Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Ach, Jovian hat recht! Wir sind kein »Volk«, kaum noch ein »Reich« von Römern. Meine Scharen, aus allen Völkern der drei Erdteile zusammengewürfelt, fechten wacker, aber sie sind keine »Römer«, kein Volksheer. Sie haben keine Vaterlandsbegeisterung mehr und keine Zucht der Pflicht. Ich weiß, sie lieben mich, weil ich sie zum Siege führe und menschlich behandle; und doch meutern sie schon wieder, wie damals zu Mainz!

Voconius und Berung, die des Heeres Vertrauen haben wie das meine, melden: Einen andern Feldherrn hätten die Grollenden jetzt erschlagen; mich mögen sie leiden, deshalb schimpfen sie nur. Aber zum Gehorsam reicht ihre Liebe zu mir nicht aus. Römische Legionen! Und ich heiße »Cäsar«. Oh, vergöttlichter Julius, welche Schmach für deinen Namen!

Überzeugt durch die Worte Serapios bewilligte ich den Saliern ihre Bitte, in dem nun einmal von ihnen besetzten Lande wohnen bleiben zu dürfen, selbstverständlich unter Anerkennung der Oberhoheit Roms; ich wollte sie nicht durch ein Nein zu einem Kampfe der Verzweiflung treiben. Auch jene sächsischen Chauken, erfuhr ich, sind nicht aus Mutwillen in die alten Sitze der Salier eingedrungen, sondern wegen Mangel an Land, an Ackerboden, an Korn hat die Volksversammlung beschlossen: Der dritte Teil all ihrer Sippen, durch Runenlosung, also durch der Götter Auswahl bestimmt, müsse, Raum für die andern zu schaffen, auswandern mit Weib und Kind und Habe, und sich, ein heiliger Lenz des Volkes, eine neue Heimat suchen. So wird Serapios Zeugnis über die Landnot bewahrheitet.

Um aber die bedrohte Grenze zu sichern, ließ ich drei durch die Barbaren zerstörte Kastelle nahe dem Ufer der Maas wiederherstellen durch Teile meines Heeres, die während dieser Arbeit vom Waffendienst entbunden wurden. Eine dieser neuen Festen – die Erbauung machte schwere Mühe – habe ich zu Ehren des ruhmreichen Helden Herakles »Heraklea« genannt. Ach! Er war ein Halbgott, und eine hehre Göttin, die nicht log, verfolgte ihn. Ich bin nur ein Mensch, und mich verfolgt – Constantius!

Und mir trotzen meine eigenen Krieger! Hatten die Leute schon über die Schanzarbeit gemurrt, so gerieten sie in gefährlichste Erregung, als ich ihnen die Hälfte der mitgeführten Mundvorräte abnehmen mußte, um die Besatzungen in den hergestellten Festen zu ernähren. Ich hatte gehofft, wie im Vorjahr das Getreide verwerten zu können, das die Germanen auch hier gar fleißig gebaut haben; aber ich hatte den naßkalten Himmelstrich der Sumpf- und Waldlandschaften hier nicht erwogen. Das Korn stand in Fülle auf den Feldern, aber es war noch nicht reif.

So geriet es in einige Verlegenheit, das »leichtherzige Griechlein«. Aber die Undankbaren! Drohend erhoben sie sich gegen mich. Ging ich durch die Gassen des Lagers, schimpften sie mir nach: »Asiate!«, »Griechlein!«, »Dummkopf im Philosophenmantel«. (Letzteres verdroß mich bitter!) »Verhungern läßt uns deine Weisheit.« – »Haben wir doch, seit du in Gallien bist, niemals – gar nie – den längst schuldigen Sold erhalten. Vom Raube müssen wir leben!«

Ach, das ist leider wahr! Ich habe kein Geld, und Constantius sendet keins. Was ich unerläßlich brauchte, hab ich den Provinzialen mehr abgebettelt als abgedrungen. Diese Armen dauern mich ja am meisten. Soll ich ihnen abzwingen, was ihnen die Barbaren noch gelassen haben? O Reich der Römer, wie krank bist du, wie arm! Die reichsten Länder der Erde sind dein, und du hast nicht Korn, nicht Geld, deine Bauern hungern wie deine Krieger. Und ich, der ich die Heilmittel für dich kenne, ich darf nicht dein Arzt sein!

