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Am Morgen von Gants Bestattung war das Haus voll von Leuten, die ihn gekannt hatten, und die Luft war schwer von dem süßen, klebrigen Duft der Begräbnisblumen, Rosen, Nelken und Lilien. Der Sarg war aufgebahrt und ringsum ganz von Blumen umgeben. Mitten unter diesen Blumen fiel ein einfacher Lorbeerkranz durch seine Schlichtheit auf. An dem Lorbeerkranz hing ein Kärtchen, und auf dem Kärtchen standen handschriftlich die Worte: »Hugo McGuire.«
Die Leute, die um den Sarg herumgingen, hielten einen Augenblick inne und starrten den Namen mit einem Gefühl sprachloser Verwunderung an. Eliza, die, die Arme lose vorm Bauch verschränkt, dastand, wandte sich mit einem schnellen Kopfschütteln und einem flüchtig-verkrampften Lippenschürzen ab und sagte leise zu Helene:
»Ich will Dir was sagen ... sehr eigenartig ist das schon, wenn man's bedenkt ... es kommt einem so unheimlich befremdend vor ... ja, unheimlich befremdend.«
Diese Worte drückten genau aus, was jedermann, der den Kranz sah, empfand, denn Hugo McGuire war an diesem Morgen um sechs Uhr tot vor seinem Schreibtisch gefunden worden, die Nachricht hatte sich schnell herumgesprochen, und die Leute, die nun diesen Kranz auf Gants Sarg liegen sahen, verspürten in ihren Herzen etwas, das sie nicht auszudrücken vermochten.
Gant lag in dem glänzenden Sarg, und seine großen Hände waren ruhig auf der Brust gefaltet. Eugen konnte später niemals seines Vaters Hände vergessen. Es waren die größten, mächtigsten und irgendwie auch die formschönsten Hände, die er je gesehen hatte. Und obschon Gants große Rechte infolge eines Anfalls von Gelenkrheumatismus vor zehn Jahren steif und verkrüppelt geblieben war, so daß er nie den vollen Gebrauch dieser Hand wiedererlangt und alsdann den schweren Holzhammer der Steinmetzen nur noch in einer ungeschickten Klemmung des Daumens gegen die großen, versteiften Finger festzuhalten vermocht hatte, hatten die Hände nie den Charakter des Lebendigen, der Kraft und der machtvollen Wohlgeformtheit eingebüßt.
Die Hände hatten seinem unendlich hinausgezogenen Hinsterben etwas sinnfällig Entsetzliches verliehen, das es sonst nicht gehabt haben würde, denn als die hagere, stattliche Gestalt, vom Krebs verzehrt, zu einem Schatten ihrer selbst verschrumpfte, hatten die massighageren Hände nichts von ihrer früheren felsenhaften Schwere verloren, und sie, an denen so wenig war, was Tod und Krankheit antasten konnten, hatten dann in ihrer Größe und Stillebigkeit, in ihrer Stärke und Kraft den gräßlichen und unglaublichen Eindruck erweckt, als wären sie widernatürlicherweise an ein Gespenst hingeheftet, an den Schemen einer Riesengestalt, die nur noch als Überbleibsel da war und in zeitlichen Kummer versunken auf den Tod wartete.
Aus diesem Grunde hatten stets, stärker als es irgendsonst etwas vermocht hätte, diese lebendigen und mächtigen Hände in Eugens Bewußtsein mit Blitzesgrelle die Erkenntnis von Gants verlorner Welt aufgerufen, die Erinnerung an Gants Leben, das ein Leben der Körperkraft, des Hungers, der Wut, der wüsten Fülle und der wilden Freude gewesen war, das Gedächtnis an den ganzen, tönenden Bau des verlornen Daseins, den Gant für die Seinen errichtet hatte. Diese großen Hände, die in einem ans Groteske grenzenden Mißverhalt an der von Krankheit ausgehöhlten, vom Sterben angezehrten Jammergestalt zu haften schienen, hatten ständig die kummervollen Gespenster der Zeit gerufen, den wahnhaften Sperrzauber und das Entsetzen der Zwischenjahre geweckt, der Jahre des phantomischen Hinsterbens, der schauderhaften Unwirklichkeit, der Befremdung, des Unglaubens und des Eingedenkseins.
Und so war es auch im Tod noch mit seines Vaters Händen. Sie schienen selbst nun, als Gant im Sarg lag, alles von Gants Leben, das nicht sterben konnte, festzuhalten; an ihnen, wie an einem Wahrgebilde, schienen die wesentlichen Eigenschaften von Gants Leben zu haften, dieses mit Körperkräften und sinnlichem Vermögen ungemein beschenkten Lebens der Wut und der Unrast, der Gier und des Hungers, der Genußfreude und der geschöpflichen Lust.
