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III
ErsterAufenthalt in Paris. Reise nach Spanien und Marokko(1847).
Reise nach Ägypten und Nubien (1850). Etablierung in Paris
(Von 1845 bis 1857)
Der Aufenthalt W. Gentz' in Antwerpen hatte neun Monate gewährt; von Antwerpen ging er nach Paris, wo er im Herbst 1845 eintraf, um daselbst, wenn auch mit manchen Unterbrechungen von nicht unbeträchtlicher Dauer, bis 1857 zu verbleiben.
Ich gebe, bevor ich ihn selbst wieder redend einführe, zuvor eine diese Gesamtzeit von zwölf Jahren umfassende Skizze.
W. Gentz trat, als er nach Paris kam, zunächst als Schüler in ein Meisteratelier ein, in dem er von 1845 bis zum Frühjahr 1847 verblieb. Zugleich war er im Louvre viel mit dem Kopieren alter Bilder, besonders aus der spanischen Schule, beschäftigt, was schließlich Veranlassung für ihn wurde, nach Spanien, und zwar über Bordeaux nach Madrid, zu gehen, um hier die Velázquez und Ribera an der Quelle zu studieren. Einmal in Madrid, mußten Sevilla, Cádiz, Gibraltar folgen, woran sich dann – die Sehnsucht, Afrika zu sehen, war groß – Tanger und Marokko wie selbstverständlich anreihten. Ein an Abenteuern reicher Ausflug, über den er selbst (siehe den Verfolg dieses Kapitels) in höchst anziehender Weise berichtet hat; aber auch über die achtzehn Monate in Paris, die voraufgingen. Und so geben wir ihm über ebendiesen Pariser Aufenthalt, wie dann später über die spanisch-marokkanische Reise, hier wieder das Wort.
»... Als ich nach Paris kam, standen sich zwei Richtungen in der Malerei schroff gegenüber, die klassische und die romantische; die der dessinateurs und die der coloristes, wie sie sich selbst nannten. Erst später bildete sich die Schule der Realisten unter Führung von Courbet. Ingres, der letzte große Schüler von David, wurde als ›grand homme‹ verehrt; er galt den französischen Künstlern als größter Maler seiner Zeit. In Deutschland fand er wenig Anerkennung. Populär war er auch in Frankreich nicht. Seine Kunst ist die Kunst für die Kunst, nicht fürs Volk, ganz so wie bei Cornelius. Ingres ist aber doch bei uns unterschätzt worden; sein Können war bedeutend. Eugen Delacroix, der größte Kolorist der Franzosen (wie um vieles später bei uns Makart), war den Deutschen durch die große Vernachlässigung der Zeichnung auch nicht allzu sympathisch, jedoch immer noch mehr als Ingres, weil sie bei diesem den Mangel koloristischen Sinnes fühlten. Delacroix ist Geistesverwandter von Byron und Victor Hugo. Zwischen ihnen stand Horace Vernet und Paul Delaroche, der eigentliche Gründer der modernen Geschichtsmalerei. Beide verdienten ihre Popularität auch bei uns. Namentlich hat Paul Delaroche einen großen Einfluß auf die deutschen Maler gehabt. Er stand der Ingresschen Richtung näher, Horace Vernet mehr der des Delacroix.
