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Kaum minder interessant als dieser im ganzen Kriege nur einmal gezogene Säbel sind die sechzehn lebensgroßen Bildnisse, die ringsum die Wände bedecken. Es sind die Portraits von sechzehn Offizieren des Zietenschen Regiments, alle 1749, 1750 und 1751 gemalt. Die Namen der Offiziere sind folgende: Rittmeister Langen, von Teiffel, von Somogy, Calau von Hofen, von Horn, von Seel, von Wieck, von Probst, von Jürgaß, von Bader; die Lieutenants von Reitzenstein, von Heinecker, von Troschke und die Cornets von Schanowski, Petri und von Mahlen. Mit Ausnahme des letzteren starben sie all' im Felde; von Seel fiel als Oberst bei Hochkirch, von Heinecker bei Zorndorf, von Jürgaß bei Weiß-Kostulitz. Von Wieck starb als Kommandant von Komorn in Ungarn; wie er dort hinkam – unbekannt. Im ersten Augenblick, wenn man in den Saal tritt und diese sechzehn Zietenschen Rotröcke mit ungeheuren Schnauzbärten auf sich herabblicken sieht, wird einem etwas unheimlich zumute. Sie sehen zum Teil aus, als seien sie mit Blut gemalt, und der Rittmeister Langen, der vergebens trachtet, seinen Hasenschartenmund durch einen zwei Finger breiten Schnurrbart zu verbergen, zeigt einem zwei weiße Vorderzähne, als wollt er einbeißen. Dazu die Tigerdecke – man möcht am liebsten umkehren. Hat man aber erst fünf Minuten ausgehalten, so wird einem in dieser Gesellschaft ganz wohl, und man überzeugt sich, daß eine Rubenssche Bärenhatz oder ähnlich traditionelle Saal- und Hallenbilder hier viel weniger am Platze sein würden. Die alten Schnurrwichse fangen an, einem menschlich näherzutreten, und man erkennt schließlich hinter all diesem Schreckensapparat die wohlbekannten märkisch-pommerschen Gesichter, die nur von Dienst wegen das Martialische bis fast zum Diabolischen gesteigert haben. Die Bilder, zumeist von einem unbekannten Maler namens Häbert herrührend, sind gut erhalten und mit Rücksicht auf die Zeit ihrer Entstehung nicht schlecht gemalt. Das Schöne fehlt noch, aber das Charakteristische ist da.
Der große Saal, in dem diese Bilder neben so manchem anderen historischen Hausrat sich vorfinden, nimmt mit Recht unser Hauptinteresse in Anspruch, aber noch vieles bleibt unserer Aufmerksamkeit übrig. Das ganze Schloß gleicht eben einer Art Zieten-Galerie, und nur wenige Zimmer treffen wir an, von deren Wänden uns nicht, als Kupferstich oder Ölbild, als Büste oder Silhouette, das Bildnis des alten Helden grüßte. Alles in allem gerechnet, befinden sich wohl vierzig Zieten-Portraits in Schloß Wustrau. Viele von diesen Bildnissen (besonders die Stiche) sind allgemeiner gekannte Blätter; nicht so die Ölbilder, deren wir, ohne für Vollständigkeit bürgen zu wollen, zunächst acht zählen, sieben Portraits und das achte ein Genrebild aus der Sammlung des Markgrafen Karl von Schwedt. Es stellt möglicherweise die Szene dar (vergleiche Zietens Biographie von Frau von Blumenthal, Seite 56), wo der damalige Major von Zieten an den Oberstlieutenant von Wurmb herantritt, um die Remontepferde, die ihm zukommen, für seine Schwadron zu fordern, eine Szene, die bekanntlich auf der Stelle zu einem wütenden Zweikampfe führte. Doch ist diese Auslegung nur eine mutmaßliche, da die hier dargestellte Lokalität zu der von Frau von Blumenthal beschriebenen nicht paßt. Die sieben Portraits, mit Ausnahme eines einzigen, sind sämtlich Bilder des » alten Zieten« und deshalb, aller Abweichungen in Uniform und Haltung unerachtet, im einzelnen schwer zu charakterisieren. Nur das älteste Portrait, das bis ins Jahr 1726 zurückgeht und den »alten Zieten«, den wir uns ohne Runzeln und Husarenuniform kaum denken können, als einen jungen Offizier bei den von Wuthenowschen Dragonern darstellt, zeichnet sich schon dadurch vor allen andern Bildnissen aus. Zieten, damals siebenundzwanzig Jahr alt, trägt, wie es scheint, einen Stahlküraß und über demselben eine graue Uniform (früher vielleicht weiß) mit schmalen blauen Aufschlägen. Ob das Bild echt ist, stehe dahin. Von Ähnlichkeit mit dem »alten Zieten« natürlich keine Spur.
