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Sobald der Imperator vor Ktesiphon erschienen war, erforschte er – doch wieder! – durch ein Ares, dem Städtebezwinger, gebrachtes Opfer die Zukunft. Die Opferzeichen fielen unglückverheißend aus. Sie hatten recht. Denn die Schlacht, der Sieg am Tigris sollte den höchsten Gipfel der Erfolge bilden, die Julian seit seiner Erhebung aus Todesgefahr zum Cäsar in ununterbrochenem, wunderbarem Emporsteigen erreicht hatte, von Mailand bis nach Ktesiphon.
Unermeßlich war die Beute gewesen, welche die Sieger in dem eroberten Lager vor der Stadt gemacht hatten: Waffen und Sattelschmuck jeder Art, von Gold und Silber und Edelsteinen funkelnd, herrliche Rosse parthischer Zucht, Streitwagen mit vergoldeten Rädern, Tische und Bettgestelle von gediegenem Silber. Der Feldherr verteilte alles unter seinen Führern und Mannschaften. Für sich nahm er nur eine »Schiffskrone« in Anspruch – einen schlichten Reif aus Palmholz –, weil er den Gedanken des Angriffs mittels der Flachschiffe gefaßt und siegreich durchgeführt habe. Vor dem versammelten Heer und vor den Wällen der Stadt ließ er sich die Holzkrone von Jovian aufsetzen; mit Staunen sahen's die Perser auf den Zinnen. Die Einschließung von Ktesiphon und Seleukia-Koche begann.
Die Bezwingung der Doppelfeste stellte harte Arbeit in Aussicht. Aber Julian dachte schon viel weiter, immer weiter! Als Jovian und Serapio von der heißen Jahreszeit sprachen, die nun bald den Nordländern jede Mühe noch erschweren werde in diesem Morgenland, lachte er: »Die heiße Jahreszeit? Ja, die wird allerdings noch viel heißer sein in dem Lande, wo sie uns treffen wird. Längst nicht mehr hier! In Indien! Ja, ja! Von dem bezwungenen Ktesiphon geht's geradewegs in den äußersten Osten.«
Kopfschüttelnd sprach Jovian, als sie den Augustus verlassen hatten: »Das hat vor ihm kein Römer gewagt, selbst Trajan nicht, der zog von hier nach Süden, die großen Stromstraßen hinab. Aber nicht nach Osten! In das Ungemessene, fast nie Betretene.« – »Nur einer hat's vor ihm in sieghaften Waffen betreten und durchzogen: jener Alexandros.« – »Ja, der ›Göttersohn‹, wie er sich nannte.« – »Und glaubte. Daß Julian von sich das nicht glaubt – zu Ehren seiner unglücklichen Mutter –, das allein unterscheidet unsern Freund in seinem Selbstgefühl von jenem andern ›Götterlieblinge‹. Denn – hast du es nicht bemerkt? –, er spielt jetzt, seit dem Aufbruch gegen die Perser, Alexandros.« – »Ach, Freund, ja. Aber nicht für andere, nicht aus Trug.« – »O nein, er spielt ihn für sich selbst. Er hat nie für andere geschauspielert. Aber so oft, so lang, so überzeugt für sich selbst; er weiß es gar nicht mehr, wenn er es tut. Jetzt ist es, wie früher gegen uns Germanen Cäsar, so gegen die Perser der große Makedone, der dämonisch von ihm Besitz genommen hat. Er ist – sich selbst – jetzt Alexander, wie er sich damals Cäsar war. Er hat den Alexanderwahn. Das ist die Macht, die ihn jetzt ganz beherrscht.« – »Ach ja! Das wird entscheidungsvoll«, seufzte Jovian, »für zwei Völker: Römer und Perser.« – »Für drei.« – »Wieso?« – »Auch für die Germanen am Rhein.« – »Meinst du?« forschte Jovianus ernst, plötzlich stehenbleibend. »Ja, ich meine. – Aber, heute noch in Frieden: Gute Nacht, Jovianus.«
Allein nun verdunkelte sich der Himmel für den so siegessicheren Imperator.
Denn während das Heer, froh der erfochtenen Siege, voll Vertrauen auf den erfolggekrönten Führer, verschwenderisch schwelgend in dem Überfluß von erbeuteten und mitgeführten Vorräten, in freudigster Stimmung und Hoffnung sich wiegte, schickte der Feldherr Boten über Boten nach Norden aus, gegen Nisibis. Ja, er selbst ritt, von Ungeduld, von Hast getrieben, gar oft allein auf der Straße nach jener Richtung aus, den sehnlich erwarteten Nachrichten entgegen.
