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Ein kleines Abteil, durch eine eingezogene Wand aus dünnen, gefirnißten Brettern und Mattglasscheiben getrennt von dem größeren, nach der Straßenseite gelegenen Büroraum, von dem es eigentlich ein schmaler Streifen war, – eine Arbeitskabine also, das war, was Bascom Pentland sein eignes »Office« nannte, der Raum, in dem er seine Schreibereien erledigte und seine Klienten empfing. Außer ein paar Stühlen standen da ein alter, schadhafter Schreibtisch mit einem Swivel-Chair, ein sehr kleiner, verbeulter Stahlschrank, unter Stößen von vergilbten Zeitungen fast begraben, und ein schmales Bücherschränkchen mit Glastüren, auf dessen zwei Brettern sich ein paar abgenutzte Bücher befanden. Eine Besichtigung dieser Handbibliothek hätte folgendes Ergebnis gezeitigt: – zunächst vier oder fünf stark abgegriffne, schmökrig-riechende juristische Nachschlagewerke, üppig in Kalbsleder gebunden, darunter eines über Kontrakte, eines über Immobilien und eines über Besitztitel; dann in zweibändiger Ausgabe die Gedichte von Matthew Arnold, ziemlich zerlesen und mit vielen Eselsohren; Carlyles ›Sartor Resartus‹, gleichfalls stark benutzt; eine einbändige Ausgabe der Essays von Ralph Waldo Emerson; die ›Ilias‹ auf Griechisch mit winzigen Randnotizen in verblichner Tinte; ein mehrere Jahre alter Band vom World Almanac; und schließlich die Bibel, ein stark abgenutzter Band, sehr zerlesen und voll von Randnotizen in Bascoms winziger, peinlich sauberer und gewissenhaft klarer Handschrift.
Die Außenwand von Bascoms »Office« war kaum breiter als das schmutzige Fenster. Ihr gegenüber lag die Tür, die unmittelbar in den nach der Hofseite gelegenen Büroraum führte; diesen Raum also mußte Bascom durchschreiten, um in sein eignes Gehäus zu gelangen. Wenn er sich, was ja vorkam, verspätet hatte, dann waren seine Mitarbeiter bereits zur Stelle. Da war zunächst die Sekretärin, Miss Muriel Brill, die älteste Tochter von Mr. John T. Brill, die dann auf ihrem Stuhl vor dem Schreibmaschinentisch saß und sich, die schweren Beine übereinandergelegt, gerade die Metallhafteln an den dicken Galoschen aufschnappte. Nun ist es nur allzu wahr, daß Miss Brill diese Galoschen nur im Winter trug, daß es Jahreszeiten gibt, in denen sie sie nicht trug, und daß das Galoschenausziehen sie nicht stundenlang beschäftigte, aber – unser Gedächtnis pflegt Leute in Gebärden begriffen festzuhalten, und zwar in Gebärden, die für sie meist aus unerforschlichen Gründen charakteristisch sind, und so hätte ein häufiger Besucher dieses Office sich Miss Brill nicht anders vorzustellen vermocht, als daß sie sich die Galoschen auszieht. Als vermutliche Begründung hierfür mag gelten, daß uns gewisse Menschen zu gewissen Jahreszeiten untrünnig zu gehören scheinen, und daß in diesem Sinne Miss Brill ein Wintermensch war; gemeint jedoch ist hier nicht der Winter der großen Blizzards, der heulenden Winde und der taumelnden Schneestürze, nein, – gemeint ist der dumpfe, stumpfe, graue, grimme, rohe, dicke, unerbittliche Winter, eine unendliche Folge von grauen Tagen in grauer Eintönigkeit. An diesem Mädchen war kein Hauch von Farbe, ihr Körper war dick und schwer, ihr Gesicht war weiß, dumpf und plumpzügig, und anstatt nach unten schmaler zu werden, verschmälerte es sich nach oben. Was sie an Worten vorbrachte, schien aus einem Automaten zu kommen, man erinnerte sich an ihre Sätze nur, weil sie ein Äußerstes an Belanglosigkeit und Doofheit darstellten. So pflegte sie, wenn man hereinkam, zu sagen: »Hallo ... Sie sind aber fremd geworden hier ... Muß doch eine ganze Zeit her sein, seit Sie zum letztenmal hier waren, nicht? ... Grad neulich ist's mir eingefallen, daß Sie sich hier gar nicht mehr blicken lassen ... ich dachte schon, Sie hätten uns vergessen ... Nun, und wie ist's Ihnen in der Zwischenzeit ergangen? Sehen noch so gut aus wie immer, scheint mir ... Mir? Nun, ich kann nicht klagen ... Ob ich zu tun habe? ... Nun ja, ich muß sagen, daß ich mich dranhalte ...«
