Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Vierzehntes Kapitel

Jahr und Tag waren verstrichen.

Da wandelte zu Heliopolis in Ägypten in seinem Arbeitsgemach Lysias langsam auf und nieder, ganz vertieft in ein langes Schreiben Julians, das also lautete: »Seinem geliebten Lehrer und Befreier Lysias der dankverpflichtete Schüler Julian.«

»Dankverpflichtet. Wie kühl! Wie abgemessen! Also nicht: ›Dankbegeistert.‹ Wie der Schuldner widerwillig des Gläubigers gedenkt.«

»Zwar ist es noch nicht gar zu lange her, daß ich dir hier, in dem Athen unseres göttlichen Platon, an den Ufern des Ilissos wandelnd, im Schatten der Platanen meine ›Geschicke‹, was mehr ist, meine Gedanken – die ›geschickten‹ wie die ›ungeschickten‹ (ist das nicht hübsch? Wie nennt man diese Wendung?) mitgeteilt habe, da du, meinem Rufe folgend, als Lehrer eines nur wenig mehr Gelehrigen, hierher gekommen warst. Allein ich fühle: nur unvollständig – ich weiß nicht, weshalb? – konnte ich mich damals dir erschließen. Oder vielleicht besser: wann ich mich erschließen wollte, ergriffst du den Schlüssel und schlossest mir Mund und Seele, selbst den suchenden Blick des Auges zu. Es steht ein Ungreifbares, Unsichtbares zwischen uns. Das will ich vertreiben. Denn es wäre schwarzer Undank, käme ich ferner und ferner ab von dir – von dir, dem ich alles schulde: die Freiheit, das Licht, das Höchste: Phöbos Apollo selbst.

Aber freilich, gerade er ist es, Phöbos Apollo, der, wie es scheint, uns scheidet. Denn anders als dir erscheint er mir, seitdem ich, gelöst von der Obergewalt deines reiferen Geistes und von anderen Lehrern belehrt . . .«

»Aha, das ist's, das ist's«, knirschte Lysias, den Papyrus in der Faust zerknitternd. »Verdrängt haben sie mich aus seinem Gemüt, diese glaubenlosen Sophisten und Rhetoren! Aber ich will sie wieder haben, diese Seele. Nicht für mich wahrlich, für die großen Götter, die nicht zu ergrübelnden. Ich muß ihn wiedergewinnen, mit jedem Mittel. Und ihr wißt es, Phöbos Apollo und Vater Zeus und Athene, nicht bloß um meiner Herrschaft willen, auch nicht nur für das Glück des geliebten Kindes führe ich diesen Kampf. Aber mein muß er bleiben – oder ach! wieder werden –, Julianus, der Beherrscher der Welt, der sternenverkündete Wiederhersteller der Götter und meiner Herrschgewalt am Nil. Und auch was für mein Kind die Sterne gelobt: ›Julian und Helena, das Doppelgestirn der Herrschaft und der Liebe!‹ – wahr muß es werden: oder die Sterne hätten gelogen. Und dann wären auch die Götter Lüge – ebenso wie die Wunder des verhaßten Jungfrauensohnes – unertragbar zu denken!«

Er stand nun an dem Fenster, das in den Garten blickte. Leise Klänge einer Lyra drangen zuweilen aus einer halboffenen, um den Springquell gebauten Marmorgrotte. »Armes Kind«, seufzte er.

»Als ich plötzlich von der schon betretenen Schwelle des Hades zurückgerissen ward durch den von dir so ungerecht gehaßten Johannes« – (»noch immer hängt er an dem Schwachkopf!«) »und mich hierher versetzt sah in diese von Göttern und allen Musen geheiligte Stadt, da badete meine Seele in Entzücken. Eitel wie ich leider bin – (»zu meinem Glück, so dachte ich früher«, seufzte der Leser, »aber nun beherrschen ihn andere – nicht mehr ich! – durch diese Schwäche) –, schmeichelte es mir wohl auch, daß dieses liebenswürdige Völklein der Athener – es sind die erfreulichsten der Menschen! – seine Freude an dem Sproß des Herrscherhauses hatte und hat, der so eifrig ihren Lehrern lauschte und lauscht. Sie loben meine Leutseligkeit: ist es mir doch Herzensbedürfnis, jedem Menschen, dem ich begegne, Freundliches zu erweisen: Sie ehren mich auf den Straßen, in den Bädern mit frohem Zuruf – oh, ihr Götter – vernimmt das Constantius (und was vernimmt es nicht, sein ungeheures Ohr?), kann ein einz'ger solcher Zuruf mir das Leben kosten! Und die Gefahr, angegeben, verklagt zu werden bei Hof, umgibt mich hier stets und überall: einer meiner Mitschüler, Gregor (er soll aus Nazianz stammen und ist die giftigste Kröte von einem Menschen, die mir im Leben vorgekommen!), schrieb neulich schon an unsern gemeinschaftlichen Lehrer Aidesius: ›Welch Unheil erzieht sich der Imperator an diesem Menschen, der in kindischer Eitelkeit mit dem Philosophenmantel prunkt und sehr wenig zu glauben scheint!‹ (Wie dankbar bin ich dir auch dafür, daß du mich diese altägyptische Geheimschrift gelehrt hast, in der ich sogar über Constantius die Wahrheit schreiben kann, ohne alsbald daran zu sterben!)

