, durch die handschriftlichen Aufzeichnungen aus ebendieser Kriegsepoche, eine gewisse Zelebrität erlangt haben.

Eh ich jedoch zu diesen Aufzeichnungen übergehe, schick ich ein Gesamtbild der damaligen Lage, soweit unsre Grafschaft in Betracht kommt, voraus. Es handelt sich dabei lediglich um den Abschnitt von 1630 bis 1638. Bis zu diesem Zeitraume waren die Drangsale verhältnismäßig gering, nach diesem Zeitraum aber scheint der Krieg unsere Gegenden verschont zu haben, weil alles ausgezogen war. Die Hälfte der Dörfer existierte nur noch dem Namen nach. Ich gebe nun die Daten in chronologischer Reihenfolge.


Die Grafschaft Ruppin von 1630 bis 1638

Im August des Jahres 1630 trafen die Schweden mit 2000 Mann Kavallerie und einem ansehnlichen Corps Infanterie in der Grafschaft ein und besetzten Neuruppin. Im Dezember erschienen zwar die zum Kaiser haltenden Brandenburger vor der Stadt, waren aber viel zu ohnmächtig, um den Schweden den Besitz derselben streitig machen zu können. Endlich rückten die letzteren freiwillig ab.

Kaum hatten die Schweden sich entfernt, als Tilly im Februar 1631 mit einer Armee aus dem Magdeburgischen eintraf. In jeder Stadt unserer Grafschaft, wo Tilly lag, erhielt der Capitain monatlich 54 Taler, der Lieutenant 20, der Fahnenjunker 16 Taler, damals sehr große Summen. In demselben Jahre brach auch die Pest aus. In Neuruppin starben 1600, in Lindow 400 Menschen. Jeremias Ludwig, nachheriger Prediger zu Banzendorf, war damals auf der Ruppiner Schule und hat im genannten Jahre 800 an der Pest Gestorbene öffentlich zu Grabe gesungen. 1632 war das Land so unsicher, daß die Ruppiner, als sie ihren neuen Rektor von Pritzwalk abholen ließen, zuvor um eine Sauvegarde von kurfürstlichen Reutern baten.

1634 kam das kursächsische Kavallerieregiment des Obristlieutenants von Rochow, auf kurfürstlichen Befehl, nach Ruppin in Garnison; im Dezember 1635 aber rückte Feldmarschall Banér mit seinen Schweden in Stadt und Grafschaft ein, nachdem er die Sachsen und Kaiserlichen bei Dömitz geschlagen hatte. Zwei Generalstäbe, die hohen Offiziers der ganzen Armee, das Zabeltitzsche Infanterieregiment und vier Brigaden zu Fuß, jede Brigade zwei Compagnien stark, erhielten ihre Quartiere in Neuruppin. Die Not war bei dem zügellosen Verhalten der Soldaten so groß, daß es zuletzt an allem fehlte. Sogar Abendmahlswein war nicht mehr in Ruppin zu haben. Man mußte einen Boten deshalb nach Wittstock schicken; aber geplündert kam er zurück.

Im September folgenden Jahres (1636) erschien der kaiserliche Generalfeldzeugmeister Marazin im Ruppinschen und behandelte die Stadt ziemlich milde. Nach ihm kamen die Sachsen unter Generalmajor von Wolframsdorf und »raubten und plünderten wie gewöhnlich«. Den Sachsen folgte der kaiserliche General Graf Hans von Götz.

Dann kam wieder ein Pestjahr. Im Juli und August 1638 griff sie am weitesten um sich. Ganze Familien, ganze Straßen, ganze Dörfer starben weg. In dem bereits entvölkerten Ruppin, das vielleicht kein Drittel seiner Einwohner mehr hatte, wurden abermals 600 Menschen begraben. Sehr viele wanderten aus. Die Zurückgebliebenen rissen die ledig stehenden Häuser ein, um Holz zu erhalten. Alles verwilderte. In Gransee starben 551 Menschen, nach der Angabe des Totengräbers aber wenigstens 1000, da viele heimlich eingescharrt wurden. Die Adligen und die Prediger flüchteten nach den Städten und fanden auch dort ihren Tod.

