Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Vierzigstes Kapitel

Alle Räume des Palatiums, auch die recht ansehnlichen (heute noch erhaltenen) der Kalt- und Warmbäder waren in Anspruch genommen für Julians zahlreiche Gäste, die zum Teil nach antiker Sitte lagen, zum Teil nach barbarischer saßen an den Speisetischen.

Mit bezaubernder Liebenswürdigkeit machte der Cäsar den Wirt. Sie kam ihm vom Herzen. Er wollte alles aufwenden, die erregten Gemüter zu besänftigen, sie seine Versprechungen vergessen oder deren Verletzung verzeihen zu machen, sie im Gehorsam gegen den Willen des Imperators zu erhalten. Es war ihm ein Bedürfnis der Seele, sie zu gewinnen.

Und er hatte die Gabe, durch Worte zu gewinnen, durch liebenswürdige, witzige Einfälle, durch ein freundliches Lächeln des feingeschnittenen Mundes. Und er wußte, daß er diese Gabe besaß. Und es freute ihn, sie zu verwerten: heute wie noch nie. Galt es doch, nicht weniger als alles zu retten.

Er lag zu Tische mit den obersten Anführern in dem geschmackvoll geschmückten, geräumigen Speisesaal. Der Vater des großen Constantin hatte noch in den Reliefs der Wände aus schönem gelben, numidischen Marmor Göttergestalten geduldet. So sahen denn Bacchus, Demeter, Pomona, Abundantia, weinfrohe Satyren und nicht allzu spröde Nymphen hernieder auf die Gäste, welche an Wodan, an Teutates, an Jupiter, an Zeus, an Osiris, jedoch größtenteils an Christus glaubten.

Julians Rede stockte nie; er scherzte, er witzelte, manchmal ein wenig gesucht, so daß es die ungelehrten Feldhauptleute nicht verstanden. Aber sie ließen sich's nicht anmerken und lachten laut, trank er ihnen so freundlich zu.

Doch er sprang auch gar oft auf, nahm selbst einem Sklaven die Silberschüssel mit dem Bratfleisch aus der Hand und schob einem bevorzugten Gast einen guten Bissen zu. Ja, zuletzt, kurz bevor die Tische abgetragen wurden, schritt er an jede Tafel heran, sprach mit jedem seiner Gäste, erkundigte sich – er wußte fast aller Namen – nach ihrem Ergehen seit ihrer letzten Begegnung, forderte sie auf, ihre persönlichen Wünsche vorzutragen, und versprach meist schleunige Erfüllung. So schritt er, hoch die efeubekränzte Schale hebend, auf einen Tisch zu, an dem das ›Kleeblatt‹ saß.

»Nun, Ekkard, Grafensproß, seit dem letzten Hieb auf den Kopf dort in Toxandria keinen mehr?« – »Hat keiner mehr Raum, mein Feldherr. Aber für dich laß ich ihn mir spalten.« – »Behalt ihn hübsch beisammen; ist besser für uns beide. – Und du, Sigiboto, freier Friese, Urlaub erbatest du, endlich die blonde Braut heimzuführen in eurem Nebelland da im Norden. Schwer miß ich dein tapfer Schwert. Aber . . . es eilt wohl sehr?« – »Wüßtest du, wie schön Elna ist, du würdest nicht fragen, mein Herzog.« – »Nun so geh. Und da, bring ihr als Julians Hochzeitsgeschenk hier diesen Ring. Es ist eine schöne Heidengöttin da auf der Gemme, Heras, der Ehegöttin edles Haupt. Stört es dich? Bist du Christ?« – »Heide bin ich vom Wirbel bis zur Sohle. Und deshalb treu. Und ich gehe nicht in Urlaub; jetzt, da du, so scheint es fast, der Treuen alsbald sehr bedürfen wirst.« Julian winkte ihm, zu schweigen, und schritt weiter zu einem Tisch, um welchen ältere Führer römischer Abstammung auf Triklinien lagen. Als aber hier Severus, der Oberste im Befehl nach dem Cäsar, den er gutmütig wieder in Gnaden aufgenommen hatte, sich einfallen ließ, auszusprechen, was sie alle erfüllte, als er anhub: »Du fragst gütevoll nach den Wünschen einzelner, o Cäsar; aber es ist ein Wunsch, ein Verlangen, das uns alle erfüllt, nicht nur uns, die Führer, nein, die Zehntausend, die da draußen . . .« Da flüsterte ihm Julian rasch ins Ohr: »Schweig, oder ich schicke dich in einen Wald.« Verblüfft, verschämt verstummte sofort der Wortführer des allgemeinen Wunsches.