Wir verlassen nun den Saal und das Haus, passieren die mehr dem Dorfe zu gelegene Hälfte des Parkes, überschreiten gleich danach die Dorfstraße und stehen jetzt auf einem geräumigen Rasenfleck, in dessen Mitte sich die Dorfkirche erhebt. Der Chor liegt dem Herrenhause, der Turm dem Kirchhofe zu. Zwischen Turm und Begräbnisplatz steht eine mächtige alte Linde. Die Kirche selbst, in Kreuzform aufgeführt, ist ein Ideal von einer Dorfkirche: schlicht, einladend, hübsch gelegen. Im Sommer 1756, kurz bevor es in den Krieg ging, wurde der Turm vom Blitz getroffen. Das Innere der Kirche selbst unterscheidet sich von andern Dorfkirchen nur durch eine ganz besondere Sauberkeit und durch die Geflissentlichkeit, womit man das patriotische Element gehegt und gepflegt hat. So findet man nicht nur die übliche Gedenktafel mit den Namen derer, die während der Befreiungskriege fielen, sondern zu der allgemeinen Tafel gesellen sich auch noch einzelne Täfelchen, um die Sonderverdienste dieses oder jenes zu bezeichnen. An anderer Stelle gruppieren sich Gewehr und Büchse, Lanze, Säbel, Trommel und Flügelhorn zu einer Trophäe. Zwei Denkmäler zieren die Kirche. Das eine (ohne künstlerische Bedeutung) zu Ehren der ersten Gemahlin Hans Joachims, einer gebornen von Jürgaß, errichtet, das andere zu Ehren des alten Zieten selbst. Dies letztere hat gleichen Anspruch auf Lob wie Tadel. Es gleicht in seinen Vorzügen und Schwächen allen andern Arbeiten des rasch-fertigen, hyperproduktiven Bernhard Rode Von Bernhard Rode rührt auch das große, zur Verherrlichung des alten Husarengenerals gemalte Ölbild her, das sich, neben den Bildern anderer Helden des Siebenjährigen Krieges (alle von B. Rode), in der Garnisonkirche zu Berlin befindet. Die Komposition auch dieses Bildes ist Dutzendarbeit und trotz der Prätension, geistvoll sein zu wollen, eigentlich ohne Geist. Auch hier ein bequemes Operieren mit traditionellen Mittelchen und Arrangements. Eine Urne mit dem Reliefbilde Zietens in Front derselben; am Boden ein Löwe, der ziemlich friedlich in einer Zietenschen Husaren-Tigerdecke drinsteckt wie ein Kater in einem Damenmuff; außerdem eine hohe Frauengestalt, die einen Sternenkranz auf die Urne drückt – das ist alles. Das Reliefportrait ist schlecht, nicht einmal ähnlich, aber die Urania oder Polyhymnia, die ihm den Sternenkranz bringt, ist in Zeichnung und Farbe um ein wesentliches besser, als gemeinhin Rodesche Figuren (er war ein Meister im Verzeichnen) zu sein pflegen. , nach dessen Skizze es von dem Bildhauer Meier ausgeführt wurde. Wem eine tüchtige Technik genügt, der wird Grund zur Anerkennung finden; wer eine selbständige Auffassung, ein Abweichen vorn Alltäglichen fordert, wird sich nicht befriedigt fühlen. Ein Sarkophag und ein Reliefportrait, eine Minerva rechts und eine Urania links, das paßt so ziemlich immer; ein gedanklich bequemes Operieren mit überkommenen Typen, worin unsere Bildhauer das Unglaubliche leisten. Wenn irgendein Leben, so hätte gerade das des alten Zieten die beste Gelegenheit geboten zu etwas Neuem und Eigentümlichem. Der Zieten aus dem Busch, der Mann der hundert Anekdoten, die samt und sonders im Volksmund leben, was soll er mit zwei Göttinnen (einige sagen, es seien symbolische Figuren der Tugend und Tapferkeit), die ihn bei Lebzeiten in die sicherste Verlegenheit gebracht hätten. Vortrefflich ist nur das Reliefportrait in weißem Marmor, das sich an dem dunkelfarbigen Aschenkruge des Denkmals befindet und außer einer im Schloß befindlichen Zieten-Silhouette sehr wahrscheinlich das einzige Bildnis ist, das uns den immer en face abgebildeten Kopf des Alten auch mal in seinem Profile zeigt. Daß dieses Profil nicht schön ist, tut nichts zur Sache.