Dies also war Miss Brill – und derweil sie ihre Galoschen auszog, war wohl auch bereits Mr. Samuel Friedmann erschienen, der sich heftig die kleinen trockenen Hände rieb, um deren Durchblutung zu fördern. Er war klein, jüngeren Jahrgangs, ein blasser, etwas mägerlicher Jude mit einem scharfen Frettchengesicht. Auch er gehörte zum »Füllsel«, zu jenen schwärmenden Menschenmassen, die Straßen und Untergrundbahnen bevölkern; das wahrnehmende Bewußtsein ist außerstande, sich Einzelheiten und Eigenheiten solcher Leute zu merken, aber gerade Leute solcher Art sind's, die die Erde überlaufen und das Leben der Welt eigentlich ausmachen. Mr. Friedmann hatte nichts von der Üppigkeit, Farbigkeit und Humorigkeit, die so viele seiner Rassegenossen auszeichnet: das Grauwetter Neu-Englands hatte, so scheint es, seelisch von ihm Besitz ergriffen, ganz so wie es den älteren weißen Siedlern in diesem Land und später dann den irischen Einwandrern erging, denn dieses Grauwetter gibt allen Rassen und Völkern, die ihm ausgesetzt sind, einen gemeinsamen Umweltcharakter: steif, verschlossen, mausgrau, vorsichtig, zäh, zwielichtig, sauer. Mr. Friedmann pflegte ebenfalls Galoschen zu tragen. Im übrigen war sein Anzug ganz nett, mausgrau, ein bißchen schäbig und fadenscheinig; es hing immer ein Geruch von Tauwetterfeuchte und warmem Gummi um ihn, während er sich die kleinen Hände rieb und sprach: »Herrjeh! Heut bin ich aber mal wieder ungern aus dem guten, warmen Bett gekrochen. Als ich aufstand, da hab' ich schon gesagt: ›Heiliger Herrjeh!‹ und da sagt' denn meine Frau drauf: ›Was issenlos?‹ und da sag' ich drauf: ›Herrjeh! Steh Du mal auf, da wirste schon sehn, wassenlos ist.‹ ›Isseskalt?‹ hat se gesagt, ›Un ob's kalt is‹, hab' ich gesagt, ›Herrjeh! 's Wassa in'en Waschkannen ist steinhart gefroren. Herrjeh!‹ Un' da dachte ich, die Fieße wär'n mir zu Eis erfroren, als ich die Hausheizung in Gang brachte, un' da dachte ich, ob ich woll den alten Bus erst auftauen muß, eh ich ihn fahr'n kann, un' da dachte ich an den alten Kunden draußen in Braintree, wo ich heut aufsuchen muß, ›herrjeh!‹ sagte ich da, ›es is kalt!‹ aba das Wassa im Kühla war dann doch nich' gefroren, un' der alte Bus is tadellos gefahren.«
Miss Brill bestätigte ihre Einvernahme dieses Monologs von Zeit zu Zeit mit dem einfachen Zwischenruf: »Uh!« Es war dies ein Laut, den sie häufig hervorzubringen pflegte; »Uh!« hatte ungefähr dieselbe Bedeutung wie »Yes«, war aber nicht so mitteilsam wie dies einfachere Ja; es bestätigte lediglich, daß der Sprecher gehört und verstanden worden war und enthielt sich im übrigen der Meinung und der Zustimmung.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war um diese Zeit auch das dritte Mitglied des Bürostabes anwesend: Mr. Stanley P. Ward. Dies war ein leicht angefeisteter Gentleman von mittlerer Größe, dessen Alter sich auf fünfzig Jahre (oder dortherum) belief. Er war säuberlich, hatte eine zartrosige Haut und trug einen gestutzten Spitzbart. Seine Kleider waren tadellos gebügelt und gebürstet und saßen ihm wie angegossen, besonders um den kleinen, behäbigen Spitzbauch. Er hatte etwas von einem Stutzer, und seine stillvergnügte, aber ungeheure Selbstgefälligkeit war auf den ersten Blick bemerkbar. Er hielt sich stramm, er ging mit kurzen, raschen Schritten, und sein hübscher, praller Pansen gab ihm dann das würdevolle Auftreten eines Kropftaubers. Er war meist ruhiger und guter Laune, er lachte oft, und ein Lächeln – genauer: der Anschein eines feinbelustigten Belächelns – spielte stets um seine Mundwinkel. Bei seinem Lachen und Gelächel wurde manchen Leuten etwas unbehaglich zumut; es war eine bewußte, anmaßliche Ausdrucksverfälschung in diesem Gehaben und eine Art von Geheimnistuerei, so nämlich, als könne, was er wirklich dachte und empfand, anderen Leuten nicht mitgeteilt werden. Es machte einem in der Tat den Eindruck, als hätte dieser Mann mächtige Geheimkräfte entdeckt, als besäße er ein überlegenes Wissen und eine Weisheit, von der die übrige Menschheit ausgeschlossen sei, als zähle er zu den Auserwählten, und dieser Eindruck erwies sich als richtig. Mr. Stanley P. Ward war »Christian Scientist«, er war ein Eckpfeiler der Kirche, und zudem einer sehr großen Kirche. Allsonntäglich hätte man ihn unter der mächtigen Kuppel der Mutterkirche an der Huntington Avenue sehen können, wie er auf lautlosen Gummisohlen, in Cutaway und gestreiften Hosen, die Gläubigen still, gewandt und sachgemäß zu den Sitzbänken geleitete.
