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Ich schreibe dies (viele Wochen später) aus Paris.
Lutetia Parisiorum heißt das kleine Nest, das, ursprünglich auf eine Insel der Seine beschränkt, allmählich auch auf beiden Ufern des Flusses einige Häuslein, ja auf dem Südufer sogar schon ein paar Straßen, erwachsen sah. Hier, auf dem Südufer, liegt auch das stattliche Palatium, das schon der Vater des großen Constantin erbaut hat mit allem Zubehör von warmen und kalten Bädern, umgeben von einem weiten hainartigen Garten; hart östlich zieht an dem Palast die große Legionenstraße vorbei, die auf zwei schmalen Holzbrücken vom Nordufer über die schmale Insel und auf das Südufer führt. Besonders sicher scheint sich aber der Herrscher nicht gefühlt zu haben in dem neuen Bau, denn er hat ihn mit hohen Mauern umgeben und den einzigen Zugang sowohl in den Vorhof wie in das Palatium selbst mit je einer starken Eisentüre gesperrt. Die Umgebung des Städtleins ist übrigens nicht ganz ohne Reiz. Mannigfach gewunden schlängelt sich der Strom, und ringsum rauschen dichte Wälder. Erbaut sind die Häuser aus einem weichen, leicht gestaltbaren Ton oder Lehm, der dann in der Luft rasch hart werden soll.
Ich wählte das unansehnliche schmutzige Nest (andere gallische sind viel reicher!) zum Winterquartier, wegen der Sicherheit gegen Angriffe der Barbaren, die (noch immer!) im Land umherschwärmen. Die hochummauerte Inselfeste ist leicht zu verteidigen, auch mit geringer Mannschaft. Und dann wegen der Lage in der Nähe sowohl der Alemannen als der Franken, um im Frühjahr nach meiner Wahl jene oder diese rasch und überraschend angreifen zu können.
Frech sind sie, diese freien Franken, sehr frech! Mitten im Winter wagte ein Haufen von tausend Mann Saliern einen Plünderungszug über Köln und Jülich bis Reims! Auf dem Rückweg von mir verfolgt, warfen sie sich in zwei unserer alten verlassenen Lagerschanzen an der Maas und wehrten sich hier vierundfünfzig Tage, bis sie der Hunger zur Ergebung zwang. Ihre Hoffnung war es gewesen, über den gefrornen Fluß zu entkommen: Aber ich ließ von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang ununterbrochen Kähne auf dem Flusse kreuzen, die Eisbildung zu verhindern. Wohl wollten meine Illyrier diesen seltsamen Dienst weigern, aber als ich selbst in eins der Boote sprang und so lang das Ruder führte, bis mir nach Mitternacht ein Ohr erfror, da schämten sie sich und gehorchten. Was so ein Cäsar nicht alles lernen, ein Philosoph nicht alles verrichten muß! Wer mir in Nikomedia vom Rudern in Eiswasser gesprochen hätte! Aber auch wer mir im Kloster Hagion von dem Glücke gesprochen hätte, das ich jetzt in den Armen meiner Helena finde!
O Lysias, du mußt, du mußt endlich zu mir kommen, schon um Zeuge solchen Glücks zu sein. Wie kann ein Mann jemals ein Weib nach dem ersten Weibe lieben? Lieben – das ist Ewigkeit! Das ist eine Gnade, die Aphrodite Urania einmal gewährt und nicht wieder. Hätte ich das unsagbare Unglück, Helena zu überleben – nie könnte ich doch ein ander Weib berühren. Schon der Gedanke daran läßt mich erschauern.