Die Franzosen sind sehr launisch mit ihren Gunstbezeigungen, und die Mode, wenn man das Wort auch auf die Kunst anwenden darf, wechselt bei ihnen sehr schnell. Vernet und Delaroche galten bei meiner Ankunft in Paris schon als abgetan. Da mir eigentlich der geschichtliche Sinn abgeht, so lag mir P. Delaroche ferner. An Horace Vernet interessierte mich das orientalische Element in seinen Bildern und die Anwendung desselben auf biblische Darstellungen. Am meisten war ich berauscht vorn Kolorit des Delacroix. Ich sage absichtlich ›berauscht‹, da ich mir selbst keine Rechenschaft darüber zu geben wußte. Delacroix hat sehr wenig Schüler gebildet und besaß auch kein Schüleratelier. Das bedeutendste und am zahlreichsten besuchte Atelier hatte Delaroche, welches Atelier, als ich nach Paris kam, an Delaroches Stelle, der es aufgegeben, Gleyre übernommen hatte. Einige Jahre darauf besuchte ich auch das Couture-Atelier. Bei Gleyre glaubte ich mich in der Zeichnung befestigen zu können; Couture war mehr Kolorist. Durch seine ›Décadence des Romains‹ hatte dieser letztere großes Aufsehen gemacht und einen bedeutenden Zufluß von Schülern erhalten, besonders auch von Deutschen, Feuerbach und Henneberg unter ihnen. Gleyre, ein Schweizer aus Genf, war ein nobler Charakter, hoch und klassisch gebildet, verkehrte viel mit Schriftstellern, war uneigennützig, ließ sich von den Schülern nur seine Auslagen an Miete, Heizung und Modellen bezahlen. Sein Horizont war ein weiterer wie der von Couture, der mit Vorliebe von der ›art parisien‹ sprach. Coutures Römer waren Pariser. Jeder lernte bei ihm schnell. Aber seine Lehre war ein Rezept, ein Schema. Man mußte sich später dessen wieder zu entledigen suchen; in der Tat, er war hauptsächlich Techniker, und Gleyre sagte von ihm, freilich zu weit gehend, ›daß er nur die cuisine de la peinture verstünde‹. Coutures Ideal in der Malerei war Paul Veronese. Im Exterieur hatte Couture große Ähnlichkeit mit Gussow. Wenn heute, nachdem die von Courbet geführten Realisten eine große Wandlung herbeigeführt haben, ganz andere Richtungen maßgebend geworden sind, wenn die Impressionisten und Pleinairisten einerseits und die Cabinetsmaler mit minutiösester Ausführung, von Meissonier ausgehend, andererseits den Tag beherrschen, so haben doch die Hauptwerke Gleyres und Coutures eine Stelle im Louvre gefunden, eine große Ehre, die nur den Werken zuteil wird, die, früher fürs Luxemburg-Museum vom Staat angekauft, noch zehn Jahre nach dem Hinscheiden ihrer Autoren von einer Jury für würdig dazu erachtet werden. Die übrigen Werke nicht mehr lebender Künstler werden an die Privatmuseen verteilt.
... Während der Studienzeit bei Gleyre machte ich eine längere Reise, dreiviertel Jahr, nach Spanien und Marokko. Nach Spanien deshalb, um die im Louvre begonnenen Studien nach alten Meistern zu vervollständigen. Ich malte im Museum zu Madrid während dreier Monate eine Anzahl Skizzen nach Tizian, Velázquez, Ribera, Alonso Cano etc. Das Madrider Museum ist, in bezug auf Bilder, eins der besten in Europa. Gegen fünfzig Bilder Tizians, des Lieblingsmalers von Karl V. und Philipp II., zieren dasselbe. Fünfzehn Raffaels sind da, und die spanischen Meister, für die ich eine Vorliebe hegte, sind selbstverständlich vollzählig, so daß sich allein vier große Säle mit Velázquez' Werken vorfinden. Velázquez ist vielleicht der Maler, der den Übergang zur modernen Auffassung der Malerei einleitete. Er war wenigstens der erste Geschichtsmaler im eigentlichen Sinne des Wortes, in seinem berühmten Gemälde, ›Las Lanzas‹ genannt, welches die Übergabe von Breda darstellt. Die Rubensschen Geschichtsbilder konnten sich des allegorischen Beiwerks nicht entledigen. Velázquez' Genrebilder mit lebensgroßen Figuren sind auch schon im modernen Sinne konzipiert, zum Beispiel der Besuch in einer Gobelinfabrik, ein Bild, das Gérôme für das best gemalte Bild überhaupt erklärt hat. Die Spanier halten ihre großen Meister auch hoch in Ehren; Murillo gilt ihnen als der ›pintor del cielo‹, Velázquez als der der ›tierra‹. Merkwürdigerweise hat auch Murillo höchst realistische Genrefiguren (München, Louvre) gemalt. Die Portraits des Velázquez stehen in ihrer Art auf dem Gipfelpunkt des Erreichbaren. Der geistreiche Blick derselben erhascht, nach dem Ästhetiker Vischer, ›den reinsten Phosphor der Persönlichkeit‹.
