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Dies Bild, »Der verlorene Sohn«, wurde im Herbst 1850 auch in Berlin ausgestellt und erfuhr daselbst sowohl seitens des Publikums wie der Kritik eine sehr günstige Aufnahme. Die Freude darüber wurde W. Gentz aber nicht unmittelbar zuteil; denn um ebendie Zeit, wo diese günstigen Beurteilungen in den Blättern erschienen, war er längst nicht mehr in Berlin, auch nicht in Paris, sondern in Ägypten, wohin er schon im März genannten Jahres (1850) seine zweite große Afrikareise, die auch seine größte blieb, angetreten hatte.
Begleiten wir ihn auf dieser seiner Fahrt.
Am 10. März war er in Marseille, am 26. in Kairo. Hier blieb er, erfaßt von dem ganzen Zauber des Orients, volle sieben Monat. Am 2. November endlich bestieg er eine Dahabia, ein großes Nilboot, um auf ihm die bekannte Nilfahrt bis zum zweiten Katarakt und dem nahe gelegenen Wadi Halfa zu machen. Alle Vorbereitungen waren getroffen, und in der Abreisestunde schrieb er seinen Eltern: »Das Mieten eines Schiffes macht so viele Schwierigkeiten, wie wenn man bei uns daheim ein Rittergut kauft. Zwei volle Tage habe ich zur Verfertigung des Kontraktes nötig gehabt. Mit den Schiffsleuten ist nicht mehr aufzustellen als mit dem brutalsten Vieh, und danach behandelt man sie auch. Den kleinsten Punkt muß man im Kontrakt regeln, ist dieser aber gut abgefaßt, so kann man, ohne alle Sorge, dem Kapitän in Kontraventionsfällen bei jedem Scheik einer Stadt eine gehörige Tracht Hiebe auf die Fußsohlen aufzählen lassen. Selbst wenn man einen solchen Kerl niederschösse, würde kein Hahn danach krähen. Mein Dragoman ist ein ehrlicher, verständiger Mann. Außerdem habe ich einen Reisebegleiter gefunden, einen Galizier, Herrn von Wrublewski, mit dem ich schon früher den Ausflug nach Sakkara gemacht habe. Zur Sicherheit sind alle Vorkehrungen getroffen. Ich habe mir eine Doppelflinte, einen Säbel, einen Yatagan und einen Dolch außer meinen beiden Pistolen gekauft. Auch eine kleine Reiseapotheke. Übrigens bin ich akklimatisiert. Meine Provision habe ich für drei Monat eingerichtet: sechzig Pfund Schiffszwieback, zwanzig Flaschen Rum und Cognac, einen Sack Kartoffeln, Reis, Makkaroni, Kaffee, Tee. Kurzum genug. Für den täglichen Bedarf findet man sehr viel Wild, und mein Begleiter ist ein guter Jäger. Die Wunder des grauen Altertums werden bald vor unseren Blicken sein.«
Am 15. November war er in Karnak und Luxor, am 16. in Esneh, am 21. am ersten Katarakt (Assuan und Philae); vom 24. bis 26. zwischen Korosko, Deri und Ibrim, am 3. Dezember am zweiten Nil-Katarakt und am Tage darauf in Wadi Halfa. Hier befand er sich am vorgesteckten Ziel, von dem aus er die Rückfahrt antrat. Am 13., nach kurzem Verweilen in Ipsambul und Kelabscheh, war er wieder am ersten Katarakt, wo er besonders der im Nil gelegenen Felseninsel Philae seine Aufmerksamkeit schenkte. Am 18. in Edfu. Dann, während der ganzen Weihnachtswoche, abermals in Karnak und Luxor, die jetzt beide mit aller Gründlichkeit von ihm durchforscht wurden, bis er am 1. Januar in Dendare und am 8. in Kairo eintraf, das, trotz der Fülle des auf seiner Nilfahrt Gesehenen, den alten Zauber auf ihn ausübte. Noch etwa sechs Wochen blieb er daselbst; dann, Ende Februar, brach er auf und verbrachte den März auf einer Wanderung durch Palästina, Syrien, Kleinasien. In Smyrna lernte er den Prinzen Friedrich von Schleswig-Holstein Prinz Friedrich von Schleswig-Holstein, Sohn des Prinzen von Noer, wurde 1830 geboren und starb 1881. Er erhielt 1870 vom König von Preußen für sich und seine Deszendenz den Titel Graf von Noer. Prinz Friedrich war ein begeisterter Orientalist, der, nachdem er jahrelang in Indien gelebt, über seine Reisen in Kleinasien geschrieben und zuletzt ein sehr beachtenswertes Werk: »Geschichte des Kaisers Akbars des Großen«, hinterlassen hat. kennen, mit dem er, von jener Zeit an, bis zum Tode desselben, in freundschaftlichem Verkehr blieb, nachdem er ihn noch im Jahre 1874 auf seinem Schlosse Noer, in der Nähe von Eckernförde, besucht hatte.
