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Das Regiment Prinz Ferdinand während der Friedensjahre von 1795 bis 1806

1795 kehrte das Regiment vom Rhein in seine alte Garnison zurück. Oberstlieutenant von Tschammer, der es nach dem Rücktritte Koschitzkys während des größeren Teils der Campagne geführt hatte, avancierte zum Obersten, und von Gloeden, du Rosey, von Seydlitz und von Byern waren um diese Zeit die vier Majore des Regiments. Von Tschammer blieb Kommandeur bis 1800 oder 1801. In diesem Jahre ging das Kommando an Major von Böhmken oder Bömcken (beide Schreibweisen kommen vor) über, der auch, inzwischen zum Obersten avanciert, 1806 das Regiment bei Auerstedt führte.

Die Friedensjahre, die zwischen 1795 und 1806 lagen, scheinen glückliche Jahre gewesen zu sein. Die Stadt wuchs nach dem Brande von 1787 schöner wieder auf, und die lichtvollen Straßen und Plätze, die damals im frischen Anstrich ihrer Häuser noch mehr heiter als monoton wirkten, gaben dem ganzen Leben ein freundliches Gepräge. Die glückliche Eigenart der Personen, die an der Spitze der Bürgerschaft wie der Garnison standen, wirkte zu diesem günstigen Resultate mit. Oberst von Tschammer Im Feldzuge von 1806, über den wir weiterhin ausführlicher sprechen, wird sein Name oft erwähnt. Er kommandierte eine Brigade im Rüchelschen Corps, nahm aber, laut Ordre in Weimar zurückbleibend, an der Schlacht bei Jena nicht teil. Am 21. Oktober, als unsre geschlagene Armee sich in und um Magdeburg gesammelt hatte, wurde General von Tschammer mit Führung einer Division betraut. Diese Division marschierte in der Hohenloheschen Hauptkolonne und bestand aus: Brigade Böhmken: Grenadierbataillone Borcke, Dohna, Losthin, Gaudi, Osten, und aus Brigade Elsner: Grenadierbataillon Hahn, 1. Bataillon Arnim, Regiment Hohenlohe, Regiment Braunschweig und Reste des Regiments Winning. Alle diese Truppen, neben andren (vergleiche weiterhin), kapitulierten eine Woche später bei Prenzlau. General von Tschammer hatte bis zuletzt sich Umsicht und Entschlossenheit gewahrt. 1800 oder 1801, bei seiner Ernennung zum General, wurde er Chef des altmärkischen Regiments Nr. 27, Garnison Stendal und Gardelegen, das nun Regiment von Tschammer hieß. Von Tschammer selbst starb 1809 als Kommandant des Berliner Invalidenbataillons. gehörte in die Reihe jener Offiziere der alten Armee, die Pflege des Schönen, Sinn für die Wissenschaften und Eifer für das allgemeine Wohl mit straffer Haltung im Dienst zu verbinden wußten. Er rief eine Garnisonschule ins Leben, gewährte der Stadt bei ihren Anlagen und Verschönerungen mannigfache Hilfe und war der erste, der in dem damals Tschammerschen, jetzt Gentzschen Garten die friderizianischen Erinnerungen zu pflegen begann.

Ein neuer Geist fing an sich unter dem Einflusse französischer Ideen und Siege zu regen, aber freilich ragte das Alte vielgestaltig in das Neue hinein, und während die Stichworte der »Freiheitsära« von Mund zu Mund gingen und Humanität und Toleranz den Inhalt jeder Ressourcenrede bildeten, regierte draußen der Zopf und der Stock unverändert weiter, und an nicht wenig Tagen im Jahre tat sich die bekannte Gasse auf, und der Delinquent mußte sie durchlaufen. Uns überkommt ein Schauder, wenn wir jetzt die Einzelheiten dieser Vorgänge beschrieben lesen, aber wie Pastor Heydemann in seiner »Geschichte Ruppins« sehr richtig bemerkt: »Die Rücken waren damals härter.« Die Prügelstrafe war allgemein, die Eltern schlugen ihre Kinder, die Lehrer ihre Schüler, und wie es beim Nähr- und Lehrstande war, so durft es ohne viel Aufhebens auch beim Wehrstande sein. Man war an solche Prozeduren gewöhnt und hielt die rauhe Behandlung der Soldaten für ganz in der Ordnung. Ja, die davon Betroffenen sahen es selbst derartig an und versagten ihren Vorgesetzten keineswegs ein gewisses Maß von Zuneigung, wenn sich nur Gerechtigkeit mit der Strenge paarte.