Man hat in Spanien immer das Gefühl, daß es eine Weltmacht war; häufig begegnet man noch dem Flitter vergangener Größe. Interessant ist das Volksleben, die Tänze auf öffentlichen Plätzen, das Zigeunertreiben, das Aufregende der blutigen Stierkämpfe, die Hingabe der Frauen, die klangvolle Sprache, die äußerste Lebendigkeit in der Komödie und Posse, die Gastfreundschaft, dazu die Fülle der Abenteuer, deren man dort mehr erleben kann als in anderen Ländern.
Im Alcázar von Sevilla und in Granada lernte ich die Blüte arabischer Architektur kennen und befreundete mich mit dem Architekten Herrn von Diebitsch, der damals in der Alhambra seine Studien machte. Von Cádiz ging ich mit einem kleinen vollgepackten Marktboot nach Marokko hinüber; die Fahrt sollte acht Stunden dauern, ein Sturm trieb uns aber vierundzwanzig Stunden umher. In Tanger sah ich zum erstenmal ein Stück fremden Erdteils, das sich mir tief einprägte und auf meine spätere Entwicklung einen großen Einfluß übte. Fast alles war anders wie in Europa, wo die nivellierende Kultur die sonst so verschiedenen Länder in der äußeren Erscheinung ziemlich gleich gemacht hat. Die Trümmer der Beschießung von Tanger und Mogador durch die Franzosen waren, eine Folge der großen Indolenz der Bewohner, noch nicht fortgeräumt. Am Strande (einen Hafen besaß Tanger noch nicht) und vor den Toren der Stadt lagen Hunderte von Arabern, Berbern und Kabylen, die von Algerien hierher verschlagen waren, in Fetzen und Lumpen, unter ebenso zerrissenen Zelten, halb nackt umher. Sie machten den Tag zur Nacht. Es war die Zeit des Fastenmonats Ramadân, wo von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang nicht Speise noch Trank genossen werden darf. Ein Unglücklicher, der seinen Durst nicht bezwingen konnte, glaubte heimlich trinken zu können, ohne dabei bemerkt zu werden. Aber das wilde, scharfe Auge des Hafenkapitäns hatte den Sünder erspäht, und sofort riß er, in seinem religiösen Fanatismus, eine Latte vom Zaun (ein Nagel war darin steckengeblieben) und hieb auf den Armen ein, daß das Blut herumspritzte. Dazu war der Anzug dieses improvisierten Henkers rot vom Turban bis zu den Maroquinschuhen. Das war so ein Stück patriarchalischer Rechtsprechung. Ich mußte ein paar Stunden unter dem wilden Volk warten, ehe ich die Tore passieren durfte, da erst die Pässe revidiert werden mußten – der meinige durch den schwedischen Generalkonsul; denn wir hatten damals noch keinen Vertreter dort. Ein Russe, der Sohn des Gouverneurs von Sibirien, wurde überhaupt nicht eingelassen und mußte mit dem nächsten Schiff wieder abreisen. Zurück fuhr ich, viele Wochen später – wie hier vorgreifend gleich bemerkt werden mag –, auf einem französischen Kriegsschiff, auf dem sich der berühmte französische Kriegsmaler Raffet befand; ebendies Kriegsschiff sollte das hier lagernde algerische Gesindel nach Oran zurückschaffen. Dabei hatte ich denn Gelegenheit, noch manche Seltsamkeiten dieses Gesindels kennenzulernen.
