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Als Oswald Ten Eyck eine jährlich 8000 Dollar einbringende Stellung im Syndikat des Zeitungskönigs Hearst aufgab, um in Professor Hatchers berühmten Dramatikerkursus einzutreten, beliefen sich seine Mittel auf 700 Dollar, – eine für einen Journalisten sehr erkleckliche Sparsumme. Nachdem aber Kolleg- und Immatrikulationsgeld und ferner verschiedene andere, mit der Aufnahme in die Graduatenschule der Universität Harvard verbundene Gebühren entrichtet waren, blieben ihm nicht ganz 500 Dollar übrig. Oswald mietete sich in Cambridge ein; er bezog eine Dachgaupe in dem viereckigen, schmutziggrauen Holzhaus, in dem die Grogans, eine irische Familie, ihr Heim hatten. Um auf seine Bude zu kommen, mußte Oswald eine wackelige, fast leitersteile Treppe steigen, und nachdem die Bude glücklich erreicht war, mußte sich das 1,65 m große, fast zerbrechlich zarte Männlein immer noch äußerst vorsehen, denn andernfalls hätte er sich an der weißgetünchten Verschalung der beiden Schrägwände des öfteren den Kopf angeschlagen. Feld für freie Bewegung war in dieser Kammer nur unterm First; da aber am Giebelfenster der Schreibtisch stand, blieb nur der Raum über einem Bodenstreifen von etwa anderthalb Quadratmeter, wo Oswald aufrecht stehen konnte. Außer dem Tisch und ein paar ganz einfachen Stühlen befanden sich in dem Stübchen nur zwei Möbelstücke: das weißgestrichene, eiserne Gestell des Schmalbetts unter der Abschrägung linker Hand und unter der Abschrägung rechter Hand ein Büchergestell. So konnte hier mit buchstäblicher Wahrheit behauptet werden, daß der Dramatiker »ins Bett kroch«, und daß der Dichter, wenn er lesen wollte, sich Dichtern nahte, wie ein Dichter sich Dichtern nahen soll – nämlich auf den Knien.
Für dieses mönchisch-karge Gelaß zahlte Professor Hatchers Schauspielschöpfer an Mrs. Mary Grogan 15 Dollar im Monat. Miete und Studiengelder abgerechnet, blieben ihm also von seiner Sparsumme ganze 300 Dollars; diese sollten in den neun Monaten des akademischen Jahrs für Kleider, Wäsche, Tabak, Essen, Bücher, Theaterbesuch und Taschengeld reichen, und viel war das gerade nicht. Immerhin, unter Umständen hätte es sogar gelangt, aber Oswald Ten Eyck – obschon er ein Dichter war, und obschon er kaum einen Zentner wog – war eben jenen niederen Begierden unterworfen, die der Leiblichkeit Erbteil sind.
Betrüblicherweise spiegelte sich diese Schwäche des Fleisches im Werk des Künstlers wider, und die vielen Stücke, die Oswald während seines kurzen Aufenthalts in Professor Hatchers Klasse schrieb, handelten meistens von niederen Dingen. Oswald schrieb diese vielen Stücke in Fieberhast, und das vermochte er – erstens weil er ein trainierter Zeitungsschreiber war und leicht zu Papier brachte, – dann, weil ihn der höchste, heimliche Ehrgeiz seines Lebens antrieb – und schließlich, weil er wußte, daß die Kunst lange währt, während 300 Dollar sehr kurzwierig sind. Oswald begann mit mystisch-ätherischen Phantasiespielen, nach und nach drang das Rohsinnliche in seine Ausdruckswelt ein, und schließlich wühlte er in den Trögen der Freßlust. Da war der Mensch ganz Bauch geworden, tatsächlich ganz Bauch, und das war nun sehr merkwürdig, denn Oswald Ten Eyck war ein schier zerbrechlich zartes Wesen. Seine großen, brennenden Augen waren wie die Augen eines Glaubenseiferers, seine feinknochigen, fast fleischlosen Hände erinnerten einen an die Klauen junger Vögel, und er war von einer Gürte ... nun, hätte man ihm eins von den Gummibändchen, die man in Geschäften um kleine, eingewickelte Päckchen schnappt, um die Leibesmitte gespannt, dann wäre das Gummibändchen nicht geplatzt ... so dünn und schlank war Oswald Ten Eyck. Er schien aus Flamme, Luft, Leidenschaft und einer geradezu qualhaften Scheu zu bestehen. Professor Hatcher setzte große Hoffnungen auf ihn; dieses »Atom« wäre, dachte Hatcher, dessen fähig, was die wahren Hatcherianer »das Drama des Aufruhrs« nannten; aber das flammende Atom hielt ihn zum Narren, ja, es hielt ihn grausam zum Narren. Ten Eycks erstes Stück, das in der Klasse zu Gehör kam, war höchst vielversprechend: eine traumhaft zarte, über Berge und Täler hin in Sagenfernen gesponnene Phantasiestudie in der Art von John Synge, William Butler Yeats und der jung-irischen Dichter. Dann aber machte der Geist einen tiefen Bückling vor dem Bauch, und Ten Eyck schrieb vom Essen.
Sein zweiter, im Seminar eingereichter Versuch war ein Einakter, der auf dem Bürgersteig einer amerikanischen Großstadt spielte, und zwar vor einem der blitzsauberen, appetitanregenden Speisehäuser der Firma, die ihre vielen Filialen »Childs-Restaurants« nennt. Durch die große Schaufensterscheibe sah man im weißen Jäckchen einen Koch stehn, der mit geschickter Handbewegung die knusperigen Weizenpfannkuchen auf die andre Seite flappte. Vor der Scheibe aber stand die Hauptperson des Spiels, – er war der einzige Sprecher im Stück –: ein hungernder Dichter, der sich zwanzig Minuten lang in einem Monolog erging über die Härte des Poetenlebens und den Zerfall der Gesellschaft in unserer Zeit. In diesem Monolog wurden die hauptsächlichsten Speisen des »Childs-Menü« des mehrfachen erwähnt, und zwar mit einem bitteren Beigeschmack.
Professor Hatchers Interesse nahm ab; er hatte feinere Dinge erhofft. Aber schließlich ist Irren menschlich, und der Mensch lernt von seinen Irrtümern. So hatten ihn einige Irrtümer der Vergangenheit gelehrt, geduldig zu sein, vorsichtig zu sein und abzuwarten. Er wußte, daß oft aus der groben Erde im Menschen die feineren Blumen des Geists sprießen. Das hatte er an einigen seiner früheren Schüler, die auch von niederen Dingen geschrieben hatten, erfahren. Diese Leute hatten von Matrosen, Niggern, Gaunern, Huren, von dunklem Gelüst, Mord, Hunger, Raub und Blutschande geschrieben, sie hatten das Leben in einer sonnenlosen Schwärze dargestellt, in einer Stockfinsternis, in der kein Gnadenfunke glomm, in die kein Hoffnungsstrählchen fiel, auf der kein Widerschein einer höheren Seinsschau lag. Es gab aber in der hatcherianischen Welt einen »wirklichen Beweis für aussichtsvolle Zukunft«: gewisse Schüler wurden aufgefordert, ein zweites Jahr zu bleiben, und Professor Hatcher hatte sich damals meist unbemüßigt gefunden, an jene Wildlinge mit dieser Aufforderung heranzutreten. Die Wildlinge waren daraufhin ohne diesen geistigen Ritterschlag fortgegangen und hatten sich einen Namen gemacht; ihre Stücke wurden überall und in allen Weltsprachen gespielt, und alles, was die wahren Hatcherianer von diesen Erfolgreichen sagen konnten, war: »Ja, sie weilten zwar unter uns, gehörten aber nicht zu uns. Sie sind nicht aufgefordert worden, ein zweites Jahr zu bleiben.«
Solcherlei peinliche Erfahrungen hatten den Professor Hatcher zu weiser Nachsicht gebracht, und so hatte er sich, obzwar seine Hoffnungen für Ten Eyck stark am Schwinden waren, entschlossen, seine Entscheidung solang wie möglich hintanzuhalten. Oswald jedoch ließ es sich angelegen sein, seinen distinguierten Lehrmeister von weiteren Zweifeln zu entbinden, und entschied seinerseits die Sache bereits mit voller Endgültigkeit durch sein drittes Hervortreten mit dem Vierakter »Dutch Fugue«, den er vielleicht passender »Kein zweites Jahr« hätte nennen sollen.
Jene »Fuge«, die Oswald Ten Eyck Dutch genannt hatte, spielte in der Welt, aus der ihr Verfasser kam, denn Ten Eyck selber war Dutch und seine Angehörigen waren Dutch, das heißt heute »Holländer«, was sich aber in diesem Fall nicht aufs Mutterland bezog, sondern auf eine drei Jahrhunderte alte Kolonie holländischer Einwanderer, die am Hudson River und in den Catskill Mountains siedelten, und deren Nachkommen daher die Hudson River Dutch oder die Catskill Dutch heißen. Nun gibt es aber andre alte Siedlerkolonien – dereinst von Pfälzern in Pennsylvanien gegründete –, und da die Leute dort sich in ihrer Muttersprache Deutsche nennen, heißen sie ebenfalls Dutch, nämlich Pennsylvania Dutch. Oswald Ten Eyck war heißspornig stolz auf seine Vorfahren, er betonte stets mit einem Rüffel aristokratischen Hochmuts sein Dutch-tum und erklärte: »Nicht Pennsylvania Dutch! Guter Gott, nein! Die sind ja gar nicht Dutch, sie sollten Pennsylvania-Germans heißen! Echt-dutch, alt-dutch, Catskill Dutch, das ist die Sache!«
Das altväterlich-schmucke, würzig-echte, viele Bräuche zähbewahrende Leben seines Stammes hatte Oswald zum Vorwurf seines Stücks genommen. Während sein Einakter noch vom Essen lediglich mit Unbehagen erregender Vordringlichkeit gehandelt hatte, traten nunmehr die niederen Begierden der Leiblichkeit mit unbezähmter Offenheit hervor, und es ist fraglich, ob die Kulturgeschichte der Menschheit ein Schauspiel kennt, das sich in dieser Beziehung mit der »Dutch Fugue« hätte messen können. Dieser Vierakter war eine dramatische Wahrmachung des Bauchs, dargestellt von vierzehn Erwachsenen männlichen und weiblichen Geschlechts, die sämtlich herzhafte Esser waren.
