Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Elftes Kapitel

Julian stand auf dem Höhepunkt des Glanzes seiner Herrschaft. Das dankbare Volk von Byzanz vergötterte ihn. Sowie er sich auf den Straßen zeigte, begrüßte ihn jubelnder Zuruf: »Heil dir, o Julianus! Du hast die vertriebenen Götter, mit ihnen die Freude, das Glück, die Lebenswonne wieder zurückgeführt auf die Erde!«

Die grollenden Christen hatten die Stadt, die Nähe des Hofes verlassen oder doch ihren Unmut zu verbergen gelernt; die Berichte der Beamten aus allen Provinzen meldeten, oft wohl beschönigend und begründete Beschwerden vertuschend, begeisterte Zustimmung der Provinzialen zu den Maßregeln des Herrschers; von allen Grenzen, zumal auch von der germanischen an Rhein und Donau, berichteten die Befehlshaber völlige Ruhe: Die Barbaren, eingeschüchtert durch Julians Siege und glücklichen Stern, wagten keine Einfälle; sogar aus Persien verlautete, der Großkönig habe eine Gesandtschaft mit sehr friedlichen Vorschlägen abgeschickt.

In diesen Tagen trafen auch, auf Einladung ihres Schülers, Maximus und Libanius aus Nikomedia ein, wurden von ihm auf das herzlichste und ehrerbietigste empfangen und in jeder Weise ausgezeichnet. Da hielt denn Libanius öffentlich auf dem weiten, säulengeschmückten Platze vor dem wiederhergestellten Tempel des Zeus Soter vor einer ungezählten Volksmenge eine glänzende Lobrede auf den Herrscher, von der dieser, in Festgewand gekleidet, aber auf einer Schülerbank – nicht auf dem Throne – der Rednerbühne gegenübersitzend, gierig jedes Wort einsog. Es war ein recht langer Genuß!

Nach der Abreise des Philosophen und des Rhetors hatte Julian Serapio und Jovian – wie fast jeden Abend – zu dem bescheidenen Nachtmahl in den Palast geladen. Sie mußten warten, bis seine etruskischen Priester die Zeichen des »Abendopfers« ihm geheim gedeutet hatten. Die beiden lehnten an dem Bogenfenster des mit Götterbildern reich geschmückten Speisesaales, das einen herrlichen Blick über den blau flutenden Bosporus und das asiatische Ufer drüben mit seinen vielen, aus Lorbeeren und Myrten lauschenden, weißsäuligen Villen gewährte.

»Er ist sehr heiter heute«, sprach Jovian. »Er erzählte mir ganz stolz . . . es freute ihn offenbar fast wie ein Sieg über die Perser . . . von seinem Büchlein ›über die Cäsaren‹, an dem er diese Nächte durch gefeilt.« – »Es ist wirklich geistreich«, unterbrach Serapio, »ganz im Stile Lucians. Ja, wenn er spotten kann, dann ist ihm wohl.«