Julian aber rief mit lauttönender Stimme: »Der allgemeine Wunsch des ganzen Heeres ist (das wollte der Treffliche sagen): Heil dem Imperator Constantius! Heil ihm, Sieg und langes Leben! Und vor allem: treu gehorsame Kriegsleute. Ihr seid entlassen, tapfere Herren und Freunde.« Und rasch war der Wirt spurlos verschwunden in seinen innern Gemächern. Berung, der Alemanne, verriegelte hurtig hinter ihm die Türe; er hatte keine Antwort abgewartet, auch nicht den Heilruf für den Imperator.

Dieser Ruf – er blieb aus. Keine Stimme erhob sich. Schweigend, kopfschüttelnd brachen die Gäste auf und gingen oder ritten durch die Winternacht in das Lager.

Sklaven des Wirtes und hierzu befehligte Mannschaften leuchteten mit Pechfackeln, deren rotes Licht ein dichter Nebel größtenteils verschlang; auch der Mond vermochte nicht, das graue Gewoge zu durchdringen.

Die Anführer waren traurig enttäuscht. Freilich hatte keiner einen bestimmten Ausweg gefunden aus dem unlösbar scheinenden Widerstreit: Keiner hatte Julian einen Rat zu erteilen vermocht. Aber dafür war er ja der Cäsar! Das war seine Sache. Ganz zuversichtlich hatten sie erwartet, er werde bei jenem Mahle eine überraschende Lösung vorschlagen. Wozu sonst hatte er sie geladen? In welchem Sinne sie aufgefordert, »freimütig« zu wünschen?

Schweren Herzens näherten sie sich dem Lager Julians und den neu errichteten Zelten und Holzhütten. Da loderten nun zahlreiche Feuer, die Frierenden in dem naßkalten Nebel zu erwärmen; nur glanzlos schimmerten sie durch den grauen Dunst der Nacht. Aber schon eine gute Strecke vor dem Lager fluteten den heimkehrenden Führern aufgeregte Haufen entgegen, ohne Ordnung, durcheinander, gemischt aus allen Kohorten, Geschwadern und Legionen.

»Was bringt ihr? Nun, was ist's?« – »Was habt ihr durchgesetzt?« – »Was hat er vorgeschlagen?« – »Wann dürfen wir zurück?« – »Hat er's eingesehen?« – »Habt ihr an seinen Eid gemahnt?« – »Was geschieht?« – »Redet!«

Und sie hingen sich an die Pferde der Reiter, sie hielten die zu Fuß gehenden an den Schultern fest, sie leuchteten ihnen, ungeduldig der Antwort, mit brennenden Scheiten in die Gesichter.

So wälzte von Süden her sich der Zug der Heimkehrenden und der sie Empfangenden dahin, bei jedem Schritt anschwellend, durch die Porta decumana auf die via media des Lagers. Aus jeder Zeltgasse strömten neue hinzu, in jedem Zelt, auch in jedem Holzverschlag, erwachten die Schläfer bei dem tausendstimmigen Lärm, und unvermeidlich ergoß sich der ganze Haufen auf dem einzigen breiten Wege – der Legionenstraße – in den viereckigen Mittelraum des Lagers, wo die meisten Feuer brannten. Die Antworten der hartbedrängten Führer kamen so verhalten, so knapp, so ausweichend wie möglich, sie fühlten ein furchtbares Gewitter aufsteigen; ein einziges unvorsichtiges Wort konnte es entfesseln. Jeder hütete sich, dies Wort zu sprechen.

Allein, nun auf dem großen freien Platz, dem Prätorium des Lagers, angelangt, von der fragenden, schreienden, tobenden Menge umgeben, eingeschlossen, unfähig, sich zu entziehen, gerieten die Armen in die äußerste Not.

»Rede«, schrie ein halbbetrunkener Sarmate den bestürzten Severus an und hielt ihn fest am langen grauen Bart. »Sprich! Du bist der nächste nach ihm. Du mußt's wissen! Was geschieht? Rede, oder . . .« Und er hob die Eichenkeule.