So war die Lage des Landes beschaffen, als der kaiserliche General Graf Gallas mit seiner 60 000 Mann starken Armee von Malchin, aus dem Mecklenburgischen, heranrückte, um die Schweden von der Elbe und Havel zu vertreiben. Plünderung, Brand und Mord bezeichneten jeden seiner Schritte. Nun wetteiferten Pest und unmenschliche Barbarei, das Land Ruppin in eine der ödesten Wüsteneien umzuwandeln. Prediger Schinkel zu Barsikow, der den »Dreißigjährigen Krieg«, soweit er die Grafschaft berührte, zum Gegenstand eingehender Studien gemacht hat, schreibt über das Elend jener Tage sehr richtig: »Die Verwüstungen waren nicht so sehr eine Folge der blutigen Schlachten, die geschlagen wurden, als vielmehr das Resultat einerseits der Pest, andrerseits der Armeeverpflegungsweise, die Wallenstein eingeführt hatte. Von diesem rührte bekanntlich der Grundsatz her, daß der Krieg den Krieg ernähren müsse. Wallenstein selbst war klug genug, um in Anwendung dieses Satzes nicht weiter zu gehn als nötig; er trug vielmehr Sorge, daß der Baum nicht abgehauen würde, von dessen Früchten seine Heere leben sollten; nur das Notwendige wurde genommen. So wenigstens war sein Wille. War es aber schon ihm schwer, diesen Willen durchzusetzen, so scheiterten seine Nachfolger vollends damit, Personen, die zum Teil zuwenig einsichtig waren, um auch nur diesen Willen ernstlich hegen zu können. Wo ein Heer sich lagerte, fiel es nieder wie ein Heuschreckenschwarm, und ob Freund oder Feind, war gleichgültig.« Alles floh nach Ruppin und Wusterhausen, wohin sich Gallas wegen der noch nicht ganz gedämpften Pest nicht getraute, und haufenweise starben die unglücklichen Schlachtopfer vor den Städten an der Mauer. Am 5. Oktober rückte er endlich in die Stadt Ruppin ein und erpreßte von den armen Bewohnern, was die verödeten und rauchenden Hütten der Landleute nicht mehr leisten konnten. Arme Leute mußten Eichelbrot essen, und Kaspar von Zieten erzählt, daß man sich auf dem Markte in Neuruppin um eine tote Katze gezankt habe. Bei ihrem Abzuge setzten die Kaiserlichen unter Gallas ihren Schandtaten die Krone auf: sie verließen Ruppin und steckten an einem Tage das Städtchen Wildberg und achtundzwanzig Dörfer in Brand.


Die Gottberger Kirchenbücher

Diese »Gallassche Zeit« nun oder, mit andern Worten, diese durch vier Wochen hin systematisch betriebene Verwüstung des ruppinschen Landes ist es, die von zeitgenössischer Hand in den Gottberger Kirchenbüchern ihre Schilderung gefunden hat.

Der Aufzeichnende war Emanuel Collasius (Kohlhase), Prediger in dem benachbarten Dorfe Protzen, das er, infolge der totalen Verödung dieses Ortes, verließ, um sich nach Gottberg (wo er geboren war) zu begeben. Erst nach etwa Jahresfrist wurde er, da an Rückkehr nach Protzen nicht zu denken war, Prediger in seinem Geburtsdorfe Gottberg und schrieb in die dortigen Kirchenbücher seine und des Ruppiner Landes Leidensgeschichte ein.

Diese beiden Bücher sind:

  1. ein Kirchen- Rechnungsbuch und
  2. ein eigentliches Kirchenbuch.

Das Kirchen-Rechnungsbuch, ein Folioband, ist aus dem Jahre 1587 und enthält auf der vordersten Seite, die zu diesem Behuf in Gebrauch blieb, die Namen der gottbergschen Prediger von 1581 bis jetzt. Das Buch wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts neu gebunden. Sein Inhalt ist oft schwer zu entziffern.

