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Wie staunte ich, als ich am folgenden Tage die ersten alemannischen Dörfer erreichte! Das sind nicht mehr die rohen Blockhäuser, die Holzhütten aus übereinandergeschichteten Baumstämmen, wie Tacitus und die andern sie schildern: nein, nach römischer Bauweise, aus Stein aufgeführt, neben alten römischen Villen und offenbar nach deren Vorbild zierlich errichtet und ausgeschmückt. Immer mehr setzen sie mich in Verwunderung, diese Barbaren.
Sollten sie am Ende doch fähig sein – nicht nur erlesene einzelne wie Serapio – nein, die Menge des Volkes, sich Stücke unsrer Bildung anzueignen? Nicht bloß in unsrem Land, in unsrem Waffendienst, nein, bei sich zu Hause? Das wäre ja wie das Auftauchen einer ganz neuen Welt neben uns! Ich mag's nicht glauben!
Ich versuchte, tiefer einzudringen, aber ich ward zurückgewiesen, nicht von einem Heer – von dem Wald der Germanen. Wir gelangten an einem nebelnassen, regnerischen Tage bei grimmiger Kälte, es ist doch ein greulicher Himmel über dieses barbarische Land gespannt! – auf schlechten Wegen vor einen sumpfigen, finsteren Wald. Ich gestehe: Er flößte mir Grauen ein, dieser erste germanische Urwald, den ich zu sehen bekam. Lange hielt ich zaudernd an. Ein paar Gefangene, in jenen Dörfern überrascht, sagten uns, der ganze Wald wimmle von den Kriegern der Barbaren: In unterirdischen Gängen und Höhlen, in vielverzweigten Waldgräben lägen ihre Scharen versteckt, bereit, an günstiger Stelle vorzubrechen. Meine Leute stutzten: Sie wollten mir nicht in den Wald hinein.
Mit Mühe bewog ich sie endlich, einzudringen. Aber alsbald fanden wir die wenigen schmalen Pfade, die durch das undurchdringliche Gestrüpp, die seltnen Furten, die durch die abgrundtiefen schwarzen Sumpfwasser führten, gesperrt durch ungeheure Verhacke und Verhaue, bestehend in gewaltigen Stämmen von Eichen, Eschen, Tannen; und oben, in den Wipfeln der umstehenden Bäume, kaum sichtbar im Dunkel des Waldes, nisteten versteckt zahllose Bogen- und Speerschützen, die wie vom Himmel herunter Pfeile und Lanzen auf uns hageln ließen. Ich befahl den Rückzug: Meine Leute wollten nicht weiter hinein in das Undurchschaubare.
Als ich es nach der Heimkehr Serapio, der in Mainz zurückgeblieben war, erzählte, lächelte er so eigen und meinte: »Der Wald hat wieder einmal seine Söhne gerettet, wie schon so oft seit den Tagen des großen Cäsar. Es macht dir keine Schande, daß du wichest vor dem Germanenwald – wie er.«
Übrigens stellte ich ein altes Kastell Trajans, östlich von Mainz, am linken Ufer des Mainflusses, wieder her, und legte Besatzung hinein. Zum erstenmal wieder seit so langer Zeit eine römische Feste auf dem rechten Ufer des Rheines! Lassen mir mein Gott und mein Imperator noch einige Jahre das Leben und Gallien, so stelle ich all unsre Zwingburgen da drüben wieder her. Nun aber kehrte ich – schon bedeckte Schnee die fernen Höhen – nach Mainz zurück, Serapion ein längst gegebenes Versprechen zu erfüllen.
Alsbald nachdem ihn das Wundfieber verlassen, hatte er mit meiner Erlaubnis Boten an seinen greisen Vater, König Nebisgast, nach der batavischen Insel abgesandt, ihm zu berichten, der Sohn lebe und sei in guten Händen. Die Boten kehrten nicht zurück: vielleicht abgefangen von feindlichen Batavern. Da gelobte ich dem Freund, ihn so bald als tunlich selbst in die Heimat, zu dem Vater zu führen. Verlangt es doch auch das Reich, daß ich jenen Teil der Franken kennenlerne und uns dauernd verbinde. So segelte ich denn von Mainz aus mit Serapio und geringer Schar den Rhein hinab, landete auf der Nordspitze des batavischen Eilands und erreichte alsbald den Gau des alten Königs, der keinen Widerstand leisten konnte. Sein Sohn und das Aufgebot seines Gaues waren ja gefangen, gefallen, zersprengt.
