Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Vierundzwanzigstes Kapitel

An Lysias, seinen teuren Lehrer, Flavius Claudius Julianus (den die Seinen »Alemannicus« nennen, was doch nur dem Imperator zukommt).

Sieg! Sieg! Io triumphiere, mein Lysias! Hier schicke ich dir – neben diesem Brief, gesondert – die genaue Schilderung meines großen Sieges über die Alemannen, den mir – nahe Straßburg – die gnädigen Götter geschenkt haben. Es ist ein Teil meiner Kommentarien; denn ich habe beschlossen, dem göttlichen Julius auch darin nachzueifern, daß ich meine »gallischen Feldzüge« selbst beschreibe. Der Lorbeer des Feldherrn genügt mir bei weitem nicht! Viel, unendlich mehr, reizt mich der des Schriftstellers! Ja, ich bilde mir viel mehr ein auf diese Schilderung meines Sieges als auf den Sieg selbst. Noch in späten Jahrhunderten sollen die Feldherren und die Gelehrten sich um mich streiten, sollen jene mich als Helden, diese als Schriftsteller höher stellen, und die staunende Menschheit soll sagen: »Mancher war groß mit dem Schwert, mancher groß mit dem Griffel; so groß wie Julianus mit beiden war keiner.«

Du merkst dieser Sprache lebhafteste Bewegung an. Ja, es ist wahr! Dieser wunderbare Erfolg, den mir handgreiflich die Götter wie verkündet, so verwirklicht haben, erhebt mein ganzes Wesen in nie gekannte Höhen stolzester Zuversicht. Ja, ohne Zweifel weiß ich fortan: Ich bin der erlesene Liebling der Götter, zu Großem ausersehen. Hab ich das doch schon erreicht mit sechsundzwanzig Jahren! Größeres noch würde ich planen und erreichen; nicht nur der Rhein, auch der Tigris harrt seines Befreiers, und – die Götterwelt ihres Erneuerers auf Erden! Aber für immer schließt mich von solch kühnem Aufflug zur höchsten Sonnenhöhe des Ruhmes aus: Constantius und mein Eid der Treue, der furchtbare, den ich niemals brechen werde.

Und falls er vor mir sterben sollte – er kränkelt viel, schreibt Philippus –, ist mein Nachfolger schon im geheimen ernannt: Senat, Papst, Episkopat, alle Feldherren aller Heere außerhalb Galliens, die Präsidenten der Provinzen außer Gallien sind bereits im geheimen gewonnen für den neuen Imperator. Philippus konnte den Namen nicht erforschen (man flüstert, es sei ein Verwandter des Eusebius).

Also auf den Thron und alles, was sich von ihm aus bis an die Sterne emporbauen läßt, muß ich ja verzichten; Helios weiß, ich habe nie danach getrachtet! Aber was ein bloßer Cäsar erreichen kann, das will und werde ich erreichen, dem Staate zum Heil, und ganz ebenso – (es liegt mir wahrlich nicht minder am Herzen; das vertraue ich aber nur dir) – mir zum unauslöschlichen Nachruhm!

 

In dem stolzen Gefühl, ja in dem Rausche des errungenen Sieges – des größten, der seit vielen Jahrzehnten über Germanen erfochten worden ist –, ließen sich manche meiner Scharen zu einer Unbedachtheit hinreißen, die mir das Leben kosten konnte, erstickte ich sie nicht rasch im Keime schon.

Als die Verfolgung eingestellt war und ich vom Rheine her auf das Schlachtfeld zurückritt, wo ich das Heer den Abendschmaus nehmen und übernachten hieß – (nachdem ich vorsichtig, Frontins Mahnung eingedenk: die Stunden gleich nach dem Siege seien die gefährlichsten, weithin Ketten von Wachtposten gezogen hatte) –, stieß ich auf die wackeren Primani. Diese (nicht barbarischen Söldner), römische Kernscharen, in deren Mitte ich den letzten verzweifelten Anfall des »furor teutonicus« ausgehalten hatte, begrüßten mich mit dem unheilvollen Zuruf »Macte Imperator! Macte Auguste.« Ich erschrak bis ins Mark; viel mehr erschrak ich, als da der rote Riese mich mit seinem furchtbaren Schwertstreich schier vom Gaule schmetterte. Erfährt Constantius durch ein Lüftchen nur einen Hauch von diesen vielen tausend Rufen, so bin ich verloren und Helena und unser Glück und all mein junger Ruhm und seine Zukunftshoffnung.

In ungeheucheltem Entsetzen – (das wirkt doch immer mehr als die beste rhetorische Mache) – winkte ich mit beiden Händen hastig den lieben Toren ab und laut rufend – (ja schreiend, auf daß es alle Späher des Constantius hören mußten) – wies ich den Unfug zurück und beteuerte, ich verabscheue solches. Ja, ich schwor, daß ich dergleichen niemals wünschen, hoffen, dulden werde. Ich schwor es – leider – bei »Christus dem Herrn!« – Vergib mir, Helios, unbesiegter Gott! Nun rufen sie mir, wenn ich an ihnen vorüberreite, mit halb verhaltner Stimme zu: »Alemannice!«. Auch das dürfte der Augustus nicht hören. Nur ihm sind solche Siegernamen vorbehalten. Daher heißt er »Gothicus, Sarmaticus, Parthicus, Persicus, obwohl . . . nun, Helios, der All-Sehende wird wissen, warum. Ich weiß es nicht.

