Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neununddreißigstes Kapitel

Am anderen Morgen erhob sich Julian – gegen seine Gewohnheit – spät vom Lager. Er hatte – nach dem Opfer für Oneiros – erst in den Morgenstunden Schlaf gefunden, der dann von Träumen bunt durchwoben war. Darauf hatte er wieder stundenlang allein die Karten, besonders den Lauf der beiden großen Ströme, durchforscht, endlich den Perser zu sich beschieden. Nach langer Beratung mit diesem befahl er alle Heerführer in sein Zelt. Sie fanden ihn abermals verstört, entstellt durch innere Erregung, durch innere Kämpfe. Der Perser stand neben ihm, die langen schwarzen Wimpern niedergeschlagen und unaufhörlich, aber ganz langsam sich über den breiten Bart streichend.

»Ihr wißt, meine Waffenbrüder«, begann der Augustus, mit einem müden, trüben Lächeln auf dem zuckenden Mund, »ich pflege nur mit meinen Göttern Kriegsrat zu halten, nicht mit meinen Feldherren. Diese erfahren nur meine fertigen Beschlüsse. So auch jetzt. Diese Nacht offenbarten mir die Götter im Traume das Notwendige. Alle Vorräte und die ganze Flotte –, sie werden hier verbrannt.«

Ein Ruf, nein, ein Schrei des Staunens, des Schreckens, der Mißbilligung entrang sich aller Munde. Nur der Perser schwieg, er wußte offenbar schon um den Beschluß. »Mein Imperator«, begann der alte Severus, das ist . . .« – »Beschlossen. Also getan.« – »Über zweihundert Stunden weit«, sprach Jovian warnend, »haben wir, mit unendlicher Mühe, mit vielem Schweiß und Blut, Schiffe und Vorräte von Antiochia bis Ktesiphon geschleppt . . .« – »Gut also, daß wir sie nicht nochmal schleppen müssen. Mit Mühe fuhren sie zu Tal, zu Berg den Tigris, den Euphrat hinauf, sind sie gar nicht zu fahren. Kein Schiff geht über Ktesiphon stromaufwärts über Wehre, Stromschnellen und Wasserfälle: Weder Segel noch Ruder noch angestemmte Schultern und gestraffte Seile leisten das. Sollen wir unsere Flotte dem neuen Surenas schenken, sie kampflos, als Beute stromabwärts zu führen? Und fehlen die Schiffe, wer soll die Lasten der Vorräte tragen? Für sechzigtausend hab ich mitgeführt – fünfundzwanzigtausend habe ich. Sollen diese, bepackt wie Lasttiere, zugleich die Parther abwehren? Unmöglich!«

»Je die Hälfte . . .« warf Serapion ein, »muß tragen, die andere fechten.« Aber eigenwillig fuhr der Feldherr fort: »Ganz unmöglich. Aber, meint ihr, wovon wir leben sollen? Ei, mag nun der Krieg den Krieg ernähren. Reich und fruchtbar sind die Landschaften, durch die unser Rückzug führt. Ich weiß es aus den Büchern, und Freund Nohordates hier hat es bestätigt.«

Tief verneigte sich der Perser und sprach: »Es ist die Wahrheit.« – »Ja«, entgegnete Severus, »ich weiß es auch. Ich durchzog das Land einst im Frieden als Gesandter. Aber die Einwohner werden im Krieg . . .« – »Entweder gutwillig verkaufen oder gezwungen hergeben, was wir brauchen. Daß sie es haben, steht fest. Und fest steht mein Entschluß. Den besten landeskundigen Führer gewannen wir an unserem Freunde hier. Er versprach mir, unsere Vorhut nach Corduene zu leiten. Nun, was zögert ihr? Was habt ihr noch auf dem Herzen?«

»Herr, das Heer! Wie wird es diesen Beschluß – diese ungeheure Brandstiftung – aufnehmen?« wagte Severus zu fragen. »Ich fürchte, sie werden murren«, meinte Nevitta.