Die Geschehnisanlässe in diesem außerordentlichen Stück – eine Kindsgeburt, ein Todesfall, eine Heirat – wurden alle mit Essen, Trinken und Festlärm begangen. Auftritt folgte auf Auftritt mit kaleidoskopischer Geschwindigkeit. Kaum war die Kindtauffeier um, da wurde der Tisch schon zu einem üppig-schweren Leichenschmaus gedeckt, und dieses Motiv war kaum verklungen, als das freudig-glänzende Hochzeitsmahl den rüstigen Essern gereicht ward. Wohl von keinem Theaterstück konnte gesagt werden, daß es das Hamletwort »vom Leichenschmaus den Braten kalt zum Hochzeitsmahle reichen« treulicher wahr mache, ja, daß es sogar noch darüber hinaus ginge, um den Kreis des Geschehens zu runden. Im vierten Akt nämlich saßen die vierzehn hungrigen Fresser wiederum um die Tafel, die sich fast berstend unter der Last der Speisen bog, und die ganze Handlung war eine reine Symphonie der Gefräßigkeit mit dem melodischen Thema »Nimm-und-iß-und-reiß-und-beiß!«, fugenartig ausgeführt von Schlurz-, Schluck-, Schmatz- und Behagenslauten, Tellergeklirr und Messer-und-Gabel-Geklapper, Kiefergemalm, Tunkengeplantsch, Einspeichlungsgemansch, begleitet von dem Getröpfel hellroten Roastbeefsafts, kadenziert durch das schwere Geschnauf der mächtig Futternden. Und diese Symphonie war eine augurisch-symbolische Prophetie, die da besagte, daß des Menschen Leben vergänglich wie Gras und flüchtig wie Schall-und-Rauch sei in einem Dasein, in dem Geburt, Tod und Heirat einander ablösen und wandelbar seien, wohingegen die heiligen Riten des Essens und die göttliche Permanenz guter Mähler und saftiger Braten als unzerstörbar und als aufimmerdar bestünde.
Ten Eyck selber las sein Stück eines Freitagsnachmittags dem Professor Hatcher und dessen versammelter Gefolgschaft vor. Er las es mit schneller, hoher Stimme; seine zitternde Klaue blätterte um; seine langen Finger fuhren oft nervös durch den unordentlichen Wuschel seines pechschwarzen Haars. Die höflich gezollte Aufmerksamkeit der Klasse ging alsbald in ausdrucksgelähmte Betäubung über. Professor Hatchers dünne, gespannte Lippen wurden noch dünner und straffer. Ein mattes, bittres Lächeln war an seinen Mundwinkeln erstarrt. Als der Schauspielschöpfer geendet hatte, entstand eine Stille. Professor Hatcher hob das Haupt, nahm den goldrandigen Klemmer von der Nase und ließ ihn an der schwarzen Seidenschnur baumeln. Professor Hatcher wandte den Blick an seine Hörerschaft, und seine kultivierte Stimme war leis, beherrscht und sehr ruhig, als er fragte:
»Ist ein Kommentar zu machen?«
Zunächst schwiegen alle, dann aber ließ sich der junge Patrizier aus Philadelphia vernehmen. Er verlieh seiner Entrüstung einen ruhigen Nachdruck und meinte:
»Ich dächte, man könnte das Stück immerhin in den Chicagoer Schlachthäusern aufführen.«
Diese Bemerkung war sehr zur Unzeit hervorgebracht. Denn Schlachthäuser gemahnten Ten Eyck an Roastbeef und Beefsteak ... und das wiederum gemahnte ihn an seine üppigen Tage im Dienst des Zeitungskönigs Hearst, an Tage, in denen die Zahlungsmittel nicht knapp und gute Mahlzeiten selbstverständlich waren ... und dies wiederum gemahnte ihn an den gestrigen Tag, an dem er seine letzte Mahlzeit eingenommen hatte, ein Dinner, bestehend aus Spaghetti, Spinat, Kaffee und einem Brötchen. Ten Eycks schmächtiger Hals verrenkte sich in dem abgescheuerten Hemdkragen, Ten Eyck blickte den Professor Hatcher verzweifelt an, der seinerseits mit einem fragenden Blick erwiderte. Ten Eyck zog den Kopf ein, fing an, sich die Fingernägel zu beißen und verrenkte wieder den Hals. Plötzlich fiel sein Blick auf das kalte Antlitz des Philadelphia-Patriziers, auf dessen Hemd aus teurem blauem Madras, dessen lässig übereinandergeschlagene, in tadellos gebügelten Hosen steckende Beine. Ten Eyck richtete sich halb auf, er schob mit den Kniekehlen den Stuhl scharrend zurück von dem Tisch, um den die Klasse saß. Ten Eyck machte mit seiner klauenhaften Hand eine einbeziehende Bewegung und zeterte unzusammenhängende Worte:
»Die da! Die da! ... Wir haben die modernen Engländer ... Und was das moderne russische Drama anlangt ... Nehmen Sie auch die modernen Deutschen mit ihrem Expressionismus ... Aber die Dutch, die Dutch, die Catskill Dutch, nein ...« Ten Eyck deutete dann mit einem zitternden Finger auf den vornehmen Jüngling und kreischte: »Der Philadelphia Cricket Club! ... O Gott, o Gott! Dahin mußte es kommen!« Ten Eyck bog sich, tonlos lachend, die magere Hand auf die eingesunkene Magengrube gepreßt. Als er gewahr ward, daß Professor Hatcher ihn mit gleichmütig-kalten Augen maß, setzte er sich unvermittelt plötzlich und fing wieder an, seine Fingernägel zu beißen. »Nun ja, ich weiß nicht ...«, erklärte er mit einem törichten, kurzen Lachen, »... es mag sein, ... ich nehme an ...« Seine Stimme wurde tonlos, er vollendete den Satz nicht.
»Ist noch ein Kommentar zu machen?« fragte Professor Hatcher.
Niemand meldete sich zum Wort.
»Alsdann«, sagte Professor Hatcher, »ist die Klasse bis nächsten Montag entlassen.«
Professor Hatcher blickte nicht auf, als Ten Eyck hinausging.
Draußen in den Wandelgängen hörte Oswald gerade noch die verhallenden Fußtritte der davoneilenden Hörerschaft; er mußte sich eine Weile an die Wand lehnen: er fühlte sich matt und ausgehöhlt, ihm war schwindlig; seine kraftlosen Knie bogen sich wie Gummi; der Kopf, nach dem heftigen Blutandrang während der Erregung, war ihm nun wie aufgeschwollen und leicht und schwebig wie ein Kinder-Luftballon. Plötzlich fiel ihm ein, daß Freitag war. Samstag, der Tag, an dem er sich bei seinen schwindsüchtigen Geldmitteln wieder eine Mahlzeit leisten konnte, – er hielt sich nämlich verzweifelt an den Vorsatz, den er zu Beginn des Kurses gefaßt hatte –, Samstag schien ihm unendlich weit weg, eine winzige Lichtscheibe am Ende eines unaufhörlichen Tunnels, und wackelig, schwach und hohl, wie er war, sah er keine Möglichkeit durchzuhalten. So gab er denn klein bei. Er wußte, wenn er sich ein wenig eile, käme er noch recht zu Miß Potters Freitagnachmittag. Zwischen Hunger und Widerwillen hin und her gerissen, gab er, wie schon so oft, dem Hunger nach, obschon er wußte, daß er so den schrecklichsten der Schrecken des zeitgenössischen Lebens über sich ergehn lassen müsse: die Gesellschaft der Kunstsinnigen.
Miß Potter war eine merkwürdige alte Jungfer mit recht viel Vermögen; sie wohnte in einem angenehmen Haus in der Garden Street, unweit der Universität. Sie lebte zusammen mit einer andern alten Jungfer, nämlich Miß Flitcroft; die beiden waren unzertrennlich. Miß Potter war eine stämmig gebaute Person von Gewicht, massig-schwerfällig und schweratmig; große Augen quollen ihr komisch aus einem Gesicht, in dem ständig ein unerschütterliches Lächeln zu lesen war. Miß Flitcroft dagegen war ein vogelhaftes Persönchen mit dünnen, feingliedrigen Händen und einem alters-welken, recht vornehmen Gesicht; sie trug ein Samtband um den dürren Hals. Sie war nicht nur Miß Potters Gesellschafterin, sie war auch gewissermaßen deren Krankenschwester; sie half der Leidenden und tröstete sie, wie es sonst niemand vermocht hätte.
