Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Achtzehntes Kapitel

Am Abend des Beschlusses des Perserkrieges sprach Julian zu den beiden Freunden: »Unser Weg an die persische Grenze führt über Antiochia, die erste Stadt von Syrien. Dort will, dort muß ich lange Zeit verweilen, die Verwaltung des ganzen Morgenlandes zu ordnen, auch die Rüstungen, näher der Grenze, zu betreiben.« – »Antiochia?« warnte Serapio nachdenklich. »Ich kenne die Stadt. Ich weilte dort einmal ein Dreivierteljahr. Wenig werdet ihr, du und das Völklein der Antiochener, euch befreunden. Wähle anders!« – »Unmöglich! Dort laufen, wie alle Straßen der Landschaften, so alle Fäden der Verwaltung zusammen.« – »Hm«, meinte Jovian, »schlecht werdet ihr euch vertragen. Man sagt – ich las es jüngst –, die Antiochener jagen jeder Lustbarkeit nach, faul sind sie, schaulustig, wohllebig, prachtgierig, leichtsinnig, geschwätzig, weichlich, wollüstig.« – »Mag alles sein«, sprach Julian. »Ja, ich glaube, es ist so. Und daneben sind sie die frömmsten Galiläer. Desto notwendiger ist es, daß ich dort erscheine, ihnen die Tugend zu bringen und die Götter! Und wie freue ich mich, dort meinen Liebling wiederzufinden . . .« – »Artemidor!« rief Serapio. »Ja, das ist der liebenswürdigste und schönste aller Hellenen, dem schlanken Hermes des Praxiteles vergleichbar, den ich jüngst bewunderte.« – »Und als Künstler erreicht ihn keiner, auch nicht Georgios von Milet, obwohl dieser neulich einen Alexandros, der zu Roß einen Löwen erlegt, auf einer Gemme dargestellt hat, nicht größer als der Nagel meines Daumens. Ich bezahlte einen hohen Preis dafür.«

»Das, o Julian«, erwiderte Serapio, »scheint mir nur ein Kunststück, kein Kunstwerk. Ich würde dem Milesier als Kaufpreis nur eine einen Daumennagel schwere Goldmünze gereicht haben. Ich sah Artemidor lange nicht mehr in dem Palast. Wo ist er?«

»In Daphne bei Antiochia; und, wie er schreibt, in eifrigster Arbeit. Ich habe jenes altberühmte Heiligtum des Apollo, das in traurigen Verfall geraten sein soll, wiederherzustellen beschlossen und meinem geliebten Wahlsohn das Amt übertragen, auch dort das Häßliche zu ersetzen durch das Schöne und den Sieg des göttlichen Lichts.«

 

Nachdem Julian noch in umsichtiger Weise für die Grenzwehr Thrakiens gegen die gotischen Völker an der Donau Sorge getragen, verließ er – an den Iden des Mai – Byzanz und verlegte seine Hofhaltung nach Antiochia. Die Monate, die er zu Byzanz verbracht hatte, sollten die einzige glückliche, unbewölkte Zeit seiner kurzen Herrschaft sein.

Auf seinen abergläubischen Sinn blieb es nicht ohne Eindruck, daß von dem Augenblick an, da er aus dem Palast am Bosporus aufbrach, eine ganze Reihe von unheilverkündenden Zeichen sich an seine Fersen heftete. Bei dem Ritt nach dem Hafen stolperte Argos, sein weißer Hengst, und stürzte auf beide Vorderfüße nieder; er mußte ein anderes Pferd besteigen. »Ein böses Omen! Nie kehrt er zurück!« raunten die Leute um ihn her, zwar vorsichtig, leise; aber seine üble Neigung, stets auf die Urteile der Menge, auf deren kleinste Äußerung über ihn zu achten, hatte sein Ohr geschärft in langer Übung. Er verstand jedes Wort. Er erschrak. Die Auslegung des Zeichens war ja zweifellos richtig! Bei der kurzen Überfahrt aus dem Hafen von Byzanz nach Chalkedon setzte sich auf den purpurbewimpelten Mast seines Eilschiffs laut krächzend ein Rabe und war durch all den Lärm der vielen Menschen lange Zeit nicht zu verscheuchen.