Eines Tages traf er hier auch wirklich auf einige Reiter, denen er sofort ihre Briefe aus den Händen riß. Er las sie sogleich, auf der Straße, im Sattel, fuhr erbleichend zusammen und jagte spornstreichs in das Lager zurück. Hier wies er die Freunde, die seine Verstörung bemerkten, mit einer Handbewegung ab und verbrachte den Abend und die Nacht durchwachend, allein in seinem Zelt, wohin ihm Oribasius alle Straßenkarten von diesen Landschaften bringen mußte.
Am anderen Morgen beschied er die Führer zu sich. Sie fanden ihn mehr angegriffen als eine durchwachte Nacht allein bewirken konnte; hatte er doch schon gar manche bei den Büchern verbracht. Matt, klanglos tönte seine Stimme, als er begann: »Die Belagerung von Ktesiphon ist aufgehoben. Der Feldzug ist gescheitert. Das Heer tritt den Rückzug an.«
»Das wolle Gott nicht!« rief Jovian erschrocken. »Die Götter haben es leider schon gewollt«, erwiderte Julian bitter. »Was ist geschehen? Was zwingt dich?« fragten die Feldherren durcheinander. »Verrat. Höllischer Verrat. Selbstverständlich die Galiläer! Hier. Lest diese Briefe! Ich fing sie gestern auf der Straße ab. Die Armenier – ihr König Tiranes –, sie sind doch gar fromme Christgläubige, haben uns verraten. Mein ganzer Plan beruhte darauf, auch diesmal ›zangengleich‹, von zwei Seiten, von Westen und von Norden, den Feind zu fassen. Hier sollte sich das Heer des Sebastianus von Norden, von Nisibis, kommend, sich mit uns vereinen, verstärkt durch zwanzigtausend Mann Fußvolk und viertausend Reiter der Armenier, die mir König Tiranes versprochen hat. Wohlan, der fromme Schurke von einem König hat mich verraten. Als eifrigster Galiläer, ein Freund des Constantius, der ihm Olympias, eine Verwandte, vermählte, hat er sich wohl von Anfang an nur widerstrebend mir angeschlossen, von Anfang an mit der Absicht des Verrats den Bundesvertrag mit mir vereinbart, jene Hilfsscharen mir zugesichert. Vor kurzem soll nun, schreibt Sebastianus, bei Tiranes ein vornehmer Armenier im Dienste Sapors, ebenfalls ein Christ, eingetroffen sein, der, unterstützt von dem Bischof von Kárana, dem König meine Vernichtung als ein Gott höchst wohlgefälliges Werk darwies. Sie drangen durch, gegen Treue und Ehre – wie schon so oft! –, die Priester des Galiläers! O wie ich sie jetzt erst hasse! Tiranes gebot seinem Heer, auf dem Marsche zu Sebastianus haltzumachen und erklärte, mir, dem Ungläubigen, dem Apostaten, dem schlimmsten Feind Gottes und seiner heiligen Kirche, schulde niemand Treue. Gottesleugnern zu helfen sei Frevel! Er habe Frieden und Freundschaft geschlossen mit Sapor, und sein Heer werde, wenn es gezwungen wird, sich am Krieg zu beteiligen, nicht für, sondern gegen mich kämpfen.
Mit vollem Recht schreibt Sebastianus, daß er unter diesen Umständen seine Stellungen im Norden nicht verlassen, nicht zu uns stoßen könne. Ich kann aber auch nicht hier stehenbleiben, geschweige noch tiefer in das Perserreich vordringen. Von meinen einunddreißigtausend Mann, mit denen ich aus Circesium abzog, habe ich viertausend verloren. Mit siebenundzwanzigtausend Speeren kann ich diese weitgestreckte Doppelstadt nicht einschließen; ich zählte so fest auf Sebastianus, auf die Verstärkung von vierundfünfzigtausend Mann! Noch weniger kann ich, diese beiden Festungen unbezwungen im Rücken, den drei Heeren entgegenziehen, die Sapor aus allen Provinzen seines Reiches, bis aus Skythien und Indien her, unter einem neuen Surenas und zweien seiner Söhne gegen uns ausschickt.
Wir müssen zurück!