»Wohler als denen, die sein Spott trifft«, meinte der gutmütige Jovian. »Aber auch ergreifend ist es durch seinen heiligen Ernst, mit welchem er vor allen Imperatoren den Preis zuerteilt. Mark Aurel, dem Philosophen im Purpur, weil dieser als seinen Lebenszweck bezeichnete, nicht Genuß, Ruhm, Macht zu gewinnen – nur, den Göttern nachzueifern. Und wie Herakles, sagt er, haben ihm selbst die Götter die Arbeit auferlegt, die Erde von allem Unrecht zu säubern. Und dann wieder zwar ziemlich boshaft, aber auch wahrhaft geistvoll ist seine Beurteilung von Constantin und Constantius, der alle Frevel und Verwandtenmorde abzuwaschen verstanden durch ›ein gewisses Wasser‹ – das der Taufe.« – »Das gefällt mir nicht«, sprach Jovian kopfschüttelnd. »Man soll nicht verspotten, was andern heilig ist.« – »Aber auch nicht zerschlagen und verbrennen, wie die frommen Christen den schönen Heiligtümern der ›Hellenisten‹ taten und so gern wieder tun möchten, litte es Julian.« Er frohlockte: »Denke nur: Zehn Abschriften hatte der Buchhändler neben den Gärten der Faustina – weg sind sie! Alle zehn in drei Tagen gekauft. Und die Käufer haben nicht einmal ihre Namen bekanntgegeben, so daß der Verdacht der Gunstbuhlerei ausgeschlossen ist.« – »Es ist wirklich erstaunlich«, erwiderte Jovian, »was er, neben der unermüdlichen Sorge für das Reich im Krieg und Frieden alles fertigbringt. Ich bekäme den Schreibkrampf. Sechs lange Reden oder Abhandlungen seit wir hier sind!« – »Ja, und einzelne davon, wie die Rede über die Imperatrix Eusebia, voll tiefsten Gemütes, andere, wie die Abhandlung über die Göttermutter und die über die Kyniker – er hat beide in einer Nacht geschrieben –, voll Geist und Schwung.« – »Und dann die begeisterte Rede an König Helios!« – »Mir gefiel am besten davon das rührende Gebet am Schluß – es enthält den ganzen Julian: ›Laß mich, o Helios, nur so lange leben als es dir gefällt, mir frommt und diesem Reich der Römer nützt. Gewähre mir ein reines Leben, wachsende Erkenntnis, gotterfüllten Sinn und einen sanften Tod, aus dem hinweg ich zu dir aufschweben möge, ewig in deinem Lichte bei dir zu wohnen.‹« – »Und dann die Unmasse von Briefen, die er täglich schreibt und zugleich diktiert.« – »Darin tut er zuviel. Ich werd's ihm einmal sagen.« – »Ich begreife nicht«, wiederholte Jovian, »woher er die Stunden des Tages nimmt.« – »Ei, er hat die Nacht dazu genommen und gedrittelt; vier Stunden gehören, wie der ganze Tag, der Arbeit für den Staat, vier dem Schlaf und vier der Wissenschaft.« – »Er bringt Hermes, dem Erwecker und Wacherhalter, häufig Opfer, auf daß er ihn vor dem Schlaf beschütze.« – »Das einzig Gute an dem Schlaf«, sagte er neulich, »sind die von den Göttern gesendeten Träume.« – »Du träumst«, erwiderte ich ihm, »oft wachend, wenn du zu denken wähnst.« – »Aber still – er kommt.«

