Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Dreiundvierzigstes Kapitel

Als sich nach zwei Tagen Julian von dem Lager erhob, auf das jene Erschütterung ihn geworfen hatte, war er ein verwandelter Mann.

Die Hoffnung seines Lebens war geknickt, er hatte verzichtet auf alle irdischen Wünsche, nur die Verklärung seiner unsterblichen Seele schwebte ihm noch vor als Ziel. Nicht an seinen Göttern war er irre geworden, aber die Götter hatten ihn verlassen, es war sein Irrtum gewesen, sich für den auserkorenen Liebling Apolls zu halten. Die Götter hatten sich erzürnt für immerdar abgewandt von diesem Reich der entarteten Römer. Die Olympier überließen sie dem Galiläer, zu dem sie abgefallen waren. »So wird er denn auch mich besiegen, dieser Zauberer aus Nazareth. Wohlan, ich will es ihm leicht machen. Die nächste Schlacht soll es entscheiden.«

Mit solchen Gedanken, mit diesem Entschluß erhob sich der Schwergetroffene am Abend des zweiten Tages. Die Freunde bemerkten die Mattigkeit im Ausdruck seines sonst so lebhaft bewegten Gesichts. Er vernahm es fast mit Gleichgültigkeit, was sie über ihre weiteren Wahrnehmungen in jenem Tempel berichteten.

Lysias hatte keine Mitschuldigen gehabt. Das ganze Gebäude, das sie sofort durchforschten, war leer. Als Oberpriester hatte er die Priester und Tempelsklaven für diese Nacht aus dem Heiligtum in die Nebengebäude verwiesen und alle Veranstaltungen in dem ihm altvertrauten Raum allein getroffen.

Serapio hatte den ihm wohlbekannten Bernsteinschmuck von der Leiche des armen Opfers der Sterne gelöst. Julian aber befahl, ihn samt dem Purpurmantel und Seidengewand mit den beiden Toten zu verbrennen. Der Schmuck war durch Grabraub entweiht in seinen Augen.

 

Für den folgenden Tag war die Fortsetzung des gefahrvollen Rückzugs – aber nun nach Westen – beschlossen. Der müde gewordene Mann erstaunte kaum noch, als er bei seinem Erwachen an diesem Morgen vor seinem Lager einen alten Mönch in braunem Gewande sitzen sah. »Johannes«, sprach er matt. »Du hier? Gegen mein Gebot? Ich hatte dich ja eingebannt in jenem Kloster.« – »Vergib, o Herr! Es litt mich nicht mehr dort, als ich erfuhr . . .« – »So weißt du schon? Sag es nur, daß ich Julianas Tod verschuldet habe.« – »Nicht doch! Eine Fügung des Herrn, der diese Seele früh zu sich rief. Nein, eine andere Nachricht bring ich dir, traurig zwar, aber doch versöhnlich! Deshalb, weil sie versöhnlich ist, eilte ich, sie dir zu bringen.« – »Du weinst? Das gilt meiner Mutter! Sie ist . . .« – »Heimgegangen! Der Tochter gefolgt. Der Kunst der Ärzte in Alexandria, aber gewiß mehr noch dem Gebet des frommen Athanasius . . .« – »Natürlich!« sagte Julian, die Brauen furchend. »Ist es gelungen, sie vom Irrsinn zu heilen. Sie ist wieder völlig zu klarem Bewußtsein gekommen, und Athanasius . . .« – »Genug von ihm!« – »Nein, das mußt du noch von ihm hören! Seinen gütevollen und mächtigen Worten ist es geglückt, sie dir zu versöhnen. Sie hat dir, sterbend, vergeben, und statt jenes Fluches, den sie ihm Wahnsinn sprach, schickt dir die Mutter, die Christin, ihren Segen.«

»O Mutter, Mutter, habe Dank! Und Dank auch du, Vielgetreuer! Und deshalb hast du, allein, unbeschützt, die vielen hundert Meilen durchwandert, barfuß, nur den Stab in der Hand?«