Denn leidend war Miß Potter in der Tat, sogar schwer krank. Aber sie hatte eine wilde Liebe zum Leben und eine grauenhafte Angst vor dem Tod, – und dabei wußte sie, daß ihr Ende täglich eintreten könne. Die heftigen Schmerzen, die sie offensichtlich ausstand, wirkten so grotesk, daß Ten Eyck, obschon ihn das Mitleid mit der Leidenden schier zerriß, immer auch gleichzeitig vor Lachen hätte herausplatzen können. So kam es bei Tisch manchmal vor, daß, – von ihrem Stamm der Möchtegern-Dichter, Tondichter, Schauspieldichter, Romanschreiber, Kritiker, Maler und Literätchen umgeben, die guten Speisen, die sie in beträchtlichen Mengen auffahren ließ, mitgenießend, – Miß Potter plötzlich heftige Hustenanfälle bekam und fast erstickte; die Augen quollen ihr dann aus dem Kopf, sie sah Miß Flitcroft mit einem Ausdruck unsäglichen Entsetzens an und röchelte: »Ich sterbe, ich sterbe, sag' ich Dir, ich bin am Sterben.«
»Unsinn!« antwortete Miß Flitcroft herb, sprang auf und eilte hinter Miß Potters Stuhl. »Unsinn! sag' ich Dir! ... Dir ist nur ein Bissen in die falsche Gurgel geraten! Da!« Und damit versetzte sie Miß Potter einen Schlag auf den fleischig-feisten Nacken, der laut klatschte, denn an diesen großen Freitagnachmittagen trug Miß Potter üppige Samtgewänder, die große Teile ihrer fülligen Büste freiließen oder nicht ganz bedeckten. »Wenn Du nicht so schnell äßest, käme das nicht vor!« sagte Miß Flitcroft scharf, und ein zweiter Schlag klatschte auf den Nacken. »Nun hörst Du auf mit dem Unsinn! ...« Klatsch! »Es ist alles in Ordnung mit Dir, verstehst Du?!« Klatsch! »Bloß Angst hast Du, weiter nichts!« Klatsch! »Das kommt alles nur daher, daß Du immer zuviel auf einmal 'runterschlucken willst!« Klatsch! Klatsch!
Mittlerweile befand sich Miß Potter dann auf dem Weg zur Erholung, das Atemschöpfen und Schnaufen fiel ihr bereits leichter, und in ihre hervorquellenden, unablässig auf Miß Flitcroft gerichteten Augen kam ein Ausdruck der Flehentlichkeit, der wiederaufsteigenden Hoffnung, der Entschuldigung und der kläglichen Dankbarkeit.
Wenn eine dieser Katastrophen eintrat, war Ten Eyck stets schmerzlich verlegen. Er sprang bestürzt auf, stand halbgeduckt da und warf verzweifelte Blicke nach dem nächsten Ausgang, so daß es den Eindruck machte, als erwäge er die Möglichkeit ruhmloser Flucht. Alsdann wandte er sich den beiden alten Frauen zu; er starrte sie wie besessen an mit einer Miene, in der Angst, Teilnahme, Hilflosigkeit und Entsetzen zu lesen waren.
Trotz ihrer Krankheit hatte Miß Potter seit Jahren die Verbindung mit Professor Hatchers berühmtem Universitätskurs aufrechterhalten. Sie hatte einst selbst zwei oder drei Theaterstücke geschrieben, und das, was sie die Arbeit nannte, interessierte sie sehr. Infolgedessen fehlte sie bei keiner Aufführung auf der Probebühne; unter Professor Hatchers vorsichtig ausgewählten Gästen genoß sie eine Vorrangstellung, und sie betrachtete sich – sei es befugter oder selbsternannterweise – als eine Art Gesandtin für Hatchers »Arbeit« und als eine Art Bürgin, Gevatterin, Gönnerin oder Patin für Hatchers gesellschaftliches Leben.
Die groteske gute alte Dame war von dem Wahn besessen, der so viele talent- und verständnislose reiche Leute besitzt: sie glaubte an den vermeintlichen Zauber, der die Welt der Kunst und des Geistes angeblich verklärt. Miß Potter dachte, an ihren Freitagnachmittagen könne sie diese Welt bei sich versammeln, könne sie die Talente einander nahebringen. So lud sie denn nicht nur Professor Hatchers knospende Dramatiker ein, sondern auch einige ältere Repräsentanten der geistigen Fachschaften, als da sind Dichter, Maler, Komponisten, Philosophen, »Radikaldenkende« und außerdem Leute, die »Interessantes« auf andern Gebieten taten. Und sie war sicher, daß dieses wüste Gemisch von Elementen jedem wohltäte und einen »anregenden« Verkehr in die Wege leite.
Hier erschien denn aus der großen Bostoner und Cambridger »Kunstgemeinde« eine ganze Horde von Schwachen, Unfruchtbaren, Vergifteten und Unzulänglichen: – die dürren kleinen Geister mit gar keinem Talent und sehr großen Prätentionen: – die Leute, die mal im ›Atlantic Monthly‹ ein Aufsätzchen gedruckt gekriegt hatten, oder die ein »schmales Bändchen« schlechter Verse veröffentlicht hatten; die Komponisten, von denen einst eine langweilige akademische Sache ein einziges Mal von der Boston Symphonie zu Gehör gebracht worden war; die Romanschreiber, Schauspiel Verfasser und Kunstmaler, die keinen »Erfolg in der Öffentlichkeit« hatten, die deshalb über dergleichen Erfolg die Nase rümpften, ihn zu verachten behaupteten und dennoch ihre schäbigen kleinen Seelen für ihn verkauft hätten; die ganze elendige, vergiftete und verbitterte Bande derer, die irgend jemandes berühmten Kurs »genommen«, oder einen Sommer auf der MacDowell Colony zugebracht hatten, – – kurz, die wahren Kunstspießer, die wahren Feinde des Kunstwillens, die wahren Schänder und Besudler der Schöpfung, die Halblinge, die Kümmerlinge, die machtlosen Pfuscher in den Künsten, jene Leute, deren wurzellose, erdlose, sonnenlose Lebenstriebe unter einem umgestülpten Faß gediehen zu sein schienen, Leute, die das eingebildete Unrecht, das die Welt an ihnen beging, hegten und hätschelten, eine geschwollene Vorstellung ihres verkannten Werts herumtrugen und auf alle Arten zischend und fauchend und mit vergifteten Stacheln stechend ihren kleinlichen Haß an der Welt ausließen, Leute, die gern den verstohlenen Neidlingsstoß gegen Werk und Begabung von Männern führten, die ihnen weit überlegen waren.
Ten Eyck fand gewöhnlich bei Miß Potter mehrere andere Mitglieder von Professor Hatchers Kurs, meist solche, die dort regelmäßig erschienen. Diese anderen mochten aus den verschiedensten Gründen anwesend sein, – vielleicht langweilten sie sich und suchten dort Zerstreuung, vielleicht waren sie neugierig, vielleicht sogar fühlten sie sich bei solcherlei Veranstaltungen wohl, – der wunderliche, qualvoll-scheue, empfindliche Mensch Oswald Ten Eyck jedoch kam aus Verzweiflung und notgedrungen hierher. Was ihn trieb, war der Hunger eines Halbverhungerten, war die Gelegenheit, einmal in der Woche gut zu Nacht zu speisen.
Es war Ten Eyck anzumerken, daß ihn diese Gesellschaft anödete und verwirrte, daß er Sterbensqualen vor Scheu und peinlicher Selbstbefangenheit ausstand, – aber anwesend war er stets, und bei Tisch aß er gierig wie ein darbendes Tier. Hätte ihn ein Besucher von Miß Potters Partie genauer beobachtet, so würde er gefunden haben, daß Ten Eyck sich stets in die unauffälligste Ecke verdrückte, wo er, mit dem Rücken gegen die Wand lehnend, eine Teetasse in der Hand, sich mit den Umstehenden auf folgende Weise unterhielt: – er stieß in seiner eigentümlichen, herausblökenden Sprechweise ein paar Worte hervor, schwieg alsdann eine unheimliche Weile, biß sich die Fingernägel und fuhr sich durch den Haarwuschel, lachte von Zeit zu Zeit schrill, jäh und fast hysterisch auf, stieß wieder ein paar vulkanische Worte hervor und verfiel gleich abermals in sein verwirrtes Schweigen.
Es war wirklich unergötzlich, diesen äußerst nervösen und gepeinigten Menschen zu beobachten, denn er sagte und tat in seiner explosiven Art oftmals Dinge, wie sie eine solche Gesellschaft vor den Kopf stoßen konnten, Dinge, die ihn selber dann in das noch schwärzere Schweigen verzweifelter Niedergeschlagenheit trieben. Aber so groß auch seine qualhafte Empfindlichkeit war, anderer Leute Weh tat ihm immer weher als das eigne. Weit besser vermochte er es, über eine persönliche Kränkung, über eine Verletzung seines eignen, heißspornigen Stolzes hinwegzukommen, als mitanzusehen, wie anderen Leuten in dieser Weise zugesetzt wurde. Seine Seelenqualen wurden dann so heftig, daß er für seine Worte und Handlungen nicht mehr verantwortlich war; er war zu allem fähig bei solchen Gelegenheiten.
Und an solchen Gelegenheiten mangelte es nicht an Miß Potters Freitagnachmittagen. Selbst das diplomatische Korps, hätte es sich in holdseligster Eintracht und bei prächtigster Laune bei ihr versammelt, wäre hier nicht glimpflich davongekommen: die gute, groteske alte Frau hätte es mit ihrer fehllosen Witterung für unversöhnliche Gegensätze und unausgleichbare Mißverhalte binnen einer Stunde fertiggebracht, daß jeder von diesen Meistern der anmutvollen, weltläufig-kühlen Selbstbeherrschung zischend nach dem Blut eines anderen begehrt hätte. Bei der grauenhaften Auswahl von Gestrigkeitsgespenstern, schöngeistigen Bitterlingen, giftundgalligen Kann-nichts-Künstlern und rabiaten Weltverbesserern, die sie tatsächlich versammelte, hatte sie leichtes Spiel. Ihr Konfusionsgenius war absolut.