Allein jene Freude der Eitelkeit ist ein Kleines gegen die berauschende Geisteswonne, in der ich schwimme, seit ich nicht nur die Fesseln der traurigen Lehre des Galiläers von mir gestreift, das ist dein Verdienst (das mich für immer zu deinem Dankesschuldner macht), seitdem ich an des Zerstörten Stelle ein voll befriedigendes Neues gefunden. Und sieh, das ist, was ich an dir, an deiner Lehre vermißte: zerstören konntest du, nichts auferbauen.«

»So?« rief Lysias zornig! »Undankbarer!«

»Denn was du botest (o vergib) . . . es waren doch nur die alten Götter« – (»gibt es Herrlicheres? grollte Lysias) – »des kindlichen, gedankenlosen Volksglaubens, nur ein ganz klein wenig von den grobsinnlichsten Fabeln gereinigt. Aber alle Olympier, so, wie sie die Dichter gesungen, nur ein wenig gesäubert von Ehebruch und Vatermord, sollte ich verehren! Und auch dein Phöbos Apollo, immer blieb er noch der Sohn des Zeus und der Latona, der Tochter eines Titanen, und dein Zeus soll bald in Schwanengestalt, bald als Stier gebuhlt haben. Wenn ich das glauben soll, warum nicht auch, daß der Esel Bileams einen Vortrag gehalten habe? (Ich habe hier in Athen manchen Vortrag von Professoren gehört, der mir jene Eselsgeschichte ganz glaubhaft scheinen läßt.)«

»Der Unselige! Er wagt es in frechem Witzeln den wüsten Aberglauben der Hebräer dem Glauben an unsere Götter zu vergleichen!«

»Das ist wohl der letzte Grund, der uns bei deinem so heiß von mir erbetenen Besuch hier nicht zu rechtem Einklang gelangen ließ. Aber seither (etwa acht Monde sind verstrichen) habe ich ganz gewaltige Fortschritte gemacht: leider führt mich jeder Schritt – ich sage wahrlich nicht: über dich empor – wohl aber weit, weit hinweg von dir. Höre nur! Ich habe – mit des Imperators Verstattung – nicht nur Byzanz besucht und die dortigen Lehrschulen der Sophisten Nikokles, Himerius, Proäresius und des Philosophen Chrysanthius, nein – höre nur und frohlocke mit mir! – selbst Nikomedia . . .«

»Wie? O wehe mir! Die Stadt des Maximus, der alle großen Götter in eitel Symbole verflüchtigt! Ach, ihr Götter und Lysias und Helena; sollen wir ihn denn ganz verloren haben?«

»Du kannst dir vorstellen, welch schmerzliche Gefühle in mir aufstiegen, da ich die Stadt, die Straße, das Haus wiedersah, wo meine Eltern, all die Unsern ausgemordet wurden. Gram, Grimm und Groll erwachten aufs neue in mir. Aber bald ward all dies, ja alles Irdische verdrängt durch ›Einen Namen‹, durch ›Einen Mann‹: durch Maximus, den weisen, den großen Lehrer, den Kenner – was sage ich! – den Vertrauten der Götter, der wahren, nicht der Fabelwesen Homers und deines Glaubens. ›Maximus‹ ist wahrlich ›der Größte‹: ja, oft scheint er mir kein Sterblicher zu sein! Nein, ein unsterblicher Gott an Weisheit in Menschengestalt!

