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Im neuen Jahr führte Eugen ein feines Leben. Er wohnte in einem kleinen Hotel in der Rue des Beaux Arts und hatte ein gutes Zimmer, das täglich zwölf Francs kostete. Das Hotel war gut; außerdem war es das Haus, in dem Oscar Wilde gestorben war. Wollte jemand das berühmte Sterbezimmer sehn, brauchte er es nur zu wünschen, und dann zeigten ihm Monsieur Gely oder eine von dessen strammen Töchtern gern »la chambre de Monsieur Vield«.
Morgens um neun kam das Zimmermädchen mit Schokolade oder Kaffee, Brot, Marmelade und Butter dazu, denn das kleine Frühstück war im Zimmerpreis einbegriffen. Das Mädchen stellte das Tablett auf ein kleines Schränkchen neben Eugens Bett, ein Schränkchen mit einer Tür, in dem ein Nachttopf stand. Wenn das Mädchen wieder gegangen war, stand Eugen auf, nahm das Tablett rüber auf den Tisch, trank seine Schokolade und aß Butterbrot mit Marmelade. Dann ging er wieder ins Bett und schlief bis zwölf Uhr und manchmal noch länger. Um ein Uhr kam Starwick und die beiden Frauen und holten ihn zum Mittagessen ab. Wenn sie nicht kamen, schickten sie ihm einen Rohrpostbrief, in dem stand, wo er sie treffen solle. Sie aßen in allen möglichen Restaurants, aber immer war das Essen gut. Manchmal stand auch in dem Rohrpostbrief, Eugen möchte seine Freunde im Dôme oder in der Rotonde abholen. Wenn er hinkam, saßen die andern an einem Tisch auf der Terrasse und waren bereits sehr heiter. Vor Starwicks Platz stand dann ein Satz kleiner Untertassen, und auf jeder dieser Untertassen stand eine Ziffer, zum Beispiel 3 : 50 oder 5 : 00 oder 7 : 50. Das hing ganz davon ab, was Starwick getrunken hatte.
Gewöhnlich war es Cognac. Aber es kam auch vor, daß Starwick Eugen etwa mit Worten begrüßte wie:
»Hast Du schon 'mal Amer Picon getrunken?«
»Nein«, sagte Eugen.
»Schön«, sagte Starwick. »Dann solltest Du's versuchen. Du solltest es wirklich, weißt Du.« Und dann wurlte das weiche Lachbläschen in seiner wollüstigen, sinnlichen Stimme, und Elinor, die dann Starwick zärtlich und lächelnd anblickte, pflegte zu sagen:
»Francis! Du Idiot! Laß doch das Kind in Ruh!«
Sie gingen dann Mittag essen. Manchmal gingen sie dort in der Nachbarschaft in ein Restaurant namens Henriettes, das Elinor von früher kannte, nämlich aus dem Krieg. Sie hatte einen Ambulanzwagen gefahren. Manchmal auch fuhren sie hinüber auf die andre Seite der Seine und aßen bei Prunier's, Weber's, im Café Régence, bei Fouquet's oder auch in einem Restaurant, das halbwegs auf dem Hügel des Montmartre lag, an einem Platz, der Place des Martyrs hieß. Dieses Restaurant hieß L'Ecrevisse, und das vermutlich, weil es Krebse als Spezialität führte. Das war eine feine Gaststätte; sie saßen stets draußen auf der Terrasse und konnten von dort alles sehen, was auf dem Platz vorging, und Elinor, die diesen Ort seit Jahren kannte, schwärmte davon, wie lieblich es dort im Frühling wäre.
Sie aßen auch oft in kleineren, nicht sehr teuren Wirtschaften, denn auch da kannte Elinor sich aus. Sie kannte sich mit allem aus; es gab nichts in Paris, mit dem sie sich nicht auskannte. Sie war die Sprecherin der Gruppe. Sie rasselte ihr Französisch herunter wie eine Französin, – oder jedenfalls doch wie eine Frau aus Boston, die gut Französisch spricht. Es träufelte ihr von der Zunge, und wenn sie mit Franzosen sprach, hatte sie denselben Tonfall und machte dieselben Gebärden wie die Franzosen.
»Mais non – mais non mais non mais non mais non mais non!« konnte sie so schnell hintereinander sagen, daß ihr die andern kaum zu folgen vermochten, und »Oui, C'est ça! – Mais parfaitement! – Entendu! ... Formidable!« usw. das brachte sie genauso heraus wie die Franzosen selber.