Wenn es in der Gemeinde zwei Leute gab, denen es von Geburt an und durch alle Umstände der Erziehung, des Glaubensbekenntnisses und der Gemütsart vorbestimmt war, einander auf den ersten Blick mörderisch zu hassen, dann ließ es Miß Potter sich angelegen sein, diese beiden sofort einander vorzustellen. Wäre Pater Davin, der leidenschaftliche Verteidiger des Glaubens, der geschworene Feind und unerbittliche Verfolger des Modernismus in allen Farben und Formen, eines Freitagnachmittags bei Miß Potter erschienen, dann hätte er unausweichlich sofort einer Dame die Hand geschüttelt, die sich dann herausgestellt hätte als die bekannte Miß Shankworth, die militante Propagandistin der »freien Liebe«, der Sterilisierung der Erbminderwertigen und der öffentlich zu fördernden Geburtenkontrolle für jedermann, besonders aber für die unteren Klassen.
Wäre der Herausgeber des ›Atlantic Monthly‹ dagewesen, dann hätte dieser Vertreter des Bostoner Kulturkonservativismus sich bei Tisch akkurat neben einem gewissen Sam Shulemowitsch befunden, der als Leitartikler eines marxistischen Blättchens, das »Roter Aufruhr« oder »Arbeiter, es tagt!« heißen mochte, sich öfters und mit Heftigkeit dahin geäußert hatte, daß es um so besser um die Welt stünde, je eher das ›Atlantic Monthly‹ ausgerottet würde und dessen Redaktionsstab samt Mitarbeitern und einigen Abonnenten einbalsamiert im Völkerkundemuseum zu sehen wäre.
Wäre ein radikaler Führer erschienen, schnurstracks aus dem Gefängnis, wo er wegen seiner Reden, seiner Flugblätter, seiner tätlichen Angriffe auf die Polizei und schutzbedürftige Mitglieder der Kapitalistenklasse gesessen hätte, dann hätte er sich unmittelbar über die Vorzüge des gegenwärtigen Systems und die schnelle Abschaffung des Schmarotzerreichtums gütlich verständigen können mit einer alleinstehenden altjüngferlichen Lady, die ein Haus an der Beacon Street und einen Landbesitz in Marblehead besaß, sich einen Papagei, zwei Persianerkätzchen, ein Pekineserhündchen, drei Dienstmädchen, einen Koch, einen Tafeldiener und einen Chauffeur hielt und einige tausend Aktienanteile der »Boston & Maine Railroad« ihr eigen nannte.
Reihauf, reihab, reihum, so und nicht anders ging's bei Miß Potter zu. Man konnte sicher sein, daß Löw und Lamm, falls sie nicht friedlich beieinanderzuliegen geruhten, von der Gastgeberin einander nahe genug gebracht wurden, so daß die sich ergebende Abschlachtung leichtlich, glatt und ohne Flausen geschah. Wenn das Gezisch und Geknirsch dann losging und Funkelaugen Hassesblitze verschossen, wenn Gesichter wutbleich wurden und Zornesadern an Schläfen schwollen, dann blickte sich Miß Potter mit triumphanter Miene um – – sie sah, daß ihr Werk gut war und dachte entzückt: »Siehe, wie fein und lieblich ist es, so viele Interessante einträchtig beieinander zu sehen! Oh, wie das anregt, wie das ihnen wohltun muß! Wie herrlich für sie, soviel unstrittig Gemeinsames aneinander zu entdecken! Wie köstlich sich diese glänzenden Geister aneinander reiben! Wie feurig sie ins Treffen gehen! Wie ihr geschliffener Witz blitzt! ... Oh, ganz großartig ... aber wer ist denn da noch gekommen? »Wer?« murmelte sie, scharf nach der Tür lugend, denn sie war sehr kurzsichtig. »Wer? Ah, Professor Lawes, Kustos der Abteilung Bildende Kunst ... soso ... – O Professor Lawes, freut mich sehr, daß Sie kommen konnten – wir haben einen sehr interessanten jungen Mann für Sie hier – hier: Mr. Wilder ... der das vielgenannte Bild ›Nackensturz einer Nackten in glitschigem Badezimmer‹ gemalt hat ... – hier: Mr. Wilder, das ist Doktor Lawes, Verfasser von ›Vernunft und Überlieferung in der Renaissance‹ ... – die Herren werden gewiß sehr viel Gemeinsames aneinander finden ...« – – – Und ihre Pflicht getan habend, ihr unentwegbares Lächeln im Gesicht, schob sie schwerschnaufend ab und sah sich mit ihren hervorquellenden, kurzsichtigen Augen um, ob sie ja nichts verabsäumt habe, ob es vielleicht nicht doch noch irgendwo und irgendwie Zwietracht und Hader, Verwirrung und Reiberei anzubahnen und zu stiften gebe.
Dennoch und trotzdem: – in ihr war auch eine Art Weisheit und Erkenntnis, wie sie wenige von ihren Gästen hinter ihr vermutet hätten. Vielleicht sah sie mit ihren alten Augen gerade das, was anderen entgehen mußte, vielleicht war es auch nur eine Art Instinktwissens, das zu ihrer warmherzigen Menschlichkeit gehörte, jedenfalls – dem schier zerbrechlichen Männlein mit den brennenden Augen begegnete sie liebenswürdiger als allen andern, und bei Tisch war es ausgerechnet immer dieser junge Dramenschöpfer, der zu ihrer Rechten saß. So konnte sie denn sagen: »Reichen Sie Mr. Ten Eyck das Roastbeef noch mal! O bitte, bedienen Sie sich doch, Mr. Ten Eyck! Sie haben ja kaum was gegessen!« Und der auf die Folter seines Stolzes gespannte, vom bittern Hunger gepeinigte Mensch lachte dann leicht protestierend auf und stammelte: »Ich weiß wirklich nicht ... ich glaube beinah ... Nun, wenn Sie durchaus darauf bestehen ... Oh, danke ...« Sein Teller, auf den sie mittlerweile selbst vorgelegt hatte, wurde ihm zurückgereicht, und er fiel über die mächtige Portion her wie ein ausgezehrter Wolf.
Als Ten Eyck an jenem schicksalschwangern Freitag bei Miß Potter eintraf, waren die Gäste bereits versammelt. Miß Thrall, ein Mitglied der Frauenabteilung von Professor Hatchers berühmtem Kurs, las ihre Übersetzung eines vor kurzem erst herausgekommenen deutschen Schauspiels. Miß Potters Empfangsräume – im Obergeschoß ihres Hauses gelegen, zwei Riesengiebelzimmer im einfach-herben Schmuck girlandenbogig herabhängender, großer Netze, die von Fischern aus Gloucester an der Massachusettsküste stammten – waren von ihrem kunterbunten Parlament erfüllt, und die Versammlung schwieg verständnisinnig, während die Studentin vorlas.
Es war ein Bild, das jedem Veteranen schöngeistiger Geselligkeit das Herz erwärmt hätte. Die Lichter waren weich, warm, traut und tonig-gedämpft; an der Decke wob ein geheimnishafter Glummerschummer, aus dem die Fischernetze herabhingen. Im Schimmerkreis der Lampen hatten sich in allen möglichen Haltungen geschmackvoller Andacht Gruppen geschart ... Einige junge Frauen, Gesicht und Oberkörper der Lesenden hingabewillig entgegenreckend, schmiegten sich träumerisch auf Sofas und Diwane. Schwungvoll gegen den großen Flügel gestützt, lässig gegen die Wände gelehnt, zum Teil noch Teetassen in der Hand haltend, waren im holden Halbdämmer weitere Andachtsgestalten im aufmerksamen Beieinander zu erkennen. Mr. Cram, der alte Tonkunstkämpe, hatte einen ausgesucht sichtbaren Platz auf dem üppigen Sofa des Haupterkers und wandte sein Raubvogelgesicht meditativ den subtilen Mysterien der Fischernetze zu; von Zeit zu Zeit fuhr er sich mit schmutziger Hand durch das spärliche, lange Graulockenhaar und tat dann einen tief-wollüstigen Zug aus der angefeuchteten Zigarette, die er peinlich-feinlich zwischen zwei schmutzigen Fingern hielt.
Einige von den jungen Männern lagen auch in gefälligen Haltungen am Boden, sorglos-anmutig hingestreckt, den Beinen der jungen Damen galant nahe. Ten Eyck trat ein, sah sich wie ein erschrecktes Karnickel um und setzte sich – wie ein Taschenmesser zusammenklappend – neben diese jungen Männer auf den Boden.
Neben dem alten Tondichter Cram auf dem Sofa, das Gesicht der Zuhörerschaft zugekehrt, saß Miß Thrall. Das Stück, aus dem sie las, war eines von den neuen deutschen Expressionistendramen, denn der deutsche Expressionismus galt damals als eine »der lebendigsten Bewegungen im Theater der Welt«. Die von der jungen Dame angefertigte Übersetzung des Spiels, das den kraftstrotzenden Titel »Freiheit ruft, wenn Du Deinem Vater die Gurgel durchschneidest!« trug, ging ungefähr so: –
Elektra auf Hochbühne vortretend einen Schritt, Gesicht geisterblau, Stimme leidenschaftsleisheiser, der dunklen Masse ihr zu Füßen entgegenredend: Höre, Mensch! An steht es mir, zu Dir zu reden! Weißt Du, wer ich, Sprechende, bin? (reißt, Brüste entblößend, die purpurrote Seidenrobe entzwei. Erstaunen maßlos durchbrodelt sichsteigernd Massemensch. Zunehmendes Gemurmel. Anhallender Donner, heftiger werdend.) Ich bin Elektra!