Du errätst aus diesen glühenden Worten, daß wir vereinigt sind. Ja, ich habe Freund Serapio den vertrauensreichen Ehrenauftrag erteilt, meine Gattin – mit gehöriger Bedeckung – zu Vienne abzuholen und sicher nach Paris zu geleiten, wo sie in dem kleinen Palatium ganz gut untergebracht ist. Ich ließ den vorgefundenen hübschen Garten – (immergrüne Sträucher, ferner Reben und sogar Feigen, wenn mit Stroh zugedeckt, erfrieren sie hier nicht im Winter) – noch erweitern, ich stellte die verfallene Wasserleitung und die Wärmeleitung für die Bäder her. Mein liebes, nur allzu zartes Weib wird, denk ich, einen Winter in dieser barbarischen Stadt der Pariser doch ohne allzuviel Beschwerden überdauern. Schöne Götterbilder aus Marmor und Erz stehen zahlreich im Garten um uns her. Die fromme Verfolgung hat diesen abgelegenen Seinewinkel noch nicht durchstöbert.
Merkwürdig ist, wie meine scheue Frau, die sich vor Männern ängstlich in sich zusammenschließt, für diesen Bataver so offen, so mitteilsam ist. Er erweckt Vertrauen, das ist wahr. Und die Hauptsache ist: Sie hat die Ahnung für das Reine in dem Mann. Ich bin überzeugt, dieser kraftstrotzende Germane mit seinen dreiunddreißig Jahren, von denen er mehr als die Hälfte in dem Pfuhl der Laster, das heißt (abgesehen vom Kloster Hagion) in den größten Städten unseres Reichs verlebt hat, ist so keusch wie ich. Sie fühlt das. Sie hält viel auf ihn. Neulich vor dem Einschlafen sprach sie zu mir: »Nicht wahr, der Franke hat versprochen, nie mehr gegen dich zu kämpfen? Oh, das ist eine große Beruhigung.«
»Glaubst du, er ist mir überlegen?« fragte ich, nicht ohne leisen Groll. »Das nicht. Aber er ist soviel ruhiger, in sich geschlossener als du! Du . . . du bist – Jovian sagte es gestern – du bist zu geistreich.« Hm, kann man wirklich auch allzu geistreich sein?
O mein Lehrer, was ist die wichtigste, die unentbehrlichste Eigenschaft für einen Cäsar; wenigstens für einen Cäsar des Constantius?
Nicht Geist; wahrlich, die geistloseste der Tugenden: die Geduld! Fünf Monate sind nun verstrichen seit jenem heißen Augusttag, daß ich auf irgendein Wort der Anerkennung wartete von dem Imperator; du wirst es verzeihlich finden. Bis heute kam noch keins. Ich mußte aber schon wiederholt – (zu seinem Geburtstag und zum Tag seines Regierungsantritts) – Lobreden auf Constantius verfassen, und bevor ich sie sprechen durfte, die Handschrift einsenden zur Prüfung, ob er auch genug darin gelobt sei. Nein, es sei nicht genug, schrieb mir, sie zurücksendend, ein Hofeunuch, ein echter Professor der Schmeichelkunst. Und er bemerkte am Rande, ich habe ja vergessen, zu rühmen, daß der Augustus niemals öffentlich sich die Nase schneuze, noch ausspucke, und daß er nie vor dem Volk anderswohin als geradeaus blicke, und daß er nie lache, ausgenommen »ein heiliges Lächeln«, über Kirchenbauten. Und dabei schreibt mir Ammian – vorsichtig, in Geheimschrift: »Er ist schrecklicher als Caligula, Domitian und Commodus.« Und den muß ich loben, lobe ich. Ach! Wird es mir zu ekelhaft, schreibe ich mitten hinein in die Rede einige Hexameter aus der Ilias, die sind immer und überall schön!
(Vierzehn Tage später)
Eine Freude, Lysias, eine Freude, fast so stolz wie der Sieg bei Straßburg selbst! Ammian, der wackere, wünscht mir Glück und schickt mir (in Abschrift wenigstens eines Satzes), was er über mich und meine Siege in sein Geschichtswerk aufnehmen wird: »Nicht aus dem Kriegszelt, aus den stillen Schatten der Akademie plötzlich auf das Schlachtfeld gerissen, hat dieser Jüngling die Germanen niedergeworfen, den Rhein gebändigt und der kampfschnaubenden Könige Blut vergossen oder sie in Ketten geschlagen.« Horch, das klingt wie Tubaton der Weltgeschichte, der Unsterblichkeit! Gierig saug ich's ein . . .!