In der Tat, unsre nachträgliche Verurteilung all dieser Dinge trifft nicht voll das Richtige, und um so weniger, wenn wir im Auge behalten, aus welchen Elementen sich die damalige Armee zwar nicht ausschließlich, aber doch zu sehr erheblichem Teile zusammensetzte: rohe Gesellen, die nicht eins der Zehn Gebote hielten, verlorene Söhne, deren Moral so weit reichte wie ihre Furcht, und Ausländer, die zu allem andern auch noch das Gefühl gesellten: was uns umgibt, sind Fremde oder Feinde.

Ein Vorkommnis, das Heydemann erzählt, ist höchst charakteristisch für die Naturwüchsigkeit damaliger Zustände. Man führte Schäferspiele auf und schrieb Idyllen Aller Wahrscheinlichkeit nach gehörte das Regiment Prinz Ferdinand um diese Zeit zu den Regimentern von »feinerem Ton und literarischen Allüren«. Dazu wirkte mit, daß ein königlicher Prinz der Chef und ein anderer der Nachbar des Regiments war. Prinz Ferdinand, wie schon an anderer Stelle hervorgehoben, bewohnte wenigstens zeitweilig sein Ruppiner Palais, und Prinz Heinrich zog die Offiziere des Regiments mannigfach in seinen Rheinsberger Kreis. Namentlich das letztere hatte großen Einfluß, denn Prinz Heinrich, wenn's ihm paßte, liberalisierte auch. , aber man war weder nervös noch sentimental. Die Geschichte selbst aber ist die folgende.

Ein Soldat, ein heftiger, leicht aufbrausender Mensch, bewarb sich um die Gunst eines Mädchens, das in der Offizierküche diente. Sie lehnte seine Anträge, die ehrlich gemeint waren, ab. Eines Tages, als sie vom Bäcker gegenüber den für den Offiziertisch bestimmten Braten holte, trat der Soldat mitten auf dem Damm an sie heran und fragte: ob sie noch nicht entschlossen sei, ihn zu heiraten. »Nein.« Im selben Augenblick empfing sie einen Messerstich in den Hals. Sie ließ (auch charakteristisch) den Braten nicht fallen, schritt vielmehr weiter, setzte die Schüssel auf den Tisch und sank dann ohnmächtig zu Boden. Die Wunde war nicht tödlich, aber der Soldat, der sich inzwischen auf der Wache selbst gemeldet hatte, mußte auf Tod und Leben laufen. Er überwand die furchtbare Strafe und diente weiter, während das Mädchen nach Potsdam hin übersiedelte. Ebendahin kam auch der Soldat; ein Zufall fügte es so. Hier nun erneuerten beide ihre Bekanntschaft, Mordversuch und Gassenlaufen waren vergessen, und vor dem Altar der Garnisonkirche besiegelten sie den Bund ihrer Herzen.

Die Hauptvorkommnisse des Ruppiner wie jedes damaligen Garnisonlebens waren die Desertionen. Die ganze Bevölkerung, auch die der Nachbardörfer, wurde dabei in Mitleidenschaft gezogen. Ruppin erwies sich für etwaige Fluchtversuche sehr günstig, da mehrere mecklenburgische Gebietsteile derartig eingesprenkelt im Preußischen lagen und noch liegen, daß der Weg bis beispielsweise zur Enklave Netzeband hin kaum zwei Meilen betrug. Netzeband war gleichbedeutend mit Freiheit. In vielen hundert, um nicht zu sagen tausend Herzen hat sich damals alles Denken und Wünschen um die Frage gedreht: Werd ich Netzeband erreichen oder nicht? Und alles, was sich nur ersinnen ließ, um das Desertieren unmöglich zu machen, ward infolge davon angewandt. Das Hauptmittel hieß Verheiratung. Der Arm der Frau hielt fester als der Arm des Gesetzes. Aber nicht jeder wollte heiraten. Da galt es denn andere Sicherheitsmaßregeln ausfindig zu machen. Nicht nur durchstreiften Patrouillen die Stadt während der Nacht, sondern auch Unteroffiziere gingen von Haus zu Haus und riefen die in Bürgerquartier liegenden Soldaten an, um sich zu überzeugen, daß sie noch da seien. Wurd aus diesem oder jenem Grunde dem Anruf nicht geantwortet, so blieb nichts anderes übrig, als den Wirt zu wecken und an die einzelnen Schlafstellen heranzutreten. Erwiesen sich aber all diese Mittel umsonst und war es dem einen oder andern nichtsdestoweniger gelungen zu entkommen, so ward eine Kanone, die draußen am Wall stand, mehrere Male abgefeuert. Man konnte die Schüsse in Katerbow, einem dicht vor Netzeband gelegenen preußischen Dorfe, hören. Was Friedrich der Große von ganz Preußen gesagt hat, »es müsse immer en vedette sein«, das galt doppelt und dreifach von Katerbow. An Katerbow hing viel. Es war für den Flüchtling die »letzte Gefahr«, und erst wenn er diese glücklich hinter sich hatte, war er frei. In Ruppin selbst aber ließ man es nicht bei den Alarmschüssen bewenden, die Deserteurglocke auf der Klosterkirche wurde geläutet, und entdeckte man die Stelle, wo der Entronnene über die Mauer gestiegen war, so verfielen die beiden zunächst stehenden Schildwachen ebenfalls der Strafe des Gassenlaufens.