Er lud mich durch Gesandte in seine Königshalle. Einfach genug ist sie, und nur, weil es die Heimat ist, kann ein Serapio diese braunen, rauchverdunkelten Eichenstämme einem römischen Marmorpalatium vorziehen. Ich hatte den Sohn gebeten, mir eine Freude nicht zu verderben, die ich mir für mein Gemüt ausgesonnen hatte; keine Nachricht über Serapios Geschick war an den alten König gelangt. Als ich nun den Saal des schlichten Gehöfts betrat, ergriff es mich tief in der Seele, wie der alte Mann in silberweißem langem Gelock, wie es ihre Könige tragen, mir entgegentrat, gastfreundlich zwar, die Schale Weins mir reichend, aber in würdevoller, echt königlicher Haltung, das Haupt stolz aufrecht, obwohl das edle Antlitz die Züge tiefer Trauer trug. Ich trank ihm zu, versicherte ihn des Friedens, um den er bat, verlangte aber Geiseln für die Einhaltung des Vertrages: nämlich drei Edelinge seines Gaues. Seufzend erwiderte der Alte, so viele würden wohl noch übrig sein nach ihren blutigen Verlusten, und er werde nach ihnen senden.
»Gut«, fuhr ich fort, und es ward mir schwer, gegenüber dem ehrwürdigen Alten die Rolle der Verstellung durchzuführen. »Aber das kann mir nicht genügen. Ich weiß, wer Schuld daran trug, daß dein Gau« (allein unter denen deines Volkes) »gegen uns kämpfte. Du hast einen Sohn, sagt man, einen einzigen. Das soll ein hervorragender Held sein.«
Da zuckte es über das alte Gesicht, daß ich beinahe nicht fortfahren konnte. Aber ich nahm mich zusammen und fügte bei: »Jedoch auch sehr gefährlich, unser schlimmster Feind. Den Frieden kann ich nur gewähren, stellt König Nebisgast auch seinen Sohn als Geisel.«
Da brach der Greis in wildes Schluchzen aus; er hob die beiden zitternden Hände gegen mich empor und klagte: »O Cäsar Julian – laß ab von dieser Forderung! Ach, die Götter wissen es, ich kann sie nicht erfüllen! Nimm mich gefangen, töte mich! Wohl hatte ich einen Sohn, von Wodans Geist durchweht, edel und stolz und stark und kühn! Ach! Ich habe ihn nicht mehr, meinen Merowech. In jenem grausen Würgen deines Sieges sahen ihn die Seinen blutend vom Rosse stürzen: Er ist gefallen! Schon lange liegt er bestattet auf jenem blutigen Feld.«
Da hielt ich mich nicht mehr: Ich faßte des Alten zitternde Hände und rief, selbst in Tränen ausbrechend: »Du irrst, König! Er lebt, dein Sohn! Hier steht er vor der Türe deiner Halle. Schon liegt er an deiner Brust!« Und ich ging hinaus und nahm meine Begleiter mit und ließ sie allein, den Vater und den Sohn.
So hat noch nie das Auge eines Menschen mir geleuchtet wie dieses greisen Vaters Blick, als ich nach geraumer Weile wieder eintrat. Serapio mag mich wohl über Gebühr gelobt haben. Beim Abschied versprach ich dem Alten, der Sohn solle, solang ich in Gallien bleibe und unser Vertrag also in Kraft bestehe, jedes Jahr den Vater besuchen dürfen. Ruft mich der Tod oder der Imperator (oder dieser durch jenen) ab, ist Serapio ohnehin frei.
Du wirst es kindlich schelten, o Lysias, aber der Augenblick, da ich diesem herrlichen Vater diesen herrlichen Sohn in die Arme führen konnte – er zählt zu den schönsten meines Lebens. Beglücken können – oh, wie herrlich ist's! Darin den Göttern nacheifern, wie schön!