Nach dem Abtragen der Speisen – nur über die Rede des Libanius war bei Tisch gesprochen worden – begann Serapio, der an der Tafel saß, nicht lag, wie die beiden Römer, mit feinem Lächeln: »Du hast heute, Imperator, des Lobes arg viel gehört. Vier Stunden lang! Länger als die längste Christenpredigt! Zum Teil geistreich vorgetragen, zum größeren Teil dick aufgetragen; allzu dick, wie Schminke auf den Wangen einer alternden Buhlerin. Du hast es ausgehalten, alle vier Stunden lang. Ich bewundere dich. Ich meinte einige Male, nun wird er aber aufspringen, der Augustus, und wird rufen: ›Halt ein! Ich ersticke vor Weihrauch!‹ Aber nein. Du bliebst ruhig sitzen, und bei jeder neuen Übertreibung lächeltest du aufs neue den Schmeichler an. Doch nein: ›Schmeichler‹ ist ungerecht, versteht man darunter bewußte Unwahrheit. Libanius glaubt, was er sagt. Das ist mir gleichgültig. Aber auch du glaubst, was Libanius sagt. Und das, o Julian, das ist mir nicht gleichgültig. Denn es steigert ins Maßlose deinen schlimmsten Fehler.« – »Die Eitelkeit«, sprach Julian ganz kleinlaut. »Ja, ich weiß. Ich weiß es schon lange!« – »Ich möchte dir helfen, dich warnen, nicht dich heilen, das ist undenkbar – aber einigermaßen dich mäßigen. Ich danke dir so viel – ich mache nicht viel Lärm mit meinen Gefühlen, dazu sind sie zu tiefgründig –, das Leben dank ich dir und noch eins: die Kenntnis des glänzendsten Geistes der Zeit – des deinen.« – »Hat dich Libanius angesteckt?« spottete Julian, aber doch sehr angenehm berührt; denn der Germane lobte ihn nie. »Ohne Sorge! Du wirst dich bald überzeugen, daß mir die germanische Grobheit nicht angekränkelt ist durch deinen Griechen. Denn ich bitte um die Erlaubnis, jetzt, in dieser Stunde – nur vor dir und vor diesem treuen Jovian –, auch eine Rede über den Imperator Julian halten zu dürfen; aber nicht eine Lobrede, sondern – als bittres Gegengift wider jenen, bis zum Ekel süßlichen Honig – eine Tadelrede.« – »Ausgezeichnet!« rief Julian und klatschte Beifall. »Gut, daß du vorher schon klatschtest – nachher tust du's vielleicht nicht mehr«, meinte Jovian. – »Oh, ich kann viel vertragen.« – »An Lob, ja, das wissen wir. Ob auch an Tadel, das wird sich jetzt erweisen.« – »Fang nur an. Du Magister Militum, fülle den Becher dem Franken und setz ihm jenen Rosenkranz dort auf, der dem Redner gebührt.« – »Lieber nicht«, sagte der verständige Jovian einschränkend. »Ein Rosenkranz paßt nicht auf den Germanenkopf.« – »Wir nehmen also an«, begann Serapio sehr ruhig, »du bist gestorben!«

»Oho! Eine verfluchte Annahme! Fern sei das Omen!« lachte Julian. »Es eilt mir nicht!« – »Libanius hat dir die übliche Schmeichel-, wollte sagen Leichenrede, gehalten, und nun wird ein Unbefangener von dem neuen Imperator beauftragt, eine Gegenrede zu halten. Der Mann übernimmt das recht gern und beginnt: ›Über die Fehler und Schwächen des verewigten Imperators Julian.‹« – »Vortrefflich!« lachte Julian, sich behaglich auf der Kline zurechtlegend. »So werde ich, wie jener alte König von Ägypten, der sich totstellte, meine eigne Leichenrede hören.« – »Ja«, meinte Serapio. »Hoffentlich nicht mit der gleichen Wirkung.« – »Wieso?« – »Rampsinit sprang aus den Leichentüchern, bevor der freigemute Redner bis zur Hälfte gelangt war, und ließ ihn flugs enthaupten.« – »Hei, das Ganze stimmt mich so heiter . . . ich tränke noch einen Becher, hätte ich nicht den kleinen schon geleert, den einzig ich mir täglich gestatte. Beginne!«

