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In schwerem Fieber lag der junge Mönch auf seinem Stroh; an seiner Seite saß Lysias, mit einem in Essig getränkten Schwamm ihm die heißen Schläfen kühlend.
Schon sechs Tage waren vergangen, seit er den Taumelnden, halb stützend, halb tragend, mit äußerster Anstrengung aus jener Tiefe zurückgebracht hatte in das Kloster. Hier war Julian sofort von heftiger Gehirnkrankheit ergriffen und dem Tode so nahe gebracht worden, daß der Klosterarzt ihn verloren gab. Nicht aber Lysias. Der war Tag und Nacht nicht von seinem Lager gewichen, unermüdlich in seiner Pflege; eifersüchtig hatte er jeden andern ferngehalten von den Fieberreden des Kranken.
»Der Arzt gibt ihn auf«, hatte er zu dem Abte gesagt, »so überlaß ihn meiner Heilkunst. Du weißt, ich kenne die geheimen Kräfte der Natur.« – »Jawohl. Zwar schwerlich kommt dir solche Wissenschaft vom Heiligen Geist. In Ägypten, in Corduene, in Persien und wo sonst du dich so lang umgetrieben, da walten noch die Dämonen. Aber mir kann's gleich sein, ob der verrückte Junge lebt oder stirbt. Und der Augustus wird sich auch trösten über des lieben Vetters Tod.« So hatte Lysias freie Hand gehabt und die Horcher fernhalten können.
»Stirbt er, so stirbt mir – ach, den Göttern! – eine große, vielleicht die letzte Hoffnung. Diesen Grübler und Schwärmer, diesen für alles, was er für edel hält, begeisterten und dabei doch so eitlen Träumer kann man vorausberechnen in jeder Regung seines Geistes. Und auf ihn verweisen alle sichersten Zeichen der Gestirne – auf ihn und . . . mein Haus! – Unberechenbar aber freilich ist der Zufall. So auch der Zufall, daß er mich aus dem Munde des Abtes als – angeblichen – Genossen jener Lüste kennenlernte. Das hätte ihn fast getötet. Und das zwingt mich nun, ihm früher, als ich wollte . . . Er schlägt die Augen auf! Der Puls – das Fieber, ist stark gefallen. Er wird leben! Für mich – und für . . . sie! – soll er leben! Und mehr noch: für die Olympier alle als ihr Retter und Rächer!«
Zwei Monate später wandelten Lysias und Julian miteinander durch die Straßen Roms. Der Genesene zeigte noch vielfach Spuren der Schwäche. Oft griff er nach dem Arme seines Begleiters und stützte sich auf ihn zu kurzer Rast. Bewundernd ließ sich der Jüngling, der zum erstenmal die Ewige Stadt betrat, von seinem erfahrenen Führer die wichtigsten Bauwerke, Denkmäler, Erinnerungsstätten weisen und erklären.
Prüfend ruhten dabei jene scharfen Augen auf ihm.
»Es ist seltsam mit dir«, meinte Lysias, als er den jungen Mönch von dem Grabe Sankt Peters, wo der brünstig gebetet hatte, hinweggeleitete, zurück über den Tiber. »Woran denkst du? Schwerlich an die Ketten des Apostels, die du soeben geküßt hast. Wohin? Das ist nicht der Weg in das Haus unseres Gastfreundes auf dem Mons Pincius! Hier geht es ja . . .« – »Ei, auf das Forum! Nach dem Kapitol!« rief Julian begeistert, und sein Auge leuchtete. »O laß mich heute noch einmal dorthin; laß mich die Sonne sinken sehen vom Tarpejischen Felsen aus. Es drängt meinen Geist, drängt all mein Wesen aufs Kapitol.« – »Von Sankt Petrus zum Jupiter des Kapitols? Ein weiter Weg! Weiter noch für den Gedanken als für den Fuß! Wie du doch hin- und herschwankst – nicht mit den Beinen nur! So! Lehne dich nur an mich und raste!«
Julian drückte das Haupt an die Schulter des viel höher Gewachsenen. »Ist es ein Wunder, daß ich wanke und schwanke, hin- und hergezogen? Was hab ich nicht erlebt seit zwei Monaten!« – »Nicht eben viel. Du hast die Heuchelei erkannt, die schlimmer als tierischen Begierden und Laster unter der Larve der Selbstabtötung, der Kasteiung des Fleisches. Du hast die Eine Frucht jener Lehren erkannt. Das Verbot des Natürlichen erzeugt das Widernatürliche. Das ist noch nicht viel. Und doch hättest du schier den Verstand darüber verloren – wie den Glauben.« – »Zum Glück aber noch beide nicht! Allein das Ärgste war, daß ich auch dich als einen Genossen jenes Treibens erkennen mußte. Oh, was ich litt in jenen Tagen . . .« – »Bis ich dir erklären konnte . . . lange Zeit warst du unfähig zu denken! Nur Gebete plappertest du und sahest überall Dämonen und halbnackte Weiber! – daß ich, um jenen Abt und sein einflußreiches Kloster und gar viele diesem Verbündete zu Rom und am Hofe des Imperators zu beherrschen, zum Schein ihre Laster teilte und so auch ihre andern Geheimnisse und zumal ihren Einfluß bei dem Augustus.« – »Ein gewaltig Opfer! Tugenden heucheln ist arg, aber Laster heucheln muß noch schwerer sein.«