Die Menge einstimmig: E-lek-tra!
Elektra ruhig: Ja, gesagt hast Du's, Mensch. Elektra bin ich!
Die Menge brüllend: E-l-e-k-t-r-a!!!
Elektra mit Augen blutroter Herzwundnis in Liebe zu Masse Mensch entbrennend: Höre mich, Mensch! Hört, Sklaven und Arbeiter, hört Söhne von Vätern, noch Unerweckte, hört! Euch aus dem Nachtdunkel Eurer noch ungebornen Seelen zu lösen kam ich. So hört denn: (Ihre Stimme, blutquälenden Herzhasses voll, wird leiser, heiserer noch): Heut nacht müßt Ihr Euerem verbrechensverfinsterten, unkenntnisblinden Vater die Gurgel durchschneiden! Ich habe gesprochen, so muß es sein!
Stimme des Homunkulus aus der Menge herauf, flehentlich, aufbegehrend: Ach, Elektra, erlasse uns dies! Verschone uns bitte! Blutdurstig mit unheilverblendeten Augen dem alten Vater die Gurgel durchschneiden, gut ist das nicht!
Elektra erhobnen Arms, gebieterisch, unentwegt: Wie ich gesprochen habe, so muß es sein. Stille! (Zu Homunkulus, der abermals Einwand auszudrücken gewillt ist, mit noch lauterer, strengerer Stimme): Stille!! Stille!!
In diesem Augenblick ertönt ein scharfes »Pst!« von der Tür. Es war Miß Potter. Sie hatte, gerade beim Eintreten, Miß Thralls heischend erhobenen Arm wahrgenommen, und die gebieterische Kälte des Befehls »Stille!!!« aus Miß Thralls Munde hatte es ihr angetan. Miß Thrall hielt nun inne und blickte überrascht auf, während Miß Potter, noch laut »Pst«-machend, auf den Zehenspitzen gewichtig in den Raum hereinkam. Die alte Frau bewegte sich mit der Anmut eines wassersüchtigen Flußpferds. Ihr unerschütterliches Lächeln im Gesicht, lugte sie umher mit ihren hervorquellenden Augen. Sie hatte einen Schweigefinger auf die Lippen gelegt und zischte, mit ihrem »Pst« jene Stille heischend, die sie solcherweise doch selber gestört hatte.
Alle Welt stierte sie verdutzt an. Miß Thrall gaffte, sprachlos vor Staunen und Betretenheit, schrie aber plötzlich entsetzt auf, denn die blindlings auf Zehenspitzen dahinwandelnde Miß Potter war über den am Boden hingekauerten Oswald Ten Eyck gestolpert und stürzte nun, über ihn hinwegfallend, in die Knie mit einem Krach, der die Fischernetze in Schwingung versetzte, die Bilder an der Wand wackeln machte und sogar den sympathischen Widerhall des großen Flügelklaviers dröhnend erweckte.
Und nun – einen auf-ewig-unvergeßlichen Augenblick lang –, während alle Welt sie anstarrte, blieb Miß Potter auf den Knien, zu betäubt, sich zu bewegen oder auch nur zu atmen, das Gesicht mit den großen, weit hervorgequollenen Augen blindlings aufwärts gerichtet in einem Verhalten grotesker Andacht. Dann, als sie entsetzt nach Luft zu schnappen und zu keuchen begann, kam Ten Eyck zu sich. Er schnellte in die Höhe, sah sich um, wie eine gescheuchte Katze, erspähte eine Wasserkaraffe, war in zwei wilden Sätzen dort, ergriff die Karaffe mit zitternder Hand, goß Wasser in ein Glas und sehr viel daneben, kam zurück, das Glas krampfhaft in der Hand, stöhnte atemlos: »Hier! hier! ... nehmen Sie!« und, vor der apoplektischen Starrnis der Gestürzten auf einmal tödlich entsetzt, schüttete er ihr den Inhalt des Glases ins Gesicht.
Sechs junge Männer kamen nun zu Hilfe. Sie hoben Miß Potter auf. Die Vorlesung war vergessen, die ganze Versammlung redete laut und erregt durcheinander. Aus dem Gewirr hob sich die herbe Stimme der Miß Flitcroft, die der verstörten, tropfnassen Freundin den Rücken klopfte und mit Schärfe behauptete:
»Unsinn! Unsinn, sag' ich Dir! Du stirbst nicht! ... Du hast einfach vor Angst den Verstand verloren, weiter nichts ...! Wenn Du je vor Deine Füße gucktest statt in die Luft, kämen diese Dinge nie vor!«
Klatsch!
Als man zu Tisch ging, hatten sich Oswald und Miß Potter beide erholt. Wie gewöhnlich entdeckte Oswald, daß zur rechten Hand der Hausherrin für ihn gedeckt war. Das gab ihm ein Gefühl der Sicherheit; dazu kamen die ihn bis zum Verrücktwerden anregenden Speisedüfte, und dazu kam der berauschende Gedanke, nun seinen wütenden Hunger stillen zu können. Eine verzückte Freude erfüllte ihn. Ihm war, er müsse aufschreien oder singen vor Lust. Statt dessen blieb er schüchtern lächelnd neben seinem Stuhl stehen, fuhr sich ein paarmal durchs Haar, wartete, bis die anderen Gäste Platz genommen hatten, trat höflich hinter Miß Potters Stuhl und schob ihn ihr unter, als sie sich niedersetzte. Dann setzte auch er sich und zog seinen Stuhl an den Tisch. Nun wollte er sich unterhalten und diesen Leuten mal zeigen, was für ein glänzender Gesellschafter er wäre, geistreich, einsichtig, fein und lebensgewandt. Vor allem aber wollte er essen, essen und noch mal essen. Es war ihm glorreich leicht zumute mit einer süßen, taumelhaften Trunkenheit im Kopf – nie im Leben hatte er so ein erlesenes Selbstvertrauen in sich gespürt. In dieser Laune entfaltete er seine Serviette, der Glanz des Geistreichseins, schien ihm, läge schon auf den Lippen, und heiter lächelnd wandte er sich seinem Tischnachbarn zur Rechten zu, um diesen so anzustrahlen, daß es ihn blende. Ein Blick – und die Blüte des Lächelns war welk; Mutterwitz und Selbstvertrauen sackten tot zusammen; das Herz schrumpfte ihm; ihm war, es fiele von ihm ab wie ein fauler Apfel vom Ast. Miß Potter hatte nicht versagt; ihr unfehlbarer Unheilgenius hatte ihr auch dieses Letzte verraten. Ten Eyck hatte in gerade jenes Menschen Gesicht geblickt, das ihm in ganz Boston und Cambridge das verhaßteste war: – die widerliche Fresse dieses greisen Tonkunstkämpen Cram.
Ein altes, langes, vom Übelwollen angegilbtes Gesicht – ein schneller, fuchsig-glitziger Blick aus kleinen, mit dem Vitriol altersloser Gehässigkeit getränkten Augen – eine grausame Geiernase – ein harter Mund mit rostigen Giftflecken um die dünnen Lippen – und die ganze gerissene, schieflauernde Unausstehlichkeit dieser Züge, gerahmt von einem langen, kargen, dünnen, schmutzigen Gelock.
Der alte Tondichter lachte höhnisch-heiter auf, schob sich ein krustiges Stück Brot in den Mund und ließ sich vernehmen: »Heh-Heh!« Die Brotkruste knirschte zwischen den Zähnen. »Mister Ten Eyck, nicht? Der Mann, von dem der Professor neulich in seinem Gaukelladen das Stück da aufgeführt hat ... das mystische Phantasieding, mein' ich ... War doch von Ihnen, nicht?«
Das widerliche Gesicht kam näher. Der Mensch zischelte: »Die meisten Leute dort haßten es. Hielten es für sehr schlecht, Herr, sehr schlecht!« Die Brotkruste knirschte zwischen den Zähnen. »Ich sag Ihnen das nur, weil ich's für besser halte, daß Sie Bescheid wissen. Damit Sie die Nutzanwendung aus der Kritik ziehen können.«
Dem Oswald Ten Eyck war der Hunger vergangen. Er zuckte zurück. Erst war ihm gewesen, als träfe ihn eine vergiftete Stahlspitze; nun war ihm, als stochere ihm einer damit in der Wunde herum. »I-i-ich dachte, es hätte ein paar Leuten gefallen«, brachte er zögernd hervor. »Natürlich, bestimmt behaupten kann ich's nicht, aber ich glaube doch, es hat ein paar Leuten gefallen.«
»Bestimmt nicht«, raunzte der Tondichter. Die Brotkruste knirschte zwischen den Zähnen. »Jedermann, jedermann, hielt das Stück für entsetzlich! Heh-heh-heh! Nur meine Frau und ich –« Die Brotkruste knirschte zwischen den Zähnen, – »wir waren tatsächlich die einzigen, die was Gutes dran fanden. Wir dachten, es bestünde Hoffnung für Sie. Wir fanden hie und da etwas, ein paar Sätze, ein paar Dialogstellen, dann und wann mal eine Szene, die uns gefiel. Aber die andern ...« Er machte eine entsetzliche Gebärde, geballte Faust, herabstoßender Daumen – »... bei denen war's Daumen 'runter, mein Junge! Erledigt! Ab! Nichts wert! Und das ist, was sie von Ihnen hielten, mein Junge, und das ...« – er fauchte und warf einen bösen Blick auf die Versammlung – »... haben sie auch diese ganzen Jahre hindurch von mir gehalten. Von mir, dem größten Komponisten, den sie haben, dem Mann, der für die Sache der amerikanischen Musik mehr getan hat als die andern zusammengenommen. Von mir, mir, mir, dem Propheten und Seher!« Er gellte förmlich. »Daumen 'runter! Erledigt! Ab! Nichts wert!«
Er verstummte. Dann, mit einer Gebärde gräßlich-klebriger Vertraulichkeit, lehnte er sich an Ten Eyck und zischelte: »Und das, genau das ist's, was sie immer von Ihnen halten werden. Von jedem, der eine Spur Talent hat. Heh-heh-heh-heh!« Er blickte scharf in Ten Eycks weißes Gesicht, packte ihn am Arm und schüttelte ihn ein bißchen, ein weiches, bösartig-zärtliches Lachen lachend, so als könne er sich nun, von der Qual, die er seinem Opfer bereitet hatte, überzeugt, ein Quentchen väterlicher Zuneigung leisten. »Also, das haben die Leute zu Ihrem Stück gesagt. Aber machen Sie sich nichts draus! Nehmen Sie's nicht zu Herzen! Es heißt leben und lernen, nicht wahr, mein Junge? Und die Nutzanwendung aus der Kritik ziehn, verstehn Sie? Ein paar harte Püffe schaden da mal gar nichts ... heh-heh-heh-heh!«
Er wandte sich ab mit einer geierhaften Renk-und-Schiebe-Bewegung seines hautigen Halses, machte einen kurzen, scharfen Schmecklaut mit den dünnen Lippen, schlürfte einen Löffel Suppe mit sabberndem Geräusch.