Und Serapio trank und hob an: »Bis zum Überdruß hat uns der Lobredner Julians Tugenden gepriesen. Kürzer nicht, auch nicht schwerer, aber unerfreulicher ist meine Aufgabe. Ich kannte nie einen Geist, so glänzend, wie der Julians war . . .« – »Der Tote bedankt sich!« unterbrach der Gepriesene, sich verneigend. »Aber auch nie einen bedeutenden Mann, der mit so vielen kleinen und großen Fehlern und Schwächen behaftet war.« – »Ein vielversprechender Anfang!« – »Sie aufzuzählen, würden zwei Tage nicht reichen . . .« – »Bitte! Soviel Zeit mußt du nicht auf den Verblichenen verwenden, er verdient es nicht.« – »Nur die ärgsten Dinge greif ich heraus. Ich schweige also von jener unendlichen Eitelkeit – sonst könnte ich überhaupt niemals enden. Aber der Verewigte neigte auch sehr stark zum Gekünstelten, zum Gesuchten.« – »Zum Beispiel? würde der Tote fragen, wenn er das hörte«, unterbrach Julian. »Zum Beispiel hält da der neuernannte Jahreskonsul – ein Germane –, Nevitta, seinen feierlichen Einzug in die Kurie des Senats. Wer folgt dem Wagen, zu Fuß, durch die sehr schmutzigen Straßen? Der Imperator! Noch mehr. Der Konsul hat an diesem Tage nach alter Sitte einige Sklaven freizulassen. Durch ein Versehen werden sie statt dessen dem Augustus vorgeführt, der sie freiläßt. Auf den Irrtum aufmerksam gemacht, straft er sich selbst um diesen Eingriff in jenes Amt um zehn Pfund Gold.« – »Das ist ganz altrömisch! Katonisch, würde der Tote erwidern, wenn er reden könnte.« – »Das eben ist die Künstelei. Er war – und alle seine Zeitgenossen sind – nichts weniger als altrömisch. Sie spielen Altrömer, sie sind es nicht. Ferner: Alles konnte er, nur nicht schweigen. Wie er zu viele Briefe schrieb, so redete er zu viele Reden. Ein Herrscher aber soll gar nicht reden, sondern handeln. Ich will es nicht an Constantius loben, daß er nie in den Senat ging, dort zu sprechen; er wußte, er konnte nicht sprechen. Aber Julian wußte – leider –, daß er reden konnte, und er, der so schlimm von den langen Reden der Christenpriester sprach, er redete unablässig: Im Senat und überall. Er fing immer an: ›Nur wenige Worte!‹, dann folgten Regengüsse von Worten wie zur Zeit der Arche Noahs! Weiter! Er hungerte nach Lob wie Vitellius nach Fraß. Auch ein Verschwender war er.«

»Das ist stark!« unterbrach der Tote. »Sein Magen und sein Schneider warfen ihm oft vor, er sei ein Geizhals.«

»War er auch: In Speise und Gewandung! Aber ein Verschwender war er in dem Ankauf von Büchern. Stirbt da ein Bischof, der des Hochverrats recht stark verdächtig. Constantius hätte seinen ganzen Nachlaß – zumal auch den Weinkeller – eingezogen. Was tut der Büchernarr? Er beläßt alles den Erben, und die Bücherei kauft er zu dem geforderten Preise – er war nicht zu niedrig!« – »Es waren wertvolle Verteidigungen der Lehre des Galiläers darunter«, murrte der Selige entschuldigend. »Er kaufte sie, um sie zu widerlegen.«

»Also auch Zeit wie Geld verschwendet!« schalt der Ankläger. »Abergläubisch war er – ärger als Hadrian. Alles, was geschah oder nicht geschah, hatte etwas zu bedeuten! Unablässig opferte er, aus den Opferzeichen den Willen der Götter zu erforschen. Da seine etruskischen Auguren ihn belehrt hatten, daß zumal das Blut weißer Vögel die Zukunft sicher verkünde, erschrak bei seinem Anblick in den Straßen von Byzanz jede Gans; und alle Möwen sind kreischend ausgewandert aus dem Römerreich. Ja, er zahlte einmal drei Pfund Gold für einen nie gesehenen weißen Vogel, den ihm einer seiner keltischen Petulantes brachte. Aber bevor der Vogel weissagen konnte, fiel Regen auf ihn – siehe, es war ein angestrichener Spatz. Und so hat er auch unter den Menschen gar manchen Spatzen für einen Weissager gehalten!