»Ja, der Herr war mein Geleit. Ich hoffte, diese Stunde noch zu erleben, dir dieses Wort noch zu künden. Nun will ich gern sterben. Ich habe deine Mutter und dich, o Julianus, sehr geliebt, sehr! All mein Leben lang.« – »Und ich hatte dich zornig bestraft! Und du, du wagst dein Leben, mich mit einem Wort des Friedens zu erlaben! Was, was ist das?« – »Das ist Christentum, mein lieber Sohn. Ich sagte es dir schon vor vielen Jahren!«

 

Alsbald zog nun – es war am Morgen des sechsundzwanzigsten Juni – das zusammengeschmolzene, aber durch die Ruhe und Erholung von vier Tagen erkräftigte Heer aus Sambara weiter der Heimat zu. »Herr«, rief Oribasius, als er des Feldherrn ansichtig ward, der ohne Helm, Harnisch und Schild, in einem Gewand von weißer Seide, weithin leuchtend – denn auch den dunklen Kriegsmantel hatte er abgelegt –, auf seinem weißen Rosse saß. »Herr, wo sind Panzer, Helm und Schild?« – »Dort.« Er wies mit der Hand in die nächste Straße. »Wo?« – »Im Arestempel. Als Weihgeschenke am Altare aufgehängt. Ich werde sie nie mehr tragen.« – »Bei den Göttern!« – »Ja! Eben bei den Göttern liegt mein Schutz. Wenn sie mich schützen wollen. Das sollen sie nun zeigen.« – »Der Feind soll uns den Rückweg verlegt haben, ganz nahe vor der Stadt.« – »Er hat ihn verlegt.« – »Und du reitest in die Schlacht ohne Waffen?« – »Nicht doch! Hier, mein Schwert. Es ist noch das von Straßburg.« Und er ritt ab zu seinen Leibwächtern. »Sieh da, das Kleeblatt«, lächelte er trüb. »Seid ihr noch vollzählig?«

»Ja«, erwiderte Sigiboto, »sogar vermehrt haben wir uns. Sigibrand ist uns zugewachsen. Aber doch nur mit Mühe sind wir noch da. Wir haben alle was davongetragen. Hippokrenikos hat einen giftigen Mückenstich am Hals, Ekkard einen Partherpfeil im Arm, ich einen Lanzenwurf im Schenkel, der arme Gorizo ist durch Hunger und Durst auf die Hälfte zusammengeschrumpft – schau nur hin, wie ihm der Panzer schlottert –, und Sigibrand behauptet, er sehe seit seinem Sonnenstich nichts mehr vor sich als gefüllte Weinkrüge, die nicht da sind. Aber dreinschlagen können wir noch alle fünf. Du sollst es sehen.«

Julian grüßte freundlich und ritt weiter. »Wie glücklich, diese Menschen«, sagte er zu Priscus, der auf seinem Maultier langsam herantrabte. »Das sind die weisesten Lagerphilosophen! Ohne Zweifel, ohne Fragen an die Götter, ohne Pflicht, als dreinzuhauen – (ihre liebste Freude, diese Pflicht) – und – ohne Schuld . . .!«

Er kam nun an das schmale Westtor des Städtleins. Er zog den Zügel, sein Roß anhaltend, um seine Reitervorhut voransprengen zu lassen. Da bemerkte er neben einer christlichen Kapelle die Werkstatt eines Zimmermanns, der offenbar ein eifriger Christ war, denn er hatte nicht nur eine Menge von Holzkreuzen, an sein Häuslein gelehnt, zum Verkauf ausgestellt, er machte auch, sobald er des Imperators ansichtig ward, das Zeichen des Kreuzes auf Stirn und Brust und wandte sich hastig ab. »Du kennst mich also, Freund?« lächelte Julian. »Ich bin Christi Freund, nicht der deine.« – »Nun, du bist offen, das gefällt mir. – Dein Gott ist ja dein Zunftgenosse. Was mag er wohl in dieser Stunde zimmern, der Zimmermannssohn?«

»Einen Sarg für dich, denn du wirst ihn bald brauchen.« Julian nickte dem Manne zu: »Du hast mehr recht als du ahnst.«

 


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