Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Siebentes Kapitel

Von Turin brach ich nun also weiter auf, Gallien zu erobern, mit dreihundertundsechzig Kriegern.

Du siehst, kaum für ein Jahr ist die Zahl berechnet, falls ich täglich einen verliere! Doch sind es tüchtige Leute. Leider muß ich sagen: meist Germanen, deren Dienstfrist abgelaufen war und die gern die Gelegenheit ergriffen, über die Alpen in die Nähe ihrer Heimat zu gelangen. Viele gewann mir Berung, mein alemannischer Bär. Auf meine zweifelnde Frage erwiderte er: »Herr, solange ihr Schwerteid währt (sie schwören auf ihre Schwerter, die sie, die Spitze nach oben, in die Erde stoßen), sind sie dir treu bis zum Tod; am Tage darauf fechten sie vielleicht neben ihren Gaugenossen wider dich.«

»Und du?« fragte ich. »Wie lange währt dein Schwerteid?« – »Ich habe dir den Bluteid geschworen. Ich diene dir, solange das Leben währt, das ich dir danke.« (Ich hab ihn vom Tod durch Henkershand gerettet; er war ein wenig zu freimütig für den Hof.) Aus dieser verlässigen Schar will ich mir eine Leibwache bilden, so eine Art Gefolgschaft, wie sie bei den Germanen vorkommt, durch Tapferkeit, Ehre und Treue ausgezeichnet. Man muß auch von seinen Feinden lernen. Und man muß sie kennen, um sie mit Erfolg zu bekämpfen.

Ich lese nun zum erstenmal und gar eifrig in des Tacitus Büchlein von den Germanen. Es gefällt mir aber nicht. Ich glaube, er überschätzt sie, diese ungeschlachten Barbaren. Nicht ihr Dreinschlagen, aber die Möglichkeit, daß sie etwas schaffen, zumal einen Staat. Der Mann, der da schreiben konnte, »da die Geschicke des Römerreichs schon drohend heranschreiten, kann uns nur noch die Zwietracht dieser Völker retten«, schaute zu trüb in seine Gegenwart und in Roms Zukunft. Zweihundertfünfzig Jahre sind seitdem hingegangen über unser Reich: Es steht immer noch! Ja, wenn es gelänge, die alten Götter wieder auf die alten Altäre zu stellen, und so den alten Römergeist wieder zu beleben, ich glaube, unser Reich erhielte ewigen Bestand. Weissagend scheint mir jenes schöne Wort des venusinischen Sängers: Auch Rom wird – wie sein Lied – nur leben:

»Solange noch
Schreitet hinauf zu dem Kapitol
Der Pontifex mit der schweigenden Jungfrau.«

Nicht die Barbaren werden Rom zerstören, nur die Römer. Die entrömerten Römer! Entrömert aber sind die Quiriten, die nicht mehr in Latium, nicht in der von ihnen beherrschten Welt, sondern in dem Christenhimmel ihre wahre Heimat erblicken zu müssen, nicht überzeugt, nur überpredigt worden sind. (»Überpredigt« ist . . . nun du weißt schon, was ich meine. [Oder weißt du's nicht?] Nicht ganz übel!)

Diese Germanen mögen Schlachten gewinnen und Beute, aber sie suchen ja bei uns nur Ruhm und Raub, und eilen mit beiden, wann gewonnen, in ihre Waldsümpfe zurück, untereinander selbst um beide zu raufen. Ja, wenn sie einmal denken lernten, sich einen, und uns – dauernd – näherrücken, in unsrem Lande bleibend, dann . . .! So aber, wie sie sind, acht ich sie nur ihren Bären gleich und . . .

Eben kommt ein Eilbote mit einem Schreiben vom Augustus. Er fragt, ob ich denn noch immer nicht gesiegt, nicht wenigstens Köln wiedergewonnen habe? O ihr Götter! Und ich sitze noch in Vienne, überlegend, wie viele Helme ich in ganz Gallien zähle? Und wo überall sie verstreut sein mögen? Constantius hielt einstweilen einen Triumpheinzug in Rom. Wahrscheinlich wegen der Siege, die ich noch erfechten soll. Philippus schreibt, der Triumphator saß allein in einem prachtvollen Siegeswagen, erstrahlend von Gold und Edelgestein. Regungslos, wie eine Bildsäule saß er, keine Bewegung der Hand machte, keine Miene verzog er. Das Volk hielt ihn für einen leblosen Götzen, wie sie im Morgenland umhergefahren werden. Seine zarte Gemahlin mußte ihm nachfahren; aber auch meine Mutter und Schwester führt er überall mit sich als seine »Gäste«; als seine Geiseln! Je näher er sie bei sich hat, um so mehr scheint sein Mißtrauen besänftigt.

