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Urania von Poincy

Die Tage von Nogent-sur-Seine lagen über ein Menschenalter zurück. Da (dasselbe Jahr noch, in dem unser Otto von Rohr, inzwischen zum General und Präsidenten hoher Kommissionen emporgestiegen, aus dieser Zeitlichkeit schied) knüpften sich neue Beziehungen zwischen Frankreich und – Trieplatz. Noch einmal gewann ein Rohr ein französisches Frauenherz. Und diesmal keine Trennung, oder doch keine andere als durch den Tod!

Moritz von Rohr, ein Neffe Ottos, stand 1838 bei einem rheinischen Regiment in Saarlouis. Er war zweiundzwanzig Jahr alt groß und schlank. Der Winter brachte Maskenbälle wie gewöhnlich, und auf einem dieser Bälle war es, daß Moritz von Rohr die Bekanntschaft Urania de Poincys machte, der schönen Tochter des Herrn und der Frau von Poincy, die sich damals, sei es erziehungs- oder zerstreuungs- oder gesundheitshalber, in Saarlouis aufhielten. Dieser Ball entschied über das Leben des jungen Paares; die leidenschaftliche Liebe, die beide füreinander hegten, überwand jedes Hindernis, Moritz von Rohr erbat und erhielt seinen Abschied, und in demselben Winter noch erfolgte die Trauung zu Notre-Dame in Paris.

Der Hindernisse, deren ich eben erwähnte, waren nicht wenige: Die Familie de Poincy war nicht mehr jenseits des Rheines, sie war jenseits des Ozeans zu Hause, seitdem der Großvater der jungen Dame das vom Schrecken regierte Frankreich Anno 93 gemieden und, nach Amerika flüchtend, erst in Kuba, dann in Neuorleans sich niedergelassen hatte. Dort lebten sie jetzt in hohem Ansehen: der Name de Poincy war der Name einer Handelsfirma geworden. Selbstverständlich lag nicht hierin die Schwierigkeit; die Rohrs dachten niemals gering von bürgerlicher Hantierung, am wenigsten vom Großhandel, der mit eigenen Schiffen die Meere befährt, aber der Weg von der Dosse bis an den Mississippi war doch weit, und ein Rohrsches Herz hält fest an Wusterhausen und Trieplatz.

Dies waren die Schwierigkeiten. Die Liebe des jungen Paares indes, wie schon angedeutet, überwand sie. Moritz von Rohr trat in das Handelshaus seines Schwiegervaters ein, und nie wurde brieflich oder mündlich ein Wort laut, das darauf hingedeutet hätte, er habe die Trennung von Vaterland und Familie bereut. Kein Klagewort, aber auch kein rechtes Wort des Glücks! Die nationalen und konfessionellen Unterschiede ziehen eben eine tiefe Kluft, und der Beispiele sind wenige, wo die bloße Sympathie der Herzen stark genug gewesen wäre, diese Kluft zu überbrücken. Je feiner und durchgeistigter die Naturen sind, desto mehr tritt dieses Trennungselement hervor. Man liebt sich, aber man ist nicht eins, und jede Freude halbiert sich oder schwächt sich ab, weil sie nur einmal unter hundert Fällen auf neutralem Gebiet erblüht. Die Herzen stimmen, aber der Gegensatz der Geister klingt disharmonisch hinein. Auch das Glück Moritz von Rohrs und Urania von Poincys wurde getrübt oder trug wenigstens einen Schleier.

Zehn Jahre nach der Vermählung war dieser Schleier für die junge Frau zum Witwenschleier geworden. Moritz von Rohr glaubte sich akklimatisiert und unterließ es, im Sommer 1848 die Fieberluft Neuorleans' mit der gesunden Küstenluft am Mexikanischen Golf zu vertauschen. Er wurde vom gelben Fieber befallen und erlag ihm.

Zwei Jahre später (das kaufmännische Geschäft war inzwischen an den Sohn des Herrn von Poincy übergegangen) kehrte der ältere de Poincy mit seiner Familie: Frau, Tochter und Enkelin, nach Europa zurück. Die Enkelin war das einzige Kind Moritz von Rohrs. Man kaufte sich in Frankreich an, und 1854 waren Frau von Poincy, die Schwiegermutter, und Urania von Rohr, geborne von Poincy, in Trieplatz auf Besuch; sie mochten Parallelen ziehen zwischen ihrer Hazienda daheim und dem alten Hofe des »Hauptmanns von Kapernaum«. Vieles fehlte; aber allerdings auch die Sumpfluft, die so frühe schon die schöne Frau zur Witwe gemacht hatte. Denn die Dosse ist gesund.

Die Tochter Moritz von Rohrs war nicht mit bei diesem Besuche, war vielmehr in einer französischen Klosterschule zurückgeblieben. Erst sechzehn Jahre später lernte sie die Kompatrioten ihres Vaters kennen, als diese, während des siebziger Krieges, vor dem Kloster Abbaye-aux-Bois ihr Lager aufschlugen. In diesem Kloster stand das junge Fräulein von Rohr damals als Novize. Längst seitdem hat sie den Schleier genommen, die Großeltern sind tot, und nur die Mutter lebt noch in Paris.

Ein Portrait, das inmitten der Familienbilder in Trieplatz hängt, mahnt an die nahen Beziehungen des Hauses Rohr zum Hause de Poincy. Der weiße Teint, das schwarze Haar, die leuchtenden Augen – sie geben das typische Bild der schönen Kreolin.

An Sommertagen, wenn der Akazienbaum seine Zweige bis dicht vor das Fenster streckt, ist es, als spielten seine Blätterschatten mit Vorliebe um dieses Bild.

Und es ist dann wie ein Nicken und Grüßen Jacquelinens an Urania von Poincy.


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