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Schon am nächsten Tage, noch ehe die Vorladung an ihn abgegangen war, traf zu Antiochia Lysias ein. Er kam höchst unerwartet. Er erklärte, er sei nur herbeigeeilt, neue schwere Beschwerden wider Athanasius zu erheben. Die Wahrheit jedoch war, daß er den Anklagen bei dem Imperator zuvorkommen wollte, die ihm die Beamten in ganz Ägypten angedroht hatten, da er nicht bloß in allen Städten ähnliche Erhebungen der Heiden gegen die Christen aller Bekenntnisse, wie in Alexandria gegen die Arianer, herbeizuführen trachtete, sondern das tief eingewurzelte Ansehen seines Hauses in dem alten Nillande dazu mißbrauchte, Huldigungen und Ehrenbezeigungen entgegenzunehmen, wie sie nur dem Landesherrn gebührten. »Er spielt den Pharao und den Obermagier zugleich, als königlicher Priester tritt er auf«, hatte der Präfekt von Ägypten bereits an den Augustus berichtet.
Vergebens versuchte Lysias sich durch die Macht seiner Rede, gestützt auf das warme Dankesgefühl seines Schülers, zu rechtfertigen. Er verstummte zuletzt unter der Last von Anklagen, von Beweisen, die Jovian sorgfältig gesammelt und klargestellt hatte. Als Julian ihn unwillig fragte, warum in aller Welt er denn – ohne jede Vollmacht – gleich zuerst in das ferne Gallien geeilt sei, schwieg und erblaßte er. Aber auch gegen alle übrigen Beschwerden fand er keine genügende Verteidigung, so daß der Herrscher ihm zuletzt – schmerzlich bewegt – erklärte, wie schwer sein Vertrauen durch ihn getäuscht sei. »Überall, wohin du den Fuß setztest, hast du mir zu meinen alten Hassern neue erweckt, die (ach, mit Recht) mich den Verfolger nennen können. Ich kann den Mann nicht strafen, dem ich soviel verdanke, aber jenes wichtigste Amt, meine Stellvertretung, kann ich dir nicht belassen. In den Provinzen darf deine Rachgier gegen die Galiläer nicht weiter wüten. Bleibe fortab an meinem Hof und lerne nur meinem Willen, nicht deinen Leidenschaften zu dienen. Nach Ägypten vollends kehrst du nie zurück. Ich selbst bin Pharao am Nil.« Lysias schied mit einem giftigen Blick. »Warte«, sprach er, »Verleugner der Götter, du sollst erleben, daß nicht nur die Christen für ihre Heiligtümer kämpfen können.«
Die nicht große Zahl von Heiden in Antiochia hatte sich in der langen Zeit des Aufenthalts des Heidenbeschützers durch Zuzug aus der Nachbarschaft erheblich vermehrt; freilich waren es nicht gerade immer erfreuliche Gäste. Gar viele drängten sich jetzt als eifrige »Hellenisten« an den Hof, seitdem dies Bekenntnis eine Empfehlung war, Gunst, Ehren, Ämter, Geld unter solchem Anschein leicht zu gewinnen. Auch die prachtvollen Feste, die Opfer, die Schmause, die Julian, zumal in dem nahen Daphne, veranstaltete, zogen viele Leute, weniger der Andacht als des Vergnügens willen, an.
In den nächsten Tagen sollte in dem Zeustempel einer Vorstadt, in der nicht viele anständige Leute wohnten, der Jahrestag gefeiert werden, an welchem, der Sage nach, Zeus in Stiergestalt die schöne Europa entführt und sich mit ihr vermählt hatte. Sehr ausgelassene, ja stark anstößige Gebräuche hatten sich an das Fest geknüpft, bei welchem als Stiere gekleidete Männer und überhaupt recht wenig bekleidete Weiber in der Vorstadt Umzüge hielten, bedenkliche Tänze aufführten und zuletzt, in dem halbdunklen Tempel, bei berauschender Musik – dem Schlagen des Tympanon – und bei berauschendem Wein die wilde Feier beschlossen.