Julian erbleichte, als er wieder aus dem Geflüster der Ruderer die Worte verstand: »Der Totenvogel! Der Imperator stirbt.« Serapio bemerkte den finstern Eindruck auf den Freund: »Abergläubischer Philosoph!« tröstete er. »Uns Germanen ist Wodans Vogel glücklicher Anfang. Nimm an, es gilt mir.« – »Nicht doch, stets dem Obersten an Bord gilt das Omen!« erwiderte Julian ernsthaft. »O Freund, schelte mir nie wieder über den Aberglauben der Christen!« Aber ungleich tiefer traf ihn – nicht nur als ein Anzeichen des Unheils, als ein Unheil selbst – etwas anderes.

Sein Weg nach Antiochia führte über Nikomedia. Er freute sich innig, diese Stadt wieder aufzusuchen, das erinnerungsreiche Vaterhaus, vor allem aber Maximus wiederzusehen, den geliebten Lehrer. »Lysias hat mich«, pflegte er zu sagen, »aus dem galiläischen Grab auf die Oberfläche der Erde, Maximus aber von der Erde in den höchsten Himmel zu den Göttern gehoben.« Er sandte Boten voraus, in dem Elternhause selbst Wohnung für den Imperator zu besorgen, Maximus Ehrengeschenke, darunter einen Becher in Gestalt eines goldenen Schiffes, zu überbringen und die Bitte, in jenem Hause bei ihm zu wohnen, damit er von seinem Gespräch möglichst viel genieße.

Schon auf der Reise von Byzanz nach Nikomedia erhielt er die Nachricht von Erdstößen, die sowohl in der Hauptstadt als in manchen Städten Kleinasiens einigen, nicht erheblichen, Schaden angerichtet hatten. Fast schwerer wog ihm das hierin liegende üble Vorzeichen für den eben beschlossenen Krieg.

Als sich aber im Abendrot der Zug des Augustus den Toren von Nikomedia näherte, sprengten Boten und einige Bürger der Stadt ihm eilfertig entgegen, und ihr Führer, ein Priester der Athena, sprach: »O Herr, ziehe den Zügel an! Wende dein Roß! Reite nicht ein in die trauernde Stadt, daß nicht Trümmer und Tod ihre schwarzen Schatten auf deinen Weg werfen.«

»Was ist geschehen?« fragte Julian bestürzt. »Kann ich nicht in meinem Elternhause den Göttern opfern?« – »Nein, o Herr! Dein Elternhaus, es ist nicht mehr. Ein Erdbeben – heute morgen. Alle andern Gebäude stehen unbeschädigt; jenes . . . es liegt in Trümmern, auch der neu von dir errichtete Hausaltar.« Schmerz zuckte über Julians bleiches Antlitz. »Wehe! Ein trauriges Vorzeichen! – So werd ich bei Maximus wohnen. Wie nahm er die Geschenke auf?! – »O Herr, zürne mir nicht! Die Geschenke . . . dort die Sklaven bringen sie zurück. Maximus ist . . .« – »Was ist mit meinem Lehrer?« – »Tot ist er. Der einzige unter allen Einwohnern! Erschlagen von . . .«

»Von wem?« fuhr Julian zornig auf. »Von den Galiläern? Schon einmal bedrohten sie sein Leben! Wehe ihnen! Erschlagen von wem?« – »Von dem Altar deines Hauses, den du Apollo neu errichtet hast. Maximus stand davor, ihn für deinen Einzug zu schmücken, zu bekränzen, das erste Opfer darzubringen, umgeben von deinem Gesinde. Da kam der Erdstoß; der hohe Marmorstein schlug um, ihn allein hat er getroffen.« – »Er! Er selbst ward das erste Opfer«, stöhnte Julian in bitterem Weh. »O Maximus! Und für mich! Um meinetwillen!« Er stieg vom Pferd, warf sich in das Gras neben der Straße und weinte laut.

