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XXIV

Lange nun hatte McGuire regungslos dagesessen, in einer suff-dumpfen Starre hingefläzt, als gegen halb vier das Schreibtischtelephon zu läuten begann und die Stille des Krankenhauses unablässig mit seiner nichts Gutes verheißenden Eindringlichkeit durchschrillte. Der große, vierschrötige Mann rührte und regte sich nicht. Alsbald hörte er das Absatzklappern eiliger Frauenschritte auf dem geölten, dicken Linoleum im Gang. Die Oberschwester, Miß Creasman, die den Nachtdienst versah, trat ein, blickte ihn schnell an, fragte: »Soll ich?«, hob sofort den Hörer ab, meldete »Hallo!« und nahm das Gespräch an. McGuire rührte sich nicht.

»... jawohl, werde ihn fragen«, sprach nach einer Weile Miß Creasman in die Leitung.

Als sie dann – die Hand auf die Hörmuschel gepreßt – zu McGuire sprach, tat sie es in einer Art, die sich von der kühlen, knappen, berufsmäßigen Höflichkeit, mit der sie in die Leitung geantwortet hatte, wesentlich unterschied. Ihre Stimme klang zwar ebenfalls ruhig, aber ein zynischer Humor, dreist, grob, ein wenig spöttisch, war im Ton.

»Deine Frau ist's«, sagte sie. »Was soll ich sagen?«

Er blickte dumpf auf.

»Was will sie?« grunzte er.

»Was? Natürlich will sie wissen, wann Du heute heimkommst«, erklärte sie.

Er glotzte sie an. Seine gelblichen Augäpfel waren stark rotgeädert. »Will nicht heim«, knurrte er.

Sofort nahm sie die Hand von der Hörmuschel und sprach ruhig, geläufig, mit kühl-spröder Höflichkeit in die Leitung.

»Ja? ... Es ist ihm unmöglich, jetzt noch heimzukommen. Um sieben Uhr dreißig muß er operieren ... ja, ja, sieben Uhr dreißig ... So hielt er es für am besten, hierzubleiben bis nach der Operation ... Jawohl, danke, werde es ausrichten.«

Sie legte den Hörer in die Gaffel und wandte sich an McGuire. Sie maß ihn mit einem humorig-frechen Blick. Sie stand da in ihrer weißen, steifgestärkten Pflegerinnentracht, die Hände leicht in die Hüften gestützt.

»Was hat sie gesagt?« fragte er dickzüngig.

»Nichts«, sagte sie leis. »Was hätte sie schon sagen sollen?«

Er schwieg, er starrte sie mit seinen betrunknen Augen an, und in seinem Herzen war nichts als die dumpfe, taube Qual, gegen die es kein Mittel gab. Einen Augenblick später sagte sie:

»O ja, ich vergaß es auszurichten«, – ihre Stimme war um ein fast Unmerkliches härter geworden – »Du hast heut nacht schon einen Anruf gehabt.«

»Wer?«

»Diese Frauensperson von Dir war's.«

Kein Laut außer seinem harten, röchelnden Atem. Er glotzte sie an mit seinen gelblichen, rotgeäderten Augen und grunzte schwerfällig:

»Was wollte sie?«

»Wissen, ob deah Heah Doktah da-ah wäre«, sagte Miß Creasman, burlesk eine ›Feine-Damen-Stimme‹ nachahmend. »Kommt eah heut nacht? Möchte es seah geern wissen ...« Dann fuhr sie breit und derb, so wie die ›Ungebildeten‹ sprechen, fort: »Au ja! jaah! Ich mußes wiss'n!« Und nun wieder fein und zimperlich; »O-h! Ich kann sonst nicht schlafen! ...« Sie sah ihn an und fragte kurz und bündig. »Also was soll ich sagen, wenn sie noch mal anruft?«

