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Übermenschliches hatten sie länger als fünf Stunden geleistet. Aber nun war es zu Ende. Atemlos, mit erschöpfter Kraft, keuchend, lechzend vor Staub und Durst, waren sie, nach allzulangem Sturmlaufen und Sturmschreien, endlich vor dem festgegliederten Viereck der Bataver angelangt.
Gegen diese Kernschar führten sie nun ihren verzweifelten Stoß. Grimmig nahmen sie den ungleichen Kampf auch gegen diese ganz frischen Truppen auf; der Rückhalt unverbrauchter Kräfte, die Merowechs einfache List aufgespart, betrug noch nicht zweitausend Speere. Und doch stürmten auch diese Keilhaufen heran, »als wollten sie« – so schreibt, nach Angabe von Augenzeugen, Ammian – »in einem Anfall von Raserei alles Widerstehende vernichten.« Die Römer kannten ihn, diesen »furor teutonicus«. Es war der kampfeswütige Wodan, der Gott ihres eigenen Heldenzorns, den die Germanen in solchen Augenblicken in sich spürten. Hinter den Rossen der Könige und ihrer Gefolgen drängten sich jetzt die Haufen des Fußvolks heran; furchtbar war der Zusammenstoß mit den dichtgeschlossenen Gliedern der Bataver. In brausendem Anlauf, wie in einem Ausfall, dem Fußvolk voran, hatte sich die kleine Reiterschar der Könige mit ihren Gefolgen in todesmutigem, opferreichem Vorstoß in den ersten Rechen von Speeren der Feinde geworfen. Und wirklich hatten sie ihn durchbrochen und auch das zweite Glied noch! Jubelnd folgten die Gemeinfreien den todesstolzen Führern. An solchen Taten erkannte das Volk mit Begeisterung das Mark seiner Könige, das den Göttern entstammte. Sieg jauchzend stürmten sie weiter auf der breiten Straße vor.
Aber ach, weit – allzuweit – hatten sie noch mal zu rennen. Mit klugem, kühlem Bedacht hatte Julian die Hauptmacht der Bataver weit – sechs Minuten Weges weit – hinter ihrer ersten Aufstellung zurückgehalten, ihr wildes Vorwärtsdrängen zügelnd. »Bleibt und erwartet sie hier, stehenden Fußes. Werfen sie wirklich eure Vorschar, sollen sie sich elend außer Atem laufen, bis sie an euch gelangen. Und seht da, schon rückt – von dem Gepäck her – unsere letzte Verstärkung heran: die Legion der Primani. Sie führt die schweren Wurfgeschütze mit; über eure Köpfe hinweg sollen ihre Balken auf die Feinde schmettern. Laß sehen, ob der müde Keil auch noch diesen ehernen Turm über den Haufen rennt!«
Wirklich traf nun hinter den Batavern, noch unversehrt, die ganze »Legion der Primani« ein, illyrische und norditalische Veteranen, vertraut mit der Bedienung der mörderischen Wurfgeschütze, der »Ballisten« und »Wildesel« und »Skorpione«.
Hageldicht sausten aus den hinteren Gliedern im Bogenschuß die balkendicken Wurfgeschosse, dann neben den langen Speeren auch kurze Rohrpfeile mit eisernen Schnäbeln. Kein Geschoß ging da fehl in dem dichtgedrängten Haufen der Germanen, während im Handgemenge Klinge an Klinge schlug, die Panzer unter den Schwert- und Beilhieben klafften.
Und auch dies Handgemenge gedieh wieder den Germanen zu furchtbaren Verlusten.
Wohl schien es zunächst ein Kampf ebenbürtiger Gegner. Aber waren die Alemannen größer und kräftiger als die »Primani«, so waren diese besser geschult und geübt; waren jene heißgrimmig und ungestüm, so blieben diese kühl und vorsichtig; trotzten jene auf ihre Körperkraft, waren diese an geübtem Verstand überlegen. Gar mancher Alemanne, sank er endlich vor Ermüdung zusammen, schlug noch im Knien auf den Feind los. Aber kaltblütig, wie im Zirkusspiel der wohlgeübte Gladiator dem Gegner sich gewandt entwindet, deckten sich die Legionäre mit dem Schild und durchbohrten blitzschnell den zornhitzigen Germanen mit dem für solchen Nahkampf unvergleichlichen dolchartigen Römerschwert.