So könnte man annehmen, auf dem Antlitz eines toten Dichters bliebe – wie, wo und auf welche Weise könnte man freilich nicht sagen – eine Art Flamme, ein Licht, ein Glorienschein, das magische, stillebende Chrysma seines Genius. Und auf dem Antlitz des toten Eroberers vermöchten wir noch den lebendigen, anmaßenden Stolz und dessen dunkle Befehlsgewalt zu erkennen, so daß der finstere Blick der Macht, die unbeugsame Strenge der Herrschsucht, der unbesiegbare Wille in seiner eigenartigen Unendlichkeit nicht mit dem Leben stürben, sondern unfaßlicherweise noch dunkel und lebendig da wären mit ihrem Spott und Hohn auf die Zeit. Und dann würde auch auf dem Antlitz eines toten Denkers oder Sehers die Unsterblichkeit des stolzen, einsamen Gedankens weiterleben und nicht sterben. Wir vermöchten dann nicht zu sagen, wo dieser Geist ruhe, wir würden ihn vielleicht auf den Schläfen des großartigen und einsamen Hauptes, vielleicht in den Schatten um die geschlossenen, eingesunkenen Augen finden, vielleicht aber auch in einem zuckenden Irrlicht erkennen, das das Gesicht umspielte, ohne daß wir genau sagen könnten, wo es wäre, von dem wir aber genau wüßten, es wäre da. Und so wie Dichter, Seher, Priester, Eroberer im Tode irgendein über den Tod hinaus zeugendes Zeichen ihrer jeweils verschiedenen Lebenswahrheit trügen, so mögen auch die Kraft und die Geschicklichkeit, die Hoffnung und der Hunger, die Wut und die Unrast, die die hagere Gestalt eines Steinmetzen durchs Dasein getrieben haben, wunderbarerweise in der granitnen Macht und Symmetrie seiner nicht sterbenden Hände bewahrt sein.
Ausgestreckt auf den prunkhaften, glanzseidenen Kissen des teuren Sargs lag der Leichnam. Der Tote war rasiert und gepudert worden, man hatte ihm die Eingeweide herausgenommen und an ihrer Statt Einbalsamierungsflüssigkeit in den Körper gepumpt. Der Kopf mit dem eigenartig vorgeschobnen Gesicht wirkte wächsern, zwischen den Lippen war die schmale Linie des Wachsbands sichtbar. Die Frauen, schwarzgekleidet, ölig, mit verschwollenen Gesichtern, einen Blick zehrender Gier in den Augen, traten an die Bahre, starrten den Leichnam hart und lange an, hoben die feuchten Taschentücher an den Mund und wurden dann, hysterisch seufzend, weggeleitet von andern Frauen, die sich gleichviel ölig und von Gier verzehrt an der Kummerorgie beteiligten.
Indessen standen die Männer – Gants Freunde und Verwandte, Steinmetzen, Metzger, Maurer, Kaufleute, Bauunternehmer – linkisch umher. Sie hatten ihre guten, schwarzen Anzüge angelegt, die sie, so schien es, nicht eigentlich trugen, sondern in die sie vielmehr hineingesteckt waren, und in denen es sie sich zu jucken rastlos gelüstete. Bei der widerlichen Schaustellerei der Frauen blickten die Männer ernst und bedauernd mit niedergeschlagenen Augen vor sich hin; sie wechselten manchmal leise ein Wort miteinander und fragten sich insgeheim, ob das Ganze nicht bald vorüber sei.
Zu diesen Umständen kamen die schweren, unnatürlich wirkenden und schlaffmachenden Gerüche, der süßlich-kranke Blumenduft, der Sandelholzduft aus dem teuren Sarg und der leichtsäuerliche Duft einbalsamierten Fleisches, und diese Düfte mischten sich mit den Gerüchen von Kohlrabigemüse, Schweinebraten und Apfelbrei, die aus der Küche kamen, und das Ganze schuf eine Atmosphäre, die Eugen etwas an eine festliche Mahlzeit in einem behaglich eingerichteten Leichenschauhaus gemahnte.
Dieser ganze obszöne Begräbnispomp, grotesk, unnatürlich und abstoßend wie er war, hatte nichts mit dem Leben und der Persönlichkeit des Toten zu tun, und selbst Gants gräßlicher Tod schien nun so weit weg zu liegen, daß Eugen kaum daran glauben konnte. Er starrte das wächserne und ausgeweidete Überbleibsel im Sarg mit einem geisterhaften Unglauben an, außerstand, den Leichnam mit dem lebendigen Menschen, der in der Nacht zuvor sich in großen Lachen ausgeblutet hatte, in Verbindung zu bringen.
Nur die Hände, sie schienen dennoch zu leben, und sie würden nicht sterben. Und deswegen war es, daß das Andenken an diese Hände Eugen nun heimsuchte und ihn auch später immer wieder heimsuchen sollte. Wenn er sich seinen Vater auf der Bahre vorzustellen versuchte, hatte er kein klares Bild außer von der mächtigen Form, dem Gewicht und der Symmetrie der ungemeinen Hände, die da auf der Brust der Leiche gefaltet im Sarge lagen. Die Hände hatten eine wie in Stein gemeißelte und doch lebendige Stärke und Daseinskraft, so, als hätte sie Michelangelo ausgehauen. Sie lagen auf der geputzten, beraubten und leeren Entsetzlichkeit des Leichnams mit einem Ausdruck von furchtbarer Wahrhaftigkeit, so, als gäbe es über den Tod hinaus eine Kraft des Lebens, die der Verwesung trotzt, gäbe es ein Element im Leben des Menschen, das bestehen bleiben muß, und das in einem einzelnen Wesenszug den Kern und die eigentliche Art seines Charakters bewahrt.