Zum Andenken an seinen Besuch ließ er einen einhundertfünfzehn Fuß hohen Obelisk aus Granit vom Nil, in den Tiber geschleppt, aufrichten im Zirkus. Mit der Kraftanstrengung, die hierzu vergeudet ward, konnte man alle Sturmböcke vernichten, mit denen der Perserkönig Sapor die Mauern unserer Grenzfesten in Asien erschüttert. Denn – o Schmach und Schande dem römischen Namen –, der Perser dringt ungestraft in unser Land im Osten, wie der Germane im Westen. Neun Schlachten hat Constantius, seit er herrscht, Sapor, »dem König der Könige, der Sonne und des Mondes Bruder«, geliefert; alle neun sind römische Niederlagen! Und was ist die Rache des frommen Imperators? Eine scheußliche Nachricht geht mir zu! In einem Reitergefecht ward Artasan, ein Sohn des Königs Sapor, gefangen von unserer Übermacht nach tapferster Gegenwehr. Constantius, der gottselige Galiläer, befahl – wider alles Völkerrecht –, den verwundeten Königssohn, einen herrlichen Jüngling, nackt vor dem ganzen Heer zu geißeln, zu foltern, dann an einem Galgen aufzuhängen! Das heißt die Rache der Götter herabbeschwören! Ich fürchte sehr, sie wird nicht ausbleiben. Oh, warum kann ich nicht dahin fliegen, wo die Gefahr am größten? Drei unsrer wichtigsten Burgen: Amida – für den Tigris, was Köln für den Rhein –, Singara und Bezabde sind schwer bedroht.

Constantius hat mich zum Konsul für dies kommende Jahr ernannt und mir die konsularischen Abzeichen übersandt. O wär ich ein Konsul wie die Scipionen!

 

Allmählich lerne ich die Feldherren und die Beamten kennen, über die ich in Gallien zu verfügen habe. Ich beschied sie der Reihe nach hierher, das heißt diejenigen, die ihre von den Barbaren bedrohten Städte verlassen können oder verlassen mußten.

O Lysias! Was für Menschen!

Ein paar Haudegen ohne Gedanken; alle, die denken können, denken nur an sich. Und ich entdecke bei jeder Gelegenheit, daß der Imperator in seinem Mißtrauen gegen mich sie alle angewiesen hat, bei jedem meiner Befehle nach ihrem Gutdünken zunächst Berufung an den fernen Herrscher einzulegen. Zum siebentenmal ward mir eine solche Vollmacht vorgelegt. Und ich Ohnmächtiger, also Gebundener, ich heiße »Cäsar«!

 

Eine große Freude – mehr, einen weissagenden Gruß der Götter habe ich erlebt! Bei dem Antritt des Konsulats hielt ich feierlichen Umzug in der Stadt, Gold- und Silbermünzen ausstreuend unter das Volk. (Es gelang mir, den Gottesdienst in der Basilika zu vermeiden; sie ist baufällig, und ich schützte Besorgnis vor. Ach, wieviel Lügen wird mir Helios noch verzeihen müssen, weil ich sie in seinem Dienste log! Aber das Lügen, das Heucheln frißt zerstörend an der Manneswackerheit.)