Nur sagte sie es nicht ganz so ernst, denn in allem, was sie sagte und tat, war immer eine Spur von Heiterkeit und Humor. Sie hatte jene Art, die alles leichtzunehmen weiß, und sie verstand genau, wie »es« mit den Franzosen ist. Ihre Haltung ihnen gegenüber erinnerte stark an die Haltung, die ein Erwachsener von Schliff und Wohlwollen radaulustigen Kindern gegenüber einnimmt. Sie wurde es nie müde, das Putzige und Seltsame der französischen Art zu beobachten und die andern auf diese Züge hinzuweisen. Kam ein Gaststättenbesitzer an den Tisch und versuchte stolz sein zurechtgestutztes Englisch anzubringen, dann schüttelte sie einmal schnell den Kopf, lächelte ein wenig, biß sich auf die Unterlippe und bemerkte dann lustig und leicht:
»Oh, wie nett! ... Er möchte ein bißchen mit seinem Englisch Staat machen! ... Ist er nicht lieb?« Und wenn dann jemand am Tisch dem Mann auf französisch zu antworten versuchte, dann sagte sie schnell: »Nein, nein, laß ihn nur reden! Er ist ja so stolz drauf, daß er's kann.«
Und wieder schüttelte sie schnell den Kopf und biß sich die Unterlippe mit einem zärtlichen, verwunderten, leisen Lächeln. »Ja!« pflegte dann Starwick beizupflichten. Begeistert, einen Ausdruck unmittelbaren, tiefen, beinah sorgenvollen Ernstes auf dem Gesicht, sprach er etwa: »Und wie großartig der Mann dabei ist! ... Wie schlicht und groß er das macht! ... Hast Du gesehn, wie er seine Hände gebraucht? Ganz und gar, scheint mir, wie jemand auf einem Bild von Cimabue. Wirklich, wißt Ihr«, sagte er ernst, »diese Jahrhunderte lebendiger Tradition, die so eine einzige Geste voraussetzt! Und der Mann tut es doch ganz unbewußt. Großartig! So eine Gebärde wie aus einem Bild von Cimabue, wirklich, ... es ist doch ganz unglaublich«, sagte er mit dem trauervollen, tiefen Ausdruck äußersten Ernsts auf dem Gesicht.
»Ja, durchaus«, sagte Elinor, die mit einem launischen Lächeln einen schnurrbärtigen Kellner beobachtet hatte, der mit der Andacht eines Beters die Zutaten in einer Salatschüssel zusammenmischte. »Oh, Francis, schau doch!« flüsterte sie und deutete mit einer kleinen, nickenden Kopfbewegung auf den Kellner. »Ist das nicht zum Verlieben! Findest Du's nicht glatt anbetungswürdig, wie sie hierzuland so was machen? ... Du weißt doch, wie ich's meine! Nun, wo, wo denn«, fragte sie mit der Gebärde eines Menschen, der sich auf Gnade und Ungnade ergibt: » wo könntest Du so etwas in Amerika finden? ... Ich meine, daß das dort überhaupt nicht zu finden ist, das ist's eben.«
»Durchaus«, bestätigte Starwick knapp. Er wandte sich an Eugen mit der eindrucksvollen Miene eines uneingeschränkten, trauervollen Ernsts: »Und das ist doch höchstwichtig! Wirklich, weißt Du. Einfach erstaunlich, was diese Leute in eine einzige Gebärde legen können. Das Ganze ist doch einfach da! Wirklich, einfach da!«
»Francis!« sagte Elinor und sah Starwick mit ihrem feinen, zärtlich-heitern Lächeln an. Sie biß sich auf die Unterlippe. »O Du Jungchen Du, wollte ich sagen –«
Plötzlich preßte sie sich die Hand auf die Augen, neigte den Kopf und verblieb einen Augenblick starr im Banne einer mächtigen Gemütsbewegtheit. Gleich jedoch sah sie feuchten Blicks wieder auf und streckte plötzlich über den Tisch hinweg ihren Arm nach Eugen aus. Sie legte ihm leicht und galant die Hand auf den Arm und sagte leis:
»Oh, es tut mir so leid, Du armes Kind! ... Schließlich besteht doch kein Grund dafür, daß Du alles mit durchmachen solltest ... Was ich sagen wollte, Lieberchen, ist«, erklärte sie traulich, »daß ich zu Haus einen anbetungswürdigen kleinen Buben hab' ... er ist jetzt vier Jahre alt ... und manchmal kommt es einfach so über mich, daß ich wegen irgend etwas an ihn denken muß ... das verstehst Du doch, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Eugen.
»Das ist gut von Dir«, sagte sie mit einem schnellen, tapferen Lächeln und tätschelte ihm wieder den Arm. »Ich wußte ja, daß Du's verstehst.«
Sie hatte ihren Gatten und ihr Söhnchen verlassen, war von Boston nach Paris zu Francis gekommen, es war Schicksalsluft um sie, aber sie trug tapfer und edelmütig an diesem Verhängnis. Es war ganz so, wie Francis einmal zu Eugen sagte, als sie beide allein in einem Café saßen und tranken:
»Es ist wahnsinnig ... Boston! Vollkommen wahnsinniges Boston! ... Ich will damit sagen, es ist die Art, die diese Leute haben, wenn sie zum Beispiel hoch zu Roß die Freitreppe vorm State House hinaufreiten ... Vollkommen großartig, mein' ich, weißt Du«, rief er höchstbegeistert. »Diese Sorte Menschen macht vor nichts halt. Es ist einfach toll.«
Und so waren sie denn alle vier sehr tapfer und sehr edelmütig und machten vor nichts halt, und die Franzosen waren reizend, reizend, reizend, und Paris gab den gerade richtigen Hintergrund für sie ab. Also, dieses Leben war fein.
Elinor nahm alles in die Hand. Sie übernahm die Geldsachen, sie machte die Pläne, sie feilschte mit den geizigen, gerissenen Franzosen herum, sie bestellte das Essen in den Restaurants.