Wie schon oft und oft der germanische Angriffskeil das erste und auch das zweite römische Treffen noch unwiderstehlich getroffen hatte, dann aber, nach blutigen Einbußen, atemlos und geschwächt an dem weit zurückgehaltenen dritten Treffen der Römer anprallte, dies nicht werfen konnte, sondern hier zum Stehen kam, und, damit seine wirksamste Gewalt verlierend, bald auch im Rücken und in den Flanken von den wieder gesammelten Vordertreffen gefaßt, völlig unfähig, zu schwenken, umzingelt ward, und, ohne die Möglichkeit eines geordneten Rückzugs, ohne Aufnahme durch einen Rückhalt, nur noch auf dem Fleck sterben oder in ordnungsloser Flucht irgendwohin in Verzweiflung ausbrechen konnte. So erging es nun auch diesem letzten Keilstoß.
Der wütige Ansturm war gestockt, damit das Gefährlichste von den Römern bestanden. Mit wachsender Siegeszuversicht streckten sie nun jeden vordersten Angreifer nieder; zwar stiegen über die Leichen der Erschlagenen, über die dichte Schicht der Verwundeten hinweg, unerschrocken die nächsten Reihen des Keils; aber längst waren die Vordersten, Kühnsten, Besten gefallen, die Könige verwundet, die edlen Gefolgsherren lagen in dichten Reihen ihrer Gefolgen. Schmerz, Verzweiflung ergriff die Gemeinfreien um die haufenweise hier tot, röchelnd, sterbend liegenden Führer. Das Übersteigen über so viele Helden lähmte sie mit Entsetzen. Sie sahen Merowech, Chnodomar, Ur, Ursicin, Hortari tot oder verwundet stürzen.
Und nun . . . nun vollends schmetterte in ihrem Rücken der wohlbekannte Ton der römischen Tuba!
Jovian hatte im Auftrag des Cäsars die ganze Nachhut des linken römischen Flügels von der Verfolgung der hier langsam weichenden Alemannen abgerufen und führte sie in geschlossenen Reihen von Norden und Westen her dem verzweifelt ringenden Keil in Flanke und Rücken.
Da war alles aus!
Da kam der Augenblick des rettungslosen Untergangs auch für diesen germanischen Keil. Erschöpft bis aufs äußerste, jeder Hoffnung bar, jeder Führerschaft entratend, stoben sie in blinder, besinnungsloser, zielloser Flucht davon, nach hinten, nach dem Rheine zu – und so in das sichere Verderben!
Die Legion der Primani, dieser »eherne Turm«, bisher unbeweglich, setzte sich nun in furchtbare Bewegung, öffnete die Vorderglieder, ließ die Hinterreihen durch, zog sie auch auf beiden Flanken vor, faßte so die Weichenden in breitester Front und überflügelte sie von beiden Seiten. Vom Rücken her fielen Jovianus und Severus die Durcheinanderwogenden an.
Endlich hatte sich auch die römische Reiterei von ihrer Bestürzung erholt und hieb, von Julian herbeigerufen, zu beiden Seiten der Straße nach.
Wie schwimmende Matrosen eines gescheiterten Schiffes, der Wut der verfolgenden See zu entkommen, flohen die Alemannen nach jeder freien Richtung auseinander. Aber bald sperrten die hoch aufgetürmten Schichten ihrer eigenen Erschlagenen den Fliehenden den Weg. Ohne Widerstand töteten die Verfolger vom Rücken her die vor Schreck Betäubten. War das Schwert krumm gebogen, stießen sie die Barbaren mit ihren eigenen, massenhaft umherliegenden Speeren nieder. Keinem um Gnade Flehenden ward das Leben geschenkt; die Sieger waren von Mordlust, von Rachgier wie berauscht. Die Balken der Wurfgeschütze rissen vielen Flüchtlingen von hinten her die Köpfe ab, daß sie nur noch an der Kehlhaut mit dem Rumpfe zusammenhingen. Hunderte waren auf dem vom Blut der Waffenbrüder schlüpfrigen Boden ausgeglitten und, unverwundet, von den Haufen der über sie Hinstürzenden erstickt. Immer eifriger, jauchzend vor Mordgier, setzten die Römer nach, auf schimmernde Helme und Schilde mit Füßen stampfend und niederstreckend, was sie erreichten, bis die Schneiden erstumpften unter den zahllosen Hieben.
