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Das 24. Infanterieregiment
1815

Unser Regiment – damals noch unter seinem alten Namen: 12. Reserve-Infanterieregiment – war am 8. Juli 1814 in die ihm zugewiesene Garnison Luxemburg eingerückt. Major von Laurens, von seiner Verwundung hergestellt, übernahm wieder das Kommando. Nicht eben zum Vorteile des Regiments wurden viele Rheinländer eingestellt, was sich jetzt, nachdem sie aus »Muß-Preußen« längst zu loyalen Alt-Preußen geworden sind, ohne besonderen Anstoß sagen läßt. Sie wollten damals keine guten Preußen sein.

Die Reorganisation war nur erst oberflächlich beendet, als eine kurze Meldung das Friedenswerk unterbrach: »Napoleon zurück von Elba!« Also wieder Krieg. Am 27. Mai 1815 verließ unser Regiment – das seit dem 1. Mai letztgenannten Jahres den Namen 24. Infanterieregiment führte – Luxemburg und marschierte in die Niederlande hinein, um seine Stellung innerhalb der 1. Brigade des 1. Corps einzunehmen. Die Stärke des Regiments belief sich, alles in allem, auf etwa 2200 Mann, und zwar: 1. Bataillon 21 Offiziere und 717 Mann, 2. Bataillon 19 Offiziere und 727 Mann, Füsilierbataillon 20 Offiziere und 694 Mann, Summa 60 Offiziere und 2138 Mann.

Die 1. Brigade, General von Steinmetz, bestand aus dem brandenburgischen Infanterieregiment (Nr. 12) und dem 24. Regiment und dem 1. westfälischen Landwehrregiment. Dazu das 6. Ulanenregiment und eine Fußbatterie. Am 7. war Revue der Brigade, am 8. Vorlesung der Kriegsartikel, am 9. kündigte sich der Feind an, aber sein Erscheinen verzögerte sich. Am 14. Aufstellung auf der großen Straße nach Binche; am 15. fanden bereits einzelne Rencontres statt. So kam der Tag von Ligny, der auch unserm Regiment erhebliche Opfer auferlegte.


Ligny, 16. Juni

Napoleon stand bei Fleurus mit vier Corps: Grouchy, Gérard, Vandamme und den Garden, Blücher eine Meile weiter nördlich, hart links an der von Fleurus auf die Chaussee Brüssel-Namur führenden Straße. Er hatte nur drei Corps zur Hand; das vierte Corps (Bülow) war noch zurück. Im Vertrauen auf die Unterstützung Wellingtons – die später, nach Lage der Sache, ausbleiben mußte – nahm er die Schlacht an. Diese hat man sich einigermaßen ähnlich vorzustellen wie die Schlacht bei Vionville: drei an einer Chaussee liegende, stark besetzte Dörfer, gegen die sich von Süden her drei Angriffskolonnen richten. Was am 16. August 1870 die Dörfer Mars-la-Tour, Vionville und Rezonville waren, das waren am 16. Juni 1815 die Dörfer St-Amand, Ligny und Sombreffe. Gegen die rechten Hügeldörfer geschah an beiden Tagen nichts Erhebliches; wie sich der eine Tag bei Mars-la-Tour und Vionville entschied, so der andere bei St-Amand und Ligny.

St-Amand, Ligny, Sombreffe – so folgten die Dörfer einander von West nach Ost. Da wir mit Front gegen Süden standen, von wo Napoleon angriff, so war St-Amand unser rechter, Sombreffe unser linker Flügel; Ligny Zentrum.

St-Amand war durch das Zietensche, Ligny durch das 2., Sombreffe durch das Thielemannsche Corps besetzt.

Um zwei Uhr ging Napoleon vor. Vandamme, französischer linker Flügel, gegen St-Amand, Gérard, Zentrum, gegen Ligny, Grouchy, französischer rechter Flügel, gegen Sombreffe. Nach mehrstündigem Hin- und Herschwanken entschied sich der Kampf dadurch, daß Napoleon, die Garden zur Unterstützung Gérards vorziehend, mit diesen unser Zentrum bei Ligny durchbrach. Blücher, sich an die Spitze einiger Kavallerieregimenter setzend, suchte die Schlacht wieder herzustellen. Aber vergeblich. Geworfen, entging er nur wie durch ein Wunder der Gefangennahme.

Soviel über den Gang der Schlacht überhaupt.

Unser Regiment stand am diesseitigen rechten Hügel (Zietensches Corps) teils bei St-Amand, teils tausend Schritt weiter nördlich bei dem Dorfe St-Amand-la-Haye. Hier nahm es an den erbitterten Kämpfen dieses Nachmittags teil. Wir geben nun einige Details.