Die Freunde und Oribasius, der Arzt, hatten Mühe, ihn zu beruhigen, ihn wieder in den Sattel zu bringen. »Eusebia – Helena – Philippus – Maximus!« seufzte er. »Sie scheinen mich nachzuziehen!« Und er befahl, die Stadt Nikomedia zu umgehen.

»Es ist unheimlich«, flüsterte Jovian Serapio zu. »Das andere – Roß und Rabe –, das ist nichts. Aber es scheint doch fast, als ob Christus wirklich auferstanden sei und hoch vom Himmel herab den Götterdienst und die Götterdiener sichtbar strafe.« – »Auch du, Jovian? Halte dir deinen hellen Kopf nüchtern und frei von jedem Aberglauben! Hörst du, von jedem! Mir ist, unser Freund wird klarer Köpfe um sich bedürfen. Er ist überreizt. Wer weiß, was ihm Antiochia bringt an Aufregungen. Perserpfeile, Reiterangriffe möchte ich ihm viel lieber wünschen.«

Zunächst brachte ihm nun schon jeder Aufenthalt unterwegs, zumal in den größeren Städten wie Nicäa, Ankyra, Archelais, Tyana, Faustinopolis, Pylä, Tarsus und Ägä zahlreiche Ärgernisse. Bereits hier vernahm er gar viel von den Klagen der Christen über Verfolgung, über grausame Handhabung seiner neuen Gesetze, Klagen, die ihm alsbald in Antiochia hoch über dem Haupte zusammenschlagen sollten.

Es zeigte sich, daß die mit der Ausführung betrauten Beamten, die man nicht wohl aus Christen oder Christenfreunden hatte wählen können, geschürt von den »hellenistischen« Priestern, arge Willkür und Rachsucht walten ließen. Der junge Herrscher sah seine bestgemeinten Beschlüsse mißbraucht, seine Gerechtigkeit für alle, in Bedrückung der Christen verkehrt. Das verbitterte ihn, erfüllte ihn mit Mißmut. Andererseits reizten christliche Eiferer durch blindes Toben auch gegen seine gerechten Anordnungen seinen Zorn. Aber immer noch siegte wieder in ihm die angeborene Güte des Herzens, der edle Schwung der Seele, die begeisterte Liebe zu dem Reich. Und auch die griechische »Leichterregbarkeit« kam ihm dabei zu Hilfe. Ein paar freundliche Eindrücke verscheuchten rasch wieder jenes Gewölk und riefen in ihm den etwas spielerischen Witz zurück, an dem er sich gern ergötzte.

In Ankyra trat der Arespriester der Stadt an ihn mit der aufdringlichen Anklage auf Hochverrat gegen den Präfekten von Galatien heran, der in den bangen Tagen nach des Constantius Tod und vor dem Übertritt seines Heeres zu Julian nach dem Diadem getrachtet habe. Als Beweis führte er an, der Präfekt habe sich bereits einen Purpurmantel angeschafft. »Du weißt, o Imperator, das ist durch ein Gesetz des Constantius mit dem Tode bedroht!«

»Ich weiß, o Vortrefflicher. Aber ich, als Philosoph, bin nicht so eifersüchtig auf die vornehmste Gewandung. Der arme Präfekt! Nun hat er sich vergeblich in Unkosten gestürzt und wahrscheinlich keine vollständige Purpurtracht. Oh, da, in jener Area liegen, glaube ich, ein Paar Purpursandalen. Bitte, bringe sie ihm mit meiner Entschuldigung, daß ich ihm zuvorgekommen bin. Ich tue es nie wieder.«

In Ägä baten die vereinten Rhetoren, er möge einen Tag länger verweilen, eine Lobrede auf ihn anzuhören, die sie gemeinschaftlich verfaßt hatten. »Soviel Mühe macht es, mich zu loben«, lächelte er, »daß sich vier an die Arbeit machen müssen?! Nein, ihr Schweißbeladenen, ich lasse mich nur loben von denen, die auch den Mut haben, mich zu tadeln. Mein Lobredner heißt Serapio: dort steht er.«