»Wirklich erstaunlich, weißt Du«, erklärte Starwick, »diese Art, die sie an sich hat. Sie braucht bloß 'reinzukommen, und binnen vier Minuten liegt ihr das ganze Haus zu Füßen, ganz gleichgültig, wo und wann, immer ist's dasselbe ... Wirklich, Eugen, Du hättest dabeisein sollen heut mittag, als ich mit ihr zu der Automobilagentur auf den Champs Elysées ging. Sie mietete da einen Wagen für uns und besprach die Sache mit dem Verleiher ... Wirklich, der Mann tat mir leid, längst ehe das Geschäft abgeschlossen war ... Er sah mich dauernd mit so einem bewußten, ziemlich bittern Vorwurfsblick an, weißt Du«, erzählte Starwick, und die Lachbläschen gluckerten weich in seiner Kehle, »ganz so, als fühlte er sich von mir im Stich gelassen ... Irgendwie war das sehr grausam, wie sie mit ihm umging ... so wie 'ne große Katze mit 'ner Maus spielt ... wirklich, genau so war's ...« versicherte er ernst. »Sie kann tatsächlich mitleidslos sein, wenn sie so aufgelegt ist, wirklich, das kann sie, weißt Du ... und das wirkt doch um so erstaunlicher, wenn man weiß, was für ein Mensch sie im Grund ist. Denk doch dran, wie sie mich neulich, als wir nachts von Reims zurückkamen, an ihrer Schulter schlafen ließ, ... und dabei war ich doch so widerlich besoffen und so kötzerig«, setzte er mit einem schlichten, rührenden Ernst hinzu. »Ich meine da das Mitfühlende in ihr, da war sie ganz wie die chinesische Göttin des Unendlichen Mitleids, die in Boston im Museum steht, wirklich, ganz und gar so. Und das ist doch allen Ernstes erstaunlich, wenn man in Betracht zieht, wo diese Frau herstammt, ihre äußeren und inneren Lebensumstände, mein' ich, die Welt, in der sie aufgewachsen ist ... weißt Du, da kann man wirklich nicht anders sagen, als daß sie eine große Person ist ... einfach furchterregend ... vollkommen wahnsinniges Boston, wirklich ... das ist sie.«
Es war freilich sehr angenehm, sich einer solchen Führung anvertraut zu haben. Elinor erledigte alles mit einer so schönen, überlegenen Sicherheit, daß jedes Ding leicht schien. Schwierigkeiten des Landesbrauchs und der Sprache, Schwierigkeiten des Verkehrs, des Handels und Wandels gab es einfach nicht mehr, denn in allen diesen Stücken, die den reisenden Amerikaner rasend zu machen pflegen, weil er sie nicht begreift oder mißversteht, wußte Elinor Bescheid. Manchmal pflegte sie bloß den Kopf zu schütteln und sich leislächelnd die Unterlippe zu beißen. Manchmal lachte sie vollkommen erstaunt auf und erklärte: »Durchaus irrsinnig, natürlich, aber was soll man machen? Die lieben, armen Leutchen sind halt mal so, und ändern kann man's nicht. Ich weiß schon, es ist einfach unglaublich, aber sie werden immer und ewig so bleiben, und wir müssen das hinnehmen, so gut es geht.«
Sie war schwer gebaut, eine Frau von etwa dreißig Jahren, die älter wirkte, als sie war. Sie zog sich sehr schlicht an und trug einen ziemlich alten Hut mit einer Kokarde. Dieser Hut gab ihrem Aussehen etwas von der Galanterie und Vornehmheit des achtzehnten Jahrhunderts. Und die schwere, unjugendliche Figur verstärkte den Eindruck der Reife. Auf ihrem Gesicht lag ein starker Ausdruck von Autorität, der – trotz ihrem gutgelaunten, heiteren, witzigen Lächeln, trotz ihrer leicht spöttischen Bostoner Art – unterdrückte nervöse Spannungen anzeigte, die Zurückhaltung und Selbstbeherrschung, den störrischen, unverrückbaren Willen einer Person, die entschlossen ist, stets mit aristokratischer Grazie und Courage zu handeln.
Trotz ihrer schweren Figur und obschon ihre Haut rauh war und keinen gesunden Eindruck machte, sah Elinor vornehm aus, und ihr Lächeln, ihr Sprechton, ihr spielerischer Witz und auch die schnelle, trotzige Heftigkeit, mit der sie aufblitzte, zuschlug und schon wieder woanders war, ehe sich das Opfer versah und sich wehren konnte, – in all diesen Stücken war sie sehr feminin. Trotzdem appellierte diese Frau nicht im geringsten an das sinnliche Gelüst; obschon sie Mann und Kind verlassen hatte, um Starwick nach Frankreich zu folgen, obschon ihre Angehörigen dachten, sie sei Starwicks Geliebte, war es Eugen ganz unmöglich, sie sich in dieser Rolle vorzustellen. Und vielleicht aus diesem Grund spürte Eugen etwas Dunkles, Häßliches, Finsterliches in der Beziehung der beiden, etwas, das er zwar stark empfand, aber nicht zu erläutern vermochte. Was er spürte, war, daß Elinor der sinnlichen Anziehungskraft und des weiblichen Verlangens bar wäre, ganz so, wie er an Starwick die sinnliche Manneslust zu vermissen glaubte, und deswegen schien ihm, in der Beziehung der beiden läge etwas, das aus den dunklen, trüben Sumpffeuern des Gefühls stamme, etwas Giftiges, Verkehrtes, Übles, etwas, das den Tod voll und ganz in sich trüge.