»Der Zweck verlangt es. Dafür tat ich noch ganz andres!« Unheimlich funkelten die heiß blickenden grauen Augen. »Der Zweck! Ja, welcher Zweck? Wann endlich wirst du dich mir ganz enthüllen . . .?« – »Wann du ganz reif sein wirst, mich ganz zu begreifen. Es fehlt noch viel. Solange du mit Inbrunst die Lippen an jene Stücke alten Eisens pressest, die man dir für die Ketten des Fischers vom Galiläischen Meer ausgibt, der vielleicht den Tiber nie gesehen . . . so lange gewiß nicht. Sieh, mein Sohn, ich wiederhole: Mit leichter Mühe könnte ich dir im Wege der Logik, der Philosophie die Unmöglichkeit der ganzen Kirchenlehre dartun.« Julian schüttelte ernsthaft die dunklen Locken, die ihm in diesen Monaten der Freiheit gewachsen waren. »Du bezweifelst das? Gut, eben deshalb würde mein Sieg in dem Streit mit Gründen nichts helfen. Du würdest mir sagen: ›Ich kann dich nicht widerlegen, aber ich glaube doch.‹« – »Wahrscheinlich! Gewiß! Ja!« – »Darum sollst du die Unwahrheit der Kirchenlehre nicht erlernen, nein, erleben.« – »Oder ihre Wahrheit, lehrte Johannes!« dachte Julian bei sich, aber er sagte es nicht. – »Dann erst bist du reif für meine Offenbarungen und für meine Pläne. Ein gut Stück Kirchenlehre hat dir jene Nacht doch schon aus der Seele gerissen.« – »Ja leider, leider!« klagte Julian, die Augen schmerzlich schließend. »Allein, das ist ein Kloster, fern in Kilikien. Hier an der Stätte, die nach Jerusalem die heiligste auf Erden, hier, nahe den Gräbern der Apostelfürsten, hier, wo der Nachfolger Sankt Peters wirkt und waltet, hier wird sich diese Lehre rein und reinigend bewähren. Seit ich hier wandle, fühle ich meinen Glauben wieder erstarkt. Das heißt . . .«, er stockte.
»Das heißt«, fuhr Lysias an seiner Statt fort und schlug mit der Hand auf den Schild eines ehernen Julius Cäsar, zu dessen Füßen sie eben auf dem weiten, statuengeschmückten Platz vor dem Theater des Marcellus standen, »das heißt: der da stört dich in deinem Glauben und jener da drüben« – er wies auf einen marmornen Trajan – »und dieser dort, der Germanenbesieger und Philosoph Marc Aurel – ja, auch der Jupiter und der Mars des Kapitols und Hera und Pallas Athene und dort – der Herrlichste von allen: Phöbos Apollo, der ewige Jüngling, der unbesiegte Sonnengott!« Und aus des Mannes harten Augen leuchtete eine Begeisterung, wie sie der Jüngling nie an ihm gesehn. »Woher weißt du . . .? staunte er.
»Oh, ich weiß noch mehr! Mir gaben die Götter, in den Seelen der Menschen zu lesen. Wohl zieht es dich zum Grabe Sankt Peters und zum Hause seines Nachfolgers. Aber stärker doch bewegen dir, seit du hier weilst, die jugendliche Seele, die alten Helden und die alten Götter Roms. Ich wußte das voraus! Und sieh, das ist der zweite Grund, aus dem ich dich bei dem ersten Schritt in die Welt aus jenem Kloster gerade hierher geführt. Du sagst dir hier in schlummerlosen Nächten: »Was ward aus Rom, da es den alten, großen, schönen, erhabenen Göttern diente, durch die Scipionen, Cäsar, Trajan, Hadrian? Die Herrin der Welt! Was ward aus Rom seit Constantin . . .? – Sein Name sei gepriesen! – Und Constantius, der Liebling Christi«, sprach er plötzlich ganz laut. »Gott verleih ihm Sieg und langes Leben.«
»Was hast du auf einmal?« – »Jener Priester, er folgt uns schon lang, ist ein bezahlter Angeber, ein Späher des Obereunuchen Eusebius. Ich kenne ihn. Aber er weiß nicht, daß ich ihn kenne und daß ich auch zu den Günstlingen des frommen Imperators zähle.« – »Du?« – »Was also«, fuhr Lysias wild leidenschaftlich fort, »was ward aus Rom, seit Constantin, abgefallen von den Göttern unserer Väter, den Legionen die alten Siegesadler nahm und sie ersetzte durch . . .« – »Das Labarum!« unterbrach Julian ehrfürchtig. »Das heilige Zeichen des Kreuzes und den Anfang des Namens Christi.« – »Ein Zeichen, das nichts von Romas alten Siegen weiß! Unter dem die Legionen geschlagen werden von Parthern und Persern am Tigris, von Jazygen am Ister, von Franken und Alemannen . . .«
»Franken? Alemannen? Was sind denn das für Leute?« forschte der Jüngling, hochaufhorchend.