Somit war das Personal im ersten Office der John T. Brill Realty Company vollzählig, und wenn Bascom Pentland sich verspätet hatte, so daß diese drei Personen bereits anwesend waren, und wenn Bascom Pentland nicht gerade von einem der vielen, auf Erden frei herumlaufenden Gauner bestohlen oder betrogen worden war, wenn ihn kein eilwütiger Kraftfahrer in Lebensgefahr gebracht hatte, wenn das verdammungswürdige Klima Neu-Englands nicht zu verdammungswürdig war, wenn – kurzgesagt – Bascom Pentland ziemlich guter Laune war, dann pflegte er beim Eintreten sofort in einer hohen, schnellen, fernher klingenden und vollkommen eintönigen Stimme zu heulen: »Hallo, hallo, hallo! Guten Morgen, guten Morgen, guten Morgen!«, um dann gleich mit geschlossenen Augen eine fürchterliche Fratze zu schneiden und, die großen Roßzähne fletschend, durch die Nase zu lachen, so, als habe ihn etwas ungeheuerlich gefreut. Auf diese Schaustellung hin sahen die drei Anwesenden einander vielsagend an, sie machten leicht überlegene, Bescheid wissende Mienen, nickten und zwinkerten, und in ihren Gesichtern war dann jener Ausdruck der Selbstbeglückwünschung zu lesen, mit dem die mehr »normalen« Mitglieder der menschlichen Gesellschaft das Benehmen von Exzentrikern zur Kenntnis nehmen. Mr. Samuel Friedmann pflegte dann zu sagen: »Wasissenlos, Pop? Sie sehn vergnügt aus! Gelt, Ihnen hat jemand 'ne Spritze in den Arm gegeben!«
In diesem Augenblick ließ sich dann eine grobschlächtige, mächtig dröhnende, von echter, erdhafter Vulgarität geladene Stimme vernehmen, die im zweiten Büroraum schallte. »Nein, ich werd' Ihnen sagen, was los ist!« Und nun erschien eine große Gestalt in der Tür und verdunkelte sie: Mr. John T. Brill, der Leiter des Unternehmens. »Höh, Sie wissen nicht, was mit dem Ehrwürden los ist? Es ist die Witwe, mit der er zu tun hat.« Hier fing das Kehllautlachen in Mr. Brills Stimme an, Blasen zu werfen. »Es ist die Witwe! Sie hat ihn ein bißchen drangelassen!«
Bei dieser feinsinnigen Bemerkung barsten dann die wallenden Lachblasen, die in Mr. Brills Stimme gebrodelt hatten, und er lachte das hohe, keuchende Kehllautlachen der schweren Vollblüter. Die drei anderen stimmten in sein Gebrüll ein, Mr. Friedmann mit seinem trocknen »He-he-heh!«, Mr. Stanley P. Ward mit einem etwas herzhafteren, aber höflichen »Häh-häh« und Miss Brill mit einem spröden, sittsam unterdrückten Kichern. Was nun Mr. Bascom Pentland angeht, so war sein Verhalten in einem solchen Fall nicht vorabzusehn. Es war möglich, daß er sehr guter Laune war, und dann lachte er einfach mit. Er lachte dann, wie immer, in kurzen heftigen Trompetenstößen durch die Nase. Und es konnte dann sein, daß er sich den Bauch hielt und sich vor Lachen bog, daß er von Begeisterung hingerissen den festen Gegenständen, die in Reichweite seiner Stelzbeine standen, Tritte versetzte, daß er zu stampfen und zu tanzen anfing, und daß er sogar mit seinen beiden steifen Zeigefingern Miss Brill in die Rippen stocherte, so als wünsche er, daß ihr ja nichts am Witz dieser Sache entgehen solle.
Dieser Bascom Pentland jedoch war ein schwieriger und von Launen abhängiger Mensch. So konnte es sein, daß Brills Spaße ihn in keiner empfänglichen Stimmung trafen: dann rümpfte er vornehm die Nase, verzog angewidert den Mund, schüttelte schnell den Kopf und drückte schließlich murmelnd sein Mißfallen aus. Oder aber: er begab sich auf die höchsten Höhen moralischer Entrüstung und begann in ernst-gewichtigem Ton Mr. Brill zurückzuweisen. In diesem Falle hätte er dann gesagt: »Die Lady, auf die sich Ihr Anwurf bezieht, jene scharmante und kultivierte Dame, deren Ruf Sie, Herr! – (dieses Herr! hätte dann einen besonderen Heulakzent bekommen, und Bascoms empörter Zeigefinger hätte ihm einen weiteren Nachdruck verliehen) – auf so schändlich niedrige Weise zu schwärzen suchen.«
»Nein, nicht zu schwärzen, weiß zu machen, Ehrwürden!« hätte Brill dann vor Lachen brodelnd dreingebrüllt, aber Bascom wäre unentwegt fortgefahren, nämlich so: »... deren Ruf Sie auf so schändliche und niedrige Weise zu schwärzen suchen durch Ihre schmutzigen Anspielungen, diese Dame ist mir, wie Sie, Herr! sehr wohl wissen, nur in geschäftlicher Eigenschaft bekannt!«
»Aber zum Teufel, Ehrwürden!« hätte dann Brill unschuldig vorgebracht, »ei, ich wußte ja gar nicht, daß sie's beruflich treibt, gottverdammtnochmal, ich dachte, sie tät's aus Liebhaberei!«
Und da hätte Mr. Brill mit seinem Lachen das ganze Büro zum Beben gebracht, Mr. Friedmann hätte sich an einem Schreibtisch festhalten müssen, um nicht vor Lachen zu ersticken; Mr. Ward hätte kurze Lachanfälle bekommen, zum Fenster hinausgesehn und bedenklich den Kopf geschüttelt, so, als ob seine ernstere Natur hier doch wohl einige Einwände anmelden müsse, und Miss Brill hätte sich kichernd an ihre Schreibmaschine gemacht mit der offenen Bemerkung, dieser Ton wäre »etwas zu rauh« für sie.
Was nun Bascom angeht, so war sein Verhalten abermals nicht vorabzusehen. War er in jener seelischen Verfassung, in der ihn Unheiliges erschreckte und abstieß, dann wäre er einfach weggegangen, den beredsamsten Ausdruck des empörten Widerwillens im Gesicht, und hätte unter Schaudern und Kopf schütteln ein »Schlimm! schlimm! schlimm!« vor sich hin gemurmelt. Traf es aber zusammen, daß er heiter aufgelegt war, sich in einem Zustand der Empfänglichkeit für Brills saftige Späße befand, und es überdies ihn juckte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, dann erging er sich in schlau-verschmitzten, hohnlachenden Entgegnungen, fluchte sogar und blinzelte den Zuhörern zu, um sich zu vergewissern, ob ihnen die seichten und dreisten Anspielungen auch eingingen. Er fand dann ein Vergnügen an der Sache, wie es ein Geistlicher empfindet, der gerade aus dem Kirchendienst weggelaufen ist und nun zum erstenmal sich gehenläßt, flucht und schweinigelt: die Wollust der Niedrigkeit.