Trotzdem war es fein, mit Elinor zusammenzusein, wenn sie auf ihre heitre, gewandte, reizende, ungeheuer weltsichre Art die Dinge in die Hand nahm, denn dann schien alles im Leben einfach und glatt und leicht, und dann gab es keine trübseligen Schwierigkeiten, und die ganze Welt wurde zu einer ungeheuren Auster, die man bloß zu öffnen brauchte, und Paris zu einer ungeheuren Schatzkammer der Vergnügungen und der Unterhaltsamkeit. Es tat einem gut, mit ihr in einem Restaurant zu sitzen, und sie bestellen zu lassen.
»Nun, Kinder«, begann sie auf ihre frischfröhliche, sachkundig-tonangebende Art, während sie, die Stirn ein wenig heruntergerunzelt, ein Lächeln um den Mund, mit einer launisch-beflissenen Hingabe die Speisekarte studierte, »Ihr könnt Euch bestellen, was Ihr wollt, aber Mama fängt mit Fisch an und einer Flasche Vouvray. Mir ist so, als erinnerte ich mich, daß der Vouvray hier ausgezeichnet ist.« Sie wandte sich an den Kellner: »Le Vouvray est bon ici, n'est-ce pas?«
»Mais oui, madame«, erklärte der Kellner mit genau dem richtigen, begeisterten Ernst. »Cest une spécialité.«
»Bon«, entschied sie forsch. »Alors une bouteille du Vouvray pour commencer ... Das geht doch für Euch alle, mes enfants?« Sie blickte die drei andern an, die zustimmend nickten.
»Bon ... bon, madame«, sagte der Kellner mit einem heftig bestätigenden Nicken, während er die Bestellung aufschrieb. »Vous serez bien contents avec le Vouvray ... Et puis?« Er sah Elinor mit ehrfurchtsvoll erbietigem Frageblick an. »Pour manger?«
»Pour moi«, bestellte Elinor, »le poisson – le filet de sole – n'est-ce pas – Marguery?«
»Bon ... bon«, sagte der Kellner begeistert zustimmend. »Un filet de sole Marguery pour madame.« Und zu Eugen: »Et pour monsieur?«
»La même chose«, erwiderte er, dieser verwegene Sprecher der Fremdsprache, und als der Kellner begeistert nickte und sagte:
»Bon. Bon, parfaitment! La même chose pour monsieur«, begannen die anderen drei über Eugen zu lachen, Starwick mit seinem Gluckern, Elinor mit ihrem heiteren, leichtspöttischen Lächeln und Ann mit ihrem kurzen, beinah zürnenden Lachen. Und Ann, deren Gesicht nun plötzlich hell erstrahlte, sagte:
»Er hat sein andres Wort noch nicht gesagt! Warum bestellst Du Dir nicht gleich auch ein paar ›mawndiawnts‹?« Ironisch ahmte sie Eugens Aussprache des Worts nach.
»Was ist denn falsch an ›mendiants‹? Was ist denn daran komisch?« fragte er und blickte sie stirnrunzelnd an.
»Nichts«, entgegnete Starwick gluckernd. »Sie sind sehr gut, wirklich, sehr gut, weißt Du«, erklärte er ernst. »Wir haben uns bloß darüber gewundert, ob Du nicht eines Tags noch ein Wort lernen würdest, um etwas anderes zu bestellen.«
»Ich weiß 'nen Haufen anderer Worte«, sagte Eugen ärgerlich. »Nur ... wie soll ich denn je dazu kommen, sie anzubringen, wenn Ihr alle drei mich jedesmal auslacht, wenn ich nur den Mund aufmache. Ich versteh' wirklich nicht, warum Euch das so komisch vorkommt«, grollte er. »Die Franzosen hier verstehen sehr gut, was ich sagen will«, behauptete er. Er wandte sich flehentlich an den aufmerksamen, lächelnden Kellner: »Ecoute, garçon, vous pouvez comprendre –«
»Cawmprawndre«, ahmte Ann nach.
»Vous pouvez comprendre ce-que je veux dire?« beeilte er sich mühsam zu Ende zu fragen.
»Mais oui, monsieur!« rief der Kellner mit einem schönen, versichernden Lächeln. »Parfaitement. Vous parlez très bien. Vous êtes ici à Paris depuis longtemps?«
»Depuis six semaines«, erklärte Eugen stolz.
Der Kellner hob gleichzeitig Arme und Augenbrauen in einer Gebärde des erstaunten Nicht-für-möglich-Haltens.
»Mais c'est merveilleux!« rief er.
