Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Vierunddreißigstes Kapitel

Ich schreibe nun wieder aus diesem Lehmnest Paris, in dessen Gassen man im Kot versinkt, sobald es geregnet hat. Aber ich habe ihn doch liebgewonnen, diesen stillen Winkel an der Seine! Hab ich doch hier zuerst ungestört und lange mit meinem geliebten Weibe gelebt und erfreue mich dessen nun wieder. Es ist nicht zu sagen, wie glücklich wir sind! Nur ängstigt mich im geheimen ihre allzu zarte Gesundheit. Sie kann sich nicht erholen von den Arzneien jenes Niger.

Die Truppen habe ich in ihre gewohnten Winterquartiere verteilt und Jovian abermals nach Italien gesandt mit Anträgen an den Imperator, mit Briefen an die edle Eusebia, an Mutter und Schwester, denen jene durch ihre Güte die Haft erleichtert, in der sie als Geiseln meiner Treue am Hofe festgehalten werden. Nie erfüllt Constantius des treuen Jovianus Liebeswünsche. Und ich, der Bruder, der Cäsar, habe nicht einmal soviel Macht, die Hand der Schwester in die des Freundes zu legen!

Allerdings, auch die Mutter würde dem Ungetauften die Tochter nicht geben; hier würde mir ein schmerzlicher Kampf drohen, denn nie würde ich dulden, daß Jovian die Taufe nehme! Ich bin so stolz auf sein altvererbtes unbeflecktes Heidentum! (»Hellenisten« nenne ich lieber die Verehrer der Götter.) Allein, dieser Streit zwischen Mutter und Freund bleibt mir erspart, solange Constantius lebt.

 

Seinem Worte getreu ist Serapio wieder eingetroffen. Wie lieb ich diesen seltsamen Barbaren, der mit Helena und mir die freien Abendstunden – (die einzigen, die ich der Arbeit entziehe) – in der Ilias liest oder über die Lehren des Maximus oder über die Mysterien des Osiris mit mir streitet. Er hält mit seinen letzten Ansichten über die höchsten Fragen gern zurück, doch verhehlt er nicht; sie widersprechen stark den meinen. Neulich, als ich ihn drängte, mehr zu sagen, lächelte er fein und sprach: »Ich bin erst vierunddreißig Jahre, Julianus. Ich bin noch nicht über alles im reinen mit mir.«

Der Spötter! Ich zähle freilich erst siebenundzwanzig! Aber schon seit drei, oder doch seit zwei Jahren, bin ich fertig mit allem! Unumstößlich stehen mir meine Lehren fest. Oh, dürfte ich einmal in einem großen Redekampf vor allem Volk orthodoxer Galiläer – »Athanasianer« werden sie von den Ketzern genannt – Arianer, Semi-Arianer, Donatisten, Juden, und auch dich, o Lysias, mit deinen kindlichen Göttergeschichten widerlegen! Mit Serapio streiten ist dagegen kein Vergnügen; er ist so skeptisch, so kritisch! Er verlangt von mir Beweise für Dinge, die sich mir ganz von selbst verstehen.

Jovian ist zurück. Er berichtet Trauriges: Die Tage der herrlichen Eusebia sind gezählt! Philippus hat erklärt, all seine Wissenschaft könne dies zarte Leben nur noch auf kurze Zeit erhalten. Sie weiß es, und sie trägt wie ihre Leiden so die Gewißheit baldigen Todes mit wunderbarer Kraft und Ergebung. Sie betet viel, zusammen mit meiner Mutter. Auch meine Schwester gleitet, wie ich fürchte, wieder tiefer und tiefer hinab von der Höhe, zu der ich sie erhoben hatte durch meine Briefe; herab zu dem Glauben der Mutter, der Freundin. Diese sind ihr nah, sie sprechen, sie wirken durch Blick und Stimme; ich bin fern und muß schreiben! Und habe doch nicht die Zeit, auch noch die Schwester durch lange, häufige Briefe bei dem wahren Gotte festzuhalten.

Traurig ist mein Los hierin: Jovian schweigt zu meinen Lehren, Serapio bestreitet sie gründlich, die Mutter ist überzeugte, überfromme, ja leidenschaftliche Galiläerin, die Schwester vielleicht auf dem Weg, es zu werden. Du, o Lysias, schweigst zürnend, weil ich deine Volksgötter nicht anbeten kann. So steh ich ganz allein! Nur Helena, meine geliebte Helena versteht mich ganz und teilt alle meine Ansichten. Freilich meinte neulich mit fröhlichem Lächeln die holde Törin: »Ich fürchte, glaubest du an den Galiläer oder an Teutates oder an Jehovah, ich teilte auch diesen Glauben mit dir.« Nicht sehr philosophisch und nicht gerade ein Beweis für die Stärke meiner Beweise! Aber für die Innigkeit ihrer Liebe, und das ist mehr!

