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XXII

In einer Nacht im Juni, um drei Uhr morgens, saß Hugo McGuire in seinem kleinen Chefarztbüro gleich links neben der Eingangshalle des Altamont-Hospitals, dessen Leiter und Haupteigentümer er war. Der vierschrötig-stämmige, aufgeschwemmte Mann saß in einem Swivel-Chair, vornübergebeugt, die schweren Unterarme auf die Platte des Schreibtischs gelegt, der ein altmodisches Möbel mit vielen Gefächern unter dem Rollzug-Aufsatz war. Im Raum zwischen den beiden Schublädenkästen, zwischen den fetten Beinen des Chirurgen also, stand eine 4½-Liter-Flasche Maiswhisky.

Auf dem Tisch lagen Briefe, die dem Arzt am Abend zuvor in einem Bündel übergeben worden waren. Diese Briefe waren von einer gewissen schönen Lady aus der Stadt geschrieben worden, und zwar an einen Kollegen McGuires. Was nun die Briefschreiberin betrifft, so genügt es, zu sagen, daß sie nicht McGuires Frau war, und daß er sie seit längerer Zeit sehr gut kannte. McGuire, ein Riese von einem Mann – merkwürdigerweise nicht nur ein treusorgender Vater und ein sehr ergebener Gatte, sondern auch ein Mensch, den das bittere Gefühl seiner einen Untreue dahin gebracht hatte, daß er sich nun noch verzweifelter und heftiger um seine Familie bekümmerte als zuvor – war seit Jahren besessen gewesen von einer jener alleinschicksäligen und unheilbaren Leidenschaften, die mächtige Geschöpfe seiner Art nur einmal im Leben und nur für eine Frau zu packen vermögen. Und nun war es aus – mit einem Schlag aus mit dieser Besessenheit, mit dieser wahnsinnigen Treue. Ein paar Worte hatten sie zertrümmert, ein paar hingekritzelte, wie Spinnen über ein Blatt Papier laufende Schriftzeichen, ein Bündel aufgerissener Briefe in einer Damenhandschrift. Und daher dieses Gefühl der langsam-dumpfen, wehrlosen Qual in dem Mann, daher diese brutale Entschlossenheit zu einem schweren Whiskyrausch. McGuire war am Abend zuvor um sieben Uhr von einem Besuch bei Gant ins Hospital zurückgekehrt, hatte das Briefbündel vorgefunden, und seitdem hatte er sein Büro nicht verlassen, war er nicht einmal vom Stuhl aufgestanden, hatte er sich überhaupt nur gerührt, um die Flasche vom Fußboden heraufzuholen, sie dann wie ein Bär mit den beiden großen Tatzen zu halten, anzusetzen und lange und tiefe Schlucke von dem rohen, feurigen, farblosen Whisky zu tun. Und das hatte er oft getan, denn die Flasche war nun zu zwei Dritteln leer. Und dazu hatte er die Briefe gelesen, mit einem komisch-suffdumpfen Gesicht, den Mund halb offen, eine Zigarette fast am Mundwinkel auf die Unterlippe gepappt. Das Krankenhaus war längst in Schlaf versunken, und in dem kleinen Geschäftszimmer war kein Laut außer dem Ticken einer Uhr und den kurzen, röchelnden Atemzügen McGuires. Wenn er einen Brief gelesen hatte, faltete er ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn in den aufgerissenen Umschlag zurück. Alsdann fuhr er sich mit den dicken Fingern über die braunroten Bartstoppeln in dem schwammigen, fahlen Gesicht und griff mit einem schmerzlichen Grunzen zwischen seinen Beinen hinunter nach der Flasche, um wieder zu trinken, ehe er den nächsten Brief aus dem aufgerissenen Umschlag zog.

Manchmal legte er einen Brief nieder, ehe er ihn zu Ende gelesen hatte, griff nach einer Feder und fing an, auf einen großen Block in Querformat – Briefpapier des Hospitals, das auf dem Tisch lag – zu schreiben. McGuire schrieb ganz so, wie er las, nämlich langsam, mühevoll und sorgfältig, mit einer starr-zielgerichteten, betrunknen Aufmerksamkeit, und wenn er schrieb, dann war kein Laut im Raum außer dem Kratzen der Feder in seiner fetten Hand und seinem kurzen, schwerfällig-röchelnden Atemgang.

McGuire las die Briefe aber- und abermals, er las sie langsam, sorgfältig, feierlich-ernst. Schweratmend und unbeweglich saß er da und starrte stur auf den Brief, den er nahe an die Augen hielt. Die Augäpfel in dem schwammigen Gesicht waren gelb. Im Lauf der Nacht hatte er jeden der Briefe mindestens ein dutzendmal gelesen, ihn dann sorgfältig wieder zusammengefaltet und in den Umschlag zurückgesteckt. Und dann hatte er unterm Tisch nach der Flasche getappt und lang und tief getrunken.

Es war, als wäre ihm ein glühend heißes Eisen ins Herz gestoßen und darin herumgedreht worden; der Whisky brannte ihm wie Feuer in den Eingeweiden und im Blut; und jedesmal, wenn er einen Brief zu Ende gelesen hatte, griff er grunzend nach der Flasche und fing nachher an, langsam und sorgfältig etwas auf den Briefblock zu schreiben. Das hatte er nun im Lauf der Nacht mindestens ein dutzendmal getan, und jedesmal, nach ein paar Zeilen hatte er ungeduldig aufgestöhnt, den Briefbogen zu einem Ball zusammengekrumpelt und in den Papierkorb geworfen. Nun aber, kurz nach drei Uhr morgens, schrieb er unausgesetzt; es war kein Laut im Raum außer dem Federkratzen und dem schweren Atemgang. Ein Einblick in die zu Bällen zusammengekrumpelten Briefbogen im Papierkorb würde, in zeitlich richtiger Reihenfolge geordnet, vollkommen die Gefühls- und Geisteszustände offenbart haben, in denen sich der Mann nacheinander befunden hatte.

Auf dem ersten Blatt, das McGuire gleich nach Kenntnisnahme des Inhalts der Briefe im Bündel beschrieben hatte, standen bloß ein paar hingekritzelte Worte, ohne Interpunktion oder grammatischen Zusammenhang. Mitten im Schriftzug war die Mitteilung mit einem splittrigen Ausspritzer der Feder abgebrochen; was da stand, war einfach und ausdrücklich dies:

»Du Hündin Du verdammte Drecksau von einer verlogenen Hure Du – – –«

Und da endete es in einem geborstenen Schriftzug mit einem splitterigen Federspritzer. Das Blatt war dann zusammengeballt und in den Papierkorb geworfen worden.


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