Die andern lachten, und Eugen sagte bitter sarkastisch:
»Nicht jeder kann es zu so einer feinen, alten Sprachkennerschaft bringen wie Ihr, und schließlich bin ich auch nicht so weitgereist wie Ihr und hab' nie Eure Gelegenheiten gehabt. Wenn's also nach einem sechswöchigen Aufenthalt noch ein paar französische Worte gibt, die ich nicht weiß, was macht das schon? Die paar, die ich weiß, werde ich gebrauchen, und Ihr«, erklärte er trotzig, »werdet mich nicht dran hindern.«
»Ei freilich nicht, mein Lieber!« sagte Elinor schnell und sanft und legte ihm hurtig die Hand auf den Arm. »Laß Dich nur nicht aufziehen!« Sie wandte sich an Starwick und Ann. »Das ist wirklich nicht schön von Euch«, sagte sie vorwurfsvoll. »Laßt doch den lieben Jungen sein Französisch sprechen, wenn's ihm Spaß macht. Ich finde es süß.«
Starwick gluckerte ergötzt, während Eugen sich ärgerlich errötend an Elinor wandte. Es fiel ihm aber nichts zu sagen ein, und sie war immer viel zu behend für ihn, denn ehe er noch Zeit hatte, ein Wort zu formen, war sie schon wieder, blitzschnell wie eine Degenklinge, woanders.
»Nun, Kinder«, sagte sie von der Speisekarte aufblickend, »was wollt Ihr denn nach dem Fisch essen? Wer möchte Fleisch?«
»Kein Fisch für mich«, sagte Ann, die mürrisch die Speisenfolge las. »Ich nehme ...« Plötzlich verwandelte sich ihr dunkles mürrisches, adlig schönes Gesicht wieder durch das kurze, beinah zürnende Lachen, »ein ›awmlet‹«, erklärte sie und blickte Eugen sarkastisch an.
»Schön. Nimm Dein ›awmlet‹. Bloß, ich spreche das Wort nicht so aus.«
»Pas de poisson«, sagte sie ruhig zum Kellner. Sie bestellte ein Omelett.
»Bon, bon.« Der Kellner nickte heftig und schrieb auf. »Une omelette pour madame. Et puis après –?«
»Rien«, sagte Ann.
Der Mann sah ein ganz klein wenig überrascht und gekränkt aus, aber schon im selben Augenblick hatte er sich an Eugen gewandt:
»Et pour monsieur? – Après le poisson?«
»Donnez-moi un Chateaubriand garni«, sagte Eugen.
Und wieder kam von Ann, die mürrisch vor sich hin auf die Karte blickte, jenes kurze, beinah zürnende Lachen, das wie ein gestauter, im Nu erschlossener Lichtquell die dunkle, edle Schönheit ihres Gesichts erstrahlen machte.
»Ich hab's ja gewußt!« sagte sie. »Wenn's keine mendiants sind, dann ist's Chateaubriand garni.«
»Vergiß den Nuits St. George nicht«, bemerkte Starwick, dem das Lachen in der Kehle sprudelte. »Der kommt auch noch.«
»Wenn er sich durchgefuttert hat«, sagte Ann, »dann bleibt in ganz Frankreich kein Stück Rindfleisch und keine Weinbeere mehr übrig.«
Sie sah Eugen einen Augenblick an, ihr edel- und zärtlich-schönes Gesicht war verwandelt von ihrem strahlenden Lächeln. Aber beinah sofort wieder senkte sie das Haupt, und ihr Gesicht nahm alsbald den gewohnten Ausdruck an, eine Miene, die schwer und beinah mürrisch war und auf etwas Stilles, Wütiges und Stummverhaltenes schließen ließ, auf etwas, das nicht ausgelebt werden konnte.
Und Eugen sah Ann einen Augenblick an, sah sie mit verfinsterten, halbgrollenden Augen an, und ganz jäh und plötzlich war er, waren ihm Fleisch, Blut, Hirn, Herz, Geist und alles Wesen betäubt vor Liebe zu ihr.
»Und nun, Kinder, sagt mal, was für'n Salat Ihr möchtet«, fragte Elinor frohgemut. Sie las die Karte, sah schnell auf, sah in Starwicks Augen, und sofort ging der Blick der beiden zu Eugen und Ann. Ann saß da und starrte vor sich hin mit mürrischer, dunkler, schweigsam benommener Miene, und Eugen verschlang sie mit einem Blick, für den die Welt verloren war, in dem Zeit und Gedenken keinen Platz mehr hatten.
Du dunkle Helena, die mir im Herzen ewig brennt.
»L'écrevisse«, fragte Eugen, der aufs Menu starrte. »Was heißt das eigentlich, Elinor?«
»Na, mein Lieber, das kann ich Dir sagen«, erklärte sie mit einer gesetzten, leichten Heiterkeit im Tonfall. »Une écrevisse ist eine Art crawfish, die's hierzuland gibt, ein köstlicher kleiner Krebs, eine Krabbe, – aber viel, viel besser als irgend etwas Derartiges bei uns zu Haus.«
»Also dann bedeutet der Name dieses Restaurants einfach The Crab?« fragte Eugen.