Zwar sollte ich ihn und seinen Freund Libanius nicht hören dürfen in ihren Vorträgen! Constantius hatte es ausdrücklich verboten. Allein, ich sparte mir gar manchen Solidus ab von meinem Taschengeld für Speise und Trank (es war keine Entbehrung: denn mit dem wenigsten an Nahrung komme ich aus, mager wie die Zikade, die Günstlingin der Götter): dafür gewann ich einen Schnellschreiber, daß er mir jedes Wort, das der Meister sprach, nachschrieb und spornstreichs überbrachte. So ward dem Imperator gegeben, was des Imperators, ganz nach des Galiläers Gebot. Und dann war mir ja nicht verboten, außer den Lehrstunden mit ihm zu verkehren. O mein Lysias! Welche Welt erschloß sich mir da! Eine neue herrliche, unausdenkbar große! Seine Weisheit verhält sich (zürne nicht!) zu deinem wenig geläuterten Glauben an den Zeus, der ein Schwan, und an den Apis, der ein Stier, wie etwa du dich vor Jahren zu meinem Wahnglauben an die Wunder des Moses und des Gekreuzigten verhieltest.«

»O hört es nicht, ihr großen Götter!« zürnte Lysias.

»Aber schreiben kann ich dir das alles; tagelang, wochen-, mondelang müssen wir darüber verhandeln. Es genüge einstweilen, zu sagen, daß Maximus, dann der greise, ehrwürdige Aidesius von Pergamus mich in die eleusinischen Geheimnisse einweihten, die du mir vorenthieltest, weil sie dem alten Glauben an die Götter, wie du ihn lehrst, allerdings nicht entsprechen. Denn manches lösen sie in Sinnbilder auf, was du beharrlich als wirklich geschehen festhältst. Aber mich ziehen diese symbolischen mystischen Deutungen unwiderstehlich an. Klar, lichterhellt ist mir nun die Welt, sind mir die Götter und die Geschicke der Menschen. Ich schwimme, ich bade, ich tauche unter in der Seligkeit der Erkenntnis. O warum bin ich ein machtloser Untertan, ob dessen Nacken stets das Beil des Argwohns schwebt, warum bin ich nicht Imperator, diese Erkenntnis vom Thron herab den Römern zu verkünden an Stelle der hebräischen, und (o vergib mir!) deiner wenig höheren olympischen Fabeln! Nicht zwingen wollt ich sie; höchstens ein wenig – ganz sänftiglich! – drücken auf den rechten Weg; mit gelinder, ganz gelinder, mit gängelnder Gewalt, mit der des Spottes zumal. Vielleicht würden mir anfangs auch die Verehrer der alten Götter nicht eben leicht folgen können: aber es siegt das Licht, es siegt Phöbus Apollo, der unbesiegte Sonnengott (der jedoch nicht wie der deine, o teurer Meister, im Ehebruch erzeugt und auf dem schwimmenden Inselchen Delos geboren ist).«

In finsterem Groll ließ der Priester das Schreiben sinken. »O verzeiht ihm, Vater Zeus und Latona und du selber, Phöbos Apollo. Er verhöhnt euch, er, der euch rächen sollte!« Dann las er weiter. »Außer Maximus, dem ich fortan allein als meinem Lehrer folgen werde, lernte ich, wie bemerkt, Libanius kennen, den ausgezeichneten Rhetor; auch ihn hat mir der Imperator versperren wollen; auch zu seiner Weisheit drang ich durch einen Regen von Gold, wie dein Zeus zu der schönen Danae gelangte. (Sage, glaubst du das nun alles wirklich? Schon eher glaube ich sein Abenteuer mit Europa als Stier: stiermäßige Vorzüge sollen ja manchen Weibern lockend scheinen, sagt man. Ich weiß freilich davon nichts.)

Auch Libanius verdanke ich gar viel des Großen, Herrlichen. Er lobt mich stark und das gefällt mir stark. (Diese Wiederholung des Eigenschaftswortes ist nicht Nachlässigkeit, ist Absicht: Ich meine, das macht sich hübsch, nicht? [Bemerkst du auch die vielen Zwischensätze? Das ist jetzt feinster Stil in Nikomedia. Ich suche auch darin Maximus und Libanius nachzueifern.]) Aber glaube nicht, o Lysias (in Wahrheit mein ›Lysias‹, d. h. mein ›Erlöser‹), daß ich nur in Büchern, im Grübeln gelebt habe all diese Monde.