Das eigentliche »alte Kirchenbuch« ist um ein Jahr jünger, beginnt mit 1588 und schließt mit 1766. Es ist ein Quartband in Pergament. Nur wenige Bogen sind lose; alles andere hat noch festen Zusammenhang und eignet sich, bei sorgsamer Behandlung, in seinem gegenwärtigen Zustande immer noch besser zur An- und Durchsicht, als wenn es einen neuen Einband erhielte. Leider ist die Schrift auch dieses Buches oft schwer zu lesen. Historische Notizen finden sich nur hier und dort eingestreut, unter denen die wichtigsten (wie auch im Kirchen-Rechnungsbuche) die aus der Gallasschen Zeit sind.

Zwischen den Aufzeichnungen in beiden Büchern ist nur der Unterschied, daß Prediger Collasius in dem Kirchenbuche mehr das Allgemeine, in dem Kirchen-Rechnungsbuche mehr das Persönliche gegeben hat. Wir beginnen mit dem letzteren.


Prediger Collasius' Aufzeichnungen im Gottberger Kirchen-Rechnungsbuche

Dies 1638ste Jahr ist wohl ein recht elend und trübselig Jahr gewesen, wie dergleichen wohl kein trübseligeres in unserem geliebten Vaterlande erlebt worden ist... Zumal auch wegen der Pest, darannen die Dörfer bald ausgestorben sind... So hat mein Antecessor zu Gottberg, Herr Joachimus Becker, in ebendiesem Jahr an der Pest erliegen müssen. Meine Pfarrkinder zu Protzen sind meist weggestorben und nur acht Personen übriggeblieben. Weil ich zu Protzen weder Pfarrhaus noch Zubehör behalten, habe ich notwendig in dem großen Elend dem lieben Brot nachziehen müssen und habe mich zu Gottberg bei meiner inzwischen selig verstorbenen Mutter ein halb Jahr aufgehalten, anfangs nicht der Meinung, als wollte ich zu Gottberg als Pfarrer verbleiben, sondern um wieder nach Protzen zu ziehen. Weil aber im letzteren Dorf sobald keine Besserung zu hoffen war und mir die Gemeinde zu Gottberg, auf Gutachten des Achatz Quitzowschen Verwalters allhier, das Schmiedehaus im Dorfe zur Wohnung einräumte, blieb ich zunächst noch ein Jahr, bis ich endlich durch Gottes Vorsehung zu einem Prediger der Gottberger Gemeinde, von den wohledlen Gebrüdern Dietrich und Achatz von Quitzow als Kirchenpatronen, legitime ernennet und von Kurfürstlicher Durchlaucht konfirmieret worden bin. Habe also in dem Schmiedehause gewohnet neun Jahr und darin viel Not und Ungemach leiden und ausstehen müssen, so daß ich auch willens gewesen bin, wo ich keine andere Wohnung hier würde haben können, wieder zu verlieren. Eben da aber ward mir von einem alten Wohnhaus gesaget, das mir sollte verkauft werden, ein Haus, das der von Zernikow zu Werder gebauet habe, aber darüber weggestorben sei. Dieses Haus haben wir abbrechen lassen, und ist auf die alte Pfarrstelle zu Gottberg wieder hingesetzet worden, welches Haus ich dann Anno 1647 auf Trinitatis bezogen habe und worinnen ich nach Gottes Willen noch jetzo wohne.


Prediger Collasius' Aufzeichnungen im Gottberger Kirchenbuche

... Kurz nach der Roggenernte in diesem Jahre 1638 ist die kaiserliche Armee unter Graf Gallas von Malchin in Mecklenburg aufgebrochen und hat allhier, in der Nähe von Fehrbellin, ihr Feldlager aufgeschlagen. Sie hat vier ganze Wochen an dieser Stelle stillgelegen. Bei ihrem Aufbruch sind folgende Pfarren und Rittersitze, soweit mir bewußt, abgebrannt gefunden worden.