Der Cäsar führte selbst die Verfolgung an der Spitze seiner Reiter bis an den Rhein. In diesem suchten die zu Tode Gehetzten letzte Rettung und Zuflucht. Zu vielen Tausenden warfen sie sich hinein; manche gelangten, indem sie sich auf ihre Schilde legten, in schräger Richtung schwimmend, ans rechte Ufer. Aber viel, viel mehr, verwundet, todesmüde, überhitzt, kämpften umsonst gegen die Gewalt des Stroms und wurden von den Fluten verschlungen; andere klammerten sich an rüstigere Schwimmer und zogen sie mit hinunter in den feuchten Tod.
Die berittenen numidischen Bogenschützen der Römer aber sprengten eine starke Strecke stromabwärts, stellten sich dann in langer, langer Reihe dicht am Fluß, die Vorderfüße der Gäule im Wasser, auf, und, selbst so sicher wie bei einer Theatervorstellung nach aufgezogenem Vorhang die Zuschauer, schossen sie, wie auf schwimmende Scheiben, auf jeden der wehrlosen Schwimmer, die an ihnen vorbeiglitten, und durchbohrten ihnen den Rücken mit den kaltblütig und ruhig gezielten Pfeilen. Schäumend, gerötet von Blut, staunte der Strom über den ungewohnten Zuwachs.
Eine Weile sah Julian dies Scheibenschießen mit an; dann rief er die Reiter ab: »Es ist genug«, sprach er, »für Rache, Ruhm und Rom! Zurück aufs Schlachtfeld! Laßt uns – in frommer Scheu – die Toten begraben; die Feinde wie die Freunde. Nicht sie den Raubvögeln des Himmels überlassen! Das ist ein Greuel vor den . . . vor den guten Gewalten!«
Vorübergebraust, der Straße entlang von Nordwesten her, waren die Ausgänge des Kampfes.
Fliehende und Verfolger hatten sich schon weit gegen Südosten zu hinweggewälzt, entfernt von der Stätte des blutigsten Ringens, da, wo der letzte Angriff Merowechs und des Fußvolks Chnodomars die batavischen Söldner und die Primani getroffen hatte. Haufenweise lagen hier die Erschlagenen, die Schwerverwundeten umher.
