Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Vierundvierzigstes Kapitel

Wenige Stunden westlich von Sambara, nah einem dichten Wald mit starkem Unterholz, ward die Hauptstraße, die nach Westen führte, von einer andern von Süd nach Nord geschnitten. Diese Kreuzung hatten die vier Perserheere zum Ort ihrer Vereinigung ausersehen. Hier sollte der kleinen Römerschar der Rückzug abgeschnitten werden. Die weiten ebenen Flächen rings neben den Straßen und hinter dem Wäldchen luden die parthischen Geschwader verlockend zum Reiterkampf. Und auch für den Wald war kluge Verwertung ersonnen.

Auf ihren prachtvollen Rossen, arabischen Rapphengsten, in Scharlach und Gold gesattelt und gezäumt, ritten Varanes und Varahanes, die beiden Königssöhne, an ihren Geschwadern auf und nieder, ordneten sie und sprengten dann an den goldhelmigen Surenas und dessen Bruder heran. »Das Verdienst dieses Tages und des Untergangs jenes feuerspeienden Löwen«, rief Varanes, der ältere der Brüder, »gebührt dir, Surenas! Meisterhaft hast du alles geplant.« – »Doch nicht!« erwiderte der Oberfeldherr. »Denn nicht ich konnte Chulchanosch abhalten, den Frieden anzunehmen, den dein hoher Vater – in einer schwachen Stunde – mit vollstem Ernst dem tatsächlich schon Besiegten angeboten hatte. Dann war er gerettet und sein Ruhm. Und nicht ich habe den Betörten zehn Tage lang in die Irre gegen Osten geführt. Diese zehn Tage haben ihn vollends entwaffnet. Heute gilt es nur, mühelos zu ernten, was mein Bruder, der Kluge, gesät.« – »Du hast recht«, sprach Varahanes. »Ich schenke dir, o Nohordates, die Jahresschatzung von Baktrien, meiner Satrapie.«

»Und ich schenke ihm«, lachte Varanes, »was mehr gilt als ganz Baktrien: das schönste Weib meines Frauenhauses, Leila mit den Gazellenaugen.« – »Behaltet Baktrien und Leila, Fürsten«, schloß der Gerühmte. »Ich bitte mir ein andres aus.« – »Du sollst es haben«, riefen beide Prinzen. »Den Kopf des Apostaten! – Ich habe ihn, gefüllt mit geschmolzenem Gold, dem Schutzheiligen von Armenien gelobt. Mein Bruder, der Bischof von Kárana, hat mir auf dies Gelübde hin den sichern Tod des Abtrünnigen verheißen.«

Varanes zuckte die Achseln: »Der Himmel und mein Vater haben mancherlei Kostgänger: Verehrer des einzig wahren Gottes Ormuzd, dann Juden, Christen, Hellenisten, sternanbetende Araber. Wir lassen jedem seine Freude. Mir ist nun zum Beispiel der süße Kopf Leilas lieber als der häßliche – sagt man – des feuerspeienden Löwen. Aber du sollst ihn haben. Nur gönne mir die Wollust, ihn mit dieser krummen Klinge abzuhauen.« – »Halt!« rief der Oberfeldherr. »Schaut hin! Nach Osten! Dort! Staub wirbelt auf. Da kommen sie, die Römer. Nun seid der Verabredung eingedenk!«

 

Und die Römer zogen alsbald heran.

Vor dem Wald lagen ein paar elende Lehmhütten armenischer Ziegenhirten. Die Bewohner waren in die Stadt geflüchtet vor dem herandrohenden Zusammenstoß der beiden Heere; nur ein alter Mann mit einem Klumpfuß humpelte noch der Vorhut des Imperators entgegen. Wie er an Julian selbst vorbeikam, rief der ihn an – durch einen Dolmetsch aus Sambara – und meinte: »Die kleine Siedlung da hat wohl gar keinen Namen?« – »O doch«, gab der Alte zurück. »Sie hat einen schönen Namen.« – »Wie heißt sie?« forschte Julian. »Phrygia. – Und ich heiße Charon«, antwortete der Alte und hinkte weiter.