Auch andern als den größten Göttern opferte er unablässig und unmäßig: Pan, Hekate, auch der ägyptischen Isis. Er bildete sich fest ein, wiederholt seien ihm Götter leibhaft erschienen und der Genius habe dabei einmal sein Haar gestreichelt.« – »Er hat's getan«, sprach Julian, still und ernst zu sich selbst – unhörbar für den Germanen, »dort, vor Straßburg.« – »Um nicht auf dem Weg zu den Tempeln bei den unaufhörlichen Opfern zuviel Zeit zu verlieren, hat er sich in diesem seinem Palaste selbst den größten, schönsten Raum zu einem Tempel des Helios umgebaut und geweiht. Und hier zu opfern ist täglich seine erste Verrichtung nach dem Erwachen! Aber er durfte die heiligen Götter als seine Hausgenossen neben sich wohnen lassen: Denn – das muß auch der Tadelredner rühmen – unter seinem Dache geschah Unkeusches nie.«

Da drückte ihm Julian schweigend die Hand.

»Aber weiter! Der Verewigte gab in maßloser Schwäche seiner Vorliebe nach für die Philosophen oder alles, was sich so nannte. Neulich führte er den Vorsitz in einer wichtigen Senatssitzung. Da wird ihm gemeldet, der Philosoph Crispus, ein Schüler des Maximus, sei aus Asien eingetroffen. Aufspringt der Augustus so hastig, daß sich ihm der Purpur zusammenschnürt, läuft durch die Kurie, durch das Vorzimmer, umarmt draußen auf den Stufen vor dem gaffenden Volk den Philosophen, dessen Bart freilich fast ebenso vernachlässigt war wie der des Imperators. Und zahllos sind sie, die Schmeichler und Schmarotzer, die sich als ›Philosophen‹ an ihn hängen. Die Köche und Haarkünstler hat er verjagt – diese Schwätzer hat er hereingeführt. Er mußte zuletzt die Haarkünstler zurückrufen, sich der Bärte seiner Philosophen zu erwehren.« – »Höre du, nicht lügen!« mahnte der Verstorbene. – »Ein weiterer Fehler war, mit jener Künstelei zusammenhängend, daß er schauspielerte.« – »Das ist grob«, meinte Julian. »Aber wahr«, seufzte Jovianus. – »Gewiß handelte und redete er nicht lediglich, um den Beifall der Augen- und Ohrenzeugen zu gewinnen – im Gegenteil, er hat oft mutig der Meinung, der Neigung der Menge getrotzt. Allein bei der aus ganz edlen Beweggründen begangenen Handlung schielte er doch immer, wie ein mittelmäßiger Schauspieler, in das Publikum hinein, ob es seiner schönen Handlungsweise, seiner gewählten Redeweise auch wohl mit beifälligem Verständnis folge? Das war ihm so zur Natur geworden; er wußte es gar nicht mehr, daß er so tat. Wie Gewohnheitslügner nicht mehr wissen, daß sie lügen.« – »Ja«, seufzte Julian, ganz eingeschüchtert. »Er schauspielerte. Aber nicht schlecht, meine ich. Wie?« – »Doch! Denn er übertrieb; er war zuletzt manieriert. So schrieb er viele Briefe, nur um darin mit einer bei den Haaren herbeigezogenen Gelehrsamkeit zu prunken. Er schrieb überhaupt viel zuviel Briefe.« – »Hat er die hierauf verwendete Zeit den Staatsgeschäften entzogen?« fragte der Selige ganz demütig. »Nein, aber dem Schlaf, den er widernatürlich verkürzte. Ach, er wäre so viel gesünder, kräftiger gewesen, hätte er dem Gotte Hypnos mehr geopfert. Aber an den hat er so wenig geglaubt; und an dessen Sohn, den Traumgott, so blind! Neulich erhascht er so einen Vorwand, hundert Feigen schickte er – durch die Post des Staates – an seinen geliebten Maximus.« – »Mir scheint, du warst eifersüchtig«, warf der Tote ein. »Oder du ißt selbst gern Feigen. Gedulde dich, du sollst auch deren erhalten, er schickt sie dir herab aus der Verklärung!« – »Aber dann, bitte, ohne die Anführungen von Homer, Herodot, Pindar, Aristophanes, Aristoteles, Hippokrates, Simonides und Theophrast und ohne den unausstehlichen Schlußsatz. Ich war zugegen, als er diesen Brief zugleich mit vier anderen fünf Schreibern diktierte; denn er liebte es, auch hierin prahlerisch Julius Cäsar nachzuahmen. Den Schluß hab ich mir aufgeschrieben, er lautet: ›Hat dieser Brief (nach deinem Urteil) die Mittelmäßigkeit erreicht (diese Wendung ist von übelriechend eitler Verlogenheit), so mag er, auf dein Lob gestützt, andern mitgeteilt werden (das heißt: Laß ihn hundertmal abschreiben!). Bedarf er aber noch einer bessernden Hand – welche wäre geschickter als die deine, ihn so auszuschmücken, daß man sich sein erfreue?‹ Wenn das nicht vor lauter ›Geschmack‹ abgeschmackt ist, so kann ich nicht schmecken.«