»Was solltest Du mir bestellen?«

»Sie sagte, ich sollte Dir bestellen ... « – abermals kamen die parodistischen Töne in die Stimme – »Sie hätte Gäste, die morgen abend – also heut abend ist das! – bei ihr zu Nacht speisen, und Du müßtest einfach unbedingt mit Deinah Gattin kommen – oh Gottogottchenja, und die Reids kämen auch, vastehste ... und wenn Du nicht dawärst, dann – ah! – ja, was dann passiert, das weiß Gott alleine.«

Einen Augenblick funkelten seine betrunknen Augen zornig auf. Dann aber, angewidert, machte er eine Handbewegung gegen sie – abfällig, die dicken Finger gespreizt, – und murmelte:

»Hast 'n dreckiges Mundwerk ... steht Dir nicht ... nicht ladylike ... mag das nicht an Frauen ... Krankenschwestern sind sich alle gleich ... haben alle 'n dreckiges Mundwerk ... mag sie nicht.«

»Erzähl' das Deiner Großmutter von wegen dreckigem Mundwerk«, sagte sie grob. »Grad Du hast's nötig, über Krankenschwestern zu maulen. Das sind anständige Mädchen – wenigstens die meisten – bis sie hier ins Haus kommen und Dich einen oder zwei Monate lang gehört haben. Laß Dir's gesagt sein, auf die Pflegerinnen wird bei mir nicht geschimpft. Und wenn's aufs dreckige Mundwerk ankommt, na, ob's Sonn- oder Wochentag ist, immer bist Du's, der die goldne Medaille dafür kriegt. Sogar ich, wenn ich auch Deine Kusine bin, bin auf dem Land draußen, ehe ich hierherkam, in christlichem Anstand erzogen worden. Also, hör' auf damit, daß die Krankenschwestern ein dreckiges Mundwerk hätten. Selbst die Jungfrau Maria, hätt' sie ein paarmal bei Deinen Operationen assistiert, wüßte Ausdrücke genug, um 'nen Affen schamrot zu machen. Drum spiel' Dich nicht auf und sag', die Schwestern wären's. Mit Dir verglichen sind die meisten weiß wie Neuschnee.«

»Ihr habt alle 'n dreckiges Mundwerk«, knurrte er wieder und machte eine abfällige Handbewegung. »Ich mag das nicht ... Einer Lady steht das nicht ...«

Statt einer Antwort stützte sie die Hände fest in die Hüften und maß ihn mit einem Blick, der zwar unbotmäßig, hart und hämisch war, aber doch auch irgendwie ihre tiefe, unverhohlene Zuneigung für ihn ausdrückte. Und dann griff sie plötzlich mit der rechten Hand vor ihm herunter, holte die Flasche, die zwischen seinen Füßen stand, herauf und hob sie gegen das Licht.

»Ei, ei! Du hältst Dich aber tüchtig dran, nicht wahr?« war ihr ironisch gespendetes Lob. »Na, lange wird das nicht mehr vorhalten!«

Und nun, völlig unvermittelt, wandte sie sich bezichtigend an ihn und forschte: »Weißt Du eigentlich, daß Du Helene Gant um zwölf Uhr anrufen solltest? Oder hast Du's vergessen?«

Er fuhr sich mit der Hand über die rötlichen Bartstoppeln.

»Wen?« fragte er dumm. »Wo? Weswegen denn?«

»Nichts von Belang«, scherzte sie spröde. »Es handelt sich bloß um einen Fall von Karzinom an der Prostata. Der Mann geht ohnehin drauf. Du brauchst Dir somit keine Vorwürfe zu machen.«