Ten Eyck, krank vor Ekel, Scham und Entsetzen, war am Verzweifeln. Aller Hunger war ihm vergangen, etwas zu essen war ihm unmöglich, er spielte nervös mit seinem Besteck auf dem Teller und zwang ein bebendes, unsichres Lächeln auf seine Lippen. Er machte, um sich zu sammeln, den verzweifelten Versuch, seine Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, was ihn ablenken könne. Ihm gegenüber saß der Ehrengast des Tages, ein Mann namens Hunt. Ten Eyck versuchte, seine Verwirrung zu verwinden, indem er darauf achtgab, was Hunt sprach.
Hunt war weitbekannt für seinen streitbaren Pazifismus. Während des Krieges war er mehrere Male von der Polizei verknüttelt und eingesperrt worden. Er hätte kaum aufzählen können, wie oft er im Gefängnis gesessen hatte. Nun, zeitweise auf freiem Fuß, führte er heftiger denn je seinen Kampf gegen die bestehende Gesellschaftsordnung. Hunt war ein Mann von unzweifelhaftem moralischem Mut und von aufrichtiger und tiefer Überzeugtheit für seine Sache, aber er war ein vom Erlittenen Gezeichneter. Die brutale Unduldsamkeit, der er ausgesetzt gewesen war, hatte ihn entstellt und verstümmelt. Sein Gesicht wirkte irgendwie wie eine Narbe. Sein Mund war ein Schnitt, ein grausam verzogner Schlangenrachen, wenn er sprach. Und zu wem auch immer er sprach, in seiner Stimme waren Härte und Hohn, waren brutale Herrschsucht und rücksichtslose Unduldsamkeit, – sprach er aber zu jemanden, der seine Meinungen nicht teilte, dann war er besonders so.
Bei dieser Gelegenheit hatte Miß Potter mit ihrem unfehlbaren Talent für die Irrungen neben Hunt einen jungen, belgischen Universitätsstudenten gesetzt, einen Menschen, der sehr wenig Englisch sprach und der der römisch-katholischen Kirche mit tiefster Ergebenheit anhing. Es dauerte keine fünf Minuten, und die beiden waren in bittere Strittigkeiten verstrickt, der junge Belgier zwar höflich, aber verzweifelt entschlossen, seinen Glauben zu verteidigen, und dabei, schon seiner unzulänglichen Sprachkenntnis wegen, hilflos wie ein Lamm gegenüber den Ansprüngen Hunts, der mit der reißenden und erbarmungslosen Wildheit eines Tigers über ihn herfiel. Es war peinlich mit anzusehen, wie der verbindlich-liebenswürdige junge Mensch, errötend, verlegen und schwer verletzt, sich mit ruhiger Stimme gegen die nackte Rohheit Hunts zu wehren versuchte.
Ten Eyck hörte zu. Sein Geist richtete sich auf und verwand den Ekel und die Scham, die ihn schier erdrückt hatten. Ein heller, heißer Funke in ihm erglomm und ward gefacht; er fing Feuer. Seine großen dunklen Augen glänzten tiefer und glühender als zuvor; ein Anflug von Hitze trat auf seine blassen Wangen. Und nun brauchte er sich nicht mehr zu zwingen, um zu hören, was Hunt sprach: er war entbrannt und gespannt, die Ohren schienen sich ihm von selber zu spitzen, er lauschte, und ihm entging nichts. Manchmal stieß er mit der Gabel heftig ins Tischtuch, und ein- oder zweimal machte er den Versuch, Hunt ins Wort zu fallen. Er räusperte sich, lehnte sich nach vorn, krallte sich am Tischrand fest – aber jedesmal endete es damit, daß er sich durch den Haarwuschel fuhr und ein Glas Wein hinunterstürzte.
Hunt redete. Die harsche, anmaßende Stimme wurde so laut, daß die ganze Gesellschaft jegliche andre Unterhaltung aufgeben und Hunt zuhören mußte, und gerade das war es, was Hunt wollte. Da war kein Vorteil, den Hunt nicht ausnutzte, mochte es auch noch so unanständig sein. Er sprach höhnisch von der alten, verderbten Kirche, sprach von feisten Pfaffen, die sich am Blut der Arbeiter mästen, sprach von Frömmelei und Herrschsucht, sprach vom Aberglauben der Religion, sprach schließlich davon, daß die Arbeiterschaft dieses gierig-gefräßige Ungeheuer vernichten müsse. Und sobald der junge Belgier in seinem stockenden und mangelhaften Englisch auf irgendeine Behauptung entgegnen wollte, warf ihm Hunt Knüppel in den Weg. Um ihn nicht hochkommen zu lassen, tat er einfach so, als verstünde er die schwerfällige Aussprache des andern nicht.
»Sie sagen was? Was? ... Ich versteh' die halbe Zeit nicht, wovon Sie reden ... Wirklich schwer, sich mit jemandem zu unterhalten, der kaum Englisch kann.«
»Isch sagge ...« – der junge Belgier, peinlich errötend, erklärte leise und bemüht –, »... isch sagge, dasse – Sie übre – treij – benn.«
»Daß ich – was? ... Was?« fragte Hunt ruppig. »Was er nur meint?« Hunt sah sich achselzuckend um, als hoffe er, von einem der andern Gäste aufgeklärt zu werden. »Ahh!« rief er plötzlich, als wäre ihm soeben die Erleuchtung gekommen. » Übertreiben! Das also! Sie sagen, ich übertreibe!« Er lachte häßlich auf.
Oswald Ten Eyck hatte längst aufgegeben, sich mit Essen zu beschäftigen. Er war schlohweiß geworden, starrte, von Mitgefühl gefoltert, den jungen Belgier an, biß sich nervös die Fingernägel, raufte sich verstört das Haar. Zuerst hatte er Groll und Ärger verspürt, nun brannte in ihm die Weißglut einer erstickenden, mörderischen Wut. Er war vollkommen außer sich. Plötzlich erwachte in ihm wieder das Bewußtsein seiner persönlichen Kränkung, der Demütigung und Qual, die er selber erduldet hatte, und dieses aufbegehrende Sich-Erinnern schmolz sofort zusammen mit der grollenden Weißglut seiner Empörung über alles Unrecht und alles Leid, das je an wunden Menschenseelen getan ward. Und durch solche höchste Seelenqual geeint mit dem jungen Belgier, geeint und eins mit allen Beleidigten und zu Unrecht Verletzten auf Erden, welchen Glaubens und welcher Klasse sie auch sein mochten, spürte Ten Eyck, wie ein rasender Zorn in ihm hochschoß und sich entlud.
Es vollzog sich blitzartig. Hunt war gerade mit einer Hohntirade zu Ende gekommen, als Ten Eyck hochschnellte und, halb über den Tisch gebeugt, mit schneidender Schärfe in seiner hohen schrillen Stimme losgellte:
»Hunt, Sie sind ein Schwein! Und jeder, der je mit Ihnen was gemein hatte, ist ein Schwein!«
Einen Augenblick dann, schweratmend, die Serviette mit krampfiger Hand zerknüllend, sah Ten Eyck sich um. Sein fiebriges Auge fiel auf den alten Tondichter Cram, der ihn mit einem bösen Seitenblick maß. Ten Eyck schmiß die Serviette hin, und mit zitternder Hand auf die verhaßte Fresse deutend schrie er:
»Und Sie sind auch eins, Sie alter Bastard! ... Oh, Sie alle!« zeterte er und fuchtelte wild mit den Armen. »Hunt! ... Cram! ... Cram!! ... Ha-ha-haha!« Er schüttelte sich vor Lachen. »Guter Gott, einen Namen wenigstens gibt's für so was! Einen vollausreichenden Namen! .. Ja, Cram, Sie Schwein!« gellte er wieder und stieß so heftig mit dem Finger nach dem giftgelben Gesicht, daß Cram mit einem kleinen Kläfflaut erschreckt zurückfuhr. »Und Sie alle ...« Ten Eyck deutete auf Miß Thrall. »Sie auch mit Ihrem Expressionismus!« Er hielt jäh inne, und ein lautloses Lachen schüttelte ihn so furchtbar, daß er sich wand. »Die Griechen – die Russen – hah! – wie wir in Spanien lieben! – und Phantasie – – ei, Gott verdamm' meine Seele zur Hölle, ist das köstlich!« krächzte er.