In dem Gedränge fiel eine alte Frau zu Boden. Ich sah's, sprang aus dem Wagen, hob sie auf. Sie war blind, nahm ich nun wahr. »Dank, lieber Herr, danke dir, Phöbos Apollo, den ich nicht mehr schauen kann«, sprach die Greisin. »Sage mir, du Gütiger – denn deine Stimme ist freundlich und gütewarm –, was ist heut für ein Fest in der Stadt der allobrogischen Juno? Ach, ich weiß nicht mehr, was in der Welt geschieht! Mein Mann war Priester des Apollo in einem Weihtum bei Paris; er ward uns entrissen – verschwand mir –, weil er sich der Schließung und Entweihung durch den Bischof widersetzte, damals ward auch mein Sohn von dem Centurio erschlagen. Mich haben sie hierher verbannt, weil ich dabei auf den Imperator schalt. Sprich, warum drängt sich das Volk?« – »Höre nur, Mütterchen«, antwortete ich, »was sie rufen.« – »Heil Julianus, dem Konsul, dem Cäsar.« Da fuhr die Alte in die Höhe und sprach wie verzückt, wie eine Pythia: »Cäsar Julian? Cäsar Julian? Meine Mutter hat geweissagt: Ein Cäsar Julian, ein zweiter Julius Cäsar, wird die Barbaren schlagen. Und er wird die Altäre der Götter herstellen. Cäsar Julian; ich hab ihn erlebt. Nun will ich gerne sterben.« – »Sie ist verrückt seit Jahren«, sprach, höflich entschuldigend, ein Diakon zu mir. »Vergib ihr die Gotteslästerung, o Herr!« Damit drängten sie mich wieder in meinen Wagen. Ich sandte ihr durch Berung einige Goldstücke. Aus den Wahnsinnigen aber sprechen höhere Mächte.

O wie heiß verlangt mein Herz, die Barbaren zu schlagen! Dieses Omen nehm ich an. Und das andere? Nun, solange ich Cäsar heiße, sollen in meinem Gallien wenigstens die Götter und ihre Verehrer nicht verfolgt werden. Ich seh's voraus: Deshalb allein schon werd ich nicht lange Cäsar heißen. Aber schützen, dulden darf ich doch. Verfolgen um des Glaubens willen würd ich nie, hätt ich die Macht eines wahren Cäsars. Wie scheußlich ist doch solche Verfolgung; ich hab's zu tief gefühlt, um selbst dieser Schuld jemals fähig zu sein.

 

Oh, ich Tor! Ich bangte um Amida im fernen Asien – und ach! »Schon brannte einstweilen mein nächster Nachbar Ukalegon«, singt der Sänger von Mantua – ich meine, Autun ganz nah in »meinem« (!) Gallien.

Ein Schwarm von Germanen, Alemannen, geführt von Chnodomar, dem »roten Stier« – so nennen ihn die zitternden Provinzialen –, drang mitten im Winter (diese Bären scheinen nie zu frieren!) ohne Widerstand zu finden, vom Rhein, von Basel her über Besançon und Dijon bis Autun. Die Stadt hat nur eine verfallene Mauer und eine zaghafte Besatzung. Man sagt, sie verhandelt schon! Und ich! Ich sitze hier in Vienne, ratlos, hilflos, heerlos! Kein Geld, keine Vorräte, keine Waffen! Mit dreihundertsechzig Hellenen, die ich mitgebracht, und tausend, die ich vorgefunden. Ach, die Götter haben Rom aufgegeben, weil Rom die Götter aufgegeben hat!

 

Nein! Nein! Die Götter des Sieges haben denen noch nicht den Rücken gewandt, die treu an ihnen hangen. Ein Eilbote aus dem geretteten Autun! Chnodomar der Gefürchtete hatte, des Falles der Stadt gewiß, die Belagerer verlassen mit seiner Gefolgschaft, weiter ins Land hinein zu stoßen. Wirklich wollte der Befehlshaber die Tore öffnen. Aber alte ausgediente Krieger, die in ziemlicher Menge dort angesiedelt sind, tapfere Latiner und zähe Illyrier, widersetzten sich dem feigen Entschluß. Ein grauhaariger Centurio – Marcus Cornelius heißt der Wackere – ergriff den Befehl, brachte dem Mars Repulsor ein Opfer in dem lange versperrt gewesenen Kapitol der Stadt, befragte die Götterzeichen und, da sie günstig ausfielen, brach er in der Nacht aus den Toren und schlug die überraschten Barbaren in die Flucht. Mars Repulsor sei gepriesen!

Ich bringe ihm morgen – heimlich – ein Dankesopfer, sobald ich aus dem öffentlichen Sonntagsgottesdienst in der Basilika zurück bin.

 

Nur meine holde Helena habe ich bisher zu den Göttern bekehrt: Sie hilft mir den Altar bekränzen und tut dies so feierlich und pietätvoll, als wäre sie bei Priestern in die Schule gegangen. Jovian ist gleichgültig.

 


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