Den andern Leuten in der Firma, nämlich Friedmann, Ward und Miss Brill, war der alte Bascom immerdar ein Rätsel. Sie hatten zuerst seine Schrulligkeit und sein jäh-heftiges, verworrenes Temperament mit Staunen und Wundern beobachtet, dann war eine Zeit gekommen, in der sie über ihn lachten und ihn lächerlich fanden, und nun nahmen sie seine Art einfach dumpf und verständnislos hin. Nichts an ihm überraschte sie mehr, er war eben eine selbstverständliche Tatsache in ihrem grauen Dasein geworden. Sie hatten sich angewöhnt, in einem scherzhaften Gönnerton mit ihm zu verkehren – »den alten Knaben ein bißchen hochnehmen und dabei auf ihn eingehn«, so nannten sie es wohl – sie besaßen jedoch überhaupt kein Verständnis und nur wenig Neugier, und so nickten und blinzelten sie denn und spielten mit überlegener Miene ihr belustigtes, kleines Verschwörerspiel, und das war gemein und schäbig von ihnen, denn sie konnten Bascom nicht das Wasser reichen, dazu waren sie wirklich zu klein.
Bascom bemerkte dieses verstohlene Getue nicht, und selbst wenn er es gelegentlich bemerkt hätte, dann hätte er sich wohl kaum darum geschert, denn er lebte ja in einer selbstgeschaffnen Welt und mit seinen eignen Gedanken, Gefühlen, Tatsachen und Erregungen. Wie alle Pentlands hielt auch er sich zeitlebens für einen »Menschen des Schicksals«, das heißt, er glaubte, daß sich Vorsehen und Geschehnis um seine Person drehten, daß, um es kurz zu sagen, die ganze Zeit aus den Fugen gehn könne, er aber nicht. Dieser »Schicksals«-Sinn war einer der Hauptcharakterzüge seiner Sippe. Bei Bascom war er so ausgesprochen, daß ihn außer dem Tod nichts in seinem selbstischen Eigensinn erschüttern konnte; seine gelegentlichen Wutanfälle auf Kraftfahrer, Fußgänger, Arbeiter oder andre Leute traten immer nur dann ein, wenn er jählings gewahr ward, daß sich diese Menschen in einer Welt bewegten, deren Sein und Ziel seiner Welt zuwiderlief, oder daß diese Menschen etwas begingen, was die Logik seines Universums anzutasten oder zu stören versuchte.
Merkwürdigerweise, von den vier Leuten im Office war es Brill, der ihn am besten verstand und sogar hochachtete. Mr. John T. Brill war ein riesiges Geschöpf mit elementaren Begierden und Passionen. Ein wahrer Strom von Profanität kam mit Mississippi-Gewalt aus seinem Mund; er konnte sowenig ohne zu fluchen reden, wie ein Wal in einem Froschtümpel schwimmen kann. Er fluchte über alles und jedermann, er fluchte mit jedem Atemzug, beiläufig und unbewußt, und doch: wenn er Bascom anredete, war sein Fluch unpersönlich, und eine feine Ehrerbietigkeit färbte auf ihn ab.
Er pflegte Bascom etwa so anzureden: »Gottverdamm es, Pentland, haben Sie eigentlich den Besitztitel für jene Sache in Maiden nachgeguckt? Dieser Kerl dort ruft jeden Tag an um Bescheid.«
»Welcher Kerl«, fragte Bascom, der stets auf genauen Angaben bestand. »Der Mann aus Cambridge?«
»Nein«, sagte Brill. »Der nicht. Der andre Sohn von einer Hündin. Der Kerl aus Rochester. Wie zum Teufel soll ich ihm Bescheid geben können, wenn dieser gottverdammte Besitztitel für das Zeug nicht da ist?«
In dieser Ausdrucksweise steckte der ganze Brill, so sprach er stets und immer – aber sobald er mit Bascom redete, war die Profanität nicht auf die Person Bascoms bezogen, und der Unterschied, der zwischen einem »Gottverdamm Sie« und einem »Gottverdamm es« besteht, war dann voll und ganz in acht genommen. Im Verkehr mit seinen anderen Mitarbeitern kannte Brill diesen Unterschied nicht; seine Anrede bezeigte dann weder Artigkeit noch Zartgefühl.
Brill war ein Mordskerl von einem Mannsbild, etwas über einen Meter neunzig groß und fast drei volle Zentner schwer. Sein Kopf war ratzekahl; seine Schädelhaut glänzte wie rosa Satin; sein Gesicht war wie ein großer, roter Mond, und da seine Kinnbacken schwer und feist waren, war dieser Mond nicht ganz rund, sondern eiförmig. In seiner üppig-schweren, langsamen dröhnenden Stimme brodelte und wallte immer die gargantuanisch-überschwengliche Freude an Unanständigkeiten. Diese Lust an saftvollen, kraftvollen Zoten war so offenbar seine einzige und natürliche Art, sein Ich auszudrücken, daß man sie an ihm unmöglich verdammen konnte. Seine Rede war reich an Wiederholungen, denn sein Vorrat an schmückenden Beiworten war beschränkt, – aber schließlich stehen bei Homer die Dinge auch nicht anders, und ebenso wie Homer sah Brill keinen Grund, zu ändern, was bereits für gutbefunden war und bräuchlich zu Gebote stand.