(Zwanzig Tage später)
Aber er, der Imperator, mein Schwager, für den ich die Schlacht und Gallien gewann? Noch immer nicht ein Wort! Dankbarkeit ist nicht die Schwäche der Herrscher. Im Gegenteil. Was meldet Philippus vom Hofe? »Das Siegerlein« nennen mich spöttisch die Eunuchen, weil ich nun wirklich, sooft ich ihm schrieb, von Siegen zu melden hatte.
Ja viel Ärgeres! Während Constantius in dieser Zeit recht mäßige Erfolge gegen Sarmaten am Ister davontrug; was tat er? In den amtlichen Berichten, die er nach seiner Rückkehr aus dem Palatium zu Mailand in alle Provinzen entsendet – (von Lorbeerzweigen sind die Rollen umwunden, welche die Statthalter in den Provinzhauptstädten öffentlich verlesen müssen!) –, lügt er amtlich. Er habe, Er in Person, ein Heer der Perser am Tigris geschlagen – (er war an jenem Tage zu Byzanz!). Er habe in der vordersten Reihe gefochten, er habe den um Gnade flehenden König der Armenier von seinem Fußfall erhoben. Ja, in unser Lager zu Paris gelangte (durch Versehen) ein Bericht, für andere Heere und Provinzen bestimmt – (ich hätte aber dann die Verbreitung nicht verhindern dürfen bei Todesstrafe, so lächerlich er den Herrscher machte) –: Er, Constantius, habe unsere Aufstellung bei Straßburg geordnet. Er sei unter den Cornuti gestanden, Er habe die Reiter der Barbaren kopfüber in die Flucht geschlagen, Ihm sei am Abend der Schlacht der gefangene Chnodomar vorgeführt worden. Vierzig Tagereisen war Constantius an jenem Abend fern von Chnodomar!
Ich kam dazu, wie die Cornuti in den Straßen von Paris und bei ihren Wachtfeuern jenseits der Seine die Primani diese Dinge sich vorlasen, unter solchen Schmähungen auf den »Lügenimperator«, unter solchen Verherrlichungen meiner, daß ich schleunigst den Soldatenmantel über dem Kopf zusammenschlug, davoneilte und die Lügenberichte unter der Hand an mich bringen ließ, sie nach Mailand zurückzuschicken!
Schon wieder schlug – vereinzelt – der wahnsinnige, der frevelschwere, der schreckliche Ruf an mein Ohr: »Marce, Juliane Imperator!« Das klingt wie Frohlocken der Furien über Eidbruch.
Ach, Constantius ist schwer zu ertragen! Die Provinz Gallien von den Barbaren zu befreien ist mir gelungen. Jetzt muß ich sie aus ihrer tieferen Not erretten, aus ihrer Finanznot. Die Provinzialen verzweifeln.
Und nun schickte mir der Augustus seinen Geheimschreiber Gaudentius als »außerordentlichen Oberfinanzverwalter«, um die neugewonnene Provinz neu zu besteuern! Dieser Blutsauger verlangte fortab verdoppelte Kopf- und Grundsteuer! Ich, der Feldherr, warf seine Rechnungen zornig auf den Boden und erklärte – ich, der Feldherr! –, ich brauche gar nicht soviel (Geld und) Soldaten, als er mir aufdrängen wolle. Das ist, glaub ich, neu in der Weltgeschichte. Darauf erhielt ich einen feierlichen Verweis vom Imperator – sein erstes Wort an mich seit Straßburg –, weil ich meine Zuständigkeit überschritten! Doch erreichte ich, daß mir die Provinz Belgica – gleichsam als Versuchsfeld – allein zur Steuererhebung überwiesen ward. Ich setzte die Kopfsteuer von vierundzwanzig auf sieben Goldstücke herab, und die Folge meines gerechten Verfahrens war, daß alle Steuern noch vor der Fälligkeit bezahlt wurden. Die Bürger von Beauvais widmeten mir einen goldnen Rebenkranz. Ich ließ ihn einschmelzen und den Erlös unter jenen Armen verteilen, die früher aus den nun geschlossenen Göttertempeln gespeist wurden.