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3. Die Zeit unter den Grafen bis zum Dreißigjährigen Krieg

Nun fahre wohl, Landfriede! nun, Lehndienst, gute Nacht!
Es herrscht der freie Ritter, der alle Welt verlacht.

All die Zeit über, namentlich während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts, hatte Ruppin, wie die Mehrzahl der märkischen Städte, seine Fehden mit dem umwohnenden Adel, Fehden, zu denen sich von Zeit zu Zeit auch innere städtische Streitigkeiten und sogar Volksausbrüche gegen das Gebaren der niederen Geistlichkeit gesellten.

In den Kämpfen zwischen der Stadt und dem Landadel spielte die sogenannte »Kuhburg« Diese »Kuhburg« existierte noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts; später wurde sie abgetragen und ihr Mauerwerk bei Aufführung des Ruppiner Rathauses mit verwandt. Solcher »Kuhburgen« (das heißt Burgen oder Türme zum Schutz der Viehherden, besonders der Kühe) gab es damals viele in der Mark, und noch heute lassen sich einzelne derselben nachweisen. Sie sollten vor Gefahr schützen, aber vor allem sie rechtzeitig erkennen lassen. Deshalb lagen diese Warten in der Regel so hoch wie möglich; am vorteilhaftesten war der »Luginsland« bei Gransee gelegen. (Die zwei oder drei einzeln stehenden Türme, denen man noch jetzt auf dem Wege nach Rheinsberg begegnet und die gelegentlich auch wohl als solche »Warten« angesehen worden sind, sind aus verhältnismäßig neuer Zeit und dienten als Fanaltürme, als nächtliche Wegweiser, wenn Kronprinz Friedrich in raschem Ritt von Ruppin nach Rheinsberg zurückkehrte.) eine Rolle. Sie stand auf den Kahlenbergen, eine Meile nördlich von der Stadt, auf dem Wege nach Rheinsberg, und diente zunächst als »Luginsland«. Rückten die Feinde an, so gab der Wächter sein Zeichen, und die Bürger, die gemeinhin als Besatzung in diesem Turme lagen, brachen nun mit ihren Knechten und Reisigen hervor, teils um das Vieh zu retten, teils um dem Angriff zu begegnen. Zu nachhaltigen Unternehmungen kam es selten, besonders nachdem beide Parteien die Nutzlosigkeit einer ernsteren Kriegführung erprobt hatten. Die Adligen, nach vielfach gescheiterten Versuchen, waren ebenso abgeneigt, die wohlverwahrte Stadt Alle Städte der Grafschaft: Ruppin, Gransee, Wusterhausen, Rheinsberg, waren außerordentlich fest. Was Ruppin angeht, so zogen sich dreifache Wälle – die an der Nordwestseite bis diese Stunde wohlerhalten sind und eine besondere Zierde der Stadt bilden – um die hohe Mauer herum, die von fünfundzwanzig Wachthäusern besetzt war. An Gewappneten war kein Mangel. Die Stadt hatte acht Hauptleute und neben einer Art Miliz auch noch eine Anzahl berittener Knechte, die mit Handbüchsen, Panzern, Kasketts und Seitengewehren bewaffnet waren. Die Bürger waren durchgängig zum Kriegsdienst verpflichtet und mit Armbrüsten, Spießen und Lanzen bewaffnet. Eigentliche Söldner oder Lanzknechte kommen vor 1520 in den Kämmereiregistern nicht vor. Die Kriegsgerätschaften wurden ohne Ausnahme in Ruppin verfertigt. Die Stadt hatte ihren Schwertfeger oder » Armbostyrer« (auch Harnswischer oder Harnsputzer genannt), ihren » Pulvermeker«, der das Büssen-Krut und Büssen-Lodt (Pulver und Blei) herzustellen hatte, endlich ihren Büchsenmeister, der die »groten und kleinen Büssen« (Kanonen und Gewehre) gießen und instand halten mußte. Zu jedem der fünfundzwanzig Wachthäuser gehörte eine »Büsse« oder auch zwei. Die Stadt konnte, nach einer mäßigen Berechnung, 500 Gewappnete ins Feld stellen. Aber dennoch hören wir, historisch verbürgt, von keiner einzigen eingenommenen Burg. Nur die Tradition erzählt von einigen wenigen Fällen der Art (zum Beispiel Kränzlin). anzugreifen, als die Bürger eine Scheu hatten, sich an der Einnahme unzugänglicher »Sumpfburgen« zu versuchen. Die immer bedrohte Sicherheit hatte auf beiden Seiten zu einem ausgebildeten Defensivsystem geführt, und während jetzt der Grundsatz gilt: »daß der Angriff stärker sei als die Verteidigung«, galt damals das Umgekehrte. So begnügte man sich mit Überfällen, bei denen die Bürger insoweit den kürzeren zogen, als ihr Handel und Wandel ein größeres und bequemeres Angriffsobjekt bot. 1365 und 1386 werden in einem Ruppiner Schloßregister die gefürchtetsten Feinde aus der Umgegend genannt. Es sind: Tacke de Wontz, Reinecke von Garz, Wedego von Walsleben, Lüdecke von Winterfeldt, Claus von Winterfeldt und Hans von Lüderitz. Die drei erstgenannten Familien sind ausgestorben.

