Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neununddreißigstes Kapitel

Julian hatte teils richtig, teils unrichtig geahnt.

Grau und trüb brach der Dezembermorgen an. Am Abend vorher und noch in der Nacht waren auf allen Legionenstraßen von Westen, von Osten und von Norden her, die plötzlich aus ihren Winterlagern, auch die ausgedienten aus ihren Häusern, von ihren Familien hinweg aufgescheuchten Truppen auf dem Nordufer der Seine eingetroffen, und in rasch errichteten Holzbaracken – die Zelte reichten bei weitem nicht aus – oder gar nur unter dem freien Himmel der Winternacht auf der hartgefrornen Erde untergebracht worden.

Vielfach war der völlig unerwartete Marschbefehl auf Ungehorsam gestoßen. Wohin – in dieser Jahreszeit – wollte man sie führen? Gegen die Barbaren? Aber diese drohten doch höchstens vom Rhein her. Und nun nach Paris? War dort der Cäsar bedroht? Dem wollten sie ja gern zu Hilfe eilen! Jedoch das konnten seine Boten nicht geltend machen. Die unablässige Anspornung zur Eile durch die Anführer erbitterte die murrenden Leute noch schärfer: »Mit fliegender Geißel«, schalten sie, »wie Tiere, die man zur Schlachtbank treibt, jagt man uns vorwärts. Wohin? Wozu?«

Und nicht nur die Krieger, nein, überall in ganz Gallien, soweit früher die Herrschaft oder die Streifzüge der Barbaren sich erstreckt hatten, wehklagten die Einwohner, die Bauern, die Colonen, die Bürger in den Städten, die sich der wiedergewonnenen Sicherheit erfreut hatten, auf das bitterste. Nun sähen sie Leben, Freiheit, Habe wieder den rachefrohen Barbaren schutzlos preisgegeben.

Bei Paris angelangt, erfuhren nun die einzelnen Scharen, sowie sie eintrafen, die Wahrheit, die hier nicht mehr verborgen werden konnte.

Und jeder Haufen ward sofort angesteckt, ergriffen von der gärenden Erregung. Die Mitteilung ergrimmte die, welche sie hastig den Waffenbrüdern zuflüsterten, ja schon zuschrien, mit erneutem Zorn, und riß die Neulinge mit fort. Ja manche Reiter warfen sich aufs Roß und jagten auf den finstern Straßen zurück, den Heranziehenden schon unterwegs die empörende Nachricht entgegenzutragen. Die Leute, obwohl übermüdet durch die Eilmärsche, fanden in dieser Nacht keinen Schlaf: Der Lärm, die Erregung stieg von Stunde zu Stunde. Laut erklärten gar viele, sie würden nicht gehorchen. Ergraute Krieger warfen zornig die Waffen auf die Erde. Verwünschungen gegen den Imperator, Drohrufe auch gegen den Cäsar wurden laut.

Sobald es hell geworden, sprengte Julian, umgeben von einer kleinen Zahl seiner Leibwächter, aus dem Palatium (dem heutigen Palais des Thermes), die Legionenstraße (die heutige Rue Saint Jacques) hinan in die nördliche Vorstadt und auf das vor ihr liegende, vom Wald entblößte weite Blachfeld, wo die Pariser Ackerbürger ihr Korn bauten, und wo nun die Truppen lagerten.

Bei seinem Erscheinen ward er mit Freude, mit Hoffnung, mit Zuversicht begrüßt. Die zornigen Rufe verstummten, einer der abgesessenen Panzerreiter sprang vom kalten Strohlager auf, lief auf ihn zu, und, ihm treuherzig die Hand hinhaltend, rief er mit lauter Stimme: »Nun seid getrost, ihr Waffenbrüder! Da ist er, der Cäsar Julian! Gedenkt ihr noch, wie er uns gerettet hat dort bei Straßburg, da Darandanes gefallen war und wir dachten, alles sei verloren? Getrost, er wird uns auch aus dieser Gefahr erretten.«

Gerührt schüttelte ihm Julian die Rechte, aber doch nur gepreßt, verlegen, im Bewußtsein der Unfähigkeit, ihre Wünsche zu erfüllen, antwortete er: »Wackerer Maurus! Du . . .« – »Er kennt mich noch!« rief der Mann erfreut.