Brill war geil und unschuldig. Er schien wie Bascom zu einer frühern, üppigern und größern Erdzeit zu gehören, und vielleicht ist dies der Grund dafür, daß sich diese beiden einander besser verstanden und verwandter vorkamen, als es den drei anderen Leuten im Office möglich war. Friedmann, Miss Muriel Brill und Ward gehörten zu den grauen Myriadenschwärmen, zum zahl- und namenlosen Menschengefüllsel der Erde, Brill und Bascom aber waren Männer, wie sie unter Tausenden, ja unter Millionen nur einmal vorkommen; wer einen von diesen beiden auf der Straße traf, sah sich um und blickte ihm nach; wer einmal mit ihnen ins Gespräch gekommen war, konnte sie unmöglich vergessen.
Im modernen Leben begegnet einem selten ein Mensch, der sein Ich so letzthin vollständig und genüglich ausdrücken kann wie Brill. Seine Art beließ nirgends Zweifel, stiftete nirgends Verwirrung. Er hatte drei Möglichkeiten der Äußerung: – Profanität, das heißt, er fluchte oder flocht ein Fluchwort in seine kurzangebundene Rede, – ferner sein großes, brüllendes vollkehliges erderschütterndes Lachen – und letztlich: seine Blähwinde, die seinen explosiven Kommentar zum Dasein darstellten und gewöhnlich bereits anders geäußerte Meinungen nochmals abschließend bekräftigten und zusammenfaßten.
Dies wurde nun dem Onkel Bascom manchmal zuviel. Alsdann verließ er entweder das Office, oder aber er stapfte in seine Arbeitskabine und schmiß die Tür so heftig hinter sich zu, daß die dünne Trennungswand wackelte und der Staub von zwanzig Jahren aufwirbelte. Von dort hörte man dann sein verzweifelt-leidenschaftliches Stöhnen: »Schlimm! Schlimm! Schlimm! Jede Handlung, jede Gebärde verrät seine Vulgarität. Oh, kann man sich denn auch nur einen Augenblick einen wohlerzogenen Mann vorstellen, der öffentlich seine Winde fahrenläßt. Und dazu in Gegenwart seiner eigenen Tochter! O schlimm! Schlimm! Schlimm! Schlimm!«
In der Stille, die nun eintrat, während Bascom betroffen und krampfhaft angewidert den Kopf schüttelte, wurde plötzlich ein scharf-reißendes Geräusch hörbar, ein Naturlaut, Brills bündige Antwort auf alle Einwände der Welt. Und sofort erschallte wieder sein kehliges Lachen. Später alsdann, wenn etwas Geschäftliches zu besprechen war, trat Bascom unvermittelt plötzlich bei Brill ein, leidenschaftlichen Abscheu in die Miene gemeißelt, die Hände in den mageren Leib gekrampft, und fauchte bitter: »Nun, Herr! ... sollten Sie Ihre morgendlichen Devotionen beendet haben, dann könnten wir uns den geschäftlichen Aufgaben des Tages widmen.«
»Aber Ehrwürden!« brüllte Brill. »Sie haben ja noch gar nichts gehört! Ich kann's gottverdammt noch viel besser!«
Dazu lachte er, daß die Fenster schepperten, und der Drehstuhl krachte unter der Wucht seines sich bäumenden Zentnergewichts.
Brill machte sich offenbar ein Vergnügen draus, Bascom aufzuziehen, und ließ sich keine Gelegenheit dazu entgehen. Schenkte jemand Bascom eine Zigarre, dann rief Bill mit unschuldig-überraschter Miene:
»Aber, Ehrwürden! Sie werden doch das verdammte Ding nicht rauchen wollen!«
»Gewiß doch!« erklärte Bascom spitz. »Zum Gerauchtwerden ist die Zigarre da.«
»Das schon, aber Sie wissen doch, wie die verdammten Dinger gemacht werden! An Ihrer Stelle würde ich nicht dran denken, sie anzurühren, nachdem so ein dreckiger, alter Spaniole seine Pfoten dran abgewischt hat, – ja! und drangespuckt hat! – gottverdammtnochmal, denn das tun sie!«
»I wo!« fauchte Bascom verächtlich. »Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Etwas Reineres und Gesünderes gibt's nicht als guten Tabak. Das feinste Kraut auf Erden! Ganz ohne Frage!«
»Da hab' ich zum Teufel wieder was gelernt. Wirklich, wir leben und lernen, Ehrwürden. Sie haben mir da was Wissenswertes beigebracht! Wenn's umsonst ist, dann ist's rein, wenn's aber was kost't, dann stinkt's wie die Hölle!« Brill fing an zu lachen. »Und Gottverdammtnocheinmal, das gilt nicht nur für Tabak!«
Ein andermal war Eugen gegen Mittag bei seinem Onkel. Bascom räusperte sich andächtig, hüstelte und erklärte: »Also heute, Eugen, mein Junge, heute mußt Du mit mir zum Lunch gehen. Da gibt's überhaupt keinen Einwand!« Diese Einladung überraschte sehr. Zwar hatte Bascom den Neffen schon öfter draußen in seinem Haus zum Dinner bewirtet, aber hier in der Stadt zum Lunch hatte er ihn noch nie eingeladen. »Ja, gewiß«, wiederholte Bascom befriedigt und überzeugend. »Ich habe die Sache bereits bedacht. Im Kellergeschoß dieses Gebäudes befindet sich eine kleine Speisewirtschaft, – klein, wie ich schon sagte, aber recht reinlich und durchaus erstklassig. Der Geschäftsleiter ist ein Ire, ein Gentleman, den ich seit Jahren kenne. Die feinsten Leute auf Erden das, ganz ohne Frage!«
Das war nun in der Tat neu, wirklich ein schier unglaublich großer Augenblick. Eugen wußte, daß Bascom fast nie ein Restaurant betrat. Nachdem dieser aber den Entschluß verkündigt hatte, begab er sich sofort in das erste Office, um ihn auch dort hochbefriedigt anzuzeigen.