Aber Severus schwieg. Vor dem germanischen Urwald hatte er sich gefürchtet: vor nichts anderem. Er schüttelte schweigend den Kopf. Da sprang, behend wie eine Katze auf eine hohe Leiter, die an einem im Bau begriffenen Haus lehnte, eine kleine bewegliche Gestalt. So hoch wie möglich kletterte der Mann hinan. Auf dieser Erhöhung ward er weithin sichtbar. Bojorix war's, der Aremoricaner. Gellend, kreischend drang seine helle, dünne Keltenstimme durch das dumpfe Gebrause der andern, von denen jeder nur mit sich oder mit seinem Nachbarn schalt. »Hört, Waffenbrüder! Hört mich! Verrat! Verrat! Verrat! Verkauft sind wir für Geld von Julian an Constantius, verkauft und verraten! Glaubt mir, dem Ohrenzeugen! Während ihr hier sofft oder schlieft oder schimpftet, lief ich rasch hinein, flink wie ein Wiesel, in die Stadt, mischte mich unter die Menge der Aufwärter, drang, Schüsseln und Krüge tragend, bis in den Hauptsaal, wo der Verräter tafelte mit den großen, den hohen Heergötzen! Alles hab ich mit angehört. Alles was gesagt wurde, und die Hauptsache, auch was nicht gesagt wurde. Dieser dicke Severus da, beim Belenus! Er ist dumm, aber nicht mit Fleiß . . .« Schallendes Gelächter der Gallier unterbrach den Landsmann. »Er tut es nicht aus Bosheit.« Noch lauteres Gelächter der Kelten sollte zeigen, daß sie auch so gescheit und witzeverstehend waren, wie der Kluge da auf der Leiter.

»Gleich reiß ich ihn herunter«, drohte leise Garizo, sich nur ein wenig reckend. Aber der Redner fuhr fort, von dem Beifall immer mehr erhitzt, berauscht, über sich selbst hinaus fortgerissen: »Also dieser Gutmann von einem Severus da faßte sich wirklich das Herz und fragte den Cäsar – oh, was tat der schön mit allen! –, ob er nicht den Wunsch unser aller erfüllen werde.« – »Nun, und?« – »Was sagte er?« – »Rasch heraus damit!« – »Was soll geschehen?« – »Nichts soll geschehen. Nichts sagte er! Das eben ist's! Alles bleibt bei dem Befehl des Constantius! Ihm sollten wir gehorchen, mahnte der Eidbrüchige, der Verräter! Geld hat er genommen von Constantius. Viele Millionen Solidi. Verrat, Verrat! Nieder mit dem Verräter!« – »Nieder mit dem Verräter!« wiederholten viele Stimmen der Gallier.

Aber nicht alle. Und unter den Germanen, den Römern wurden andere, zornig verneinende Rufe laut. »Der Cäsar ist kein Verräter!« rief eine frische Stimme; das war Ekkard der Grafensohn. »Aber du bist ein gallischer Krähhahn!« drohte Garizo, die geballte Faust erhebend gegen die Leiter. »Dem man den Hals umdrehen muß!« schrie, feuerrot im Gesicht, der hitzige Hippokrenikos und machte Miene, seinen Rat selbst zu befolgen.

Jedoch da sprang Sigiboto der Friese auf den nächsten Zechtisch, und, mit dröhnender Stimme den Streit, den Lärm übertönend, rief er: »Halt! Waffenbrüder! Wer den Cäsar Verräter schimpft, ist ein Neiding, ein undankbarer. Habt ihr den Tag von Straßburg schon vergessen? Habt ihr vergessen, wie er Tag und Nacht für uns gesorgt hat, wie für Brüder? Seine Herzensgüte? Seine Freundlichkeit? Wie er diesen Ekkard da, als er verwundet lag in Köln, gepflegt hat mit eigener Hand! Seid doch nicht so töricht! Was kann der Cäsar dafür, daß der Imperator sein Wort nicht hält? Gewiß, Julian beklagt das so bitter, ja bitterer als wir. Aber was kann er machen? Er muß gehorchen! Ist er doch nicht Imperator. Ja, wäre er das! Wie anders stünde alles! Nicht Julian! – Constantius ist unser Feind! Ihm gilt mein Haß!«

»Ja, er hat recht! Recht hat er! Constantius allein ist schuld! Nieder, nieder mit Constantius.«

»Ja«, fuhr Ekkard fort, zu dem Freund auf den Tisch springend. »Ja, nieder mit Constantius! Aber dies Wort, Freunde, dies Wort kostet uns alle die Köpfe, wenn Constantius Imperator bleibt.« – »Er soll's nicht bleiben! Wir brauchen keinen Imperator!« schrien die germanischen Söldner. »Doch, doch!« mahnte Hippokrenikos, der Römer-Grieche, als dritter auf den Tisch springend. »Das Römerreich braucht einen Imperator. Aber nicht den Feigling Constantius – einen Helden.« – »Und wir haben einen solchen, wir brauchen ihn nicht erst zu suchen«, schloß der lange Garizo, auf die vierte Ecke der langen Tafel steigend. »Schon früher erscholl hier und da der leise Ruf nach ihm: Jetzt aber soll er laut ertönen durch dies ganze Heer, bald durch das ganze Reich: Julianus, nicht mehr Cäsar – nein . . .«

»Julianus Imperator Augustus!« erscholl's da vieltausendstimmig auf dem Platz weithin; brausend, dröhnend, ohrzerreißend – furchtbar!