Der Feldherr sah ihm nach. »Phrygia! – Das sollte ich ja meiden«, lächelte er wehmütig vor sich hin. »Und Charon? – Jetzt fehlt nur noch der Styx! Vorwärts! Dort stehen die Perser! Drauf!«

Grimmig, doch kurz war der Zusammenstoß. Julian hatte den Angriff erwartet und gut vorgesorgt. Seine kleine, aber tapfere und nun ausgeruhte Schar ließ den Zorn über die letzten qualvollen Wochen die Feinde fürchterlich entgelten.

»Bisher nur Sonnenglut, Schlangen, Mücken, Sand und Hunger, jetzt endlich wieder Helme, die man schroten kann. Welcher Fortschritt!« rief Sigiboto seelenvergnügt.

Statt den Angriff abzuwarten, führte Julian sein Heer selbst zum Angriff vor. Wie erstaunte er aber, als dicht neben ihm die schmächtige Gestalt des greisen Mönches auf seinem Klepper auftauchte. »Wohin, wohin, Johannes?« fragte er. »Mit dir, überallhin mit dir.«

Auf den ersten Anlauf der Römer warfen die parthischen Reiter die Gäule herum und flohen. Sie hielten gar nicht stand. Ihre beiden Flügel stoben rechts und links in alle Winde davon. Die Mitte, medisches Fußvolk, wich langsam in den dichten Wald. Jauchzend drangen die Verfolger nach, hier geführt von Julian, während Jovian und Serapio den beiden fliehenden Flanken nachjagten. Auch der Wald ward kaum verteidigt; alsbald hatte der Imperator, allen voran, das schmale Gehölz durchritten. Jetzt sprengte er aus dem Westrande desselben ins Freie – und erschrak!

Es war ein böser Hinterhalt, in den er durch die »Partherflucht« gefallen war. Nur ein kleiner Teil der Feinde hatte sich vor dem Walde gezeigt und sofort – scheinbar – schlagen lassen. Aber hier, hinter dem dichten Buschwerk, standen vor ihm und auf beiden Seiten ungeheure Massen von Persern, die mit lautem Siegesgeschrei das schwache Häuflein anfielen.

Der Kampf war zu ungleich; nur die berittenen Leibwächter hatten ihrem feurig voranjagenden Herrn folgen können. Sie fielen in furchtbarer Geschwindigkeit, Mann für Mann, unter einem Hagel von Pfeilen und Wurflanzen. Der greise Mönch Johannes, der sein Rößlein dicht neben Julianus hielt, stürzte zu Boden, sein Pferd lag tot, schon drangen die Perser zum Nahkampf heran.

Weithin leuchtete in dem hellen Sonnenschein der weißgekleidete Reiter auf dem weißen Roß und – statt des Helmes – das goldfunkelnde Diadem auf dem dunklen Gelock. »Halt! Schießt nicht. Ich muß ihn haben«, rief Nohordates und sprengte gegen Julian heran, dessen Pferd an mehr als einer Stelle rotes Blut aus Pfeilwunden verlor. »Nein, ich!« rief, ihm dicht nachjagend, der Surenas und spornte den wuchtigen Hengst gegen Julian. Nun erkannte der den falschen Wegweiser: »Ah, du bist's, Verräter?« rief er, schlug des Feindes eingelegte lange Lanze zur Seite und stieß ihm das Schwert in die Gurgel.

Der Surenas sah den Bruder fallen, er war nun dicht heran. »Das schickt dir Jesus Christus!« schrie er und schleuderte den Wurfspeer.

Der traf.

Die weiche Seide ohne Widerstand durchschneidend, drang er in Julians Brust. »Du hast gesiegt, Galiläer!« rief er und sank nach hinten vom Pferde, das im selben Augenblick unter ihm zusammenbrach.