»... wir werden somit eintreten, Platz nehmen, und dann werde ich die entsprechenden Weisungen geben ...« Hier schmatzte Bascom wollüstig mit den Lippen, und der Neffe verspürte einen köstlich nagenden Hunger in den Geweiden ... »... ›dies hier ist mein Neffe‹, werde ich sagen, ›ein junger Mann, der auf der Harvard Universität studiert, und Sie müssen seine Bestellung, ohne daß es hapert, unverzüglich, einwandlos und aufs allerbeste erfüllen!‹« – Der entschiedene Zeigefinger fuchtelte hier nachdruckverleihend durch die Luft. – »Was mich anbetrifft, so werde ich freilich nichts einnehmen. Speisen, wie sie dort dargereicht werden, sind mir unzuträglich. Ich würde mich auf einen Monat des Schlafs berauben, kostete ich auch nur davon! Aber Du!« er wandte sich hier unvermittelt an Eugen – »aber Du, mein Junge, sollst alles bestellen, was Dein Herz begehrt. Alles, alles, alles!« Bascoms Arm machte eine allumschließende Gebärde, seine Augen wurden ganz klein, er stampfte begeistert auf und lachte schnuffelig durch die Nase.
Brill war längst in der Tür seines Arbeitszimmers erschienen. Die schweren Kinnbacken hingen ihm herab. Er war klotzig erstaunt. Er sprach:
»Also alles, alles soll er zu essen kriegen? Ei, wo denn?«
»Herr! Ich hab' es doch eingangs bereits genau festgestellt!« Bascom war empört. »Wir werden das bescheidene, aber vortreffliche Etablissement aufsuchen, das im Kellergeschoß des Gebäudes eingerichtet ist, in dem wir uns hier befinden.«
»Aber Ehrwürden! Dorthin werden Sie doch Ihren Neffen nicht mitnehmen wollen?! Ich dächte, daß Sie ihm was Richtiges zu essen vorsetzen wollen.«
»Und da dächte ich doch wohl«, bemerkte Bascom sarkastisch-bitter, »daß man dorthin geht, um zu essen, und nicht, um sich rasieren zu lassen.«
»Gerade rasiert werden Sie dort werden, und die Haut kriegen Sie obendrein abgezogen. Aber was gottverdammt Richtiges zu essen kriegen Sie nicht.«
»Zolle ihm keinerlei Aufmerksamkeit«, sprach Bascom in herb-verweisendem Ton zu seinem Neffen. »Ich weiß längst, daß dieser niedrige und vulgäre Mensch alles in den Kot zu ziehen versucht und selbst vor den heiligsten Dingen nicht haltmacht. Ich versichere Dir, mein Junge, das Restaurant ist in jeder Beziehung vortrefflich.« Nun wandte er sich an Brill. »Oder wähnen Sie vielleicht, daß ich auch nur einen Augenblick in Erwägung zöge, ihn, meinen Neffen, meiner leiblichen Schwester Sohn, in ein Speisehaus mitzunehmen, das mir nicht als in jedem und jeglichem Sinne vertrauenswürdig bekannt wäre?! Im Leben nicht!!« heulte er. »Im Leben nicht!!«
Onkel und Neffe gingen. Laut schallte das mächtige Lachen Brills, der dem jungen Menschen noch in der Tür nachrief:
»Keine Bange, Sohn! Wenn Sie das Wanzengoulasch da drunten verdrückt haben, dann kommen Sie wieder 'rauf! Zu mir! Gottverdammtnocheinmal! Da werde ich Sie zu einem Mittagessen mitnehmen!«
Obschon Brill einen Mordsspaß dran hatte, den alten Mann aufzuziehen und zu hänseln, so hegte er doch auf dem Grund seines Herzens die Gefühle tiefer Ergebenheit, echter Hochachtung und wahrhafter Bewunderung für ihn. Bascoms Intelligenz flößte ihm Respekt ein, und daß Bascom Geistlicher gewesen war und in vielen Kirchen gepredigt hatte, machte ihm insgeheim einen entschiedenen Eindruck. Alle Anzeichen von Bascoms »höherer Bildung« begrüßte er mit ehrerbietigem Staunen; er war stolz auf seinen gelehrten Geschäftspartner, und dieser Stolz war rührend und innig und schön, – eine Art liebenden Vaterstolzes, denn ganz so, wie ein Vater Wissen und Begabung eines Sohnes gern zur Schau stellt, so liebte Brill es, mit Bascoms Kenntnisreichtümern zu prahlen. Sehr zu Bascoms Mißfallen pflegte Brill, wenn er Besuch hatte, ihn in sein Office zu holen, wo er dann in ihn drang und sprach: »Sagen Se doch so'n paar rare Wörta, Ehrwürden!« Diese »raren Wörta« hatten es Brill ganz besonders angetan. Selbst wenn der Alte ihm dann, was häufig vorkam, geärgert, erzürnt und verachtungsvoll die Leviten las, war es Brill vollauf zufrieden, wenn Bascom nur ein paar rare Wörter verwandte, und da »der Ehrwürden« höchst selten ohne diese auskam, erreichte Brill fast stets seinen Zweck.