Anfang April war W. Gentz in Konstantinopel und Ende desselben Monats in Korfu. Von da ging er, über Pest und Wien, ins elterliche Haus zurück, an das er, all die Zeit über, zahlreiche Briefe gerichtet hatte. Daheim nahm er seine malerische Tätigkeit rasch wieder auf, und nachdem er, durch Jahr und Tag hin, nur gezeichnet und skizziert hatte, ging er jetzt mit doppelter Lust an ein großes Bild: »Der Sklavenmarkt in Kairo«, das das Jahr darauf in Berlin ausgestellt wurde.
Zu gleicher Zeit beschäftigte ihn die Herausgabe seiner, von Ägypten her, an die Eltern gerichteten Briefe, und zu Weihnachten 1852 erschienen denn auch »Briefe aus Ägypten und Nubien« – Verlag von Carl Barthol in Berlin –, ein vorzügliches Buch, das durch all das, was seitdem an Reiseliteratur über Ägypten erschienen ist, von seiner Bedeutung wenig und von seinem Reize nichts verloren hat. Dieser Reiz besteht zum Teil in dem, was ich schon wiederholentlich als »Gentzsche Vortragsweise« bezeichnet habe, noch mehr aber in jener ein gutes Wissen und einen freien Blick zur Voraussetzung habenden Fähigkeit, die großen Erscheinungen der Kunst, der Geschichte, des Lebens überhaupt, in ihrem Zusammenhange zu begreifen. Zum Beweise dessen mag es mir gestattet sein, aus dem an Anschauungen und Betrachtungen gleich reichen Buche wenigstens eine Stelle hier zitieren zu dürfen. So heißt es aus Dendare am 1. Januar 1851: »Wie Ägypten selbst als ein eigentümlicher, nur aus sich selbst verständlicher Organismus anzusehen ist, so prägen auch die ägyptischen Kunstwerke: ganze Ortschaften mit Tempeln, Obelisken, Grabdenkmälern, Sphinxalleen, eine in sich einige Totalität aus, welche der hierarchischen Gliederung und Ordnung des Lebens entspricht. Nur von diesem Gesichtspunkte aus wird die Kunst jener zurückliegenden Jahrtausende verständlich. Das einzelne, und wäre es der kolossalste Obelisk, kann für sich allein keine Vorstellung von der Großartigkeit altägyptischer Kunstintentionen geben – in dem Reichtum von Bauwerken, mit denen ein solcher Einzelobelisk zu einem Ganzen verbunden war, war er nichts als eine verschwindende Größe. Nur wer die verbliebenen Baureste im großen und ganzen übersieht, vermag einigermaßen zu würdigen, welche Großartigkeit künstlerischer Unternehmungen in diesem Lande heimisch war, hier, wo jetzt die Trägheit einer Sklavenbevölkerung nichts ahnt von jenem gewaltigen Geist, an dessen ewigen Monumenten sie gleichgiltig vorbeizieht. Unsere moderne Welt«, so fährt Gentz in demselben Briefe fort, »hat, nach dem Untergange des griechischen Lebens, die Künste voneinander separiert. Bei der weltfeindlichen Tendenz der katholischen Kirche konnte, zunächst wenigstens, im frühern Mittelalter kein großartiges Kunstleben erwachen; der gotische Kirchenbau vereinigte später zwar mehrere Künste von neuem, aber doch immer nur in einer den höchsten Aufgaben der Kunst widerstreitenden Begrenzung, da der durch das Transzendentale bestimmte Charakter der Gotik sich nicht bemüßigt sehen konnte, die schöne Erscheinung festzuhalten. Nur das geistige und körperliche Leiden kommt in den alten Heiligenbildern zur Darstellung. Als dann aber später (in Raffael und anderen) die Malerei sich anließ, mit ihren unerreichten geistig und sinnlich schönen Madonnenbildern die Basiliken Roms zu schmücken, war sie ebenso weit über das eigentliche christlich mittelalterliche Kirchenwesen hinaus, wie die liberalen, in sinnlicher Üppigkeit dahinlebenden Päpste, Julius II. und Leo X., die Zeit der Askese hinter sich hatten.«