Pfarren: 1. die Pfarre zu Bechlin, abgebrannt; 2. die Pfarre zu Gottberg, abgebrannt; 3. die Pfarre zu Wildberg, abgebrannt, wie auch der ganze Flecken; 4. das ganze Dorf Rohrlack abgebrannt, sowohl die Kirche als andere Gebäude; 5. die Pfarre zu Segeletz und das halbe Dorf; 6. die Pfarre zu Protzen und das halbe Dorf; 7. die Pfarre zu Langen und das ganze Dorf; 8. das ganze Dorf Malchow; 9. die Pfarre zu Metzelthin; 10. die Pfarre zu Sieversdorf; 11. die Pfarre zu Kantow.

Rittersitze: 1. das schöne Gebäude des von Klitzing zu Walsleben, wo doch der General Gallas selbst das Hauptquartier gehabt, abgebrannt; 2. der Rittersitz zu Dabergotz, des von der Gröben, abgebrannt; 3. der Rittersitz zu Kränzlin, des von Leesten, abgebrannt; 4. zu Werder, dessen von Fratz; 5. zu Buskow, dessen von Zieten; 6. zu Wustrau, dessen von Zieten; 7. zu Langen, dessen von Zieten; 8. zu Walchow, dessen von Wuthenow; 9. zu Manker, dessen von Schütten; 10. zu Viehel, dessen von Pfuel; 11. zu Nackel, dessen von Lüderitz; 12. zu Segeletz, dessen von Wuthenow; 13. zu Wildberg, dessen von Woldeck, und noch viele mehr in der Nachbarschaft; ja, man hat kein Dorf nennen können, da es nicht gebrannt, wo nicht ganz, so doch halb, und was noch nicht abgebrannt, das ist niedergerissen und doch verbrannt worden.

Der Vorrat an Gersten ist alle vom Felde von den Soldaten weggerafft und ausgedreschet worden, so daß der Landmann nichts davon gekriegt.

Der Roggen ist nicht wieder besäet worden, weshalb die Leute sich an das Kraut haben halten müssen, was Krankheit und Tod verursacht hat.

Die Obstbäume sind ganz abgehauen worden, welches die armen Leute sehr beklagt haben; ebenso auch die Weiden. Die Kirche ist sehr verwüstet worden. Da man fünf oder sechs Feuerstellen in ihr gehabt hat, ist kein Stuhl fest geblieben und kein Fenster. Der Kirchboden ist ganz herausgerissen worden, und der Seiger (die Uhr) ist auch ganz zunichte gemacht. Die Wellenwand um den Kirchhof ganz weggebrannt, die Scheune abgebrochen; Summa, es kann nicht beschrieben werden, wie kläglich es im Dorfe Gottberg ausgesehen hat in diesem 1638sten Jahr.

Es stand auch ein klein Eichhölzchen vor diesem Dorf, das auch ganz abgehauen. Die großen Eichenbäume teils abgehauen, teils ganz abgekröpfet, so daß kein Zweig daran geblieben.

In diesem Jahr ist das Volk armuthalber aus dem Lande gelaufen, nach Hamburg und Lübeck, allwo sie geblieben, sonderlich das junge Volk. Und weil die Pest in diesem Jahre sehr grassieret und die Leute wegen beständiger Kriegsgefahr in den Dörfern nicht haben bleiben können, so ist der eine hier- und der andre dorthin geflogen und ist der eine hier und der andre dort gestorben. Man kann ausrechnen, daß aus diesem Dorfe Gottberg, außer sechsundzwanzig Personen, die hier am Orte starben, fünf in Wusterhausen und einunddreißig in Ruppin verstorben sind.

So die Aufzeichnungen in den beiden Kirchenbüchern, die, in ihrer ungeschmückten Wiedergabe von Fakten und Zahlen, eines Eindrucks nicht verfehlen. Es ist danach glaubhaft, daß, wie Bratring erzählt, »das Land Ruppin während des Dreißigjährigen Krieges mehr gelitten habe als irgendein anderer Teil der Mark«.


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