Ich bin überzeugt, Constantius läßt uns hier absichtlich darben. Er will nicht, daß meine Leute zufrieden seien, an mir mit Liebe hängen. Mein Heer ist das einzige, dem er auch die üblichen Jahresgeschenke nicht gespendet hat. Und jetzt weiß ich auch, weshalb er mir als außerordentlichen Finanzbevollmächtigten jenen Geheimschreiber Gaudentius geschickt hat: mich zu überwachen, daß ich nicht die Liebe des Heeres allzusehr gewinnen könne durch Geschenke. O ihr Götter, ihr wißt es, daß von euch allen den geringsten Verkehr mit mir pflegt Plutos – der des Reichtums!

Neulich spürte ich – (ich sah es nicht, denn ein Spiegel zählt weder zu eines Philosophen noch zu eines Feldherrn Hausgerät) – beim Schließen des Panzers am Halse, daß mein Bart allzu lang und wirr gewachsen war in diesen Wochen. Nach einer alten Lagersitte bat ich den längstdienenden Fahnenträger – (es war Voconius) –, mir ihn statt mit dem Schermesser mit dem Dolch abzuschneiden, und dann reichte ich ihm dafür – ebenfalls nach eingewurzelter Feldzugsitte – vor den Waffengenossen die Hand und ein kleines Geldgeschenk.

Sofort erklärte Gaudentius, der zugegen war, er müsse solches Buhlen um die Gunst der Krieger und solche Geldvergeudung mißbilligend dem Imperator melden! Die Gunst der Krieger, die mich mit Schimpfworten verfolgen! Mit Mühe gelang es meinen Bitten, meinen Beschwörungen, sie wieder zu besänftigen. Jene Scheltrufe? Ich tat, als hätte ich sie nicht gehört. (Aber sie ärgerten mich stark.)

 

Für meine armen Legionen hat man nicht soviel Geld, ihren Sold zu bezahlen. Aber von den Barbaren schimpflich zu erkaufen, was Rom früher von ihnen zu erzwingen stark genug war; dafür sollte mit vollen Händen verschwendet werden.

Für die Verpflegung unserer Besatzungen am Rhein sind wir angewiesen auf die Getreidezufuhr aus Britannien, von den Rheinmündungen her. Die Franken sperrten uns diesen Verkehr; sie beherrschten den Strom! Da wollte ihnen Gaudentius zweitausend Pfund Silber – (offenbare Schätzung!) – zahlen für die Erlaubnis unserer Schiffahrt bis in die See. Diesen schmählichen Handel aber vereitelte ich! Ich erzwang unseren Schiffen freie Fahrt. Mit sechshundert Segeln – (meist nur kleinen Frachtschiffen) – fuhr ich den Strom zu Tal, von denen ich vierhundert in den letzten zehn Monaten selbst hatte bauen lassen. (Du siehst, ich habe fleißig geschafft: Helena, den Göttern, Maximus, und meinem Schlaf brach ich an den ihnen gebührenden Stunden ab.) Dazu verwendete ich jenes Silber.

Nun habe ich auch die britannische Insel gleichsam wieder entdeckt; wenigstens für Rom war sie seit Jahren wie vom Meere verschlungen; jeder Zusammenhang war uns durch Franken und Sachsen, die den Übergang beherrschten, abgeschnitten. Jetzt kamen zuerst wieder Nachrichten von der Insel zu uns. Aber welche Nachrichten! Klagen der Verzweiflung! Die Römer dort können sich der Einfälle der räuberischen Kelten – der Pikten und Skoten – nicht mehr erwehren, die längst über die gegen sie errichtete Piktenmauer eingebrochen sind. Nicht nur hoch im Norden York, selbst Colchester und sogar London sind bedroht. Ach, an allen Grenzen dieses götterverlassenen Reiches hüpfen die Barbaren über die alten Schutzwehren! Oh, wer überall helfen dürfte: in Amida, in London, wie in Köln. Es reizt mich gar mächtig, dem großen Julius auch darin nachzuahmen, selbst auf jenem Nebeleiland zu landen. Wie schön würde das klingen: »Die Themse wie den Rhein hat Julianus wieder zu römischen Flüssen gemacht.« Allein Jovian hielt mich zurück; er hat recht: »Zuerst das Notwendige, dann das Glänzende«, sagte er. Ich bin in Gallien noch nicht zu entbehren. So schickte ich mit schmerzender Entsagung den Waffenmeister Lupicin mit herulischen Söldnern und zwei römischen Abteilungen von Boulogne nach Dover, vor allem um London Hilfe zu bringen.