Wie dieses Wort schmerzt, das weiß nur der unbesiegte Gott. Ich bin schon besiegt, nicht in einer Schlacht, nein, für den ganzen Feldzug; er ist verloren. Ich bin besiegt, ja, aber nicht durch weisere Feldherrnschaft oder kühnere Heldenschaft, ich bin besiegt durch scheußlichen Verrat der Galiläer. Oh, ich werd's ihnen gedenken! Ein milder Feind war ich ihnen bisher, aber wenn kraft dieses Glaubens Heer und Reich verraten und mit Vernichtung bedroht werden, dann erheischt die Pflicht des Imperators, die Selbsterhaltung dieses Reiches, ein anderes. Wehe den Galiläern! Wir brechen morgen auf, aber nicht nach Circesium zurück; nein, gegen diese höllenfalschen Christusdiener in Armenien! Ich zermalme ihren König. Ihren Bischof von Kárana häng ich auf am Hochaltar seiner eigenen Kirche. Dann – nächstes Jahr (wenn das vernichtete Armenien uns nicht mehr verraten kann!) –, dann ziehen wir wiederum auf Ktesiphon. Ihr seid entlassen. Geht! – Auch ihr, Jovian und Serapion. Ich muß jetzt allein sein! In einer Stunde schickt mir Lysias. Mit dem will ich die Bestrafung der Galiläer in Armenien beraten. Er – er ist jetzt mein Mann.«
Mit triumphierender Miene verließ nach geraumer Zeit Lysias das Zelt des Imperators. »Jetzt ist er mein!« murmelte er vor sich hin. »Nun fehlt nur noch . . .« Er stieß auf Jovian und Serapio, die schon lang wieder um Gehör gebeten hatten. Mit feindlichem Blick schritt er an ihnen vorüber.
Endlich wurden die Harrenden vorgelassen. Sie fanden den Augustus in heißester Erregung. »Freund!« begann Jovian beschwichtigend. »Verzage nicht! Der Himmel hat dich nicht verlassen. Vernimm: Zur rechten Stunde schickt er dir das Erwünschte, was er dir – jetzt – senden kann . . .« – »Einen ehrenvollen, ruhmreichen Frieden«, schloß Serapio. »Nimm ihn an und rette Heer und Reich und Ehre«, mahnte Jovian. »Eine Gesandtschaft Sapors traf ein . . . schon vor Stunden . . .« – »Aber du konntest dich ja von Lysias gar nicht trennen!« – »Der Großkönig bietet dir Ersatz aller Schäden, die er je deinem Reiche zugefügt und . . .« – »Er will Amida auf seine Kosten wieder aufbauen . . .« – »Vergütung aller Kosten auch dieses Krieges . . .« – »Herausgabe aller in früheren Feldzügen gefangenen Römer und . . .« – »Eine gewaltige, eine überraschend große Abtretung seiner Westlandschaften zur Sicherung deiner Grenzen für alle Zukunft.« – »Er bietet dir endlich seine Freundschaft und Waffenhilfe an wider alle deine Feinde.« – »Und in Anerkennung, daß du ihn besiegt hast, hundert Kränze von goldenen Palmen.« – »Du siehst, die Ehre und der Vorteil des Reiches sind so voll gewahrt . . .« – »Wie du nur irgend wünschen konntest.« – »Was kannst du denn noch mehr erreichen wollen?« – »Willst du wirklich Indien erobern?« Mit gefurchter Stirn schritt Julian im Zelt auf und nieder. »Rache will ich! Den Großprahler aller Prahler gedemütigt sehen!«
»Er ist's, denk ich, genug«, meinte Serapion. »Erwäge doch! Noch ahnen die Feinde nichts davon, daß du den Rückzug schon beschlossen hast . . .« – »Einen Rückzug, der viel, viel gefährlicher wird als der Angriffszug bis hierher war . . .« – »Erraten sie, entdecken sie deine Lage hier – die Gesandten wissen noch nichts von dem Abfall der Armenier –, nie wieder erhältst du so günstige Bedingungen!« – »Bedenke, kommt es auf dem Rückzug wieder zum Kampfe, hast du die Armenier vorn und die verfolgenden Parther im Rücken.« – »Und verfolgende Parther sind«, sprach Serapion, »ich hab's erprobt, gefährlicher noch als anstürmende Germanen.« – »Nimm diesen Frieden an!«
Aber eigenwillig, kopfschüttelnd fragte Julian: »Es ward noch für einen andern Perser Gehör von mir verlangt. Wer ist's?« – »Ein Überläufer, ein Satrap, der, von Sapor gekränkt, mit stattlichem Gefolge zu dir flieht, racheschnaubend, und dir – selbstverständlich – weiß Gott wie wichtige Hilfe verheißend, wie alle Überläufer. Hör ihn nicht!« – »Der ist mir von den Göttern gesendet –, nicht die Friedensbotschaft! – Der Gott der Rache steht mir jetzt am nächsten! Man soll ihn sofort hereinführen! Von ihm werden wir ja genau erfahren, wie's an dem Hof zu Susa steht, warum Sapor so friedenseifrig ist. Bleibt nur, ihr sollt Zeugen sein. Ich ahne! Ihr werdet erkennen: mit vollem Recht verwerf ich diesen Frieden.«
Alsbald erschien vor Julian ein reichgekleideter Perser, der sich sofort vor ihm zur Erde warf. »Steh auf, Gastfreund. Was führt dich her?« – »Die Rache.« – »Es ist nicht schön, seinen Herrscher zu verlassen.« – »Ich habe keinen Herrscher verlassen –, einen Mörder und den Schänder meiner Ehre!« Und die dunklen Augen funkelten in dem männlich schönen Antlitz, seine Faust ballte sich um den perlenbesetzten Griff des krummen Dolches in dem breiten Goldgürtel.