Der junge Friedibert lehnte sterbend das blonde Haupt auf den Bug seines toten Gauls. Er hielt die linke Hand auf die Wunde gepreßt, aber das Blut quoll doch unablässig zwischen den zuckenden Fingern durch. Es quälte ihn brennender Durst. Er stöhnte vor sich hin: »Oh, nur noch einen Trunk! – Ach aus dem Felsquell, dort, daheim im Moselwald! – Oder einen Schluck Wein! Ich verschmachte.«
Da antwortete ihm eine matte Stimme. Gerade ihm gegenüber, mit dem Kopf gen Norden, lag über zwei tote Römer hingestreckt Renatus: »Wenn du trinken willst«, sprach der Christ – »da . . . in meiner Lederflasche ist ein Rest Wein. Ich brächte ihn dir . . . aber ich . . . ich kann mich nicht erheben, ich bin zu schwach.« Friedibert richtete sich ein wenig auf. Er erkannte seinen Gegner. »Du . . .? Du bist es? Dein Speer traf scharf! Willst du mir wirklich . . .?« – »Komm nur her. Da, unter meinem Rücken hängt die Flasche.« Mit letzter Kraft schob sich Friedibert an ihn heran, holte die runde Flasche hinter dem Rücken des Wunden, der sich etwas in die Höhe hob, hervor, öffnete und setzte an. »Nein«, sprach er wieder absetzend. »Erst du . . . nur den Rest für mich.« Und er beugte sich über Renatus, legte ihm den linken Arm unter das Haupt, das der nicht erheben konnte, und flößte ihm den Wein in den Mund ein, bis dieser den Kopf todmüde sinken ließ. Dann trank er selbst das übrige, gierig jeden Tropfen schlürfend. »Danke dir, Römer! Das war köstlich! Möge es dir Wodan in Walhall vergelten; ich fahre zu ihm! Siehst du? Dort von der sinkenden Sonne her schwebt es heran wie weißes Nebelgewölk. Das ist . . . die Walküre! Oder ist es Gerlind? Ich . . . folge ihr.«
Und er reckte sich lang; sein Antlitz sank auf des Römers Brust. Ein Blutstrom brach aus dem Mund, er war tot; wie ein Freund umfaßte er dessen Brust mit beiden Armen. Der atmete schwer. Aber noch im Todesröcheln sprach er betend vor sich hin: »Christus lebt. Christus siegt. Liebet eure Feinde, tuet wohl denen, die . . . Mein Erlöser, nimm meine Seele, in deine Hände empfehl . . . und ach, meinen armen Vater!« Und er starb. Brust an Brust lagen die beiden, im Tode versöhnt.
Aber nicht überall ging es so friedlich zu Ende auf dem Schlachtfeld. Die römischen Troßknechte, großenteils Sklaven, hatten, sobald sie von weitem die Flucht der Feinde wahrgenommen, in hellen Haufen die im Rücken der Primani aufgefahrenen Gepäckwagen verlassen und sich über das Kampfgebiet verstreut, die Toten, Freund und Feind, plündernd, ausraubend, auch wohl gelegentlich einem Verwundeten, der sich nicht berauben lassen wollte, mit raschem Messerstoß den Garaus machend. Sogar bis in die Nähe des Cäsars hin hatte sich solch Raub- und Mordgesindel gewagt; wiederholt hatten seine Leibwächter die Scheusale aufgescheucht bei ihrer Arbeit. Jetzt ritt Julian, nachdem er die letzten fliehenden Feinde in dem Rhein oder in der weiten dunstigen Ferne hatte verschwinden sehen, langsam über das Schlachtfeld zurück. Er hatte befohlen, Zelte aufzuschlagen, um hier zu übernachten.
Wie er sich der Stelle näherte, wo auch Friedibert und Renatus lagen, sah er von weitem, wie zwei verdächtige Gestalten sich an den hier massenhaft gehäuften Gefallenen zu schaffen machten. Er glaubte zu sehen, aus der Mitte der am Boden Liegenden fuhr – wie zur Abwehr – ein weißer Arm empor. Mit lautem Zornruf sprengte der Cäsar, gefolgt von Jovian, auf die Gruppe zu; die Plünderer flohen.
Julian, nun zur Stelle, hielt den Zügel an. Vor ihm lag, den Kopf auf dem Bug des toten Rosses, ein junger, schöner Germane, das lange blonde Haar vom getrockneten Blut zusammengeklebt. Der Jüngling riß die Augen weit auf; er sah gerade nach Westen in die soeben versinkende Sonne, die ihre letzten Strahlen noch schräg aufwärts warf. Teilnehmend beugte sich der Cäsar über die vornehme Gestalt, die hier zuckte. Aber wie groß war sein Erstaunen, als der Germane, der an ihm vorbei immer in die Sonne blickte – offenbar im Wundfieber –, in griechischer Sprache die Worte sprach: »O Helios, unbesiegter Sonnengott! So nimm mich denn mit dir hinab!«
»Was ist das?« rief Julian, sprang vom Pferd und richtete das schwer atmende Haupt sanft empor. »Ein Grieche? Helios – meinen Helios! – ruft er an? Auf, Freund! Helios hat dich gehört! Sein treuester Priester kniet bei dir! Du sollst nicht sterben!«