Alle Leidenschaften: Haß und Liebe, Zorn und Begeisterung, Rachsucht und Dank und die ganze, so lange Tage zurückgedämmte heiße Erregung machte sich, unwiderstehlich ausbrechend, Luft in diesem wilden Schrei, wie Gewitterschwüle im krachenden Donnergebrüll sich entlädt. Denn zugleich übertäubten sie damit das Gefühl der Schuld, der furchtbaren Verantwortung, die Empfindung des Ungeheuern, des Verhängnisvollen, das in dem Ausstoßen dieses Rufes lag. Sie alle waren nun verloren, sie samt ihrem Erkorenen, wenn sie nicht Constantius vernichteten.

Auf diesem Hauptplatz des Lagers waren die Fahnen aufgestellt, die Standarten der Reitergeschwader und des Fußvolks – nicht mehr die heidnischen Adler –, das Labarum, das heißt, über dem viereckigen kurzen Fahnentuch ragte statt der Speerspitze des Schaftes ein aus Silber oder Gold gefertigtes Zeichen, das die Anfangsbuchstaben des Namens »Jesus Christus, Sohn Gottes« zusammenfaßte. Manche dieser Feldzeichen trugen auch wohl statt des Labarums oben auf einem Querbrettlein den Kopf des jeweiligen Herrschers in Marmor oder Ton.

Jetzt, in diesem Augenblick wild entbrannter Leidenschaften, stürzte ein Fahnenträger der Braccati, ein hitziger Kelte, dem es Bedürfnis war, die innere Erregung in irgendeiner Handlung, wie auf der Bühne, schauspielerisch auszudrücken, auf die Feldzeichen zu, riß eines heraus, so daß alle andern auf die Erde krachten, schwang es im Kreis um seinen Kopf, sprang damit auf das nächste, hochlodernde Wachtfeuer und schmetterte mit mächtigem Streich die auf der Fahne ruhende Büste des Constantius durch die Flammen auf den Grund, daß der Ton in viele Stücke zersprang. Dann hob er das angebrannte Zeichen wieder und schrie: »Nieder! So nieder mit Constantius!« Tobender Beifall wiederholte den Ruf: Nieder! Nieder mit Constantius! »Das zwingt uns vorwärts«, sprach Severus zu seinem Nebenmanne. »Nie verzeiht das des Constantinus Sohn.« Und unaufhörlich wiederholten die Rasenden den Ruf; sie konnten sich dessen gar nicht ersättigen.

Plötzlich, nachdem die Tobenden viele Minuten lang immer und immer wieder dasselbe geschrien: »Julianus Imperator Augustus!«, trat Totenstille ein. Sie waren erschöpft, sie holten Atem, sie besannen sich: »Was nun?«

Aber nur einen Augenblick; dann brachen sie alle zusammen, die vielen Tausenden, wie auf ein Befehlswort wieder aus in einen einzigen Schrei: »In die Stadt! Ins Palatium! Zu Julian! Der Imperator muß den Purpur nehmen!«

Und nun setzte sich die ganze Menge, wie die Meerflut, die einem Windstoß folgen muß, in brausende Bewegung. Die Waffen wurden aus den Zelten, den Hütten geholt, nur wenige Reiter nahmen sich die Zeit, auf die ungesattelten Pferde zu springen, und schreiend, jauchzend, die Waffen schwingend, wogte und flutete das Heer auf der breiten Straße und links und rechts daneben über Stock und Stein nach Süden auf die Stadt zu. Viele stürzten, von den Nachdrängenden nach vorn gestoßen, zu Boden. Über die Liegenden, Schreienden, Fluchenden hin wälzten sich ohne Halten, ohne Mitleid die Wogen der Nächsten. Nicht ein Mann blieb in dem Lager.

Die Befehlshaber waren fast ohne Ausnahme von demselben plötzlichen Rausch der Begeisterung ergriffen wie die Mannschaften. Die sehr wenigen, welche aus dem Gefühl der Treuepflicht gegen Constantius, vielleicht auch aus Neid, aus Eifersucht auf Julian innerlich widerstrebten, wurden so völlig ohne jede Möglichkeit des Widerstehens, des Aufhaltens mit fortgerissen, wie Schneeflocken vom Sturmwind.

»Wenn er nun aber nicht will?« fragte Bojorix, mitten im Laufen, atemlos seinen Clanvetter. »Er muß!« antwortete dieser drohend. »Er darf uns nicht im Stiche lassen vor Constantius, nach dem, was geschehen.« – »Wenn er uns nun aber verrät? Wenn er doch nicht annimmt?« – »Er muß, sag ich dir«, sprach Mandubrates, drohend den Langbogen erhebend. »Die Sonne sieht ihn als Imperator oder . . . tot.«

 


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