»Fangt ihn lebendig!« schrie der Surenas. »Tötet ihn nicht! Ich bring ihn unserem Herrn in einem goldenen Vogelkäfig.« Und nun entbrannte um den Imperator, der bewußtlos unter Argos, seinem toten Rosse, lag, der heiße Kampf. Er war lang und blutig. Die treuen Leibwächter, die von den Pferden gesprungen waren und mit ihren Schilden, mit ihren Leibern zuletzt den geliebten Herrn deckten, sie stürzten Helm für Helm unter den Streichen der hundertfachen Übermacht. Wohl schmetterten gar laut, angstvoll um Hilfe rufend, ihre Trompeten. Aber ach, weit und breit war nichts zu sehen von den beiden römischen Flanken, die unter Jovian und Serapio die verstellte Flucht der Feinde verfolgten. Voconius, schwer getroffen, hielt den Adler der Leibwächter mit letzter Kraft aufrecht empor. Als er, gespickt von Wurflanzen, zusammenbrach, nahm ihm Sigiboto die Fahne aus der Hand und schwang sie hoch empor. Das war das letzte, was Julianus sah, die Sinne vergingen ihm. So erfuhr er nicht mehr, daß die Gefahr nun rasch noch wuchs und wuchs. Der Surenas hatte sich, obwohl von Ekkards Speer verwundet, vorgedrängt durch das Kleeblatt, hatte Julian für einen Augenblick erreicht und hieb nach ihm mit dem haarscharfen krummen Persersäbel.

Kein Krieger sah im Augenblick die Gefahr. Der tödliche Streich traf, aber nicht Julian, sondern eine braune Mönchskutte und ein kleines greisenhaftes Männlein darin, das sich im letzten Augenblick vor den Betäubten geworfen hatte.

Nun bemerkte Sigibrand, der Sachse, den nahen Feind. Er stach das Streitroß des Surenas nieder. Aber, aber! Unzählig drängten neue Perser heran. »Ein frisches Pferd für den Feldherrn!« schrie Hippokrenikos, dessen eigener Gaul längst gefallen war. »Wir müssen ihn auf den Sattel binden und mit ihm zurückjagen«, mahnte Ekkard. »Hier ist mein Pferd!« rief Garizo abspringend. »Und nun, Kleeblatt, vor den Herrn, bis ihn die andern festgebunden und zurückgebracht haben!« schrie Sigiboto. »Haltet aus. Hierher zu mir, Sachse! Mein Schild ist hin!« Und wirklich gelang es, den Bewußtlosen auf dem Pferde festzuschnallen und, Schritt für Schritt, in den Wald zurückzuführen.

Aber alle, fast alle Leibwächter, die diesen Rückzug deckten, fielen. Und auch die wenigen von ihnen, die noch in den Wald zurückgelangten, hätten den Verwundeten nicht retten können vor der Gefangennahme durch die wütend nachdrängenden Perser, hätten nicht endlich Jovian und Serapio die schreiend um Hilfe rufenden Trompeten der verzweifelt ringenden Leibwächter vernommen. Sie ließen sofort von den Flüchtlingen ab, sprengten von beiden Flanken gegen den Saum des Waldes zurück, und die Kunde, daß der Imperator gefallen sei, entflammte ihre Scharen zu solchem Zorn, daß sie wie ein rächendes Gewitter die Perser vor sich niederwarfen. Die früher verstellte Flucht ward nun zu blutiger Wahrheit.

Serapio langte zuerst in dem Wald bei dem kleinen Geleit des Verwundeten an. Gerade zur rechten Zeit und nicht, ohne hart getroffen, sein eigenes Blut zu vergießen, hieb er den bereits Verlorenen heraus. Hier fiel, tapfer kämpfend, von des Franken Schwert der Surenas. Aber hier im Walde sanken auch vor Serapios Augen die allerletzten Leibwächter. Der Sieg der Römer war vollkommen. Mit eigener Hand verband den wankenden Freund Jovianus, dann übernahm er die Leitung der abermaligen Verfolgung. Grimmig rächte das Heer den Fall des geliebten Führers. Bis in die Nacht hinein währte die hitzige Jagd.