 

Einen hochwertvollen Gefangenen haben wir! Jovian hat ihn soeben eingebracht: Chnodomar, den Oberfeldherrn der gegen uns Verbündeten. Der Gewaltige auf seinem roten Hengst war bei seinem letzten Reiterangriff bis zu mir durchgedrungen. Ich fiel fast vom Roß unter der Wucht des auf meinen Schild geführten Streiches; aber Pallas, die Beschildnerin, hat mich gerettet; an ihrer Meduse auf dem Buckel meines Schildes brach des Riesen Schwert. Gleichzeitig ward er, scheint's, verwundet. Seine Gefährten retteten ihn aus dem Getümmel. Sie flüchteten, wie die meisten, dem Rheine zu, sie suchten nach Kähnen. Auf dem Schild den Strom durchschwimmen konnte der Betäubte nicht. Während sie am Ufer hinritten, umsonst nach Schiffen suchend, den sumpfigen Altwassern ausweichend, stürzte sein Pferd auf schlüpfrigem Moorgrund und begrub den wuchtigen Körper im Fall. Er raffte sich auf und eilte nun, an dem Übergang über den Fluß verzweifelnd, die sumpfige Niederung meidend, auf einen nahen, bewaldeten Hügel zu, hier Verborgenheit zu suchen. Allein, im letzten Abendschimmer erkannte die hohe, seine Gefährten überragende Gestalt, in der Verfolgung anderer Haufen, der kluge Jovian. Sofort setzte er dem fliehenden König nach, umstellte das Gehölz mit einer ganzen Kohorte und machte sich auf einen harten Strauß gefaßt. Denn er wußte, die Gefolgen würden Leben und Freiheit ihres königlichen Herrn bis aufs äußerste verteidigen. Aber es kam anders. Nach kurzer Frist, als sich die Unsern anschickten, in das dunkle Waldesinnere zu dringen, trat der König zu Fuß daraus hervor, langsamen Schrittes, das trotzige Haupt auf die Brust gesenkt, ganz ohne Waffen; nur sein Schwert, eine Handbreit hinter dem Griff abgebrochen, hielt er krampfhaft in der Rechten.

So schritt er auf Jovianus zu: »Genug!« brachte er mühsam hervor. »Es ist aus! Alles aus! Es gibt keine Götter, es gibt auch keinen Donar. Es ist alles gleich. Führe mich zu dem Cäsar.«

Während Jovian noch staunte über diese Sinneswandlung bei dem fürchterlichen Schlacht-Riesen, traten auch die Gefolgen aus dem Waldversteck hervor. Ihr Herr habe ihnen verboten, zu fechten, sie wollten sein Schicksal teilen. Sie legten die Waffen nieder und ließen sich willig binden. Seltsame Leute, diese Germanen, nicht? »Sie nennen's Treue«, sagt Tacitus in ähnlichem Fall von ihnen.

Wie groß war mein Erstaunen, als in mein Feldherrnzelt, wo mich meine Befehlshaber glückwünschend umringten, Jovian beim Fackelschein seinen gewaltigen Gefangenen führte! Ich sprach ihn freundlich an, versicherte ihn seines Lebens, wenn ich ihn auch dem Imperator zusenden müsse nach Rom. Bleich, ohne eine Miene zu verziehen, ohne ein Wort hörte er mich an. Endlich betrachtete er noch einmal mit starrem Blick den Schwertstumpf in seiner Faust und warf ihn dann auf den Teppich zu meinen Füßen: »Es ist aus. Alles ist gleich. Es gibt keine Götter, auch Donar ist nicht. – Laßt mich schlafen . . . schlafen!« Und mit einer müden Handbewegung griff er an die Stirn, wo ich nun eine mächtige, blutunterlaufene Beule wahrnahm. Er schloß die Augen, als wolle er im Stehen einschlafen.

Ich entließ ihn; ich höre, er schläft fast ununterbrochen; wacht er auf, so stöhnt er: »Es ist alles gleich auf Erden; es gibt keine Götter«, wendet sich auf die andere Seite und – schläft weiter; »morbus veternus«, »Schlafsucht«, nannte es achselzuckend Oribasius, den ich zu ihm sandte, ein träumerisches Brüten. In einigen Tagen schick ich ihn, zusammen mit den wertvollsten Stücken aus der Beute, an den Imperator. Sonst haben wir nicht viele Gefangene gemacht. Von den übrigen Königen ist einer gefallen, die fünf andern sind, schwer verwundet, entkommen; keiner wich vom Schlachtfeld, sagen die Gefangenen, solang er den Arm heben konnte; die Unsrigen schwelgten im Schlachten, daß mir graute. Sechstausend tote Feinde haben wir auf dem Schlachtfelde gezählt und fromm bestattet: Unzählbar sind die Haufen, die der Fluß verschlang. Unser Verlust ist erstaunlich gering: in dem fünfstündigen Kampfe nur zweihundertsechsundvierzig Tote – dank unsern undurchdringbaren Schutzwaffen – und etwa neunhundert Verwundete.

 


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