 

Ein blutiges Abenteuer, ein echt germanisches, mitten im Lager des Cäsars! Ja, wer sich Wölfe hält, darf sich nicht wundern, daß sie beißen; wie andere Geschöpfe, so auch die Mitwölfe in ihres Herrn Dienst.

Gegen die meist zur Nacht unternommenen Streifzüge der Chauken und der Chamaven waren dem römischen Gebiet schon vor meinem Eintreffen seltsame Verteidiger erstanden; wider jene Räuber »Gegenräuber«. Ein Franke, ein Sugamber, Charietto, hatte früher vielfach an solchen Raubzügen gegen uns sich beteiligt. Dann aber ward er von seinen Stammesgenossen wegen irgendeiner Untat auf Antrag ihres alten Königs Mälo friedlos gelegt und floh als Überläufer zu uns. Der riesenstarke und listige Räuber rächte sich: Er versteckte sich mit ein paar Raubgesellen, zumal einem Genossen solcher Friedlosigkeit, einem Chamaven, Chercho, in den dichtesten Wäldern, beschlich nachts die Dörfer oder Höfe, oder auch die Lager seiner germanischen Stammesgenossen, schnitt den Schlafenden, auch Weibern und Kindern, die Köpfe ab und brachte sie nach Trier oder Köln, wo er von den römischen Beamten für jeden Kopf einen Solidus erhielt.

Ich kann nicht sagen, daß mir diese Art von Kriegsführung sonderlich gefiel. Aber der Krieg und die Not machen hart. Ich nahm die wilde Schar in Dienst – (die Zahl wuchs rasch an) – und verwendete sie, wie der Jäger die Wolfs- und Eberhunde, die er in das für Menschen undurchdringliche Dickicht treibt und so die Bestien hier aufstöbern und auf der andern Seite sich entgegenhetzen läßt. So benutzte ich geraume Zeit diese Kerle, aus den ihnen vertrauten Sümpfen und Wäldern die darin verborgenen Germanen von Nordwest her meinen auf der Südwestseite harrenden Kohorten entgegentreiben zu lassen; jenes nächtliche Kopfabschneiden verbot ich ihnen.

Eines Morgens waren Charietto und Chercho aus ihrem Zelt verschwunden. Sie kamen nicht zurück. An ihrer Statt erschien Serapio bei mir, leicht am Arme verwundet. »Sie sind tot«, sagte er, »beide. Ich ahnte, daß sie trotz deinem Verbot ihr scheußliches Handwerk fortsetzten. Denn Gaudentius kauft noch immer – heimlich – Germanenköpfe. Ich ging ihnen entgegen in den Wald. – Richtig! Bald kamen sie daher mit vier abgeschnittenen Köpfen, darunter dem eines Weibes. Ich schalt sie Neidinge, mitten unter ihrem Troß, und schlug sie tot. Die andern flohen.«

»Höre, Freund«, fuhr ich auf, »wer hat dich zum Richter bestellt über römische Söldner?« – »Söldner? Schützt der Priester des Sonnengotts den Nachtmord?« fragte er dagegen und schritt hinaus.

 

Aus Rom kommt soeben ins Lager seltsame Kunde. Noch hat der Tag von Straßburg sich nicht gejährt; und der riesige König Chnodomar ist tot!