Von Tanger aus besuchte ich die Höhlen der Riffpiraten und die malerische Stadt Tetuan. Dem Pascha derselben hatte ich keinen Besuch gemacht, weil solche Besuche jedesmal mit großen Geldopfern, die ich damals nicht machen konnte, verbunden sind. Er rächte sich aber dafür; denn als ich von Tetuan nach Tanger zurück wollte, gab er mir vier Begleiter mit auf den Weg, für die ich pro Tag zwanzig Dollars bezahlen mußte. Und dabei verlangte er vorweg eine schriftliche Erklärung, dahin gehend, ›daß ich ihn nicht verantwortlich machen wollte, wenn mir ein Überfall zustieße‹. Ich blieb nämlich eine Nacht unterwegs, da mir ein Tagesritt von zwölf Stunden, den ich auf der Hinreise gemacht, zu anstrengend war. Meine Begleiter, wie vorauszusehen, schliefen gleich ein, statt abwechselnd die Wache zu halten, weshalb ich sie persönlich übernehmen mußte. Dies wurde mir dadurch leichter, daß wir an einem Orte lagerten, wo kurz zuvor eine Karawane angekommen war, mit vielen im Atlasgebirge eingefangenen Affen, die nun von den scharenweis herbeikommenden wilden Hunden angebellt wurden, was einen Höllenlärm verursachte.
Nach Spanien zurückgekehrt, glaubte ich mich in meine Heimat versetzt, so groß war der Unterschied zwischen europäischem und afrikanischem Leben. In Tanger und Tetuan mußte ich mich durch einen spanischen Dolmetscher mit den Arabern verständlich machen; in Madrid mietete ich mich jetzt in eine spanische Familie ein, um die Sprache schneller zu erlernen. Durch die Liebenswürdigkeit der Damen, besonders der Töchter des Hauses, gelang mir's auch einigermaßen.
Auf der weiteren Rückreise durch Südfrankreich hatte ich einen Unfall und ward im Gebirge oben vom höchsten Sitz der Messagerie durch Sturz des Wagens wohl zwanzig Fuß herabgeschleudert, derart, daß ich acht Tage meinen Kopf nicht bewegen konnte.«
So verlief die genau dreiviertel Jahr umfassende spanisch-marokkanische Reise W. Gentz', die, wie hier parenthetisch bemerkt werden mag, trotz der vorerwähnten kostspieligen Militäreskorte von Tetuan nach Tanger, trotz etlicher »accidents« (darunter der Postwagenunfall) und endlich trotz reichlich in Afrika gemachter Einkäufe, nur gerade 4000 Francs, also etwa 1000 Taler, gekostet hatte, was nicht ermangeln wird, den Neid aller ungeschickt und teuer Reisenden, zu denen ich mich leider selber zu zählen habe, zu wecken.
Ende 1847 oder Anfang 1848 war W. Gentz wieder in Paris zurück und unterzog sich hier eben der Ausführung seiner mitgebrachten Skizzen, als die Februarrevolution dazwischentrat und ihm Veranlassung gab, auf fast Jahresfrist in seine märkische Heimat (Ruppin) zurückzukehren. Hier entstanden zunächst verschiedene Portraits, darunter die Bildnisse seiner Eltern, worauf er dann, auf längere Zeit, nach Dresden ging, um daselbst einige Kopien italienischer Meister, namentlich Tizians und Correggios, zu fertigen. Die Sehnsucht nach den seiner Kunst so förderlichen Kreisen der französischen Hauptstadt zog ihn aber, im selben Jahre noch, wieder nach Paris zurück, woselbst er nun das Jahr darauf (1849) sein erstes großes Bild malte: »Der verlorene Sohn in der Wüste«.