»So werde ich ihnen selbst den Beschluß eröffnen. Wie ich selbst die erste Fackel in das erste Schiff, in den ersten Getreidewagen werfen werde. Und verkünden auch werd ich ihnen, was meinen Entschluß entschied: meinen Traum von heute nacht! Der Traumgott, dem ich geopfert habe, zeigte mir in den Morgenstunden den Gott Hephaistos in flammender Lohe. ›Dieser‹, erscholl eine Stimme, ›wird dein Helfer sein.‹ Und als ich dem bärtigen Gott ins Antlitz sah; die Züge dieses Persers wies er auf. Mit Schwanken über den Brand, mit Zweifeln auch an dem Überläufer war ich eingeschlafen. Der göttergesandte Traum hat – (wie in Zabern damals) – mein Schwanken, meine Zweifel überwunden. Blind vertraute ich allem, was die Götter sandten: dem Traum, dem Brandbeschluß und dem Satrapen als Wegführer. Geht nun! Ruft das Heer zusammen! In einer Stunde steht hier alles in Flammen und wir ziehen ab, nach Norden, nach Armenien, die treulosen Galiläer zu bestrafen.«

Mit schwerem Herzen verabschiedeten sich die Führer von Julian, der nur den Perser bei sich im Zelt zurückbehielt, mit ihm über die Straßen des Rückzugs Rat zu pflegen, und Lysias zu sich beschied, ein großes Opfer für Hephaistos vorzubereiten.

»Das größte Opfer für Hephaistos«, sprach Serapio zu Jovian, »sind unsere Flotte, unser Getreide und unsere Rettung. Er ist wie mit Blindheit geschlagen! Ach, gegen seine ›Götter‹ kämpft seine Weisheit vergebens!«

Die kunstvolle Rede, in welcher der Augustus dem versammelten Heer jenen verhängnisvollen Beschluß verkündete und zu begründen versuchte, ward mit eisigem Schweigen, mit stets steigendem Staunen, mit Besorgnis, zuletzt mit laut murrendem Unwillen angehört. Und, als gegen Abend, nach vollendetem Opfer für den Feuergott, von Julians eigener Hand entzündet, die mächtige Kriegsflotte und die auf den Lastschiffen sowie in dem Lager aufgehäuften vielen tausend Wagen, Kisten und Säcke voll Getreide in Flammen aufgingen – ein schauerlich prachtvoller Anblick –, da begrüßten ihn die Perser auf den Wällen von Ktesiphon mit Jubel. Sie sagten, Ormuzd habe Stolz, Macht und Hoffnung der Feinde durch himmlisches Feuer von oben zerstört.

Die Römer aber wurden von Furcht, von Entsetzen über das selbstzerstörerische Tun ihres Feldherrn ergriffen: »Er ist von Dämonen besessen«, flüsterten die Christen unter ihnen. »Es ist die Strafe seiner Abtrünnigkeit, seines Eidbruches. Die Weissagung des großen Athanasius erfüllte sich. Er raset gegen sich selbst.«

Und eine Wandlung, eine Verdüsterung des Geistes war allerdings in Julian eingetreten seit jenem Tage zu Circesium. Schwermut und Übererregung wechselten rasch in ihm ab, und der gesteigerte Haß gegen die Christen erhöhte merklich den Einfluß des Lysias.

Nachdem die Flammen und der Fluß die stolze Flotte und das Korn des Heeres zerstört hatten – viele Stunden hatten sie dazu gebraucht –, traten die Römer (sechzig Tage, nachdem sie die Persergrenze überschritten hatten, gewiß, dieses Reich zu erobern), in tiefster Niedergeschlagenheit den Rückzug an, unter dem Jubel, dem Hohn der Feinde auf den Zinnen. Wie schnitt es Julian in die Seele! Er sprengte eilig davon an die Spitze der Vorhut, um dieses gellende Jauchzen nicht mehr hören zu müssen.