 

In sein mitgeführtes Zelt zurückgebracht, fand der Verwundete das Bewußtsein wieder. Bei dem ersten Ton der Tuba der Verfolger, der an sein Ohr drang, wollte er aufspringen, laut rief er nach seinen Waffen, seinem Roß. Aber bei dem Versuch, sich aufzurichten, sank er in die Arme des Oribasius zurück.

Da erkannte er, daß er sterben müsse.

Er sagte es dem Arzt lächelnden Mundes. »Weine nicht! Mißgönne mir doch nicht, in höherem Lichte zu wandeln, mit Helena, mit Maximus, mit Eusebia, mit den versöhnten Meinen, denn auf jenem Sterne kennt man nicht Groll noch Vorwurf. Nun aber, da es gewiß ist, daß ich scheide – vor allem: die Sorge für das verwaiste Reich! In mir erlischt der Constantier waffengewaltiges und einst so männerreiches Geschlecht. Das Reich – das Heer auf seinem gefahrenumdräuten Rückzug –, bedarf eines tapferen Kriegers, eines Feldherrn, und – ich seh' es ein –: eines Galiläers!« – »Du siehst es ein?« fragte Oribasius erstaunt, ja bestürzt. Denn er, der Schüler des Philippus, war kein Freund der Kirche. »Ja, mein Treuer. Nicht sehe ich ein – (wahrhaftig nicht!) –, daß der Galiläer recht hat. Seine Lehre hat dem Reiche der Römer schwer geschadet und muß der Menschheit schaden, wohin sie gelangt, denn sie ist widermenschlich und krank. Also, er hat nicht die Wahrheit für sich: aber den Sieg. Das hab ich schon lang erkannt oder doch gefühlt, bevor ich es, vom Pferde stürzend, ausrief. Mutter, Schwester, Freund, Volk, alles hat mir der Galiläer genommen. Mein Lehrer, der Verkünder der alten Götter, erwies sich als ein gaukelnder Betrüger. Meine Lehre, meine Götter – nicht eine einzige Menschenseele hat sie wirklich angenommen. Denn die Elenden, die mir zuliebe heuchelten – (wie andere dem Constantius zuliebe!) –, die zählen nicht.«

»Doch: eine Seele.«

»Helena! – Serapio hat recht, von Philosophie kann kein Volk leben, auch von der meinen nicht und von meinen gedankenhaften Göttern. Es verlangt das Brot und den Wein des Glaubens. Nun spendet ihnen die Kirche ja Brot und Wein und – Glauben! So stand ich ganz allein. Gegen mich zwei Welten, die alten Götter und der neue Gott. Erobern kann man die Welt, nicht überzeugen. Ich hab's erkannt . . . seit . . . seit Circesium . . . seit Ktesiphon. Und darum wollt ich weichen von dem Kampfplatz, auf dem der Galiläer so zweifellos und unbedingt gesiegt hat, gesiegt hatte, ach lange bevor dieser Wurfspieß flog.«

»O Herr! Du hast den Tod gesucht. Das ist unrecht. ›Man soll Gott nicht versuchen‹, sprach der Mönch Johannes, als er dich ohne Schutzwaffen in den Kampf reiten sah. Ich mußte ihm ein Pferd verschaffen. Er – das Männlein – wollte dich beschützen! Und er hat's getan, berichten sie. Er starb, um dich zu retten!« – »O Johannes! Soll mich auch dieser Galiläer überwinden!« – »Du hast den Tod gesucht«, wiederholte der Arzt vorwurfsvoll. »Doch nicht! Nur die Entscheidung der Götter, ob sie mich schützen wollten. Nun, sie haben's recht deutlich gezeigt«, er griff zuckend vor Schmerz nach der Wunde, »daß sie das nicht wollten. Freilich, ich darf nicht klagen, sie verkündeten mir's vorher.« – »Wie? Wodurch?« – »Abermals durch einen Traum – (den letzten) –, den sie mir gesandt. Nicht mehr Glück und Sieg verheißend – (wie in den schönen Zeiten von Mailand und von Straßburg!) –, nein, trauervoll, den Tod mir kündend, erschien mir diese Nacht der Genius Roms, zum letztenmal! Ein grauschwarzer Trauerschleier verhüllte sein Haupt, ein schwarzes Tuch sein goldenes Horn der Fülle, und dreimal mit der Hand mir Abschied winkend wich er rückwärtsschreitend weiter – immer weiter, von mir – und war verschwunden. Und wieder rief sofort die Tuba mich aus dem Schlaf – zum letztenmal! Da wußt ich es: Die Götter haben mich verlassen, haben mich und das Reich dem Galiläer preisgegeben.