»Gewiß! Du warst ja in der Reihe der Fliehenden der erste, der auf meine Mahnung die Fassung und sich selber wiederfand und kehrtmachte gegen den Feind. Du wirst auch heute wieder vor andern das Rechte finden. Und siehe da, du Garizo, langer Markomanne mit der goldtreuen Seele, du Centurio der Cornuti, was macht der Fuß? Ein schwerer Wagen ging dir drüber – nach dem Sieg? Und du, Hippokrenikos, heißblütiger Fahnenträger der Primani damals? Und du, Sigiboto, blonder Friese, und du, zorngemuter Ekkard, narbenreicher Sohn des Gaugrafen der Quaden, da ist ja das ›Kleeblatt‹ vollständig! Nun willkommen alle vier! Wo so wackere Krieger beisammen sind, muß auch das Wackere geschehen.«

Und er ritt weiter. Aber das war den Unzufriedenen doch allzu wenig. Von ihm hatten sie Abhilfe bestimmt erwartet; sollte sie ausbleiben? Die freudigen Zurufe verstummten, in den hinteren Reihen begann das Murren aufs neue.

Jedoch nun schlug die Stimmung rasch wieder um, liebten sie ihn doch und hatten sie doch auf ihn alle Hoffnung gesetzt, als er allen Befehlshabern und Anführern gebot, auf das große Viereck in der Mitte des Lagers – das Prätorium – vorzutreten, und als er sie hier alle – mehr als tausend Köpfe – als seine Gäste zu der Hauptmahlzeit – um die sechste Stunde nach Mittag – in das Palatium einlud, indem er beifügte, dort solle jeder freimütig ihm eine Bitte vortragen. Er werde sie gern erfüllen, wenn er könne. Brausender Beifall der Geladenen dankte ihm, aber alsbald auch der Mannschaften, sowie diese seine Worte erfuhren. Sie deuteten das zuversichtlich nach ihren Wünschen, und unter feurigen Nachrufen sprengte er zurück in die Stadt.

Freudige Zustimmung, ja begeisterter Jubel kehrte nun in dem Lager ein, in das der Cäsar zahlreiche Fuhren von Wein, Brot und Fleisch als sein »Gastgeschenk« sandte.

Hoch ging's nun her um die Fässer. Aus ihren Sturmhauben tranken die Germanen wieder den süffigen Wein, die kleineren Kelten und Römer mit den Ellbogen, auch wohl mit Faustschlag und Speerschaft zurückdrängend und unermüdlich schreiend: »Heil, hoher Held! Jubelt und jauchzet Julian!« – »Oho«, schalt da erbittert ein gallischer Bogenschütze aus Nantes, »ihr groben Germanen! Nun, Garizo, hast du noch immer nicht genug? Aber freilich, in deinen sieben Fuß langen Leib geht Unendliches hinein, bis er voll ist.« Die andern Gallier lachten; sie lachten gar gern über jeden Witz, ob gut, ob schlecht. Langsam, gemächlich – es eilte ihm selten – wandte sich der Lange zu dem Spötter und sprach, tief zu ihm hinunter, bedächtig: »Kleiner, sei still, sonst trag ich dich auf diesem Arm ins Bettchen. Übrigens – da – trink!« – »Mag nichts von dir geschenkt. Und euer Cäsar? Traut ihm nur nicht zuviel! Ich glaub's nicht, daß er uns hilft. Was meinst du, Bojorix?« – »Ich glaub's auch nicht«, rief sein Clangenosse. »Obwohl er uns beeidet hat. Aber bricht er den Eid . . . Vetter Mandubrates, beim großen Teutates, mit diesem Speer erstech ich ihn.« – »So nahe kommst du ihm gar nicht hinter seinen Leibwächtern! Doch mein Pfeil! Ich treff die Fledermaus im Schwirreflug. Sollen wir verderben, gegen seinen Schwur – fern vom lieben Heimatgau, fern von den heiligen Misteln auf den Eichen –, bei Hesus und Epona! Er soll nicht leben!«

 


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