Der Begrabene hob, abwinkend, die Rechte. »Genug! Du kannst das kaum überbieten. Schließen wir damit! Das war echt germanisch, deutlich. Ich meine, ich fühle Chnodomars Schwertschlag noch einmal! Mehr kann ich – auf einmal – nicht vertragen. Du hast gesiegt, Germane!«

»Dies Omen nehm ich an. Aber bitte, ich bin noch nicht zu Ende! Gerade von den Germanen noch ein Wort. Denn endlich, sein Hauptfehler war: Er hat das Reich den Germanen ausgeliefert.« – »Oho!« rief der Tote und sprang in die Höhe. »Das ist frech.« – »Zwar schlug er sie wiederholt im Felde. Aber massenhaft nahm er sie in die höchsten Ämter für Krieg und Frieden auf. Sehr folgewidrig! Denn er unterschätzte sie gewaltig, seiner lehrhaften Denkweise nach. Für starke Tiere erachtete er sie nur, und doch vertraute er ihnen in der Wirklichkeit die wichtigsten Stellen, sogar das ehrwürdige Konsulat, an. Ja, was hat er noch getan? Denselben Alemannenkönig Vadomar, ›den Fuchs‹, wie er ihn nannte und den er fing, indem er ihn ›überfuchste‹ (würde der geschmacklos wortekünstelnde Verewigte gesagt haben) . . .« – »Ja, ja, das wäre so in seiner Art gewesen«, schmunzelte der Verschiedene. »Und der sich allerdings im römischen Dienst in Spanien ausgezeichnet, als klug und tapfer erwiesen hatte – diesen germanischen Fuchs hat er zum Statthalter der ganzen Provinz Phönike in Afrika gemacht.« – »Wo er sich ebenfalls vortrefflich bewährte, würde der arme Verblichene hier einschalten, könnte er sich verteidigen«, sprach Julian. »Der hat wahrlich die blondzottigen Barbaren nicht zu seinem Vergnügen in hohe Ämter gebracht.« – »Nein, weil er mußte, weil sie tapferer, verlässiger und oft sogar klüger waren als seine Römer. Drum hätte er jene Unterschätzung ablegen müssen. Das tat er aber nicht, warum? Aus eigensinniger, griechisch-römischer Überhebung. Und doch war er wieder so grenzenlos, so freventlich schwach gegen das Germanische . . .« – »Ei, ei! Wieso?« – »Daß er einem Germanen, der es wagte, ihm an einem Tage, da ihn griechisches Lob fast berauscht hatte, schonungslos, ja absichtlich und bewußt übertreibende Tadelworte zu sagen, den trotzigen Kopf nicht abschlagen ließ, so sagt man wenigstens«, schloß Serapio, sich erhebend. »Nein, sondern diesen Kopf mit beiden Händen umfaßte und dankbar küßte«, rief Julian und tat nach seinen Worten.

 


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