Und so . . . so muß denn mein Nachfolger ein Galiläer sein. Aber ein maßvoller, der nun nicht die armen Hellenisten verfolgt, die unter meinem Schutz in den alten Glauben zurückgefallen waren. Auch dafür ist der Beste – Jovian.

Ich glaube nicht, das Recht zu haben, ihn dem Reich der Römer durch letztwillige Verfügung aufzudrängen, es würde ihm auch schaden bei den Galiläern. Aber ich wünsche, rate, empfehle ihn. Da! Nimm diesen meinen Siegelring, falls ich den Freund nicht mehr sehe. Damit übergeb ich ihm – nach meinem Wunsch – das Reich.«

 

Er beschied nun seinen Geheimschreiber und diktierte ihm, über sein Privatvermögen verfügend, seinen Letzten Willen. »Ein römischer Bürger«, lächelte er, »ein richtiger, stirbt nicht ohne Testament, bleibt ihm durch die Gnade der Götter dazu die Zeit. Und es kann ja – nach dem Recht der Römer – für Krieger im Felde ganz formlos geschehen. Ich war doch ein Stück von einem Krieger, nicht, Oribasius? Und wir kommen frisch aus der Schlacht!«

 

Währenddessen erschienen, von der Verfolgung zurückkehrend, tief erschüttert von der Trauerkunde, Jovian, Severus, Nevitta, Dagalaif und andere Führer. Sie traten in stummem Schmerz an das Lager von Schilf mit der blutüberströmten Löwendecke.

Lächelnd streckte er ihnen beide Hände entgegen: »Gesiegt! Ich vernahm es schon! Gesiegt wieder einmal! Zum letzten Male freilich! Nicht wahr, mein Jovian, es ist ein großer Sieg?«

»Viel größer als der bei Straßburg!«

»Der größte Sieg«, ergänzte der alte Severus, »den je römische Waffen über Perser und Parther erfochten. Viele Tausende der Feinde bedecken den blutigen Boden jenes Waldes und die weiten Gefilde dahinter im Norden und Süden, darunter Nohordates!« – »Ja, das weiß ich!« rief Julian mit leuchtenden Augen. »Auch der Surenas selbst – ihn traf Serapio – und, auf der Flucht eingeholt und erschlagen von Nevitta und Dagalaif, die beiden Königssöhne Varanes und Varahanes und sechsundvierzig Satrapen und Vornehme.«

»Ah! Das tut wohl, im Siege darf ich sterben! So ist mir ein Tod gelungen, wie ich ihn schon so lang erstrebte. Wo ist – (er allein fehlt!) –, wo ist Serapion?« – »Er liegt«, meldete Jovian, »verwundet in seinem Zelt. Er fing mit seinem Schild drei Wurfspeere auf, die dir galten. Der eine drang ihm durch den Schild in die Schulter. Der Arzt gebot . . . aber trotz des Verbotes, da ist er doch!«

Sehr bleich, den Schmerz verbeißend, der sich nur manchmal durch ein Zucken durch den ganzen Körper und sein verzerrtes Gesicht verriet, trat der Germane langsam heran.