Mit seltsam grimmigem Gesicht erbat sich Jovian die berittenen germanischen Leibwächter und eilte mit ihnen in die äußerste Nachhut, die das geringe, mitgeführte Gepäck bewachte. Es bestand aus zwölf kleinen Nachen, die auf Jovians Bitte, von der Fackel verschont, auf Wagen mitgeführt wurden, um bei Überschreitung von Flüssen als Schiffbrücken verwendet zu werden und aus dem Mundvorrat für nur zwanzig Tage. In dieser Frist hoffte Julian, sicher das Gebiet von Corduene zu erreichen, dessen Häuptlinge die Oberhoheit seines Reiches anerkannten.

Richtig hatte Jovian vorausgesetzt, der Übermut der Perser in Ktesiphon werde sich die Genugtuung einer Verfolgung nicht versagen können. Und in der Tat brach alsbald aus den Toren der Feste eine siegessichere, bunt zusammengesetzte Schar von Kriegern und Bürgern, die Abziehenden zu bedrängen, Beute zu machen unter ihrem Troß. Es bekam ihnen schlecht. Sausend fuhren die germanischen Reiter auf die Zuversichtlichen los und jagten sie unter grimmigen Streichen in ihre Stadt zurück.

»Schade, Herr«, meinte Sigibrand, der Sachse, als er, zu dem Imperator zurückreitend, sein blutiges Schwert an einer eroberten Perserfahne abwischte. »Schade, daß du nicht dabei warst. Hättest deinen Theologen einmal mit Erfolg predigen sehen.« – »Jawohl«, bestätigte Sigiboto. »Die Kerle haben unsern Zorn abgelten müssen.« – »Den wir eigentlich auf dich haben, Auguste«, fuhr Hippokrenikos fort. »Von wegen der grausigen Verbrennerei der schönen Schiffe und des Brotes«, schalt Ekkard. »Und sogar Wein, sagt man, war auf den Schiffen. Aber natürlich, du weißt nicht, was Durst ist«, klagte Garizo.

Julianus lachte, aber es war nicht das alte, unbefangen überzeugte Lachen, mit dem er früher die kecken Scherzreden seiner Lieblinge aufgenommen hatte; es lag Gewölk auf seiner Stirn und wich nie mehr.

 

Seine Hoffnung, das Heer durch die Erträgnisse der zu durchziehenden Gegenden ernähren zu lassen, schlug gänzlich fehl.

Gleich an dem ersten Tage des Rückzugs durch die bisher unbetretenen Landschaften fand das Römerheer den Volkswiderstand in der furchtbarsten Gestaltung vor sich: Lang ehe ihre vorsprengenden Reiter ein Haus, ein Dorf, eine offene Stadt erreichten, loderten Flammen vor ihnen auf; die Einwohner verschütteten die Zisternen, zerstörten jede Unterkunft, verbrannten wie ihre Holzhäuser, so das in diesem Himmelsstrich bereits reife Korn auf den Feldern – es war Juni –, trieben die Herden vor sich her und flüchteten in die nächsten Burgen oder befestigten Städte. Kam nun das Heer heran, so fand es Brandstätten, wo es Obdach und Unterhalt erwartet hatte.

So mußte der Legionär vom ersten Tag an von dem mitgeführten Mundvorrat zehren. Schon war es der zehnte Tag; noch lange war die Grenze von Corduene nicht erreicht, und die Hälfte der Lebensmittel war verzehrt.