Alles in allem, das Marmordenkmal des alten Helden reicht an ihn selber nicht heran; es entspricht ihm nicht. Da lob ich mir im Gegensatze dazu das schlichte Grab, unter dem er draußen in unmittelbarer Nähe der Kirche schläft. Der Raum reichte hin für vier Gräber, und hier ruhen denn auch die beiden Eltern des alten Zieten, seine zweite Gemahlin (eine geborne von Platen) und er selbst. Das Äußere der vier Gräber ist wenig voneinander verschieden. Ein Unterbau von Backstein erhebt sich zwei Fuß hoch über den Rasen, auf welchem Ziegelfundamente dann die Sandsteinplatte ruht. Noch nichts ist verfallen. Auch der gegenwärtige Besitzer empfindet, daß er eine historische Erbschaft angetreten hat, und eifert getreulich dem schönen Vorbilde des letzten Wustrauer Zieten nach, dessen ganzes Leben eigentlich nur ein Kultus seines berühmten Vaters war.
1786 starb Hans Joachim von Zieten. Achtundsechzig Jahre später folgte ihm sein Sohn Friedrich Christian Emil von Zieten, achtundachtzig Jahre alt, der letzte Zieten aus der Linie Wustrau. Wir treten jetzt an sein Grab Friedrich Christian Emil von Zieten, dessen schon Seite 13 und 14 kurz Erwähnung geschah, war der einzige Sohn Hans Joachims aus seiner zweiten Ehe mit Hedwig Elisabeth Albertine von Platen. Dieser letzte Zieten aus der Wustrauer Linie wurde den 6. Oktober 1765 geboren und starb am 29. Juni 1854. Er war Rittmeister, Landrat des Ruppiner Kreises und Ritter des Schwarzen Adlerordens. Wurde gegraft am 15. Oktober 1840. (Aus Hans Joachims erster Ehe mit Leopoldine Judith von Jürgaß war eine Tochter geboren worden, die sich später mit einem Jürgaß auf Ganzer verheiratete. Vgl. das Kapitel » Ganzer«.) . Es befindet sich unter der schon erwähnten schönen alten Linde, die zwischen der Kirche und dem leis ansteigenden Kirchhofe steht. Hinter sich die lange Gräberreihe der Bauern und Büdner, macht dies Grab den Eindruck, als habe der letzte Zieten noch im Tode den Platz behaupten wollen, der ihm gebührte, den Platz an der Front seiner Wustrauer. Ähnliche Gedanken beschäftigten ihn sicherlich, als er zehn oder zwölf Jahre vor seinem Tode dies Grab zu bauen begann. Ein Hünengrab. Der letzte Zieten, klein, wie er war, verlangte doch Raum im Tode. Denn er baute das Grab nicht bloß für sich, sondern für das Geschlecht oder den Zweig des Geschlechts, das mit ihm schlafen ging. Mit Eifer entwarf er den Plan und leitete den Bau. Eine Gruft wurde gegraben und ausgemauert und schließlich ein Riesenfeldstein, wie sich deren so viele auf der Wustrauer Feldmark vorfinden, auf das offene Grab gelegt. Am Fußende aber geschah die Ausmauerung nur halb, so daß hier, unter Einführung eines schräg laufenden Stollens, eine Art Kellerfenster gewonnen wurde, durch das der alte Herr in seine letzte Wohnung hineinblicken konnte. Mit Hülfe dieser Zuschrägung wurde denn auch später der Sarg versenkt. Als Friedrich Wilhelm IV. im Jahre 1844 den schon oben erwähnten Besuch in Wustrau machte, führte ihn der Graf auch an die Linde, um ihm daselbst das eben fertig gewordene Grab zu zeigen. Der König wies auf eine Stelle des Riesenfeldsteins und sagte: »Zieten, der Stein hat einen Fehler!«, worauf der alte Herr erwiderte: »Der drunter liegen wird, hat noch mehr.«