In Hierapolis ward ihm der bisherige Präsidialis in Ketten vorgeführt. Er war beschuldigt, durch Zeugen überführt und durch seine eigene Handschrift, daß er auf die erste Nachricht von Julians Erhebung zu Paris von Constantius sich als besonderes Gnadengeschenk für die treue Stadt Hierapolis das Haupt des Empörers erbeten habe. Zitternd, mit schlotternden Knien, stand der Mann vor ihm. »Ein schlechter Geschmack«, meinte Julian. »Ich würde mir etwas Schöneres erbitten. Übrigens, ich habe ja seinen Wunsch erfüllt und meinen Kopf selbst in diese Stadt getragen.« – »Aber, o Herr, deine Genugtuung . . .?« – »Soll ich etwa seinen Kopf nehmen? Er ist auch nicht schön! Löst ihm die Ketten!«

In Cyrus erhoben zahlreiche Provinzialen bürgerliche und Strafklagen wider den ehemaligen Präfekten Thalassius und ließen dabei verlauten, daß dieser Mann ganz besonders den unglücklichen Gallus in die Hände seiner Henker gespielt habe. »Ich weiß es«, erwiderte Julian, »und ich hasse den Mann. Schweigt mit euren Klagen, bis er mir genug getan, den er am schwersten verletzt hat. Ich aber begnadige ihn. Man soll nicht sagen, daß nur die Galiläer ihren Feinden verzeihen. Nun klagt bei andern Richtern, nicht bei mir.«

In Antiochia, wo er Mitte Juni eintraf, hielt er ganz regelmäßig Gerichtssitzungen ab. Man pries die Gerechtigkeit seiner Entscheidungen. Man sagte, die Göttin der Gerechtigkeit, Adrasteia, längst wegen der Frevel der Menschen von der Erde in den Himmel geflüchtet, sei unter dem Schilde Julians wieder herabgestiegen in das Reich der Römer. Die Leute lobten zumal die Mühe, die er sich gab, die Streitenden zu gütlichem Vergleich zu bringen. Doch fiel es auf, daß er sorgfältig bei jedem Rechtshandel, auch bei solchem, der mit der Religion gar nichts zu tun hatte, nach dem Bekenntnis von Kläger und Beklagten fragte und deren Antworten hierüber in einer besonderen Liste vermerkte. »Warum tust du das?« forschte Jovian, in die lange Rolle blickend. »Jedes Vierteljahr werde ich feststellen und durch öffentlichen Anschlag bekanntmachen, welche Religionspartei die meisten Vergleiche aufweist. Bis jetzt sind die unversöhnlichsten die Juden: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹ Dann kommen die Feindeliebhaber, die sanften Galiläer, welche die Güter dieser Welt verachten; sie zanken und wuchern mit den Juden um die Wette. Die versöhnlichsten sind die sündigen Hellenisten. Solche Ergebnisse erfreuen mein Herz, ich kann's nicht leugnen, zumal dies Antiochia ja als eine Hochburg der Galiläer gilt.«

Das sollte aber die einzige Freude sein, die er in Antiochia erlebte. Als ein abermaliges unheilbedeutendes Vorzeichen mußte ihm schon die Art seines Empfanges in dieser Stadt gelten. Wie sich sein Reisezug der nordwestlichen Vorstadt näherte, schollen ihm dumpfe Klagetöne, unterbrochen von schrillen Schmerzensrufen, entgegen, statt der fröhlichen, festlichen Einholung, mit der ihn die andern Städte begrüßt hatten. Er erschrak, und seine Züge verfinsterten sich noch mehr, als seine zurückeilenden Vorreiter berichteten, die Stadt begehe an diesem Tag ein Fest der tiefsten Trauer. Der Tod des Adonis, des jugendlichen Lieblings der Aphrodite, werde heute hier begangen. »Ja, ja«, sprach er kopfnickend, »die Lieblinge der Götter sterben früh.«

 


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