Um eineinhalb Uhr durchschritt der greise Feldmarschall das Bivouac der 1. Brigade: 12. und 24. Infanterieregiment, und ermunterte die Soldaten mit ein paar kräftigen Worten: »Seht, dort bei Fleurus, da zieht sich's zusammen. Nun gilt es, Kinder.«

Um dieselbe Stunde erhielt unser Füsilierbataillon, Major von Blücher, Ordre, in St-Amand einzurücken. Bis dahin hatte das Bataillon in einem Garten in Front des Dorfes gelegen. In Gemäßheit dieser Ordre war man eben damit beschäftigt, die südwestliche Lisière von St-Amand mit Tirailleurs zu besetzen, als der Gegenbefehl eintraf, statt in das Dorf, in die Reserve zu rücken. Das Bataillon verließ St-Amand und marschierte bis St-Amand-la-Haye, wo es östlich neben dem Dorfe Stellung nahm. Hier befand sich ein Backofen, von dessen Höhe aus, über St-Amand hinweg nach Fleurus zu, unsere Offiziere die Einleitungen zum Gefecht, wie sie auf französischer Seite stattfanden, deutlich verfolgen konnten.

Inzwischen sahen unsere auf einem Höhenzuge unmittelbar nördlich von St-Amand stehenden Musketierbataillone ebenfalls über dies Dorf hinweg und nahmen gleicherweise das Vorrücken der Vandammeschen Kolonnen wahr, die sich von Fleurus aus gegen St-Amand dirigierten. Dieses war nach Abzug unseres Füsilierbataillons durch das 29. Regiment besetzt worden. Vandamme griff mit Übermacht an, bemächtigte sich des Dorfes und warf die Neunundzwanziger hinaus. Als er indessen von der nordöstlichen Lisière her in Kolonnen debouchieren wollte, ging ihm unsere 1. Brigade, rechts das 12., links das 24. Regiment, entgegen und drang mit einer glücklichen Attacke in das Dorf ein. Kaum war dieser Erfolg errungen, als frische feindliche Streitkräfte St-Amand wieder zu nehmen trachteten. Dies versagte jedoch. Unsere Musketiere gewannen sogar Terrain, nachdem sie dem Feinde, der sich mit der größten Erbitterung schlug, Gehöft nach Gehöft und Hecke nach Hecke hatten abringen müssen.

Aber der Feind führte jetzt abermals neue Bataillone gegen St-Amand vor. Unser Regiment mußte die südwestliche Lisière wieder aufgeben, da es an Patronen zu mangeln begann, und das Gefecht im Dorfe selbst erneuerte sich nunmehr. Endlich traf unsererseits die 2. Brigade Pirch zur Ablösung ein. Schwierig war es, die in lauter Trupps zerstreuten Mannschaften aus dem wütenden Kampfe herauszuziehen. Endlich gelang es. Laurens bestimmte als Sammelplatz einen tief gelegenen Punkt zwischen Ligny und St-Amand-la-Haye. Leider sicherte diese Vertiefung nicht ausreichend gegen das Einschlagen von Geschossen, und beide Musketierbataillone erlitten hier noch erhebliche Verluste. Dem Lieutenant von Wulffen riß eine Granate den Kopf weg, eine andere rasierte fünf Mann vom rechten Flügel der 5. Compagnie, eine dritte traf Laurens' Pferd und schleuderte diesen aus dem Sattel.

Was nun noch folgte, war, soweit unser Regiment in Betracht kommt, ein Hin- und Hermarschieren. Es ging nach Sombreffe und wieder zurück.

Auf diesem Rückmarsch indes war es unsern Vierundzwanzigern noch beschieden, an dem in gewissem Sinne wichtigsten Moment des Tages teilzunehmen. Blücher selbst, um Ligny wiederzugewinnen, führte zum Schluß des Tages, wie schon erwähnt, ein paar Kavallerieattacken aus. Aber sie mißglückten, Blücher stürzte und lag unterm Pferde. Die französischen Reiterungewitter donnerten über das Feld hin. In diesem Augenblicke trafen wie durch glücklichen Zufall unsere Musketierbataillone an dem Wasserlauf ein, der hart an Mont Potriaux vorüberfließt. Laurens ließ Carré schließen und kommandierte: »Zweites Glied, Feuer!« Dies wechselte darauf mit dem dritten Glied die Gewehre, und eine zweite Salve folgte. Beide hatten ihre Wirkung, die Reitermasse stob seitwärts und wurde von dem Punkt abgedrängt, wo Blücher unterm Pferde lag. Vielleicht wandten diese Salven eine Gefangennahme ab, die, nach allgemeiner Annahme, verhängnisvoll gewesen wäre.

Der Rückzug – Gneisenaus unsterbliches Verdienst – ging auf Wavre, das heißt den Engländern entgegen. Der Gesamtverlust, den unser Regiment an diesem Tage erlitt, belief sich auf 14 Offiziere und 340 Mann, die zur Hälfte auf das 2. Bataillon entfielen.


Belle-Alliance, 18. Juni

Wie bei Ligny an tapferer Verteidigung, so nahm unser Regiment bei Belle-Alliance an der siegreichen Offensive teil, die die letzten Stunden dieses Tages brachten. Es gehörte zu den Truppen, die recht eigentlich die Schlacht entschieden. Ihr bloßes Erscheinen bedeutete den Sieg.