»Halt ein!« rief Elinor leis. »Du Barbar Du!« sagte sie vorwurfsvoll mild. »Es ist nicht ganz dasselbe.«
»Es ist's wirklich nicht, weißt Du«, sagte Starwick ernst zu Eugen. »Das ganze Wesen der Sache ist verschieden. Das ist wirklich so. Ganz erstaunlich dieser Genius, den die Franzosen für Namen haben. Ich meine damit, daß der ganze Geist ihrer Rasse aus den einfachsten Worten einen anspricht«, erklärte er mit ruhigem Freimut. »Sogar dieser Platz hier«, er machte eine leichte Handgebärde, »La Place des Martyrs, in dem Namen ist das Ganze drin. Es ist wirklich ganz unglaublich, wenn man's bedenkt«, meinte er mysteriös. »Ganz wirklich.«
»Durchaus«, bestätigte Elinor, »und, oh, Ihr Kinder, wenn's doch Frühling wäre, so daß ich Euch mitnehmen könnte an die Seine ein bißchen stromab an einen Platz, der La Pêche Miraculeuse heißt!«
»Und was bedeutet das, Elinor?« fragte Eugen wiederum.
»Nun, mein Lieber«, meinte sie geduldig resigniert, »wenn Du unbedingt eine Übersetzung brauchst, dann müßte man wohl The Miraculous Catch sagen, den wunderbaren Fischzug also. Aber so heißt der Platz eben nicht. Das wäre eine Entweihung für ihn. Er heißt La Pêche Miraculeuse, weiter nichts. Der Name ist vollkommen unübersetzbar. Wirklich.«
»Ja«, rief Starwick begeistert. »Selbst die einfachsten Namen sind's! Die Straßen-, die Städte-, die Platznamen. Nimm L'Etoile zum Beispiel. Wie großartig und schlicht das ist! Wie vollkommen!« sagte er ruhig. »Die ganze geplante Anlage, die räumliche Großartigkeit der Sache selber liegt drin. Wirklich, weißt Du«, schloß er ernst.
»Durchaus richtig«, pflichtete Elinor bei. »Man könnte doch nicht The Star sagen. ›Der Stern‹ bedeutet da nichts. Aber: L'Etoile, das ist vollkommen. Es könnte einfach gar nicht anders heißen.«
»Durchaus«, entschied Starwick ernst. Mit trauervoll-ernster Belehrungsmiene wandte er sich an Eugen und fuhr fort: »Und die Frau da gestern nacht im Le Jockey Club, weißt Du, die diese Songs sang ...«, forschte er maliziös gewichtig. Seine Stimme bebte ein wenig, und er errötete. »Da wolltest Du doch unbedingt 'rausbekommen, was die Frau sang, nicht?«
Ein lautloses Gluckern schüttelte ihn.
»Vollkommen lästerlich war das, natürlich!« rief Elinor heiter entsetzt. »Und die ganze Zeit wolltest Du von mir wissen, was der Text zu dem einen Song bedeutete. Wenn Du noch weiter gefragt hättest, hätt' ich Dir was an den Kopf geschmissen. Wenn ich das hätte übersetzen müssen, ei, ich glaub', ich wär auf der Stelle ohnmächtig umgesunken.«
»Ich weiß«, sagte Starwick. Die Lachbläschen barsten in seiner Kehle ... »Ich sah den Blick in Deinen Augen. Vollkommen mörderisch sahst Du aus! Und furchtbar amüsant war's doch!« Er wandte sich wieder an den Freund und fuhr ernsthaft fort: »Aber wirklich, Eugen, es ist ziemlich dumm, daß Du immer fragst, was alles und jedes bedeutet. Weißt Du, ganz wirklich. Und so ausgefallen«, meinte er protestierend, »daß ein Mensch von Deinen Qualitäten, von Deiner Art des Verstehens darin so langweilig ist!«
»Warum denn?« fragte Eugen stumpf und ziemlich mürrisch. »Was ist denn dagegen zu sagen, wenn jemand, der eine Sprache nicht versteht, gern wissen möchte, was gesagt wird? Wie soll ich denn die Sachen 'rausfinden, wenn nicht durch Fragen?«
»Aber darum handelt sich's ja gar nicht«, protestierte Starwick ungeduldig. »Es geht ja um was ganz anderes. Und davon kannst Du auf diesem Weg überhaupt nichts erfahren«, sagte er vorwurfsvoll. »Der Reiz von diesem Song gestern abend lag doch nicht in den Worten, in der wörtlichen Bedeutung des Textes. Wenn Du versuchtest, diesen Text ins Englische zu übersetzen, dann wäre der ganze Zauber verflogen. Es handelt sich doch nicht um die Vokabeln und ihre Bedeutung, es geht um den Esprit der Sache. Wenn Du die Worte übersetzt, kommt letzten Endes nichts dabei heraus wie ein widerliches, schweinisches Geklimper –«
»Aber solang dasselbe auf französisch gesagt wird, ist es schön?« fragte Eugen sarkastisch.