»Julian!« sprach er. »Mein geliebter Freund!« – »Tapferer Franke, jetzt sind wir quitt für Straßburg. – Nein, du tatst viel mehr für mich als ich damals für dich: Dein Blut floß für mich.« – »Mein Herzblut gab ich, dich zu retten.« – »Sieh, wie warm! Im Leben – nie sprach er so. Man muß erst sterben, um diesen felsharten Germanen ihr verborgenes Gefühl abzuzwingen. – Wo . . . ist das Kleeblatt? Mir ist, ich sah sie dicht bei mir – bei jener einsamen Palme – hinter dem Walde. Wo . . . wo sind sie geblieben?«

Eine kleine Pause entstand. Endlich sprach Serapio: »Dort! – Dort sind sie geblieben . . . bei der Palme, alle vier. Alle. Auch der Tod hat das Kleeblatt nicht zu trennen vermocht. Sie deckten dich mit ihren Leibern, bis sie dich auf einem andern Roß geborgen hatten. Sie fielen dabei alle!« – »Bis zum Tode getreu«, sprach Julian gerührt, mit den Tränen kämpfend. »Auch der tapferste aller Theologen liegt dort, Sigibrand! Er hat sich ganz zerhacken lassen von persischen Schwertern, dich vor der Gefangenschaft zu schützen. Und von deinen sechshundert Germanen, die noch lebten, sind fünfhundertfünfzig gefallen. Siehst du, Julian, du fragtest einmal danach: das ist Germanentreue!«

Da konnte Julian die Tränen nicht mehr zurückhalten, er reichte Serapio die Rechte hin. »Vergib. Ich hab euch vielfach unrecht getan, euch unterschätzt. Ihr . . . ihr seid doch unsre . . . besten Feinde. Kein übler Witz, nicht?« lächelte er schmerzlich. »Ach, nun kann ich nicht mehr, Priscus . . . Wo ist Priscus, mein Lagerphilosoph?« – »Hier, Herr«, sprach eine von Tränen erstickte Stimme. »Was klagst und jammerst du, Freund? Als ob ich mein Leben so schlimm geführt hätte, daß mich die Strafen des Tartarus erwarten! Ich meine doch, ich habe mir – (durch Leiden und Taten) – das Emporsteigen zu einem schöneren, den Göttern näheren Sterne und zu seliger Verklärung verdient!« – »Er tröstet uns!« sprach Priscus der Philosoph. »Wahrlich, dieses Zelt gemahnt mich an den Kerker des Sokrates, und dieses Sterben an des Sokrates letzte Worte!« – »Nun kann ich nicht mehr dich vollends widerlegen! Deine Auslegung jener Stelle des Maximus – (zweites Buch, fünftes Kapitel) – über die Unsterblichkeit ist falsch. Nicht auf alle Planeten werden die Seelen verteilt, so zum Beispiel nicht die Krieger nur auf den Mars. Und Gatten, die sich bis ans Ende treu geliebt, kommen beide in den Stern der Hera. Nun werde ich nächstens erleben – (und kann dir's doch nicht schreiben, von der Hera herunter, so gern ich es auch täte) –, daß ich recht hatte und du unrecht. Das ist bitter.

Und auch meine Schrift gegen des Galiläers Lehre bleibt nun unvollendet, abgebrochen in der Mitte, gescheitert, wie mein werktätiger Kampf gegen ihn!

Es ist heute ein schöner, glücklicher Tag gewesen, einer der freudigsten meines Lebens. Ich möchte heute noch sterben – am Siegestag –, vor Mitternacht. Sieh, auch dieser letzte Wunsch wird mir von den Göttern erfüllt. Die Sanduhr dort hat noch lange bis zur Mitternacht zu rinnen, und ich – ich fühl es –, ich . . . scheide. Lebt wohl, ihr Freunde! Leb wohl, du Reich der Römer! Für dich hab ich gekämpft, geirrt, gelebt, für dich sterb ich jetzt! Nehmt meine Seele auf, ihr großen Götter. O Helena, bald . . .! Helios – nur ich bin besiegt, nicht du –, du rufst – ich höre . . . Dein Priester kommt freudig zu dir.«

Und er atmete noch einmal tief auf und starb, ein Lächeln umsäumte seine Lippen.