»Unter neuen Namen alte Feinde: Germanen des Rheins. Gesteh es nur, deine Träume sind, seit du hier weilst im Schatten des Kapitols, mehr von Waffen als von heiligen Ketten, mehr von Cäsar als von Christus erfüllt. Deshalb gerade erbat ich mir vom Abt – du weißt jetzt, warum er gewähren muß, was ich ernstlich fordere! – dich, den kaum Genesenen, zum Begleiter, als er mich hierher an den römischen Bischof sandte. Dankst du mir nicht, daß ich dir das ewige Rom gezeigt?«
»Ach wie heiß! Eine ganze Welt ist mir hier neu aufgegangen. Mir schwindelt manchmal! Nicht all die Fülle von Gestalten kann ich bewältigen, die hier aus Tempeln und Palästen und Bildsäulen auf mich eindringt. Ich verstehe noch nicht alles.«
»Wie solltest du! Haben sie dir doch im Kloster von der Geschichte der Hellenen und der Römer nur beigebracht, was dich mit Abscheu vor ihren Lastern erfüllen sollte. Was erfuhrst du von der Herrlichkeit ihrer Götter, ihrer Waffen, ihres Heldentums, ihrer Staatskunst, ihrer Welteroberung? Nichts. Aber Geduld! Bald sollst du Roms Geschichte von Männern lernen, nicht von Priestern.« – »Dort? Im Kloster?« – »Nie sieht dich das Kloster wieder!« – »O Dank! Mir graut davor.« – Da traf ihn ein lodernder Blick. »So heb es auf. Und alle seinesgleichen.« – »Lysias! Du redest irr. Ich!« – »Willst du es?« – »Ich wollt es, wenn . . .« – »Willst du es?« – »Ja, ich will!« – »So wirst du's tun. Denn wisse: du – Liebling der Götter – wirst einst alles können, was du wollen wirst.« – »Ich verstehe dich nicht, Meister.« – »Solange der Papst dein Meister ist, bin ich es nicht.«
Julian schwieg eine Weile nachdenklich. »Wohin führst du mich?« fragte er dann erstaunt. »Du bogst längst ab von dem Wege nach dem Kapitol. Wir müssen weit darüber hinaus sein, im Osten der Stadt! Wohin gehen wir?« – »Zum Heiligen Vater.« – »Zu Liberius selbst?« rief der Jüngling, in Ehrfurcht erschauernd. Er blieb stehen. »Er soll so weise sein, so klug sein . . .« – »Wie die Schlangen. Aber nicht ganz so harmlos wie die Tauben. Übrigens hat sich der Galiläer geirrt; wie bei jenem Feigenbaum, an dem er – der Allwissende! – Feigen zu finden glaubte und nicht fand; denn weder sind die Schlangen klug noch die Tauben sanft. Komm hier hinab, diese Stufen.« – »Und so demütig ist er, so fern von jedem weltlichen Gedanken, des Imperators treuester Untertan.« – »Halt! Stolpere nicht. Hier wird es dunkel. Da, halte dich an meine Hand.« – »Wo sind wir?« – »Auf dem Esquilin, dem Speisemarkt der Livia, in der Krypta der neu vom Papst errichteten Basilika, der Liberiana, wie sie schon im Volke heißt. Hierher hat er mich beschieden. Er hat mir Wichtiges zu vertrauen, einen Auftrag. Und einen im Urkundenwesen, in Rechtsschriften gewandten Geistlichen sollte ich mitbringen. Du hast, unterwiesen von dem Abt, dem ehemaligen Juristen, die Verträge des Klosters verfaßt, viele Jahre lang. So durfte ich dich wählen. Aber daß du der Vetter des Imperators bist, dem Gott . . . nun, sagst du die Formel nicht mehr auf?« – »Nein! Ich mag nicht. Sie ist Lüge.« – »Das verschweige sorgfältig.« – »Die Vetterschaft ist weder Ruhm noch Glück! Aber weshalb nicht im Sankt Peter? Weshalb dies Geheimnis?« – »Man soll nicht erfahren von unserm Verkehr. Halt, wir sind am Ziel. Es hieß: ›Zwölf Stufen, dann zwölf Schritte nach rechts. Dann an dem Holzverschlag der Mauer eine vorspringende Scheibe . . .‹ Hier ist sie! ›Diese einwärts drücken‹, sie gibt nach! – eine schmale Pforte tut sich auf; sieh: Licht schimmert uns entgegen; folge mir, tritt ein.«