Ums Gassenlaufen – fast noch über das Desertieren hinaus – drehte sich ein gut Teil des allgemeinen Interesses. Es gehörte, wie die Hinrichtungen, zu den derberen Volkslustbarkeiten. Das Bedürfnis nach Sensation, das jetzt in »Armadale« oder in dem »Vermischten« unserer Zeitungen seine Nahrung findet, fand damals in den Hergängen des Lebens selbst seine Befriedigung. Es liegen uns ganz minutiöse Schilderungen vor, wie nun die Prozedur eingeleitet und seitens des Profoses die von ihm geschnittenen Ruten – um derentwillen er der »Regiments-Federschneider« hieß – an die in der Gasse stehenden Soldaten verteilt wurden. Aber wir leisten auf Wiedergabe dieser häßlichen Dinge Verzicht und erfreuen uns lieber an humoristischen Zügen, die nicht minder aus den Zeiten jenes militärischen Terrorismus berichtet werden. Aus allen geht hervor, daß man nicht sonderlich eingeschüchtert war und immer noch Muße fand zu Übermut und guter Laune. Selbst zu Wortspielen.

Einer der Soldaten hieß Winter. Es war um die Zeit, wo das Tauwetter begann, und die Eiszapfen schmolzen bereits an den Dächern. Winter, der sich schlüssig gemacht hatte, die nächste Nacht zu entspringen, sah seinen Hauptmann im Fenster liegen, der sich, rauchend, der Märzensonne freute. Winter grüßte hinauf und rief: »Herr Hauptmann, ich glaube, der Winter geht ab.« – »Das glaub ich auch.« Und am andern Morgen war Winter fort. Er war über den gefrorenen See nach Wuthenow hin entkommen.

Ein anderer verkleidete sich als Schornsteinfeger. In rußiger Kleidung, eine schwarze Leiter auf der Schulter, den Besen in der Hand, war er glücklich zum Tor hinausgekommen und schritt gradeswegs auf das Mecklenburgische zu. Da kam ihm, zu weiterem Glück, ein Netzebander Bauer nachgefahren und fragte: »Schornsteinfeger, wohin?« – »Nach Netzeband, da brennt ein Schornstein, den ich löschen soll.« – »Das ist am Ende bei mir.« – »Kann wohl sein.« Und der Bauer ließ nun den vermeintlichen Schornsteinfeger aufsteigen und jagte auf Netzeband zu, wo sich der Gerettete für gute Fahrt freundlich bedankte.

Sehr ansprechend ist die folgende kleine Geschichte, mit der wir diesen Teil des Kapitels schließen wollen. Ein Mann, der später als Lehrer und Oberküster eine bekannte Persönlichkeit in Neuruppin war, gehörte in seiner Jugend ebenfalls dem Regiment Prinz Ferdinand an. Er war verlobt und wünschte sich zu verheiraten, da man aber (weil er zu den Bevorzugten zählte) seines Bleibens im Regiment ohnehin sicher zu sein glaubte, wurd ihm seitens des Obersten der unerläßliche Konsens verweigert. Die Folge davon war: Desertion. Und so schritt denn unser Freund auf Netzeband zu und hatte den halben Weg bereits glücklich zurückgelegt, als er das Prusten von Pferden hinter sich hörte und gleich darauf einen Wagen neben sich sah, in dem, in höchsteigener Person, der gestrenge Herr Oberst saß. »Wohin?« fragte dieser. »Nach Netzeband; ich will mir Tuch kaufen.« – »Da will ich auch hin; setz dich nur auf den Bock.« Und so fuhr denn der Oberst den Deserteur nach Netzeband hinein. Als sie vor dem Kruge hielten, sprang der Soldat vom Wagen, trat an den Kutschenschlag und sagte: »Herr Oberst, ich melde mich als Deserteur.« Der Oberst wetterte nun durch alle Register durch, legte sich aber endlich aufs Kapitulieren. »Was hilft's! stell deine Bedingungen.« – »Generalpardon, Herr Oberst, und den Konsens, zu heiraten.« – »Beides sollst du haben; steig nur wieder auf.« Und so geschah es. Er kam mit seinem Obersten, als ob nichts vorgefallen wäre, nach Ruppin zurück und empfing, ohne vorgängige Strafe, die gewünschte Heiratserlaubnis.


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