Am Abend dieses Tages sprach Serapio zu Jovian, als sie miteinander die Lagerwachen verteilten: »Wir ziehen auf schlimmen Wegen.« – »Sie führen nicht zum Sieg! Kaum zur Errettung.« – »Julian hat wieder einmal – wie gegen uns Germanen – die Kraft, wie soll ich sagen? – die Seele des Volkes unterschätzt, das er bekämpft. Denn mir ist oft, ein Volk hat eine Seele wie ein Mensch, sie ist seine Eigenart. Diese Perser haben die Kraft unbesiegbaren Hasses. Die erbarmungslose Verwüstung des eigenen Landes durch die Bebauer des Bodens, die uns mit Vernichtung bedroht . . .« – »Die kann kein Befehl des fernen Großkönigs und seiner Satrapen erzwingen, die Leute tun's von selbst.« – »Ja! Sie hassen euch mehr als den Tod.« – »Erst jetzt – vor zehn Tagen – hat Julian seinen Feldzug verdorben.« – »Nicht als Feldherr!« – »Als Staatsmann.« – »Er mußte Sapors Friedensantrag annehmen. Ich bin gewiß, der war ernst gemeint.« – »Aber der Alexanderwahn verblendet ihn. Er glaubt, er muß Indien erobern! Darüber kann er aber Antiochia verlieren.«

 

Am frühen Morgen des elften Tages trat in das Zelt des Feldherrn der grauhaarige Severus, eine zerlesene Straßenkarte in der Hand, begleitet von den andern ersten Führern. Er fand Julian, das gerötete Gesicht ebenfalls über eine Karte gebeugt.

»Das ist ein gutes Zeichen, Jovian«, flüsterte er im Eintreten. »Er zweifelt selbst! – Verzeih, Herr, unsere Eilfertigkeit. Aber es eilt wirklich. Sieh, ich bin der einzige, der von früher her die Landschaft kennt. Diese Karte ist mangelhaft und mein Gedächtnis auch. Aber wenn nicht beide stark trügen – die Straßen hierzulande kenn ich nicht gerade genau –, sind wir zehn Tage lang . . .« – »Statt nach Norden, nach Corduene, stets nach Osten gezogen«, rief Julian aufspringend und mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Das ist auch mein Ergebnis. Ich rief den Perser her . . . Nun, Oribasius, wo ist er?« – »Entflohen, o Herr«, erwiderte der hereinstürzend, Schrecken im Antlitz. »Was?« – »Wie?« – »Entflohen!« – »Der Verräter.« – »Ich warnte treu!« sprach Jovian. »Ich jag ihm nach«, rief Serapio, »und bring dir seinen falschen Kopf.« – »Bleib, Franke«, mahnte der Arzt, »du holst ihn nicht mehr ein. Schon um Mitternacht verließ er – mit all den Seinen – das Lager, gegen Südosten davonjagend, mit geheimen Befehlen des Imperators.«

»Gelogen«, sprach der; er war sehr bleich geworden.

»Die Wachen ließen ihn ziehen. Denn er zeigte eine Weisung des Imperators, ihn frei ein- und ausreiten zu lassen. In seinem Zelt lag dieser Zettel – in einem Buch –, in dem Neuen Testament.«

Julian nahm und las laut: »Wehe dir, Apóstata! Dem Abtrünnigen die Treue brechen ist Gott wohlgefällig. Zur Hölle schickt dich bald Christus, der Herr.« – »So sah ich recht!« zürnte Serapio. »Mir war, neulich, als die Christen in unserem Heer ihren Abendgottesdienst hielten, schlug er im Vorüberschreiten rasch ein Kreuz auf Stirn und Brust.« – »Wie gefallen dir deine Galiläer, Jovian?« fragte Julian bitter. »Wer hat dir«, fragte der mutig entgegen, »den Schurken empfohlen? Oneiros, Pallas Athene Pronoia und deine anderen Götter.« – »Streiten wir nicht!« schloß Julian. »Retten wir das Heer. Also: Links schwenkt ab! Nach Norden endlich! Nicht nach Osten mehr!« – »Und unterdessen«, grollte Jovian, »sind zehn kostbare Tage Zeit, Vorrat und Kraft verloren! Aber vorwärts!«

 


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