Es war etwa sechs Uhr. als die 1. Brigade von Steinmetz auf dem Schlachtfelde eintraf. In diesem Moment waren die Engländer im Zurückweichen und getrennt vom Bülowschen Corps.

Die 1. Brigade (und in ihr unser 24. Regiment) stellte dadurch, daß sie zum Angriff vorging, den Feind warf und die Engländer zu neuem Vorrücken veranlaßte, die Verbindung wieder her und entschied auf diese Weise die Niederlage des französischen rechten Flügels. Auf einer von einem französischen Generalstabsoffizier herrührenden Zeichenskizze finden wir an einer Stelle, wo zwei Bataillone an der Spitze des heranziehenden Zietenschen Corps in den Plan eingezeichnet sind, zugleich die Worte: »Arrivée du corps du général Zieten, qui decida la défaite de l'aile droite.« Diese »zwei Bataillone« sind die Musketiere unseres 24. Regiments.

Der Feind wich, setzte sich aber noch einmal auf den dominierenden Höhen südwestlich von Smohain. Unsere Musketierbataillone, unter Laurens' persönlicher Führung, folgten. Sie hatten die französische Garde gegenüber, die jetzt mit höchster Anstrengung unsere so gut wie vollzogne Vereinigung mit den Engländern wieder zu lösen trachtete. Die diesseitige Tirailleurkette wurde verstärkt und wieder verstärkt, bis zuletzt die halben Bataillone aufgelöst kämpften. Alles umsonst. Der heftige Widerstand der alten Garde brachte den Angriff ins Stocken; ein Wanken begann, das ein Weichen zu werden drohte. In diesem Augenblick trat Laurens, wie es in den Berichten heißt, »mit seiner kräftigen Gegenwart« ein, schob das Füsilierbataillon nach links, um dadurch Verbindung mit dem rechten Flügel des 4. Corps zu gewinnen, nahm gleichzeitig die Soutiens der Musketierbataillone zusammen und führte sie, durch die Tirailleurschwärme hindurch, zu neuem Angriff vor. Im Vorgehen wurde nach rechts hin Verbindung mit den Bergschotten gewonnen, die an dieser Stelle standen und kämpften. Vorwärts! Wohl erkannte man die Gefahr, als es so gerad im Sturmschritt auf die alte Garde losging (die noch dazu durch eine vorteilhafte Stellung begünstigt war), aber siehe da, es gelang. Der Feind wurde geworfen. Seit Beginn dieses Angriffs war kaum eine halbe Stunde vergangen. Von Position zu Position in den Kessel zurückgedrängt, zog sich die Garde von Frichermont auf la Belle-Alliance zu.

Der Nebel hatte sich inzwischen gänzlich geteilt. Noch einmal sah man die feindliche Kavallerie anrücken, jedoch bald halt- und kehrtmachen. Endlich verschwanden die französischen Kolonnen hinter Planchenoit.

Die prächtigste Sommernacht zog herauf, und ein glänzender Vollmond beleuchtete das Schlachtfeld, auf welchem die Engländer und Preußen nunmehr als Sieger vereint ruhen durften.

Unser Regiment vereinigte sich bei La Haye-Sainte und bezog daselbst ein Bivouac, dicht neben ihm einige Bataillone Hochländer. Als man sich einigermaßen eingerichtet hatte, ließ Laurens die Hautboisten und Sänger vor die Mitte des Lagers treten und zuerst »Nun danket alle Gott«, dann »Heil dir im Siegerkranz« anstimmen. Als die Hochländer diese Melodie hörten, die, wie bekannt, zugleich die der englischen Nationalhymne ist, fühlten sie sich freudig überrascht, fielen ein und sangen ihr »God save the King« mit, indem sie mit tränenvollen Augen ihren preußischen Waffengefährten in die Arme stürzten. Dann wurde noch lang in die Nacht hinein gejubelt und getanzt, obgleich der Boden von dem furchtbaren Regen der vorigen Nacht sehr aufgeweicht und durch die Kavallerieattacken gräßlich durchknetet war. Vierundzwanziger und Bergschotten im frohsten Durcheinander.

Die Verluste des Regiments waren mit Rücksicht auf das große Resultat gering zu nennen So verhältnismäßig gering die Verluste des Regiments an diesem Entscheidungstage waren, so groß waren sie in den kleineren, jetzt halb vergessenen Kämpfen, die noch folgten. Am 29. Juni traf man in der Nähe von Paris ein; am 2. Juli hatten unsere Musketierbataillone die Gefechte bei Sèvres und Issy. Dieselben kosteten uns 9 Offiziere und 322 Mann, jedes dieser Gefechte mehr, als Waterloo gefordert hatte. : 137 Mann an Toten und Verwundeten, die, wie bei Ligny, so auch hier, größerenteils auf die beiden Musketierbataillone entfielen.


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