Bald nach Erscheinen der ägyptischen Briefe kehrte W. Gentz von Ruppin beziehungsweise Berlin nach Paris zurück, Frühjahr 1853, wohin es ihn längst gezogen haben mochte. Seine Tätigkeit verdoppelte sich, und er begann, von 1853 bis 1858, nach dem Vorbilde Horace Vernets, biblische Motive in treuer Wiedergabe orientalischen Wesens, wozu seine zahlreichen Studien ihn befähigten, zu komponieren. Und neben diesen Bildern biblischen Inhalts gab er Darstellungen aus dem Volksleben. Es entstanden um diese Zeit: 1. Sphinx bei Theben; Hirt mit Ziegen im Vordergrund. 2. Ägyptische Studenten. 3. Christus und Magdalena beim Pharisäer Simon. (Von Frau Hauptmann Steinberg in Ruppin gekauft und für die dortige Klosterkirche gestiftet.) 4. Fülle und Elend; früher bekannt unter dem Titel: »Wohl endet der Tod des Lebens Not, doch schauert Leben vor dem Tod«. 5. Christus bei den Sündern und Zöllnern, von den Pharisäern zurechtgewiesen. (Vom Kommerzienrat Zimmermann für die Kunsthalle in Chemnitz gestiftet.) 6. Ägyptische Bettlerinnen. Alle diese Bilder wurden in Paris ausgestellt, die beiden letztgenannten auch in Berlin, wohin er, aller Paris-Passion und alles internationalen Zuges unerachtet, im Herbst 1857 dennoch zurückzukehren für gut fand.
Die vier Jahre von 1853 bis 1857, während welcher Zeit er – nunmehr auf eigenen Füßen stehend – frei und selbständig schuf, waren ihm in besonders angenehmer Weise vergangen, wozu sehr wesentlich die freundlichen Beziehungen beitrugen, in denen er ebensowohl zu französischen wie zu deutschen Künstlern stand. Gérôme, Boulanger, Louis Hamon, Aubert, sämtlich, wie er selbst, aus der Gleyreschen Schule hervorgegangen, zählten zu seinem Umgang, während er sich mit Ferdinand Heilbuth (Hamburger, aber in Paris geblieben und dort naturalisiert; vor kurzem verstorben) befreundete. Desgleichen stand er auf freundlichem Fuße mit Feuerbach, Victor Müller, Rudolf Henneberg, Lindenschmit, Gustav Spangenberg, alle Schüler von Couture, zu dem er sich, wie schon erzählt, nach Austritt aus dem Gleyreschen Atelier, ebenfalls ein Jahr lang gehalten hatte. Alle diese waren gleichaltrig Mitstrebende; seine guten Beziehungen aber beschränkten sich nicht auf diese, sondern erstreckten sich auch auf solche, die damals in der Pariser Malerwelt als anerkannte Meister den Ton angaben: Paul Delaroche, Horace Vernet, Robert-Fleury, Ary Scheffer, Courbet, Winterhalter. Und diesen hier Genannten darf auch Ludwig Knaus zugezählt werden, »der« (so schreibt G.) »schon als Meister dorthin kam, dort, wie überall, eine Ausnahmestellung einnahm und in Paris alles erreichte, was ein Maler erreichen kann«.