Julian erfuhr durch den ernsten Jovian von diesen bevorstehenden Dingen. Er verbot das Fest für jetzt und für immer. Alsbald zeigte sich gärende Unzufriedenheit unter den Heiden jenes übelbeleumdeten Stadtteils; die Verkäufer von Blumen, Kränzen, Gewinden, von Wein und Lebensmitteln, die Musiker, die Tänzer, meist Sklaven und Freigelassene, schalten über die Vereitelung ihrer Gewinnaussichten, die festlustigen Weiber schürten. Auf den Rat des Lysias, der all diese Tage in jenen Gassen sich umhergetrieben hatte, wählte die Vorstadt eine Abordnung, die bei dem Augustus die Zurücknahme des Verbotes erbitten sollte. Das wenig ehrerbietig vorgetragene Gesuch – Lysias war nicht der Sprecher, nur der Begleiter der Bittsteller – ward ungnädig abgewiesen, und da die draußen vor dem Palaste harrende Menge den Bescheid, den ihre Abgeordneten zurückbrachten, mit lautem Murren aufnahm, eilte der Imperator selbst in die Säulenhalle vor dem Tor des Palatiums und rief laut in die Menge hinein: »Schämt euch, ihr Bürger von Antiochia! Schämt euch eures Verlangens! Wie könnt ihr überhaupt an solche, der heiligen Götter unwürdige Geschichten glauben?« – »Beruhigt euch, ihr Gläubigen«, rief Lysias arglistig. »Der Augustus will ja nicht etwa leugnen, daß Zeus in Stiergestalt sich mit Europa vermählt hat. Nicht wahr, o Herr, daran zweifelst du ja nicht?« Unwillig rief Julian überlaut: »Nein, solchen Unsinn glaub ich nicht. Und kein Verständiger glaubt ihn.« Da erscholl ein Schrei der Wut, der Entrüstung aus den vielen Hunderten. »Hört ihr's?« – »Der Götterleugner!« – »Habt ihr's vernommen?« – »Unsinn nennt er den großen Zeus Tauros!« – »Er kann nicht mehr Pontifex Maximus sein.« – »Er kann nicht Imperator bleiben!« – »Nieder mit ihm!« – »Nieder mit dem Beschimpfer der Götter!« – »Rache! Wir wollen ihn glauben lehren!«
Und sie verliefen sich zwar, da sie unbewaffnet gekommen waren, aber mit wilden Drohungen, bald wiederzukehren. Triumphierenden Blickes folgte Lysias dem Erstaunten in das Palatium. »Du siehst, wohin es führt, mir zu widerstreiten. Jetzt hast du auch die Göttergläubigen dir verfeindet! Sprich, auf wen willst du dich stützen gegen den Haß der Christen? Niemand steht mehr an deiner Seite, wenn dir nicht etwa aus dem Jenseits der Geist des Maximus hilft, den der strafende Gott erschlagen, da er auch anders glauben wollte als das Volk!«
»Ich bitte dich, schelte morgen weiter, heut abend lasse mich arbeiten. Soeben sind Berichte eingelangt von zwei Aufständen . . .« – »Wo? Wessen?« fragte Lysias gespannt. »Diesmal – zur Abwechslung – von Galiläern. Deine Maßregeln in Perinthus haben die dortigen zu solcher Wut getrieben, daß sie – (zum zweitenmal) – den Tempel der Kybele, der Göttermutter, zerstört haben. Und in Cäsarea haben sie – (in gleicher Erbitterung gegen dich) – das Heiligtum der Fortuna in Brand gesteckt. Das sind die Früchte deiner . . . Horch! Was ist das?« Im selben Augenblick erscholl draußen vor den Toren des Palastes wildes Geschrei. Waffen klirrten, in das Atrium drang der rote Schein von Fackeln und Bränden.
Julian sprang auf und eilte hinaus. Da sah er, wie die Heiden, die Bewohner der Vorstadt, geführt von ihren Abgeordneten, mit Beilen, mit Spaten und brennenden Scheiten die Stufen des Palastes hinaufstürmten unter dem wüsten Geschrei: »Nieder Julian! Nieder der Götterleugner! Nieder der Gottlose!« Ein bitteres Lächeln zuckte um seinen Mund, als er die Worte verstanden hatte. »Auch das noch! Und das tun mir die Meinen an! O Schmerz, Schande und Schmach!«
»Du erkennst«, sprach Lysias drohend, »wohin du treibst ohne meine Lehren, gegen meinen Rat!« – »Vergießt kein Blut! Drängt sie nur mit den Speerschäften zurück!« rief Julian seinen Leibwächtern zu, die nun, schnell gesammelt, aus dem Vorhof des Palastes den Aufrührern sich entgegenwarfen. »Es sind arme, betörte Menschen. Kein Blut! Hört ihr?« Und so geschah's. Mit leichter Mühe und ohne die blanke Waffe zu brauchen, zerstreuten die Lanzenträger das zusammengelaufene Volk. Aber Julian seufzte tief, schmerzlich auf und bedeckte beide Augen mit der Hand. Grollend schied Lysias aus dem Palast. »So geht es nicht. Mein Einfluß schwindet immer stärker, statt zu wachsen. Das ist bedenklich. So muß denn also das letzte, das kühnste Mittel gewagt werden.«