Der Imperator hatte ihn eingebannt zu Rom in den Zelten der Fremden auf dem cälischen Hügel. Der Gefangene ist, schreibt man von dort, nie mehr ganz aufgewacht aus jenem dumpfen Brüten, aus jener Betäubung, in der er mir den Schwertstumpf vor die Füße warf. Er schwieg auf alle Fragen. Nur manchmal stöhnte er tief auf, schüttelte das rote Gelock und seufzte: »Es ist alles nichts! Es ist alles gleich. Es sind keine Götter. Auch Donar ist nicht.« Armer Mann, der nicht an Götter glauben kann! Lieber würde ich sofort sterben. Die Ärzte nannten seine Krankheit »Greisenkrankheit«. Aber er zählte etwa vierzig Lenze. Es war wohl eher schwermütige Verzweiflung.

 

Wieder eine Reihe Todes- und andere Unrechtsurteile hat Constantius gefällt. Die Furcht für seinen Thron als Mutter und der Haß gegen die alten Götter als Vater erzeugen miteinander in seiner Seele die Verfolgungswut gegen die Befragung der Götterzeichen.

Seine überall horchenden Lauscher berichten ihm: Ein Präfekt ließ sich von einem Zeichendeuter erklären, was ein Wiesel bedeutet habe, das ihm über den Weg gelaufen? Der Mann gesteht die Frage und wird geköpft. Ein Tribun befragt einen andern Wahrsager, was der wiederholte Pfiff der Spitzmäuschen ihm verkünde? Der Wahrsager wird gefoltert, der Tribun wird erdrosselt. Ein greiser Kaufherr leidet an der Gicht. Er läßt sich von einem (alten) Weiblein den geschwollenen Zeh besprechen nach einer (noch älteren!) altetruskischen Formel. Der Greis wird gehängt, das Weiblein lebend verbrannt. Warum all das? Weil bei diesen Befragungen auch nach der Zeit des Todes des Augustus und nach dem Namen seines Nachfolgers geforscht werden konnte! Das genügt! Eine Frau, von ihrem Buhlen angestiftet, bezichtigt ihren Ehemann, er verberge heimlich einen Purpurmantel im Hause. Der Mann wird wegen Verdachtes der Empörung hingerichtet; hinterher gesteht das Weib die Lüge. In Perigeux verklagt ein rachsüchtiger Sklave seinen Herrn, er habe sich zwar nicht aus purpurfarbnem Stoff, aber ganz nach dem Schnitt der Chlamys des Augustus einen Mantel fertigen lassen für festliche Gelage, wie sie dort mit reichem Aufwand üblich sind. Dem Aquitanier wird das Leben geschenkt, aber das Vermögen eingezogen. Und ihr duldet das alles im Reich Marc Aurels, ihr unsterblichen Götter? Ein solcher . . . Mann darf herrschen über Rom? Neulich nannte er sich selbst – anstatt wie seine Vorgänger etwa: »Meine Hoheit« – vielmehr: »Meine Ewigkeit«, »eternitas mea!«, »Herr der ganzen Erde«. Ist das nicht Hybris, welche die Nemesiaes heraufbeschwört? Ewig! Nicht einmal alle Götter sind ewig, nur der oberste.

Aber ich hasse auch die so beliebte Verurteilung, das heißt Ausplünderung von reichen Leuten, unter dem Vorwande des Hochverrates: Constantius schenkt ihnen dann wohl zuweilen das Leben, nimmt ihnen aber alle Lebensmittel. Neulich verklagt bei mir ein solcher Angeber – (Delphidius heißt er) – den reichen Statthalter der Narbonnensis. Da er dem Leugnenden nichts beweisen kann, weise ich die Klage ab. »Ei, aber Cäsar«, ruft er ärgerlich, »wenn es genügt, zu leugnen, wird man keinen mehr verurteilen können.« – »Und wenn es genügt, anzuklagen, wird man keinen mehr freisprechen können«, erwiderte ich und sprang auf von dem Tribunal.

Philippus schickt mir da – (als Nachschrift auf einem kleinen Zettel) – eine seltsame Warnung: Er habe (wieder einmal) die Sterne nach meiner Zukunft befragt. Ich solle nie »Phrygia« betreten, dort drohe mir Todesgefahr. Nun, es sieht nicht danach aus, daß ich je vom Rhein an den Mäandros komme. Die Todesgefahr liegt mir hier erheblich näher!

 


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