Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Zehntes Kapitel

Jahre waren verstrichen seit jener eiligen Flucht aus Rom.

In Macellum, der alten, von dem Flusse Sarus umspülten Festung der Provinz Kappadokien, in dem Säulengang des Palatiums – es war ein entgötterter Tempel des Ares – wandelten in vertrautem Gespräch Lysias und Julian; statt der Mönchskutten trugen sie weltliche Gewandung. Der Jüngling war merklich verändert. Er war der Mannheit erheblich entgegengereift. Die Spuren der wiederholten, todesgefährlichen Krankheitsanfälle waren geschwunden, blieb die Gestalt auch zeitlebens eine schmächtige, fast allzu zarte. Das Krankhafte in dem Ausdruck des Gesichtes war jetzt gewichen. Zwar ein suchendes Sehnen lag in den dunkeln schwärmerischen Augen; aber dies Sehnen schien, wenn ein Schmerz, ein süßer, ein geliebter Schmerz zu sein.

Dieser Zug, dieser Ausdruck war neu auf dem Antlitz des Jünglings und so stark ausgeprägt, daß er auch einem minder scharfen Beobachter als Lysias aufgefallen wäre. Dieser begann denn, alsbald nachdem sein prüfender Blick auf Julian geruht hatte: »Aus der Lyra deiner Seele, geliebter Sohn, zittert ein neuer Ton. Eine Saite – eine neue Saite – ist darin aufgezogen . . .« – »O Meister!« erwiderte Julianus. Es sollte eine Verneinung bedeuten, aber dies mißlang. Verlegen wandte er das Gesicht zur Seite, er errötete. Gar auffallend war in diesen sonst so bleichen Wangen das plötzliche, lebhafte Einschießen der Blutwellen.

»Du schweigst?« – »Ich staune!« rief Julian. »Oft schon hat mich deine Sehergabe in ehrfurchtsvolle Scheu versetzt. Aber das ist doch das Wunderbarste! Wie – wodurch – vermagst du in meiner Seele zu lesen? Erleuchtet dich wirklich ein Strahl unserer Götter?« Lysias lächelte seltsam, ein wenig unheimlich: »Vielleicht wäre es ersprießlich für mich – mehr noch für dich! –, dich in solchem Glauben zu bestärken; du würdest mir dann immer folgen, blindlings folgen.« – »Das werde ich ohnehin, mein großer Meister.«

»Wer weiß! Wodurch ich in deine Seele zu schauen vermag? Einmal, weil ich, seit bald einem halben Jahrhundert im Kampfe mit den Herrschern der Welt, in gar vieler Menschen Brust zu lesen gelernt habe; vor allem aber, weil ich dich liebe, o Julianus, mit begeisterter Hoffnung auf Rächung und Rettung der Götter. Sieh, diese Liebe ist so zwingend, daß ich auch jetzt wieder, von weiter Ferne, aus Ägypten, zurückgekehrt, sofort zu dir eilte, noch bevor ich in mein eigen Haus eintrat. Dein neues Geheimnis ist mir kein Geheimnis: Du liebst, o Julianus, liebst zum erstenmal.«

»Und für ewig!« rief der Jüngling schwärmerisch. »Auch wenn der unbesiegte Sonnengott meine Seele aus der Asche dieses Leibes, in anderer Hülle, in eine höhere Sphäre auf den goldenen Stern meiner Läuterung entrückt haben wird. Alles an Julian mag er wandeln durch verklärendes Licht, nicht dies Gefühl.« – »Teurer Schwärmer! Also: Du sahst in diesen Wochen meiner Abwesenheit wiederholt ein Mädchen . . .« – »Eine Göttin!« – »Sie zog dich an; ihre zarte Schönheit, gerade weil sie dich zu meiden schien.« – »Wahr, alles wahr. Täglich, wenn ich in die Bäder des Aurelianus ging, traf ich an der gleichen Stelle, unter dem Platanenhügel, eine schön geschmückte Sänfte, die, getragen von vier gleich gewandeten Sklaven, abbog nach dem Frauenbad der Amphitrite. Die Fenster waren durch Lattengitter geschlossen. Du weißt, man sieht dann von innen heraus, nicht aber hinein. Eines Tages strauchelte einer der vorderen Sklaven, er ließ die Tragstange los, die Sänfte drohte seitwärts umzuschlagen. Ich sprang herbei, riß sie empor und stützte die Last, bis jener wieder zugriff; dabei war das Gitter in die untere Öffnung herabgeglitten, und ich sah in der Sänfte . . .« – »Ein wunderschönes Mädchen.« – »Dunkle, große, seelenvolle Augen . . .!« – »Dunkles, reichflutendes Haar, marmorweiße Züge . . .« – »Oh, spotte nicht! Denn – durch Zufall – trifft dein Erraten zu. Sie dankte anmutvoll; wie lieblich klang die sanfte Stimme! Ich . . . ich erglühte, und doch durchzog mich leise kalter Schauer. Ich wagte nicht, nach ihrem Namen zu fragen: süße Scheu hielt mich ab. In den nächsten Tagen . . ., welche Wonne durchrieselte mich; ward, sobald ich in die Nähe der Platanen kam, der Gitterladen herabgelassen, wir wechselten – im Vorüberwandeln – wenige hastige Worte. Der Freigelassene, der die Sklaven führte, schien die Zwiesprache nicht gern zu sehen . . .« – »Ein Freigelassener?« unterbrach Lysias verwundert. »Und wie heißt . . . hast du den Namen nicht erfahren?« – »Jawohl! Helena! ›Herrin Helena‹ redete sie das Gefolge an.« Lysias nickte stumm. »Nun, und das Ende?« – »Das Ende war ihr plötzliches Verschwinden. Sie hat die Stadt verlassen.« – »Du irrst«, lächelte Lysias ruhig. – »Leider weiß ich es gewiß. Ich hatte mir ein Herz gefaßt . . . ich hatte beschlossen, den nächsten Morgen sie selbst – nicht die Sklaven, das widerstrebte mir – zu befragen, um ihre Herkunft, ihre Eltern. Zu rechter Zeit war ich an Ort und Stelle. Alsbald erschien auch die Sänfte, aber nicht nach dem Bade ward sie getragen! Unter unsern Platanen glitt das Gitter herab, eine weiße Hand winkte mir grüßend, ach den Abschiedsgruß! Rechtsab bogen die Sklaven, nach dem Flusse zu; in den Hafen eilten sie. Vor meinen Augen bestieg die Unbekannte ein dort harrendes Schifflein. Das zog die Segel auf und war draußen in der blauen Ferne verschwunden, noch bevor ich den Marmordamm des Flußufers erreicht hatte.« – »Unmöglich! Ganz unmöglich! Vergib! Ich muß in mein Haus! Sofort.« Und verwirrt, bestürzt, wie der Jüngling den fest in sich Geschlossenen nie gesehen, eilte Lysias aus dem Gemach. Zu Julians schmerzlichem Erstaunen ließ ihm der geliebte Lehrer gleich darauf sagen, obwohl gerade erst zurückgekehrt, rufe ihn ein wichtiges Geschäft sofort wieder ab in eine ferne Stadt von Asien, wo Glaubenskämpfe auszubrechen drohten. Vergeblich eilte der Jüngling, Abschied zu nehmen, in die Wohnung des Geheimnisvollen: der war schon aufgebrochen mit seinem ganzen Haushalt.

 


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