»Aber durchaus!« versicherte Starwick ungeduldig. »Einfach verbohrt von Dir, Eugen, das nicht zu verstehn. Ganz wirklich. Der ganze Esprit, das ganze Wesen, alles Eigenschaftliche an diesem Song ist so französisch, so letzthin französisch, daß Du im Augenblick, in dem Du die Worte übersetzt, reinhin alles verlierst«, erklärte er in einem hohen, etwas weibischen Ton. »Auf französisch ist der Song nicht im geringsten degoutant. Die Worte bedeuten nichts, Du gibst nicht auf die Worte acht, das tolle ist, daß Du die Worte vergißt ... Es ist die Ausdrucksordnung, der Ton, das Gepräge, worauf es ankommt ... In einem gewissen Sinn, könnte man sagen«, meinte er tiefsinnig, »daß dieser Song eine ganz ungeheure Unschuld hat, wirklich, ganz wirklich, weißt Du ... Es ist so enttäuschend, daß bei Dir da die Einsicht versagt ... Wirklich, Eugen, Deine dauernde Fragerei nach der Bedeutung von Namen ist einfach ermüdend ... Und all diese Bücher, die Du ständig kaufst und mit Hilfe des Wörterbuchs zu übersetzen versuchst, ganz so, als ob Du dabei wirklich zu einem Verständnis kommen könntest ... zu einem wesentlichen Verständnis«, setzte er tief hinzu.
»Es mag doch sein, daß man so zu einem Verständnis der Sprache kommt«, sagte Eugen.
»Aber nicht die Spur!« rief Starwick. »Da liegt ja gerade der Haken! Du findest nichts heraus, weil Dir der ganze Geist der Sache entgeht, ganz genau so, wie Dir der Esprit von jenem Song entgangen ist, oder wie Du den Nagel neben den Kopf getroffen hast, als Du La Pêche Miraculeuse übersetzt haben wolltest ... Es ist ganz ausgefallen, daß bei Dir da die Einsicht versagt ... Nächstens«, schloß er sarkastisch und ein maliziöses Gluckern sprudelte auf, »wird es so weit sein«, keuchte er plötzlich, und sein Gesicht wurde tiefrot vor Heiterkeit, »daß Du auf die Berlitz School gehst.«
»Ei, das brächte er glatt fertig!« rief Elinor fröhlich überzeugt. »Dazu ist er jeden Augenblick imstande ... Mein Lieber«, sagte sie drollig zu Eugen, »ich habe im Leben noch keinen Menschen kennengelernt, der so heißhungrig auf Kenntnisse war wie Du. Es ist einfach fabelhaft ... Ei, das Kind möchte wahrhaftig alles und jedes wissen!« tändelte sie und sah sich erstaunt um. »Und sein Zutrauen in meine Kenntnisse! Na, einfach rührend. Wirklich, mein Lieber, und dabei bin ich dieses Zutrauens so unwert, ich hab' es einfach nicht verdient«, meinte sie ein bißchen spöttisch.
»Tut mir leid, daß ich Dich mit meinem Gefrage angeödet hab', Elinor«, sagte Eugen.
»Aber das hast Du ja gar nicht, Lieberchen, gar kein Gedanke«, protestierte sie. »Ich beantworte Deine Fragen sogar liebend gern. Es ist nur, daß ich mir so – so inkompetent vorkomme. Aber hör' mal zu, Eugen«, meinte sie überrednerisch, »könntest Du nicht mal versuchen – auf irgendeine Weise versuchen, die Worte und ihre Bedeutung nicht zu achten und einfach das Wesentliche aufzunehmen? ... Könntest Du das nicht, Lieber?« fragte sie sanft, und als er sie errötend ansah, außerstande, eine Erwiderung auf ihre behende Ironie zu finden, legte sie ihm schnell die Hand auf den Arm, tätschelte ihn, nickte schnell und erklärte mit einer befriedigten Endgültigkeit:
»Gut! Ich wußte ja, daß Du es könntest! ... Wirklich, was für ein lieber Kerl er sein kann, wenn er sich Mühe gibt, nicht?«
Starwick gluckerte maliziös, als er Eugens vor Groll erglühtes Gesicht sah, und fuhr dann ernst fort:
»– Dieser Genius, den die Franzosen für Namen haben, ist glattweg erstaunlich. Ich meine nämlich, daß sie sogar in ihren Städtenamen das ganze Wesen eingefangen haben. Was könnte dem Wesen von Paris mehr gleichen als der Name Paris?« fragte er ruhig. »Das ganze Gepräge der Stadt schwingt im Namen. Oder Reims. Oder Dijon. Oder zum Beispiel Carcassone. Der ganze Geist der Provence steckt in diesem Namen. Und was könnte das Wesen von Arles besser ausdrücken als der Name? Daraus spricht einen doch der ganze Ort an, das Leben und die Leute dort, der eigenartige Duft, den die Stadt hat ... Und wie verschieden wir Amerikaner hierin sind ... Ich meine damit«, seine Stimme hob sich zum Ton leidenschaftlicher Überzeugtheit, »der ganze Unterschied zwischen uns und ihnen wäre hier gegeben, weißt Du, wirklich, der Unterschied, daß uns dies fehlt, während sie hier es haben ... ich meine damit, daß unsre Verkehrtheit schon mit den Namen zu belegen ist ... das ist doch höchst wichtig, Eugen ...«, fuhr er ernst fort. »Wie harsch und bedeutungslos die meisten Namen in Amerika sind! Wie Adressen, die gleichzeitig mit der Stempelmaschine auf tausend Briefumschläge gedruckt werden, wie Anhängeschildchen, nach denen man einen Ort identifizieren kann, ohne daß die Bezeichnung doch eine eigentliche Beziehung zu dem Ort hat ... Sag mir«, fragte er ruhig nach einer Pause, »wie hieß doch das Dorf, aus dem Dein Vater stammte? Du hast's mir mal gesagt, und jetzt fällt's mir wieder ein, weil diese ganze Sache von der ich jetzt rede, – das Ding, das uns fehlt – in dem Namen deutlich war. Wie hieß es nur?«
»Brant's Mill«, sagte Eugen.