Plötzlich dann deutete er mit zitterndem Finger ganz schnell auf mehrere Personen nacheinander und gellte: »Sie? – und Sie? – und Sie? – Ah, was zum Teufel verstehn Sie denn von irgendwas? ... Ibsen – – ... Tschechow – ... Drama der jung-irischen Wiedergeburt ... Geseich!!« knirschte er. »– Der Fraß! Der Fraß! Der Fraß! Sie gottverdammte Narren, der Fraß ist's, worauf alles ankommt!« Er riß von dem Brot, das unberührt neben seinem Teller lag, einen Fetzen ab und schmiß ihn auf den Tisch. »Der Fraß! Der Fraß! ... Fragen Sie Cram! ... Der weiß Bescheid.« Er hielt inne. »Und jetzt ...« er keuchte, schnappte nach Luft, deutete auf Miß Potter. »... jetzt möchte ich Ihnen was sagen ...«
»Oh ... aber Mr. Ten Eyck! ...« brachte die alte Frau vorwurfsvoll hervor. »... Ich hätte ... ich hätte es nie für möglich gehalten, daß Sie ...« Ihre Stimme versagte. Sie sah ihn an. Verletzt. Sie konnte es nicht glauben.
Und dieser Blick, vorwurfsvoll, verletzt, nicht glauben könnend, dieser Blick aus den hervorquellenden Augen des guten alten Geschöpfs brachte Ten Eyck jählings zur Besinnung. Schrill und hysterisch auflachend, fuhr er sich mit beiden Händen durchs Haar, sah sich um, den Leuten, die ihn hell entsetzt anstarrten, ins Gesicht, und sagte in einem Ton geistesverwirrter Ungewißheit: »Also ich weiß nicht ... ich bin immer ein bißchen ... Ich habe wohl etwas gesagt, das ... Na, verdammt, was für einen Sinn haben Erklärungen?« Mit einem verzweifelten wehen Lachen ließ er sich plötzlich auf seinen Stuhl fallen, sackte zusammen, riß sich halb hoch, griff nach der Weinkaraffe, schenkte sich hastig-zitternd ein und trank das Glas auf einen Zug aus.
Mittlerweile begannen alle Leute am Tisch, sich schnell und mit jener Fieberhaftigkeit zu unterhalten, mit der man gesellig-betulich über solche Katastrophen hinweggeht. Hunt nahm sein Argument wieder auf, diesmal in ruhigerem Ton, höflich-höhnisch und mit wuchtigem, auf Ten Eyck zielendem Spott. –: »Wenn ich mir so zu sagen erlauben darf, nachdem Mr. Ten Eyck mich für ein Schwein hält ...« oder –: »Wenn Sie einem Schwein wie mir diese Meinung verzeihen wollen ...« oder –: »Da Sie ja Mr. Ten Eyck aufgeklärt hat, daß Sie es mit einem Schwein zu tun haben ...« und so weiter.
Die Folge hiervon war, daß Ten Eyck Glas auf Glas von dem starken Wein hinunterstürzte. Die verheerende Wirkung auf den hungerzerrütteten, ohnehin äußerst zarten Körper des Männleins blieb nicht aus. Er war binnen kurzem ungebührlich betrunken, sang Fetzen aus leichtfertigen Liedern vor sich hin, lachte dusselig und benebelt auf, fing dann an, begeistert mit den Fäusten auf den Tisch zu trommeln, den Kopf zu schütteln und von Zeit zu Zeit laut zu rufen:
»Recht haben Sie, Hunt! ... Gott verdamm' es, Sie haben recht, Mann! ... Immer nur los! Sie haben ja recht! Ich bin ganz Ihrer Meinung! ... Alle Welt ist im Unrecht, nur Hunt und Cram nicht! ... Text von Hunt, Musik von Cram! ... Niemand hat recht außer Hunt und Cram!«
Man bemühte sich, ihn zum Schweigen, zur Vernunft zu bringen. Vergebens. Plötzlich hatte Miß Potter ihren Anfall. Sie fing an zu keuchen, zu würgen, nach Luft zu ringen. Sie preßte beide Hände aufs Herz und stöhnte qualvoll auf:
»O mein Gott! Ich sterbe!«
Miß Flitcroft sprang auf und eilte der Freundin zu Hilfe, und dann, während Miß Flitcroft die alte Frau auf den Rücken klopfte, die Gäste aufstanden, die Gesellschaft sich auflöste, taumelte Ten Eyck zum Fenster, riß es auf, blickte auf den winteröden, weißen Cambridger Platz hinunter und schrie mit aller Schrille hinaus.
»Unerbittlich! ... Unerbittlich! ... Schöh swiss öng artiste ...« Er schlug sich auf die schmale Brust mit der klauenhaften Hand und gellte betrunken lachend: »Und Gott verdamm' es, immer werd' ich unerbittlich sein! ... Unerbittlich! Unerbittlich!«
Die kalte Luft traf ihn wie ein Schlag. Er zuckte zusammen, in einem Nu war der Nebel aus Scham und Betrunkenheit in seinem Hirn zerrissen, er spürte mit Klarheit ein kaltes, leeres Entsetzen in seinem Rücken, er riß sich jählings herum und fand sich von einem Halbkreis frostiger Mienen umgeben. Aller Augen waren auf ihn geheftet. Und nun, in dieser augenblicklich-inständigen Bewußtwerdung, in der ihm Einsicht und Erkenntnis, daß dies eine endgültige Katastrophe für ihn sei, daß er sich hier alles verdorben habe, schlagartig kamen – nun sah er sogar auch über dem Halbkreis der frostigen Gesichter das Zifferblatt einer Uhr. Es war sieben Uhr zweiundfünfzig. Er wußte, um Mitternacht ginge ein Zug nach Neuyork. Und Arbeit und Essen, Freiheit und Vergessen gäbe es dort. Er hatte somit vier Stunden, um heimzugehn und zu packen. Wenn er sich eilte, konnte er es schaffen.
Man hörte nachher wenig von ihm. Es wurde gemunkelt, er habe seine frühere, einträgliche Stellung bei Mr. Hearst wiederbekommen. Professor Hatcher lächelte dünn, als man ihm diese Neuigkeit erzählte. Die jungen Männer sahen einander ruhig lächelnd an.
Aber ganz vergessen konnten sie ihn doch nicht; gelegentlich kam mal die Rede auf ihn.
»Sonderbarer Fall, nicht wahr?« meinte der Jüngling aus Philadelphia. »Wissen Sie noch, wie er aussah? Wie ... na, man kann nicht anders sagen ... wie ein mittelalterlicher Asket. Ich dachte, er hätte es in sich. Ich dachte, er würde es schaffen ... Wissen Sie, das habe ich wirklich geglaubt! Und dann, o Himmel, dieses letzte Stück!«
Er schnickte seine Zigarette mit einer endgültig entlassenden Gebärde weg und verkündete ruhig sein abschlüssiges Urteil. »Sonderbarer Fall: Ein Mensch, der aussah, als hätte er das große Es, und dann stellte sich heraus, was er war: – lauter Bauch – und kein Hirn.«
Die jungen Männer schwiegen und rauchten. Schließlich sagte einer gedankenvoll:
»Mich wundert, was es war! Was ihm zugestoßen ist? Was? Da ist doch wohl was geschehn? Mich wundert was.«
Es war niemand da, der die Antwort hierauf wußte. Der einzige Mensch auf Erden, der – vielleicht – hier hätte antworten können, wäre diese merkwürdige alte Jungfer namens Potter gewesen. Denn, obschon blind in den mannigfachen Dingen, in denen sich die jungen Männer auskannten, hatte diese gute, groteske Konfusionskaiserin dennoch eine Art Weisheit besessen, die keiner von ihnen bei ihr vermutete. Aber Miß Potter, falls sie es vermocht hätte, konnte es nun nicht mehr sagen. Sie war im selben Frühjahr gestorben.
Später schien es Eugen immer, ein kaltes, winterlich-ödes Licht – der rote Nachglast der untergegangenen Sonne an jenem Freitagnachmittag im März – läge ewig auf dem Leben jener Leute. Sooft er an sie dachte, sich ihrer Leben, ihrer Gesichter, ihrer Worte erinnerte, sich alles, was er von ihnen wußte, vorstellte, dann erstand ein Wahrbild in ihm, ein Wahrbild der Hoffnungslosigkeit und Freudlosigkeit, zu dem das verwünschte, winterlich-öde Licht ganz genau paßte. Das Wahrbild, zu dem ihm das ganze Erlebnis zusammenfloß, war dieses:
Er sah sich im rußig-schmutzigen Winterschnee vor Miß Potters Hause stehen, gerade im Begriff, sich von ein paar Gästen ihrer Freitagnachmittage zu verabschieden. Und dieser letzte rote Nachglast des Tags lag auf diesen Leuten, haftete auf ihren Gesichtern und machte sie ihm verhaßt. Trotzdem aber sprach er mit diesen Menschen, er suchte in ihren Gesichtern und redete leidenschaftlich verzweifelt auf sie ein, um zu sehen, ob da nicht irgendeine Wärme oder Liebe oder Freude oder Hoffnung zu finden wäre, ob da nicht etwas wäre, das ihm sagen könne oder sagen würde, sein krankes Herz und sein bleiernes Gemüt würden wieder erweckt werden und erstarken, und Liebe, Leben und Arbeit warteten wieder auf ihn, und der April käme wieder.