Diese Antwort ist so ziemlich das Beste, was vom letzten Wustrauer Zieten auf die Nachwelt gekommen ist. Einzelne andere Repliken und Urteile (zum Beispiel über die Schadowsche Statue sowie über Bücher und Bilder, deren Held sein Vater war) sind unbedeutend, oft ungerecht und fast immer schief. Er sah alles zu einseitig, zu sehr von einem bloß Zietenschen Standpunkt aus, um gerecht sein zu können, selbst wenn ihm ein feinerer ästhetischer Sinn die Möglichkeit dazu gewährt hätte. Dieser ästhetische Sinn fehlte ihm aber völlig. Selber eine Kuriosität, bracht er es über die Kuriositätenkrämerei nie hinaus. Sein Witz und Humor verstiegen sich nur bis zur Lust an der Mystifikation. Den Altertumsforschern einen Streich zu spielen war ihm ein besonderer Genuß. Er ließ von eigens engagierten Steinmetzen große Feldsteine konkav ausarbeiten, um seine Wustrauer Feldmark mit Hülfe dieser Steine zu einem heidnischen Begräbnisplatz avancieren zu lassen. Am Seeufer hing er in einem niedlichen Glockenhäuschen eine irdene Glocke auf, der er zuvor einen Bronzeanstrich hatte geben lassen. Er wußte im voraus, daß die vorüberfahrenden Schiffer, in dem Glauben, es sei Glockengut, innerhalb acht Tagen den Versuch machen würden, die Glocke zu stehlen. Und siehe da, er hatte sich nicht verrechnet und fand nach drei Tagen schon die Scherben. Solche Überlistungen freuten ihn, und man kann zugeben, daß darin ein Äderchen von der Herzader seines Vaters sichtbar war. Im übrigen aber war er unfähig, zu dem Ruhme seines Hauses auch nur ein Kleinstes hinzuzufügen; er fühlte sich nur als Verwalter dieses Ruhmes, ein Gefühl freilich, das ihm unter Umständen Bedeutung und selbst Würde lieh. Wo er für sich und seine eigenste Person eintrat, in den privaten Verhältnissen des alltäglichen Lebens, war er eine wenig erfreuliche Erscheinung: kleinlich, geizig, unschön in fast jeder Beziehung. Von dem Augenblick an aber, wo die Dinge einen Charakter annahmen, daß er seine Person von dem Namen Zieten nicht mehr trennen konnte, wurd er auf kurz oder lang ein wirklicher Zieten. Er war nicht adlig, aber gelegentlich aristokratisch. Dies Aristokratische, wenn geglüht in leidenschaftlicher Erregung, konnte momentan zu wahrem Adel werden, aber solche Momente weist sein Leben in nur spärlicher Anzahl auf. Sein Bestes war die Liebe und Verehrung, mit der er ein halbes Jahrhundert lang die Schleppe seines Vaters trug. In diesem Dienste verstieg sich sein Herz bis zum Poetischen in Gefühl und Ausdruck, wofür nur ein Beispiel hier sprechen mag. Auf dem mit Rasen überdeckten Kirchenplatz, etwa hundert Schritte vom Grabe Hans Joachims entfernt erhebt sich ein hoher, zugespitzter Feldstein mit einer in den Stein eingelegten Eisenplatte. Und auf ebendieser Eisenplatte stehen in Goldbuchstaben folgende Worte:
»Im Jahre 1851, den 23. April, stand an dieser Stelle das Blüchersche Husarenregiment, um den hier in Gott ruhenden Helden, den berühmten General der Kavallerie und Ahnherrn aller Husaren Hans Joachim von Zieten, in Anerkennung seiner hohen Verdienste durch eine feierliche Parade zu ehren. Ruhe und Friede seiner Asche! Preis und Ehre seinem Namen! Er war und bleibt der Preußen Stolz.«
»Ahnherr aller Husaren« – ein Poet hätt es nicht besser machen können.