Eines Tages war Jim da. Jim kam aus New-Hampshire, wo er und Brill als kleine Buben zusammen gespielt hatten. Sie hatten einander fünfunddreißig Jahre nicht gesehn, Jim war gekommen, um die Jugendfreundschaft zu erneuern, und Brill strahlte. Als er die Rede auf seinen Geschäftspartner brachte, versicherte er feierlichen Ernstes:
»Wirklich, zur Hölle, Jim, der Ehrwürden führt Dir so rare Wörta im Mund, wie sie nur ein Uniwersidähtsperfesser versteht. Kein gewöhnlicher Sohn von einer Hündin weiß, was sie bedeuten.«
Jim machte ein ungläubiges Gesicht, und Brill tat einen Schwur.
»So wahr mir Gott helfe, das ist wahr, Jim! Der Ehrwürden weiß Wörta, wie sie ein einfacher Mann im Leben nicht gehört hat! Wörta, wie sie nicht mal im Wörterbuch stehn. Und die führt er die ganze Zeit im Mund herum!« Brill machte ein triumphantes Gesicht.
»Aber mein lieber Herr!« fauchte Bascom höchst empört. »Was in aller Welt behaupten Sie da!! Ein solcher Mensch, wie Sie ihn da beschreiben, wäre ja eine Monstrosität, eine widerliche Perversion der Naturgesetze! Ein Mensch, so wissend, daß er sich seinen Mitgeschöpfen nicht explizieren könnte, – so gelehrt, daß er sich andern nicht verständlich zu machen vermöchte – so eruditiert, daß er die inartikulierte und inkohärente Existenz von Tieren und Vertierten führen müßte – Puh! Puh! Puh!« Bascom schnitt eine Fratze, machte winzige Augen, rümpfte die Nase. »Sie ausgesprochener Narr!« höhnte er. »Lange zwar wußte ich, Ihre Ignoranz wäre bodenlos, nie jedoch habe ich damit gerechnet, daß diese Ignoranz sich messen könnte – nein!« heulte er, »überboten werden könnte durch Ihre Asininität.«
»Da hast Du's«, jubelte Brill auf. »Na, Jim, was hab' ich gesagt?! Nimm nur eins von den raren Wörtern da. Asserninidäht! Ein gottverdammt rares Wort! Der Ehrwürden ist der einzige, der weiß, was es bedeutet, und im Wörterbuch steht's gewiß auch nicht!«
»Nicht im Wörterbuch!« gellte Bascom. »O du allmächtiger Gott! Steige hernieder und schenk diesem Esel eine Zunge, wie Du einst tatest zu Bileams Zeit.«
Wieder ein andermal saß Brill an seinem Schreibtisch und führte jene vertraut-vorsichtig-zuverlässigen Verhandlungen, die beim Handel mit unbeweglicher Habe dem Abschluß eines Geschäfts unmittelbar vorangehn. Brill hatte da »eine Sache an der Hand«, für die der »rechte Käufer« gefunden war, nämlich ein Italiener, ein etwas zäher Kunde, der zwar kaufen wollte und kaufen würde, der aber schwerfällig-mißtrauisch war, und an dem »Objekt«, das er bereits eingehend besichtigt hatte und zu erwerben gedachte, allerhand auszusetzen fand. Brill redete ihm zu wie einem kranken Gaul. Der Mann saß stocksteif da, klobig in seinem guten schwarzen Anzug, die verhalten-unruhigen Hände, dicke, haarige Pratzen mit stumpfen, breiten Fingernägeln, lagen wie umgestülpte Schalen auf seinen Knien, die schwarzen Augen glitzten behutsam-verdächtig hinter den dicken, schwarzen, herabgezogenen Brauen ... Schließlich reckte er sich, strich mit den Händen über die Knie und fragte mit einem halb einschmeichelnden, halb argwöhnischen Lächeln: »Wieviela Sie wollen, eh?«
»Wieviela wir wollen?« wiederholte der vulgäre Brill, und das Lachen wurlte ihm in der Kehle. »Ei, wieviela Sie haben! ... Wissen Sie, wir nehmen Ihnen jeden verdammten Cent! Gottverdammtnocheinmal!« Er lehnte sich zurück und lachte schallend. »He! Ehrwürden!« rief er zu Bascom, der gerade eingetreten war, »stimmt das vielleicht nicht. Es ist nicht, wieviela wir wollen, es ist, wieviela Sie haben! Das müßten wir zu unserm Motter nehmen! Das müßten wir auf unsern Briefkopf drucken lassen! Was halten Sie davon, Ehrwürden?«
»Wovon?« fragte Bascom, der an etwas ganz anderes gedacht hatte.
»Ich meine, wir sollten das als unser Motter nehmen.«
»Als unser – was?« Bascom tat, als verstünde er nicht.
»Unser Motter!« sagte Brill. Immer mundartlich.
»Nicht Motter! Das Wort ist nicht Motter! Kein Gebildeter spricht es so aus. Motter ist absolut und emphatisch nicht die Art, dies Wort auszusprechen!« Bascom heulte es höhnisch und Brill erklärte demütig ergeben:
»Schon recht, Ehrwürden. Sie sind der Doktor. Wie heißt denn das Wort?«
»Das Wort, wie jeder Vernünftige weiß, heißt Motto«, fauchte Bascom. Immer hochsprachlich.
»Ei so zum Teufel hab' ich doch gesagt!« behauptete der gekränkte Brill.
»Nein! Nein!! Keinesfalls! Sie haben Motter gesagt und das Wort lautet Motto. MOTTO!« entgegnete Bascom bösartig. »Ein Wort, das M, o, t, t, o buchstabiert wird, wird nicht Motter ausgesprochen.«
»Ei, wie denn sonst?« fragte Brill.
»Es wird Motto ausgesprochen. Es ist immer Motto ausgesprochen worden, es wird immer Motto ausgesprochen werden. So war es, so ist es, so wird es in Ewigkeit sein, Amen«, heulte der Künder der reinen Lehre. Plötzlich schien er die Sache lustig zu finden, er machte kleine Augen, lachte durch die Nase und führte einen kleinen Stampftanz auf.