»Wer?« fragte er dumm. »Wer denn?«

»Bloß ein Mann«, sagte sie heiter, »ein steinalter Knabe, namens Mister Gant. Du bist bloß zwanzig Jahre lang sein Hausarzt gewesen, so kann es sein, daß er Dir entfallen ist. Du weißt ja, die Patienten kommen und gehen, manche sterben, manche bleiben am Leben, und dieser Mann gehört zu denen, die dran glauben müssen. Er wird begraben werden, und so oder so, am Ende wird's schon recht sein. Selbst wenn Du ihn umbringst, es macht nichts ... Es handelt sich ja bloß um einen uralten Mann, der schwer krebskrank ist, und auf alle Fälle abkratzen muß. Also versprich mir, Dich wegen der Sache nicht aufzuregen, gelt?«

Sie schwieg und betrachtete ihn. Auf einmal packte sie ihn mit der Hand unterm Kinn und riß ihm den Kopf mit einem Ruck hoch. Er starrte sie dumm an mit seinen besoffenen Augen; sie sah in diesem Blick den stummen Schmerz eines gequälten Tiers, und das Mitleid mit ihm verkrampfte ihr jäh das Herz.

»Sag' mal, was fehlt Dir denn?« fragte sie leis, mit fester Stimme; und er, einen Augenblick später, murmelte:

»Mir fehlt nichts.«

»Wieder diese Weibergeschichte, was? Um Gottes willen, Hugo McGuire, willst Du denn immer ein kleiner Bub bleiben? Nie Deine Schulbubenvorstellungen vom Leben aufgeben? Dich zu Tod kränken über so eine Petze, die jedesmal glaubt, es wär Frühling, wenn sie's am Hintern juckt? Dein Leben wegschmeißen und Deine Arbeit kaputt machen, weil so ein verdammtes Weibsbild im gefährlichen Alter Dir 'ne Schweinerei angerichtet hat? Was für ein Kerl bist Du denn überhaupt?« fragte sie höhnisch. »Heiliger Jesus, wenn Du auf Weiber aus bist, dann guck Dich doch um: die Welt ist voll von solchen, die gern möchten.« Dann setzte sie hinzu: »Und außerdem, Du bist ja verheiratet. Was hast Du denn an Deiner Frau auszusetzen? Sie ist mehr wert als 'ne Million von solchen seidenfetzigen Schlampen.«

Da er schwieg, fuhr sie nach einer Weile hart und höhnisch und in einem absichtlich groben Ton fort: »Hast Du es denn wirklich noch nicht herausgefunden bei Deiner Berufserfahrung, daß ein Stück Hinterteil eben ein Stück Hinterteil ist, und daß es im Dunkeln gottverdammt nicht drauf ankommt, ob das nun braun oder schwarz oder weiß oder gelb ist?«

Etwas unantastbar Kaltes und Klares in seinem Chirurgenverstand, etwas, das scheinbar keine Alkoholmenge verdumpfen konnte, stellte die scharfe und bestimmte Frage: »Warum sie nur alle einander schmähen? Was ist das nur in den Weibern, daß sie sich gegenseitig so verachten?«

Laut jedoch, mit einer abfälligen, spreizfingerigen Handgebärde, erklärte er angewidert:

»Du redest wirklich dreckig daher ... Ich mag das nicht, wenn eine Frau so spricht ... Ich habe es nie leiden können ... Du bist keine Lady.«

»Keine Lady! Geh fort!« sagte sie bitter, zuckte mit den Achseln und ließ die Hände fallen, überzeugt, daß ihm nicht zu helfen wäre. »Schon recht, Du armer Hanswurst, wenn Du glaubst, daß es darauf ankommt, dann sauf Dich meinetwegen tot aus Kummer über Deine Lady. Das ist's nämlich, was Dir fehlt.«

Ärgerlich murrend ging sie hinaus. Er saß regungslos da und wartete, bis das Absatzgeklapper ihrer festen Schritte in der schweigenden Halle verklungen war und er gehört hatte, daß sie eine Tür schloß. Dann griff er zwischen seinen Knien hinunter nach der Flasche und trank wieder. Und wiederum war kein Geräusch im Raum außer dem Laut der Stille, dem schnellen Getick einer kleinen Uhr, den schweren, kurzen Atemstößen des Mannes.


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