»Durchaus!« bemerkte Starwick wie ein Gemüdeter, der sich kurz faßt. »Ein Mann namens Brant hatte dort eine Mühle, und so wurde das Dorf Brant's Mill genannt.«
»Worin soll denn da die Verkehrtheit bestehn?«
»Oh, in nichts, nehm ich an«, sagte Starwick ruhig. »Der Name ist vollkommen in Ordnung ... Brant's Mill«, eine Note der Bitterkeit kam in seine Stimme, und er sprach den Namen beinah absichtlich raspelnd aus. »Es ist ein Name, das heißt, eine Bezeichnung für einen Ort, und wenn Du die Ortsbezeichnung auf einen Briefumschlag schreibst, dann kommt der Brief an ... Ich nehm' an, das ist's, wozu ein Name dient ... Gettysburg, ich nehm' an, ein Mann namens Gettys hatte ein Haus oder eine Farm dort, und die Stadt wurde danach genannt ... Und Deine Mutter? Wie hieß bloß der Ort, wo sie herstammt?«
»Die Gegend heißt Yancey County.«
»Durchaus!« sagte Starwick ganz wie zuvor. »Und die Stadt?«
»Da war keine Stadt, Frank. Ein paar Häuser im Gebirg, ein Settlement an einer Straßengabel, genannt The Forks of Ivy.«
»Nein! Nicht wirklich! Was Du nicht sagst!« Elinors heller Bostoner Akzent klang erstaunt, belustigt, heiter.
»Aber gar nicht!« sagte Starwick im Ton des milden, ernsten Nichtbeipflichtens. »The Forks of Ivy ist nicht schlecht. Es ist sogar, wenn man an die andern Namen denkt, ganz erstaunlich gut. Straßengabel ... Efeu ... der Name hat sogar ...«, er hielt inne und erwog mit Bedacht ... »eine gewisse Qualität ... Aber Yancey«, er hielt wieder inne, das plötzliche Lachen wallte auf, einen Augenblick war sein angenehmes, rötliches Gesicht dunkelrot vor Lachen. »Ya-a-ancey County.« Mit absichtlicher Böswilligkeit brachte er das Wort mit raspelnder, farmerischer Betonung heraus. »Gott, ist es nicht abscheulich!« bekannte er freimütig zu Eugen gewandt. »Klingt es nicht rauh, dumm, banal? ... Sag doch noch so ein paar Namen aus Deiner Heimat, Eugen«, sprach er nach einer kurzen Pause. »Ich bin sicher, Du bist noch nicht mit den schlimmsten 'rausgerückt; da gibt's bestimmt noch so ein paar süße wie Ya-a-ancey.«
»Ei freilich«, sagte Eugen grinsend, »wir haben da ein paar ganz gute. Da gibt es ein Sandy Mush, ein Hooper's Bald, ein Little Hominy. (Sandiger Mehlbrei; Hooper's Glatze; Kleinmaisgrütze). Bei uns gibt's Namen wie Beaverdam und Balsam, Chimney Rock und Craggy und Pisgah und The Rat. (Biberdamm, Balsam, Schornsteinfels, Klippenzinken, – der Name des Bergs, von dem Moses das Gelobte Land sah, – die Ratte.) Bei uns heißen Orte Old Fort und Hickory und Bryson City. Bei uns gibt's einen Clingman's Dome und ein Little Switzerland. (Clingmanskuppel und Kleine Schweiz.) Wir haben einen Paint Rock und einen Saluda Mountain. (Buntenfels und Grußberg.) Und dort gibt's auch den Frying Pan Gap –«
»Halt ein!« rief Elinor. »Die Bratpfannenlücke! Oh, ist das aber schauderhaft!«
»Und wie vollkommen!« antwortete ihr Starwick ruhig. »Das Ganze ist da! Und in der großen, edlen Gegend, aus der ich stamme«, – die Note verdrüssiger Bitterkeit in seinem Ton wurde tiefer – »da gibt's ein Keokuk, ein Cairo, ein Peoria.« Er hielt inne. Sein schwerer Blick wurde starr und ernst und nachdenklich. Auf einen Augenblick verzog sich sein angenehmes, rötliches Gesicht in der alten Tiergrimasse der Herzensnot und Verwirrung. Als er weitersprach, klang seine Stimme müde von der stillen Bitterkeit des Hohns. »Ich bin geboren«, sagte er, »in der großen und edlen Stadt Bloomington, aber« – die Note wilder Ironie wurde schärfer – »als ich noch ganz klein war, zogen wir um nach Molin. Und nun, Gott sei Dank, bin ich in Paris.« Er schwieg eine Weile, dann sagte er leise, mit fast lebloser Stimme: »Paris, Dijon, Provence, Arles ... Yancey, Brant's Mill, Bloomington.« Er blickte Eugen ruhig an. »Du siehst doch, was ich meine. Das Ganze ist da.«
»Ja«, antwortete Eugen. »Ich nehm' an, Du hast recht.«