Schöner als im Leben, da es selten volle Ruhe gefunden hatte von wechselnden Erregungen, schöner war nun – im Tode – sein Antlitz. Keine Spur von Schmerz entstellte es; der Friede einer mit Gott, mit sich selbst und mit der Welt versöhnten Seele lag darauf.

Tief ergriffen umstanden die Freunde, die Waffengenossen die Leiche. Über manches bärtige Angesicht rann eine Zähre.

Jovianus faßte die Hand des Toten: »Leb wohl, Julian! Die Kirche hast du bekämpft – dein Vaterland hast du gerettet. Friede sei mit dir!«

»Ein großer Geist«, schloß Serapio, die andere Hand ergreifend, »und eine edle Seele. Von manchem Wahn betört, doch nie von Unschönem. Das Gemeine hatte keinen Teil an dir. Abtrünnig von der Kirche, nicht von Gott! Der Frömmsten einer, welche je gelebt. Du größter Feind und liebster Freund: Julian – leb wohl!«

 

Dem letzten Wunsche des geliebten Toten gemäß ward Jovian von dem Heer einstimmig zum Imperator ausgerufen.

Gleich darauf trat Serapio, voll gerüstet und reisefertig, in das Zelt mit dem Purpurwimpel. Erstaunt fragte Jovian: »Was sehe ich? Deine Wunde . . .?« – »Muß unterwegs heilen.« – »Wie? Du kommst . . .?« – »Abschied von dir zu nehmen. Ich gehe.« – »Wohin?« – »In die Heimat.« – »Ich verstehe! – Der Imperator dieses Reiches sollte dich nicht ziehen lassen, den gefährlichsten aller Feinde.«

»Der Imperator dieses Reiches ist derselbe Jovian, der sich verbürgt hat für jenen Vertrag, der mir die freie Rückkehr sichert. Die Bedingung ist erfüllt. Tot liegt der edle Julian.« – »Genug. Ich halte sein Wort und das meine. Aber warum eilst du so? Wir geleiten in langsamem Zuge die teure Leiche in die Heimat. Willst du nicht mit uns den Toten ehren?« – »Die Lebenden gehen vor. Mich ruft mein Volk, mein greiser Vater dringend. Es eilt.« – »Nun denn, so geh. Reich mir noch mal die Freundeshand. Denn bald – ich kenne dich und deine Pläne! –, bald kreuzen wir die Schwerter dort!« – »Ja. – Auf Wiedersehn, freundlicher Feind, am Rhein! Ich führe mein Volk über den Strom ins Herz von Gallien, oder ich falle, Schwert in der Hand.« – »Und ich werd es dir wehren, oder ich falle, Schwert in der Hand. Leb wohl, Freund Serapio.« – »Merowech heiß ich fortab allein. Leb wohl, Freund Imperator. Auf Wiedersehn im Feld der Schlacht.«

 

Aber die beiden Männer sollten sich nicht wiedersehen.

Jovianus setzte den Rückzug fort, barg seines großen Freundes Asche in einem würdigen Grabmal zu Tarsus und starb bald darauf, bevor er Europa wieder betreten hatte, zu Dadastana in Bithynien ganz plötzlich nachts in seinem Zelt an einer jähen Krankheit.

Merowech aber hat, als König der Bataver und der Sugambern, sein Volk über den Rhein geführt.

Er war der erste König der Salier in dem schönen Lande, das längst nicht mehr nach den Galliern, das nach den tapfern Franken heißt.

Zu Duysborg – zwischen Löwen und Brüssel – errichtete er den Königssitz seiner vier Gaue. Von da aus haben seine und der goldlockigen Rigunthis Söhne und Nachkommen allmählich das ganze Land bis an die Pyrenäen erobert. Länger als zwei Jahrhunderte haben sie das Frankenreich beherrscht.

 


 


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