Mein Leib, meine Gesundheit, meine Kraft sind merklich erstarkt; sie drängen von selbst zu allen Übungen des Gymnasiums, zu der Palästra, zur Erlernung aller Waffenkünste. Du solltest mich den Germanenspeer mit dem Schwerte beiseite schlagen, den Perserpfeil mit dem kleinen Reiterschild auffangen sehen! Die Gymnasiarchen sagen, ich sei tollkühn; aber ich bin es nicht: denn ich weiß, über mir hält Phöbos Apollo den Strahlenschild, der aller Feinde Augen blendet. Und unglaublich, meinen sie, sei, was mein zarter Körper an Behendigkeit, an Ausdauer leiste. Aber es ist leicht zu erklären: geringe Speise genügt mir; pfui über den, der sich den Wanst mit mehr Speise belastet, als er ganz unerläßlich bedarf! Ich huldige nicht dem Bacchus, obwohl ich edlen Wein zu würdigen weiß, und mit Ekel, mit Abscheu wende ich mich ab von dem Dienst der Aphrodite, wie ihn die Jugendgenossen treiben. Nein, würde mir je das Glück der Ehe; rein, wie meine jungfräuliche Braut, würde ich das rosenbekränzte Lager besteigen und nie ein ander Weib berühren. Aber ach! Die Göttin, die mir damals zu Macellum flüchtig erschien, sie hat sich niemals wieder gezeigt, und nur ihr Gemahl werd ich, keiner andern.«

»Das wollen wir sehen!« rief Lysias zornig, von der Ruhebank aufspringend. »Die Sterne sind andrer Meinung, du, abgefallen von den Göttern und von mir. Aber wer war jene Unselige, die all meine Pläne vereitelte? Die gegen die Sterne sich vermaß? Das tut man nicht ungestraft!«

»Und doch ist mir hier im götterbegnadeten Athen auch der Reiz des Weiblichen wieder genaht.«

»Was? Wie? Eine zweite Nebenbuhlerin?«

»In den Vorträgen, die wir nach Aufgaben unserer Lehrer in der Rhetorenschule zu halten hatten, erschienen bei hohen Festen – so zur Feier der Thronbesteigung des Imperators – auch vornehme Frauen und Mädchen; viele Schöne sah ich. Eine besonders, deren kluges Auge oft so feinverstehend auf mir zu ruhen schien. Sie war reich geschmückt; ich erfuhr ihren Namen nicht. Aber sie kam nur, wann ich den Vortrag hatte. Endlich fand ich hier am Ilissos auch zum erstenmal im Leben der Freundschaft unvergleichlich Gut.«

Bittrer Groll zuckte um des Lysias Mund.

»Denn dich, o Meister, entrücken das Alter, die überlegene Reife und mein Dank hoch oberhalb des gleichen Bodens, auf dem Freunde stehen müssen. Aber hier in den Ringkampfspielen des Gymnasiums lernte ich einen Jüngling kennen, wenig älter als ich, aus altedlem römischem Hause, der hat in schöner, warmaufwallender Freundschaft mein ganzes Herz gewonnen.