Aber in diesen kalten, gehässigen Gesichtern fand er nichts wie das Licht der inneren Ödnis, die tödlich-verderbte Freude, die am eignen Gestorbensein Gefallen fand, die ohne die Seelenqualen, die er litt, die vergifteten Dünste der eignen, verwesenden Welt zu atmen vermochte. In diesen kalten, gehässigen Gesichtern, in diesem winterlichöden Licht, das sie beschien, da war keinerlei Hoffnung für ihn und sein Leben, keinerlei Hoffnung für das Leben lebendiger Menschen zu finden. Er las in diesen fahlen Gesichtern, in diesen wurzellosen, ungesunden Leben, die für ihn immer das bresthaft-kranke Gelb von Trieben hatten, die ohne Licht unter Fässern oder in Kellern geschoßt sind, und was er da las, war statt der gesuchten Hoffnung ein gewisser, kaltböswilliger Triumph über ihn. Ein heimtückisches, füchsiges Aufblitzen in diesen blassen Augen sagte ihm, daß diese Leute um seine Verzweiflung wußten, daß sie den Grund seiner Verzweiflung kannten und daß sie sich bitter darüber freuten. Und dann sagten ihm diese Mienen, für ihn und seinesgleichen gäbe es keine Hoffnung, kein Werk, keine Freude, keinen Triumph und keine Liebe, – für ihn und für alle Lebendigen auf der Welt gäbe es nur Niederlage, Verzweiflung, Fehlschlag und Versagen, – sie, diese widerlichen Gesellen, hätten das Leben ja längst erwürgt und gemeuchelt und ein Rattendasein in Kehrichtgassen, einen immerwährenden Tod-im-Leben daraus gemacht.
Und dennoch fuhr er dann fort, in diesen verhaßten Gesichtern nach einem einzigen Hoffnungsstrahl zu forschen. Er glaubte dann, in seinem Alleinsein zu ertrinken, und gegen seinen Willen rang ihm die Verzweiflung Worte von den Lippen, eindringlich flehende, inständig bittende, erbärmliche Worte, die Mitgefühl, ein Bettlerbißchen an ermunterndem Zuspruch, ja, nur ein wenig Güte in der Beurteilung seines Lebens begehrten.
»Aber meine Arbeit, diese letzte Arbeit von mir, meine ich, glauben Sie denn nicht, schien es Ihnen denn nicht, daß da irgend etwas Gutes dran war, – nicht viel vielleicht, aber möglicherweise doch genug, daß wenigstens eine Hoffnung für mich besteht? ... Glauben Sie nicht, daß ich, wenn ich weiterarbeite, doch eines Tages etwas Gutes schaffen kann, – um Gottes willen, sagen Sie mir das doch! – oder muß ich hier in diesem öden, verwünschten Freitagnachmittagslicht sterben, in diesem giftigen, leblosen Brodem ersticken, wurzellos, lichtlos unterm Faß verrotten, wie ein Tollwutshund in der Wildnis heulend verrecken, mit dem verdammten, kalten, gehässigen Hohnlächeln ihrer unfruchtbaren Leben auf meinem Dasein?
Sagen Sie mir, in Gottes Namen, Mensch, sagen Sie mir doch, gibt es denn für Menschen wie mich kein Leben auf Erden? Ist die Welt für Ihresgleichen gemacht? Sind denn Freude, Hoffnung, Gesundheit, Sinnenliebe, Wärme und Zärtlichkeit alle gestorben – – sind denn die Lebendigen verworfen, und sind Wahrheit, Werk und Weisheit alle dem Rattendasein in der Kehrichtgasse einheimgefallen und gehören nun den Lebend-Toten Ihrer Art? – – Um Gottes willen, so sagen Sie mir doch, ob es keinerlei Hoffnung für mich gibt! Sagen Sie das Schlimmste, aufrichtig bitte ich Sie, sagen Sie das Schlimmste! Gibt es nichts für mich als Griesgram, Herzkränke und bleiernes Gemüt? Gibt es nichts als Freitagnachmittage im März, Miß Potters gesellige Veranstaltungen und ihre vergifteten, kalten, unfruchtbaren, lebenshassenden Gesichter? Um Gottes willen, sagen Sie mir es auf der Stelle, ob ich zu nichts tauge, ob ich verworfen bin, während Sie, die Lebend-Toten, die wahren Menschen sind – – ob ich mir nicht besser die Gurgel durchschneide oder eine Kugel ins Herz jage, anstatt länger in Ihrer wahren Welt zu weilen, wo die Freude tot ist und nur die fruchtlosen Leben der Lebend-Toten gedeihen? In Gottes Namen, sagen Sie es mir auf der Stelle, ob dies stimmt – – oder aber, finden Sie, daß eine Hoffnung für mich besteht?«
»Ah«, pflegte alsdann der Komponist Cram zu erwidern, und das winterlich-öde Licht fiel hoffnungslos auf sein giftiges, altes Gesicht, während er seinen schmutzigen Schal zurechtzupfte. »Ah«, raspelte er bitter und seine Augen linsten scharf unter den dünnen, schmutzigen Graulocken, »– meine Frau und ich haben ein paar Sachen in dem Spiel von Ihnen, das Professor Hatcher in seiner Schauspielwerkstatt aufgeführt hat, ganz annehmbar gefunden ... Eine oder zwei von den Reden in dem Stück haben uns gefallen, aber ...« – sein Auge glitzte bös, als er sich anschickte, mit dem Dolch zuzustoßen. – »... niemand sonst hat unsre Meinung geteilt. Niemand sonst hielt überhaupt etwas von der Sache«, gackerte er hohnvoll. »Rund um uns herum hörte ich, wie die Leute sagten, sie haßten es, wie sie behaupteten, Sie hätten kein Talent, könnten überhaupt nicht schreiben, und Ihnen wäre besser, hinzugehn, wo Sie hergekommen wären, Sie sollten etwas anderes im Leben versuchen, oder aber Selbstmord begehen ... Ja, ja, so war das, mein Junge ... Für Leute wie Sie gibt's nichts außer Elend und Niederlagen und Verzweiflung im Leben ... Mein Los ist es ja auch gewesen«, gackerte er rachsüchtig und rieb sich vergnügt die Hände. »Was ich auch schaffe, sie haben es immer gehaßt ... und wenn ich je was Gutes leistete, dann mußte ich froh sein, wenn sich zwei Leute fanden, denen es gefiel. Die übrigen haßten es«, zischelte er wild. »Da gibt's also wirklich keinerlei Hoffnung für Sie, – und deshalb heißt Ihre Parole: Stirb, stirb, stirb!« Er kicherte böswillig triumphierend und rieb sich vergnügt die dürren Hände.
»Meeker! Um Gottes willen! Denken Sie genauso? Sagen Sie, ist das auch Ihre Meinung? Finden Sie nichts Gutes an meiner Arbeit?«
Und Meeker, der Geistliche, der lässig dabeigestanden und die Falten des blauen Seidenschals um seinen verdammt feinen Hals andächtig in Ordnung gebracht hatte, zog nun erst noch einmal sehnsüchtig an einer seiner teuren Strohmundstückzigaretten und antwortete dann in seiner sanften Theologenstimme: »Sie sehn ja, alter Knabe, wie die Dinge stehn. Sie haben natürlich einen Haufen Befähigung, das glaube ich schon ...«, er hielt inne und sog nachdenklich an seiner Zigarette. »... aber sagen Sie mal, glauben Sie selbst nicht oft, daß Ihre Anlagen mehr aufs Kritische hinzeigen als aufs Schöpferische? Bei dem Jim hier zum Beispiel liegen die Dinge anders ...« – er legte die Hand freundschaftlich auf die schmale Schulter des Poeten Jim Hogan –, »sehen Sie, der Jim hier hat den großen Genius, so wie Shelley ihn hatte, und große Geschenke liegen in ihm bereit für die Welt.« Hier senkte der Schwächling Hogan das Haupt mit einem geziert-bescheidenen Lächeln, aber für einen Nu hatte die füchsisch-triumphierende Schadenfreude in seinen doofen blassen Augen geglitzt. Meeker fuhr fort: »Nun sehn Sie, alter Junge, in dieser Beziehung haben Sie eben nichts zu geben. Warum also versuchen Sie nicht, das Beste aus dem zu machen, das Ihnen gegeben ist?« Meeker führte die Zigarette nachdenklich zum Mund. Er hatte mit hassenswerter, weltmännisch gewandter Teilnahme seinen Rat erteilt. Das war genug.
»Hogan!« schrie nun die heisere Stimme. »Ist das auch Ihre Antwort? Können Sie mir keine Hoffnung machen? ... Aber nein, Sie verdammter weinerlicher Stümper, Sie stehen ja da und weiden sich an Ihrem säuischen, kleinen Triumph, was? Von so einem wie Sie hab' ich nichts zu erwarten, was?«
»Kommen Sie, Jim«, mahnte Meeker ruhig. »Er fängt an zu schimpfen ... Die Art, wie Sie da loslegen, ist einfach dumm«, sagte er zu Eugen. »Damit erreichen Sie nichts.«
»Und so ruppig – so ruppig«, meinte Hogan, nervös feixend. »Es bedeutet nichts.«
Und dann pflegten die verhaßten Gestalten der drei Lebend-Toten schnell und untereinander kichernd davonzugehen, und Eugen sah sich selber, wie er sich umwandte, bedrängt von diesem Tod-im-Leben, von diesem Ende der Freude, wiederum, wiederum, und durch die winterlichen, fruchtlosen und verfluchten Freitagabendstraßen streichen.