»Na, es ist ja gleich, wie's ausgesprochen wird, unsres jedenfalls heißt: ›Es ist nicht, wieviela wir wollen, es ist, wieviela Sie haben!‹ So denk ich mir den Handel.«
Dieser Geschäftsgrundsatz beschrieb in der Tat klipp und klar, wie Brill sich den Handel dachte. Ohne Verbrämtheit. Ohne Umschweife. Ohne Vorspiegelungen. Er wollte alles haben, was er bereits hatte, und dazu begehrte er zu ergattern, was er nur kriegen konnte. Und diese offen eingestandene, rücksichtslose Raublust, diese ungeschminkte Gefräßigkeit, – anstatt die Leute abzustoßen, zog sie sie an und flößte ihnen ein unerschütterliches Vertrauen in Brills Geschäftsehrlichkeit und Anständigkeit ein. Der Grund hierfür war wohl der, daß wirklich kein Arg in Brill wohnte, daß wirklich kein Hehl an ihm war. Frei heraus, mit einem Fluch und einem Gelächter verkündete er seine Gesinnung, – die Leute sahen ihn, hörten ihn, bildeten sich ein Urteil über ihn, und da gelangten sie ganz wie dieser Italiener zu der Überzeugung, es gäbe einen feinen Kerl, und der wäre Brill. Selbst Bascom, der dem Partner so oft mit Hohn, Spott und Geringschätzigkeit zusetzte, hegte eine ganz eigne Hochachtung für ihn, eine verbissene tiefeingewurzelte Zuneigung. Oftmals, wenn er mit seinem Neffen allein war, pflegte er eine Bemerkung zu wiederholen, die Brill getan hatte. Er schnitt dann belustigt seine übliche Abwehrfratze und lachte, wie er immer lachte, in angestrengten und harten Stößen durch die Nase, wobei die über die gefletschten Zähne gespannten Lippen mitzuckten.
»Puh! Puh! Puh!« sagte er. »Natürlich ist er ein Ignorant. Ich glaube nicht, daß er länger als ein halbes Jahr in die Schule gegangen sein wird. Und sag selber ...« Hier wandte er sich plötzlich grinsend und starrend an den Neffen, und in dieser Hinwendung war etwas Eindrucksvolles und Beunruhigendes, denn Bascoms graue Augen hatten einen alten, scharfen Blick, und eine leichte, das Sehen nicht behindernde Lidlähmung an dem einen Auge gab diesem Blick ein finster-gefährliches, arglistig-humoriges Glitzen. »... also sag selber ... puh, puh, puh! ... schlimm, mein Junge ...« Bascoms Stimme war bereits zu einem Flüstern abgeschwächt, und nun verlor er sich, die Augen schließend und leise schaudernd, in der Erinnerung an Dinge, die Brill gesagt hatte, die aber offenbar zu glorreich unanständig waren, als daß er, Bascom, sie wiederholen konnte. Nach einer Weile begann er wieder: »Also kannst Du Dir vorstellen, ja, auch nur im Traum vorstellen, daß ein wohlerzogner Mensch so was über die Lippen bringt, ein Mann, der auch nur ein Jota, ein Fünkchen, ein Atom Delikatesse besäße? Er muß in der Tat von ganz unten stammen ... Glaub' aber ja nicht, das diskreditiere ihn! Beileibe nicht! Beileibe nicht! Beileibe nicht!« – wandte er hastig ein, gleichsam befürchtend, der Makel der Bedünklung hafte seiner Bemerkung an – »nein, beileibe nicht! Ganz ohne Frage nicht! Sag' doch selbst ...« – hier wandte er sich wieder an den Neffen und sah ihn scharf an – »... war Lincoln ein Aristokrat? War er mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen? Und ist unser bisheriger Gouverneur hier in Massachusetts, ist der jetzige Vizepräsident der Vereinigten Staaten, ist Calvin Coolidge ein Schoßkind des Luxus? Nicht im Leben!« heulte Bascom. »Er stammt von kargen, sparsamen Farmersleuten in Vermont und verleugnet seine Herkunft mit keiner Silbe. Er ist heute noch, was er immer war, einer von den ganz Einfachen! Feinste Leute auf Erden das, ganz ohne Frage.«
Bascom verlor sich wieder in Gedanken. Er saß da, die Ellenbogen aufgestützt, die Finger lose ineinander verschränkt, und starrte über den Gipfelbogen seiner Hände hinweg ins Leere. Eugen sah ihn an. Wie immer, wenn er ihn so dasitzen sah, fiel ihm an Bascom die große Schönheit des Kopfes auf. Es war ein herrlicher Kopf, hochstirnig, verhagert und von einem tiefen, einsamen Ernst. Er glich – nicht nur in solchen Augenblicken, wo ihn die meditative Hoheit verklärte – sondern überhaupt in der ganzen Art und Anlage auffallend dem Kopf Emersons. Einen großartigeren Kopf hatte Eugen noch nie gesehen. Die Geschichte von der Einsamkeit und Würde, von der Größe und Verzweiflung des Menschen stand da zu lesen.
Bascom hatte eine Weile nachgedacht, nun kam er wieder auf Brill zurück: »Also, ein vulgärer Mensch ist er schon«, entschied er abschlüssig. »Er sagt täglich Sachen, die sind wirklich schlimm.« Er lachte. »Wirklich schlimm! Aber ich muß oft über ihn lachen, er ist eben so ... schlimm, schlimm, schlimm.« Hier nickte er langsam bestätigend und flüsterte dann begeistert: »Oh! welche Rüpelei! ... welche Ungebühr! ... was für Anzüglichkeiten!«