Es kamen selbstverständlich auch »stillere Zeiten«. Aber wenn in diesen die Fehde ruhte, so ruhte doch selten der Groll im Herzen, und allerorten, wo Adel und Bürger bei Wein und Bier, bei Spiel und Festlichkeit zusammenkamen, war immer Gefahr vorhanden, die alte Fehde neu ausbrechen zu sehen. Die bitterste der Art, die lange nachwirkte, fiel in die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Es verhielt sich damit wie folgt.

In einem Wirtshause Ruppins saßen Adlige und Bürger beieinander; man trank, man schwatzte, aus dem Schwatzen wurde Streit, ein Adliger zog seine Waffe und stach einen der Bürger nieder. Die Tat wurde ruchbar auf der Stelle, und die Stadt, die damals noch ihre eigene Gerichtsbarkeit hatte, ließ den Übeltäter greifen, gefangensetzen und verurteilte ihn zum Tode durch das Schwert. Als das Urteil und die zur Vollziehung festgesetzte Zeit unter dem Adel der Umgegend bekannt wurde, versammelten sich die Edelleute dicht vor dem Tore in der Nähe der Richtstätte, um ihren Standesgenossen zu befreien. Der Rat jedoch, der davon Kunde erhielt, traf seine Maßregeln. Er hielt das Außentor verschlossen und ließ dem Verurteilten zwischen dem Außen- und Innentore (»nahe bei dem ersteren, damit die Ritter es hören könnten«) den Kopf abschlagen. Dann wurde das Außentor geöffnet, und die Edelleute durften den Leichnam ihres gerichteten Standesgenossen zur Bestattung mit sich nehmen. Der Adel klagte bei dem Markgrafen, wahrscheinlich bei Albrecht Achill, und der Stadt, der in diesem Falle trotz ihrer eigenen Gerichtsbarkeit die Pflicht obgelegen hätte, eine höhere Instanz anzurufen – wurde als Strafe auferlegt: hinfort keinen freien Adler mehr im Wappen zu führen, sondern einen verkappten. Noch bis zu Anfang des vorigen Jahrhunderts deutete ein eisernes Kreuz zwischen Außen- und Innentor die Stelle an, wo die Stadt, über ihr Recht hinaus, einen ihrem Gericht nicht unterstellten Adligen vom Leben zum Tode gebracht hatte.

Ob der »verkappte Adler« den Ruppinern ein besonderes Herzeleid angetan, stehe dahin, jedenfalls aber sahen sie sich von härteren und fühlbareren Folgen betroffen, als sie, bei anderer Gelegenheit, ebenfalls ihren Rechtseifer nicht gezügelt und an einem Geistlichen, an dem Diakonus Jakob Schildicke, eine »rasche Justiz« geübt hatten. Die Sache war die:

In der Stadt Ruppin, wie in der Umgegend, waren seit einiger Zeit Diebstähle aller Art verübt worden; Geld, Tuch, goldene und silberne Geräte wurden sowohl aus Privathäusern wie aus Kirchen entwendet. Verdacht entstand gegen diesen und jenen, verschiedene wurden eingezogen; alle jedoch mußten wieder entlassen werden, weil die Untersuchung nichts gegen sie ergab. Endlich setzte der Magistrat eine Haussuchung fest, von der auch die Geistlichen, deren Ruppin damals gegen fünfzig zählte, nicht ausgeschlossen blieben. Und wirklich, in der Wohnung des Jakob Schildicke fand man das gestohlene Gut. In seinem geistlichen Ornate ward er ins Gefängnis geführt, und sein eigenes Geständnis, das am andern Tage erfolgte, überzeugte die Richter von seiner Schuld. Aber dies eigene Geständnis genügte nicht, und durch Glockenläuten wurde das Volk zusammengerufen, um unter Gottes freiem Himmel ein ordentlich Gericht zu halten und die Strafe für diesen seltenen Verbrecher festzusetzen. So wollten es Richter und Magistrat. Das Volk indes war gegen jeden Aufschub und verlangte stürmisch und ohne gesetzliche Prozedur die augenblickliche Hinrichtung. Zwei Bürger, Koppe Königsberg und Heinrich Keller, wurden durchs Los zu Vollstreckern gewählt (man hatte damals, wenigstens in den kleineren Städten, noch keinen Nachrichter), und Jakob Schildicke hing am Galgen, ehe noch eine Stunde vergangen war. Dies Stück Volksjustiz – dem entgegenzutreten Richter und Magistrat nicht die Macht hatten – rief innerhalb der gesamten Geistlichkeit einen Sturm des Unwillens hervor, die Bischöfe von Havelberg und Brandenburg brachten es vor den Papst, und Ruppin ward in den Bann getan. Handel und Verkehr stockten, die Tore waren wie gesperrt, und jeder Ruppiner, der sich außerhalb der Stadt betreffen ließ, war vogelfrei. Es kostete viel demütiges Bitten, eh endlich, nach sechs Jahren, die Absolution erwirkt werden konnte, der umwohnende Adel aber fand es bequem, keine Notiz von der Freisprechungsbulle zu nehmen und seine Angriffe, unter dem Titel: »Im Dienst der Kirche«, fortzusetzen.