Es wird dich besonders freuen, daß er, ebenso wie vor ihm sein Vater, der Comes Varronianus, sein ganzes Haus, die Taufe und die Lehre des Galiläers schroff ablehnt, stolz der Abstammung von Ares gedenkend. Er ist stärker und gewandter als ich, so daß ich meine ganze Kraft zusammennehmen muß, in dem Fünfkampf ihm nicht zu erliegen; erlieg ich ihm doch zuweilen, dankt er's seiner überlegenen Ruhe und meinem flackerigen Ungestüm. Er dämpft meine Eitelkeit sehr heilsam durch solche Siege und meine Hitze durch seine kühle Ruhe. Dazu aber kommt ein Großes: Ein Krieger, aus kriegsberühmtem Haus – Jovianus heißt er –, bekämpft er mit Recht und mit dem Feuereifer mehr noch seines Beispiels als seiner Rede meine einseitige Vertiefung in Philosophie und frommes Ergrübeln der Götter; wie er mich zum Waffenkampf heranzieht und mich zwingt, hier mein Alleräußerstes an Kraftanstrengung zu leisten, so nötigt er mich auch in die große Heldengeschichte unseres Reiches hinein. Es regt sich in mir ein kriegerischer Sinn! Die Geschichte der römischen Kriege (ebensoviel Siege, bis die Adler dem Labarum weichen mußten!), ganz besonders aber Bücher über Feldherrnkunst lesen, erforschen wir abends und nachts bei der Lampe, bis die Sterne bleichen; die Siege Cäsars über Gallier und Germanen, die Siege Trajans über Perser, Daker und Geten, Marc Aurels über die Barbaren am Ister, und jetzt die Feldherrnkünste Frontius arbeiten wir durch, daß uns die jungen Stirnen brennen. Ach, wer auch einmal im Ernst dem Speer des Germanen, dem Pfeil des Parthers trotzen dürfte! Heißer als die Rose der Liebe, die ich nicht kenne, verlange ich den Lorbeer des Helden; auch ihn werd ich nie kennenlernen. Wie beneide ich meinen Bruder Gallus! Nicht darum, daß er nun hoch und herrlich in Antiochia als Cäsar, als Beherrscher des Morgenlandes, schalten und walten darf. Der Imperator hatte ihn (wie mich!) wirklich damals hinrichten lassen wollen; man sagt, geängstigt durch Weissagungen von Gefahren, die ihm von seinen Vettern drohten. Eusebius, der Oberste der Eunuchen, von jeher ein Feind unseres Hauses, soll ihm das durch einen Chaldäer aus den Eingeweiden geschlachteter Germanen haben weissagen lassen. Auf einmal erfolgte abermals – (wie zur Zeit unseres Aufenthaltes in Rom) – ein Umschlag. Eusebius ward in den Hintergrund gedrängt, man weiß nicht, durch wen oder wie, auch Johannes konnte oder durfte es mir nicht erklären; der Imperator ließ jenen Weissager selbst schlachten und seine Eingeweide den Hunden vorwerfen, und nun ward Gallus plötzlich statt um einen Kopf kürzer um eines Kopfes Höhe länger (ist das nicht hübsch gesagt?) und zum Cäsar gemacht mit dem Auftrag, den Orient zu verwalten. Freiwillig und aus Güte handelte Constantius freilich nicht, sondern gezwungen von der Notwendigkeit, seine ganze Sorge dem Abendlande zuzuwenden, das ihm ein Anmaßer zum großen Teil entrissen hatte. Nun, da dieser Feind vernichtet ist, mag es den Imperator vielleicht schon wieder lebhaft reuen, einen Vetter verschont und erhöht zu haben. Aber nicht diese Erhöhung neid ich dem geliebten Bruder, o nein! Nur das Schwert, das er gegen Parther und Perser schwingen darf, diese alten Erzfeinde des Römerreiches, die ich für viel gefährlicher und hassenswerter erachte als Jazygen am Ister und Germanen am Rhein (von denen ich freilich erst jetzt aus Cäsar, Livius und Tacitus einiges lerne!). Ich begreife Gallus nicht, der so lange säumt, die Perser zurückzutreiben aus den Grenzlanden, die sie dem schwachen, zagen Constantius abgetrotzt. Oh, ein Perserkrieg! Im Perserkriege fechten dürfen, siegen, fallen; das wäre fast noch herrlicher, als den Lehren meines großen Maximus zu lauschen!

Während ich dies schreibe, dringen beunruhigende Gerüchte über Gallus an mein Ohr. Jovian, der Vielgetreue, hörte in den Bädern der Hygiäa erzählen, ein Schiffer habe im Piräus die Nachricht verbreitet, in Asien sei ein Aufstand ausgebrochen, Blut sei geflossen auf den Straßen von Antiochia; aber ob eine Empörung gegen den Imperator oder gegen Gallus, das war nicht zu ermitteln.

Zum Schlusse bitte ich dich herzlich: vergib mir, wenn irgendein Wort in diesem Brief dich gekränkt haben sollte, du weißt, das lag mir fern. Würd ich doch mein Herzblut für dich vergießen, für meinen Befreier aus dem Geistesgefängnis, aus den Fesseln des Galiläers. Aber stillstehen auf dem Wege nach der Erkenntnis, das kann ich nicht, auch nicht dir zuliebe! Hast du selbst doch mich gelehrt: ›Die einzige Sünde ist, sich vor dem Licht verschließen, nicht nach dem Lichte trachten.‹ Lieb ist mir Platon, lieb Lysias, aber lieber die Wahrheit. Ich schließe mit dem Wunsch: Komm; komm bald hierher nach Athen in meine Arme und suche und finde deinen Julian, in vielem verändert, aber nicht in der dankbaren Liebe zu Lysias, seinem Erlöser.«

 


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