»Was hat dir Sapor zuleid getan?«
»Ich hatte ein Weib«, brachte er stöhnend, keuchend aus tiefer Brust hervor, »ein schönes, treues, heißgeliebtes Weib. Nur dies eine Weib! Sie war eine Griechin, zart und jung. Helena war ihr Name.« Julians Lippe zuckte. »Während ich des Scheusals Schlachten schlug – mein Blut floß für ihn bei Piri-Sabor! –, wollte er die Keusche verführen, und als sie ihn von sich stieß, hat er sie geschändet. Sie überlebte die Schmach nicht. Diesen Dolch stieß sie sich in die Brust. Ahriman soll mein Herz zerfleischen durch alle Ewigkeit, stoß ich dieselbe Klinge nicht in des Untiers Schlund. Deshalb steh ich hier. Hilf mir dazu. Ich kann auch dir viel helfen.«
»Hört ihr's, ihr Zweifler, ihr Lober des Großkönigs? Soll ich mit einem solchen Tyrannen, einem solchen Giermenschen, Freundschaft schließen? Bricht er so die Treue seinen Treuesten, wird er sie mir halten? Sei mir willkommen, Perser. Ich nehme dich gern auf, Rächer deiner Ehre. Sprich: Sapor bietet mir einen Frieden, der – an sich – nicht unangenehm wäre, wenn . . . Was lächelst du so grimmig? Was soll das heißen?« – »Das soll heißen: Ich staune, daß Chulchianosch, dessen Weisheit gepriesen wird vom Niedergang zum Aufgang, nicht dies Gespinst durchschaut. Sapor bietet den Frieden zum Schein; er will dich durch Verhandlungen sicher machen, hier, vor Ktesiphon, festhalten, bis seine drei neuen Heere heran sind. Er hat bei Ormuzds Haupt geschworen, niemals Frieden mit dir zu schließen, er hat geschworen, dir den Bart mit eigener Hand auszureißen und dich gepfählt aufzustecken auf dem Walle von Ekbatana. Seine Seele soll in unreines Getier fahren, läßt er dich lebend aus seinem Reich entkommen.«
»Hört ihr's? Das ist des Großkönigs Friedensliebe! Welches Glück, daß Pallas Athene Pronoia mir diesen Warner schickte! Fort mit der Gesandtschaft! Ich will sie gar nicht sehen! Und nächstes Jahr kehr ich zurück und erobere ganz Indien bis an das Meer, das da das Ende der Erde ist.«
Hoch horchte der Perser auf. »Wie?« forschte er, »vernahm ich recht? Zurückkehren, sagtest du? Du willst also nicht jetzt . . .?« Seine Augen funkelten seltsam. »So muß ich meine Rache verschieben?« – »Wie ich die meine. Tröste dich. Wir holen's gründlich nach!« – »Aber was willst du jetzt tun?« – »Umkehren. Ich will nicht, ich muß.« – »Weshalb?« – »Die Armenier haben mich verraten.«
Der Perser strich sich über den langen Bart. »Hm, das weiß noch niemand am Hofe des Tyrannen«, sprach er bedächtig. »Früh genug wird er's erfahren, fürcht ich. Und dann haben wir die Hetze der Verfolger hinter uns. Aber auch dafür werden die Götter, die dich mir als Warner gesendet, Rat wissen. Nur eine Sorge quält mich: die Vorräte, die Flotte! Verlaßt mich jetzt. Ich muß mich sammeln. Ich werde noch dem Traumgott opfern. Er soll mir – (wie schon so oft vor schwersten Entschlüssen) – das Richtige offenbaren. Jovianus, sorge für beste Unterbringung unseres Gastes, unseres neuen Freundes. Du, Perser, mußt mir morgen noch viel berichten. Ich vergaß ganz, zu fragen . . . Wie heißt du?«
»Nohordates.«
»Nun, nochmals willkommen, Nohordates.«