Die Frage entsteht: Wie stellten sich die Grafen, die doch die nächstoberste Macht im Lande waren, zu all diesen Übergriffen? Waren sie nie zur Hand, um die Städte gegen den Adel, und nie zur Hand, um den Adel gegen die Städte zu schützen? Es scheint, daß ihnen früh der Zügel der Herrschaft entfiel; mühsam sich selber bei Ansehen haltend, waren sie viel zu schwach, um in jedem gegebenen Falle, gleichviel nun, wie sich die Rollen tauschten, das Recht des Schwächeren gegen den Stärkeren wahrzunehmen.

Schutz und Ordnung kamen erst in diesen Landesteil, als ein neues, lebendiges Regiment an die Stelle des alten, hinfälligen trat, mit andern Worten, als die Hohenzollern – nach dem Tode des letzten Grafen, Wichmann – das Ruppiner Land als Lehn einzogen und sich selber als die Herren desselben etablierten. Dies war 1524, wie wir gesehen.

Es kam nun ein Jahrhundert rasch wachsender Prosperität. Die Stadt wußte sich den Hohenzollern zu verpflichten und empfing dafür, neben der Bestätigung alter Privilegien, neue Freiheiten und Vorrechte. Die Zünfte und Innungen waren stark besetzt, und Handel und Verkehr blühten unter den Joachims, wie es die Stadt nie vordem gekannt hatte. Der Dreißigjährige Krieg, der wenige Jahrzehnte später dem allem ein Ende machte, warf keine voraufziehenden Schatten in die Ruppiner Gemüter, ahnungslos lebte jeder dem Augenblick, und an die Stelle der kriegerischen Erregtheit, in die einst die nachbarlichen Fehden die guten Bürger von Ruppin versetzt hatten, traten jetzt die friedlicheren Aufregungen, zu denen abwechselnd eine Predigt gegen die Pluderhosen oder eine dem Kurfürsten zu leistende »Huldigung« einen immer erwünschten Anlaß gaben.

Die erste Huldigung, die Stadt und Grafschaft nach dem Tode des letzten Grafen (1524) dem damaligen Kurprinzen Joachim darbrachten, war entweder von besonderer Nüchternheit, oder die Aufzeichnung faßte sich allzu kurz. Desto mehr erfahren wir über die Huldigung, die, gegen Ausgang desselben Jahrhunderts, die Ruppiner dem Kurfürsten Joachim Friedrich leisteten. Kaspar Witte, einer der beiden Bürgermeister, hat den Hergang selbst beschrieben. Es heißt darin:

Am 23. Juni 1598 kamen der Kurfürst samt Gemahlin zur Huldigung nach Neuruppin; mit ihnen waren die Kanzlei und der Hofstaat. Der ganze alte und neue Rat, dazu die Deputierten von Wusterhausen und Gransee, von Lindow, Zehdenick und Alten-Ruppin, als sie hörten, daß der kurfürstliche Zug die Grenze überschritten habe, fuhren auf dreien Wagen bis an den Egelpfuhl, um daselbst Seine Durchlaucht zu begrüßen. Nachdem sie zwei Stunden gewartet hatten, kam der Kurfürst. Der Rat und die Deputierten gingen ihm vierzehn bis sechzehn Schritte entgegen. Er gab jedem die Hand. Der Kanzler Johann von Löben (der Schwiegervater des später so berühmt gewordenen Konrad von Burgsdorf) stellte sich darauf neben den Wagen, und der regierende Bürgermeister, Andreas Berlin, hielt eine lange Rede und überreichte die Schlüssel der Stadt. Der Kanzler antwortete in einer kurzen Rede. Nun bewegte sich der Zug langsam in die Stadt. Der Magistrat und die Deputierten begleiteten den kurfürstlichen Wagen auf beiden Seiten zu Fuß, ungeachtet es stark regnete, wofür sie aber durch die Unterhaltung mit Seiner Durchlaucht schadlos gehalten wurden. Vom Rosengarten bis zum Rathause stand die Bürgerschaft in zwei Reihen, unter ihnen 150 »Buntröcke« oder Soldaten, welche Ehrenschüsse taten. Darauf speiste der Kurfürst samt seiner Gemahlin auf dem Rathause; ihnen zunächst saßen die beiden durchnäßten Bürgermeister, Andreas Berlin und Kaspar Witte. Es herrschte ein heiterer, ungezwungener Ton, und Graf Hunert von Zerbst, der dazumalen kurfürstlicher Hauptmann auf dem Seeschloß von Alt Ruppin war, »brachte viel Scherz und launige Rede an, von Jungfern und Frauen, von Ehebrecherei und anderer Löffelei«. (Unser Gewährsmann Bratring, dem wir diese Stelle entnehmen, bemerkt dazu vorwurfsvoll, daß angenehme Zweideutigkeiten also auch damals schon in gebildeter Gesellschaft betroffen worden seien.)

Die Anwesenheit des kurfürstlichen Paares dauerte zwei Tage. »Der Magistrat hatte die sämtliche Dienerschaft beschenkt, zugleich aber mit allen Köchen und Kammerknechten sich gezankt«, und war deshalb froh, als am dritten Tage die Huldigungsfeierlichkeiten vorüber waren.

Wenn Bürgermeister und Deputierte, wie wir aus dieser Kaspar Witteschen Relation ersehen, sich mit »Köchen und Kammerknechten zankten«, so stiegen sie, in besonderer Erwägung dessen, was es damals mit dem Ruppiner Magistrat auf sich hatte, eigentlich tief unter sich selbst herab, denn nach andern Berichten, die uns vorliegen, hatte Ruppin, etwa um dieselbe Zeit, wo Joachim Friedrich zur Huldigung erschien, nicht mehr und nicht weniger als sein augusteisches Zeitalter. Die Stadt, so bemerkt der Chronist, trat eben damals in eine Periode ein, die wir mit Recht die gelehrte nennen dürfen. Der Adel, in dessen Händen bis dahin sich die vorzüglichsten Magistratsstellen befunden hatten, ging auf seine nachbarlichen Güter zurück, und statt seiner nahmen »gelehrte und berühmte Männer« die erledigten Sitze ein. Ruppin entfaltete sich zu einem Beschützer der Musen und freien Künste, und die Kämmereiregister aus dem Schluß des sechzehnten Jahrhunderts geben uns Auskunft darüber, in welcher Weise das Mäzenatentum der Stadt damals nachgesucht und betätigt wurde. Im Jahre 1573 überschickte Nikolaus Rensperger, Künstler und Mathematiker zu Halle, einen geschickt gearbeiteten Quadranten und empfing »dreiunddreißig Groschen« nebst einem Dankesschreiben – die meisten Arbeiten aber, die eingingen, waren literarisch-theologischer Natur und wurden in artigster Form entgegengenommen. Petrus Sinapius aus Garz schickte sein gelehrtes Carmen »de Sanctis Angelis« (1580), Balthasar Leutinger überreichte 1585 sein Werk »de principio theologico«. Die Honorare, die zur »Ermunterung ferneren Fleißes« bewilligt wurden, waren nicht bedeutend, Petrus Sinapius erhielt zwei Gulden sieben Groschen, Balthasar Leutinger einen Golden und elf Groschen; wie bescheiden aber auch diese Ehrensolde sein mochten, sie hatten ihren Wert und ihre Bedeutung in der Vergleichung untereinander. Die eigentlichen belles lettres, so scheint es, kamen schon damals zu kurz, und George Pondo, der, unter dem Titel »Der Knabenspiegel«, eine Komödie zu überreichen wagte, erhielt seine Arbeit zurückgesandt unter einfacher Beifügung von sechs Groschen.

Wie seltsam diese Dinge, besonders auch diese Summen, uns heutigen Tages erscheinen mögen, sie waren weder kleinlich noch komisch zu ihrer Zeit, und das gelehrte Ruppin von 1570, indem es auf ein halbes Jahrhundert in den Rang und Reigen deutscher Universitätsstädte eintrat, genoß vorübergehend die Ehren eines literarischen Tribunals. Erst der Dreißigjährige Krieg machte dem allem ein Ende. Einzelnes aus jener Unglücksepoche geh ich später, namentlich in dem Kapitel »Gottberg«.


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