O Lysias, klage, weine mit mir: Eusebia, die gütevolle, der ich alles danke: Leben, Freiheit, Helena, Ruhm und Ehre – alles (ausgenommen die Erlösung von der Kirche, die ich dir schulde) –, die edle Frau, sie ist nicht mehr!

Ihr Herz war krank, berichtet Philippus, unheilbar krank. Sie schrieb mir durch den treuen Arzt. Sie diktierte ihm das Schreiben wenige Stunden vor ihrem Tode. »Mein Freund! Wenn du diesen Brief – den ersten und den letzten von Eusebia! – erhältst, hat deine Freundin ausgelebt, das will sagen, ausgelitten. Doch nein! Das war ungerecht, undankbar. Nicht ganz freudlos doch war mein Leben: Ich durfte dich und Helena beglücken. Dies, und die Stunden jener Vorträge, die du in dem uns beiden so teuren Athen hieltest, das sind die Freuden meines Lebens gewesen; wahrlich, sie genügen. Es schmerzt mich, daß du von dem Leben nach dem Tod anders denkst als ich, wie ich aus deinen Lehrbriefen an Juliana ersehe. Ich kann dir darin nicht folgen. Aber auch du glaubst ja an die Erinnerung unserer Seelen an dies Erdenleben; auch du glaubst, daß verwandte Seelen sich wieder finden und, nicht mehr getrennt von den Schranken des Erdenlebens, selig sein werden. In diesem Glauben rufe ich dir zu: »Auf selig Wiedersehn, mein Freund Julian.«

Was ist es doch, das so ergreifend zu mir spricht aus diesen sehnsuchtsvollen Worten? Sie rührten mich zu Tränen. Ich fragte Helena: »Was ist es, welch zartes Geheimnis, das hier zu mir redet?« Weinend barg sie das schmale Gesicht an meiner Brust. »Ein zartes Geheimnis! Du sagst es, ohne zu wissen, wie wahr du sprichst. Du ahnst es nicht, das Geheimnis, das die Freundin ins Grab mitgenommen. Und ich – ich werde es nie verraten.« Ich versprach ihr, nie danach zu fragen.

 

In der edlen Imperatrix verlor ich auch meine beste Fürsprache und Verteidigung am Hofe; das vorletzte Band, das mich mit Constantius verknüpft. Nun bleibt, uns zusammenzuhalten, nur noch Helena. Sie aber kann nicht in seinem Palatium meine Sache führen. Seit dem Tode meiner Beschirmerin schlagen, wie ich durch vertraute Boten des Philippus vernehme, meine Feinde, Eusebius und die übrigen Eunuchen, dann Marcellus, Florentius, Barbatio, einen noch viel lauteren, heftigeren Ton der Schmähung wider mich an. Diese Schmeichelkünstler verhöhnen, der Eifersucht und dem Neide des Augustus zu gefallen, auf das frechste all meine Taten, meine Erfolge, ja schon die Häufigkeit meiner Berichte. Und doch wissen sie sehr wohl, daß ich diese vielen Berichte einsenden muß – (über jede Kleinigkeit, wie ein Büttel dem Richter!) – auf strengen Befehl des Imperators, dessen ewig waches Mißtrauen stets von meinen Schritten unterrichtet sein will.

»Ekelhaft«, schreien sie in dem Palaste, werde dieses »Siegerlein«, der Affe im Cäsarengewande, der geschwätzige »Maulwurf« – (ich habe noch nie einen Maulwurf plaudern hören!) –, »dieser griechische Schulmeister, dieser Philosoph mit dem langen Ziegenbart, dieser Stubengelehrte, dieser Weichling (ich lasse während dieses strengen Winters – die Seine trägt Lastwagen – nur Helenas Gemächer erwärmen, nicht mein Arbeitszimmer), der jeden seiner Schritte übertreibend ausschmücke mit zierlichen Redensarten.« (Ich kann doch meinem Lehrer Libanius keine Schande machen, und nun ja, mein Stil ist mir wertvoller als meine ganze Feldherrnschaft; ein Brief, den ich neulich an die Bürgerschaft meines geliebten Athen schrieb, gilt mir höher als meine Rheinübergänge.)

 


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