Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Dreizehntes Kapitel

Des Todes jeden Augenblick gewärtig, lag der Gefangene in den Kissen der Sänfte, stumm, ohne Klage, ergeben in sein Geschick.

Das rührte ganz allmählich das Herz des rotbärtigen Centurio, dem Eusebius, der gefürchtete Blutmensch, von dem Brückentor von Macellum ab eine andere Richtung einschlagend, die Ausführung des imperatorischen Auftrags überwiesen hatte.

»Bei Tius und Donar«, sagte er zu seinem neben ihm reitenden Stammgenossen, »mich erbarmt es um den Buben! Schad um das junge Blut. Er ist heldentapfer. Sieben Tage schleppen wir ihn nun herum. Er weiß es längst, daß es zum sichern Tode geht, und er fürchtet sich wirklich nicht. Lieber laufe ich sieben Stunden Sturm gegen ein persisches Felsennest unter einem Hagel von Pfeilen, als daß ich sieben Tage jeden Augenblick für meinen letzten halte. Es ist eine ausgesuchte Grausamkeit.« Und er schüttelte die zottigen rotgelben Haare unter seinem Helm, den ein braunes Bärenhaupt überragte mit dem als Mantel auf die Schultern herabhängenden Fell. – »Still, Berung«, mahnte der andre. »Wir sind hier nicht daheim im sichern Neckarwalde. Des Imperators Späher horchen überall.« – »Meinetwegen, Vetter Eburwin. Ich habe nur meinen Arm, nicht meine Gedanken in Sold gegeben. Und dem Imperator möcht ich einmal ein paar von diesen Gedanken sagen! Nun, jetzt hat er's bald überstanden. Schon sind dort, trotz dem Abenddunkel, die Türme der Feste Vetera sichtbar; dort: da soll ich ihn vor den Richter stellen, der soll die Tatsache untersuchen und . . . nun, Eusebius hat diesen Richter ausgesucht! Man hat noch nie erlebt, daß ein von Eusebius Angeklagter seinen Richter lebend verlassen hat.« – »Anklage!« meinte Eburwin. »Möchte wissen, worauf sie geht? Der bleiche, zarte Träumer sieht nicht aus wie ein Verbrecher.«

»Sein Verbrechen ist seine Geburt. Sein Bruder soll ja schon mit dem Beil enthauptet sein zu Tyana. So erzählte mir gestern ein Bote der Reichspost, der uns kreuzte. Aber halt, wir stehen bereits vor den Wällen des Kastells. Siehe da, man erwartet uns schon. Fackeln nahen aus dem finstern Eisentor. Der dort in der Mitte, mit den senatorischen Abzeichen, das ist gewiß der Richter. Schau, die Amtsdiener neben ihm schleppen schwere Fesseln. Und dort, der baumlange Neger, wirklich, der trägt schon auf der Schulter das Richtbeil. Rasch ist die Rechtspflege des Imperators, das muß man sagen! Und der arme Junge, der nicht ahnt, lebend im Sarge, in seiner geschlossenen Truhe, wie nah ihm das Ende! Er soll's doch vorher wissen. Ich mag nicht, daß er mir vor seinen Feinden feig zusammenbricht vor Schrecken.«

Er trieb seinen mächtigen Gaul dicht an die Sänfte, hob deren Gitter auf und flüsterte hinein: »Nun, mein junger Held ohne Helm und ohne Schwert, nun gilt's, dich zusammenzunehmen. Beiß die Zähne übereinander und furche die Brauen. Das hilft immer ein wenig, den Schmerz zu verhalten. Ich glaube – aber, fasse dich jetzt! – du bist nun bald erlöst. Schau hin, du wirst jene Fackeln nicht mehr zu Ende brennen sehen.« – »Dank, Germane!« erwiderte der Jüngling mit ruhiger fester Stimme. »Sprich, glaubst du an einen Gott?« – »Das will ich meinen! An viele herrliche Götter glaube ich!« – »So auch ich. Aber der oberste ist der Gott des Lichts, der auch meines Lebens Licht angezündet hat. Klaglos, dankbar geb ich ihm sein Geschenk zurück, verlangt er's wieder. Nicht der Imperator, Phöbos Apollon hat es mir gegeben – und nicht der Imperator, Phöbos Apollon ruft mich ab zu höherem Licht. Ich folg ihm gern.«

»Der stirbt so wacker, Eburwin, als dürfte er nach Walhall fahren. Da kommt der Richter. Geschwader! Rechts schwenkt ab! . . . So! Halt!«

Die Fackeln näherten sich nun, in der Mitte der Richter, der Sänfte, deren vier Träger ihre Last auf die Straße niedergleiten ließen. Schon schritt der Richter mit finstrer Miene an die Türe, sie zu öffnen, als plötzlich von der Stadt her lautes Rufen erscholl und der donnernde Hufschlag eines einzelnen Reiters, der über die eiserne Zugbrücke herausjagte.

»Platz! Platz! Gebt Raum für einen Eilboten des Imperators! Haltet ein mit der Hinrichtung! Beide Brüder sind frei. Gallus ist zum Cäsar des Morgenlandes ernannt. Richter, gib den Gefangenen frei! Julianus darf – nach seinem früher geäußerten Wunsche – die hohe Schule zu Athen besuchen. Beide Brüder sollen sich der höchsten Gunst versichert halten.« So rief der Reiter von seinem schweißbedeckten Roß herab, eine Urkunde in der Hand vorweisend.

Der Richter nahm das Schreiben entgegen, erkannte das imperatorische Siegel, küßte es ehrerbietig, durchflog den Inhalt, bückte sich tief vor der mittlerweile geöffneten Türe der Sänfte und bat: »Möge es meinem allergnädigsten Herrn, dem Vetter des göttlichen Constantius, dem Bruder des Cäsar Gallus, gefallen, für heute Nacht in meinem schlichten Haus abzusteigen und es durch die Spur seiner Fußtritte für ewige Zeiten zu verherrlichen! Ich bin dein Sklave, o Herr! Tritt in die Freiheit über meinen Nacken hin.«

Und er kniete nieder, das Haupt vorbeugend. Julian sprang – an ihm vorbei – hinaus. »Wie heißest du, Germane?« fragte er zu dem Hengst des roten Riesen hinauf. – »Berung heiß ich, Beros Sohn!« – »Ich danke dir, Berung. Gib mir die Hand. Siehst du, Phöbos Apollo, mein Gott, an den ich glaube, hat mich gerettet.« – »Nein! Das hat dir Wodan, der waltende Wunschgott, getan!« – »Nein, mein Sohn«, rief eine weiche Stimme, »dich hat gerettet in seiner Gnade Christus der Herr!« Und der Bote ließ sich halb ohnmächtig von dem Sattel in Julians Arme gleiten.

»Wie?« staunte der. »Du, Johannes, du der Bote des Imperators? Welch ein Wunder!« – »Ja, mein geliebter Sohn. Christus der Herr, er tut noch Wunder für die Seinen. Er, er allein hat dich gerettet vor dem sichern, nahen Tode! Vergiß es nie im Leben.«

Und bewußtlos sank der Alte auf die Erde nieder vor Julian.

 


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