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LIV

Martha Upshaw war nach New York gekommen, und Robert hatte Eugen eingeladen, mit ihm und seiner Geliebten zu Nacht zu essen. Obschon Robert dauernd von seiner großen Liebe zu Martha gesprochen hatte, fuhren und fauchten die beiden den ganzen Abend lang einander an. Sie speisten in einem Restaurant in der Sixth Avenue in Greenwich Village. Während der Mahlzeit traten dort mehrere Bekannte Roberts ein. Sobald Robert dieser Leute ansichtig wurde, rief er ihnen zu. Mit einer nervösen, störrisch-dumpfen Besessenheit sprang er auf, sie zu begrüßen. Er brachte sie an den Tisch, um sie Martha vorzustellen. »Ich möchte Sie gern mit meiner Frau bekannt machen«, sagte er. Martha ging, mit wütendem, zornrotem Gesicht ein paar unfreundliche Begrüßungsworte murmelnd, auf die Vorstellung ein. Die Leute, baff vor Staunen, riefen aus: »A-aber Robert! Wir wußten rein nichts davon! Warum haben Sie's niemandem mitgeteilt? Wie lang ist's schon her?«

»Zwei Wochen«, behauptete Robert glattweg. Augenscheinlich zog er eine trotzige Befriedigung aus dieser abgeschmackten Lüge.

»Und Sie wohnen?«

»Im ›Leopold‹.«

»Auf länger?«

»Nein, wir ziehen bald aus.«

»New York?«

»Gewiß«, log er hartnäckig. »Wir haben eine Wohnung gemietet. Ziehen Montag ein.«

»Ei Robert!« riefen die Bekannten, die sich mittlerweile von der Überraschung erholt hatten. »Das freut uns aber sehr!« Während die Männer Robert die Hand drückten, ihm auf den Rücken klopften, ihn in die Rippen gicksten, wandten sich die Damen mit vorgeblicher Herzlichkeit an Martha und sprachen: »Sie müssen mal zu uns kommen, wenn Sie erst eingerichtet sind.« Während die blöde Lüge Robert eine eigensinnige, grimme Lust bereitete, brachte sie Martha in eine kochende Wut. Sobald die Leute gegangen waren, grellte sie ihn empört an:

»Du verdammter Narr, was fällt Dir denn ein, so 'ne Lüge aufzutischen?«

»Ist ja keine Lüge«, behauptete Robert. »Du bist in jeder Beziehung meine Frau, außer dem Namen nach.«

»Das ist gelogen! Du nimmst es sofort zurück!« Sie wandte sich an Eugen. »Glauben Sie ihm nicht«, sagte sie, »es ist kein wahres Wort an der Behauptung ...« Sie grellte Robert an. »Du verdammter Narr, was denkst Du Dir dabei, Deinen Freunden so 'ne Lüge aufzutischen? Weißt Du nicht, daß sie jederzeit 'rausfinden können, daß es nicht stimmt? Und dann«, fügte sie bitter hinzu, »hast Du wohl nicht bedacht, daß Du mich dadurch ins Gerede bringst, nicht wahr? Natürlich nicht! So etwas ist Dir ja gleichgültig, Du denkst nur an Dich.«

»Ist ja ganz schnuppe«, behauptete er trotzig. »Du bist meine Frau, und das werde ich aller Welt sagen.«

»Das wirst du nicht tun!«

»Das werde ich tun! Du wirst sehn, daß ich's tun werde!«

»Ich bin Deine Frau nicht, und Du brauchst auch gar nicht so sicher zu sein, daß dem je so sein wird. Ich hab' einmal geheiratet, und zwar einen Kranken, und nun werde ich's mir eine gute Weile überlegen, ehe ich mich noch mal verheirate, und zwar mit einem Verrückten. Ich rate Dir also, Deiner Sache nicht so sicher zu sein. Wir sind noch längst nicht verheiratet!«

Ein bittrer Zank brach aus. Robert und Martha fauchten und fuhren einander höhnisch an, sie stritten so laut, daß die Leute an den Nachbartischen aufmerksam wurden und neugierig herzulauschen begannen, was aber die beiden nicht im geringsten störte. Robert beendete schließlich die Streiterei, indem er laut aufseufzend seinen Stuhl vom Tisch zurückrückte und fieberhaft ungeduldig erklärte:

»Schon gut! Schon gut! Schon gut! Du bist im Recht, und ich bin im Unrecht! Nur hör' jetzt um Gottes willen auf damit, und gönn' mir ein bißchen Frieden!« Sie nahmen ein Taxi und fuhren ins Hotel. Sie hatten eine Flasche Whisky dabei. Sie fuhren auf Roberts Zimmer, Robert telephonierte, er ließ Eis und Ingwer-Ale bringen, und sie begannen zu trinken. Es war kurz vor Mitternacht.

 

Gegen zwei Uhr hörten sie Schritte im Gang. Es waren behende, gewichtlose, unheimliche Schritte. Jemand blieb vor Roberts Tür stehen und pochte. Es war ein leises, eindringliches Pochen von derselben gewichtlos-behenden, unheimlichen Lebhaftigkeit wie die Schritte. Die drei Leute im Zimmer verstummten und sahen einander betreten an. Sie waren überrascht, wie Leute überrascht sind, wenn eine tiefe Stille, die sie umgab, plötzlich gestört wird. Zwar war das ›Leopold‹ schon vor zwei Stunden in Schlaf versunken, aber das lebendig atmende Dasein dieser Schlafstille merkten sie erst jetzt. Alle Vermutungen – außer der richtigen – blitzten auf in den schuldbewußten Gemütern. Sie hatten getrunken und ein wenig gelärmt; so konnte es sein, daß sich irgendein Gast über sie beschwert hatte. Es konnte auch sein, daß sich jemand dran stieß, daß eine Frau auf Roberts Zimmer war, und daß nun Martha aufgefordert werden würde, im Interesse des guten Rufs des Hotels ihre eigne Wohnung aufzusuchen. Das Pochen an der Tür wurde wiederholt, diesmal schneller und lauter. Robert blickte nervös zu Eugen hinüber und sagte, vermutlich seines früheren Fehltritts im Hotel eingedenk:

»Geh Du und guck, wer es ist!«

Eugen ging zur Tür und öffnete. Draußen stand ein Mann, oder vielmehr stand das Hauch- und Rauchbild dessen, was einst ein Mann gewesen war, – eine kleine Gestalt, klapperdürr, mit einem totenhaften Schädel, an dessen sprödem Beingehäus unter der pergamentartigen, straff über die Umrisse von Gesicht und Kopf gespannten Haut überhaupt kein Fleisch mehr zu haften schien. Stirn und Schädeldach wirkten wie ein ungeheures, schwebendes Gewölb über einem Gesicht, das so verschrumpft und eingefallen war, daß sich Eugen später überhaupt keiner Züge erinnern konnte. Das fiebrige Leuchten von Zahnreihen, das Gestrubbel eines seit Tagen nicht rasierten Barts, zwei flammendrote Flecken auf den Wangen, die verdunkelt und verschattet waren von den eingesunkenen Augenhöhlen, in deren Tiefe ein Blick von unglaublicher Größe und unglaublichem Glanz brannte, – dies und dazu das Flüstergespenst von einer Stimme machte den endgültigen, ausschlaggebenden und unvergeßlichen Eindruck.

Der Schemen trug, oder vielmehr, er war eingewickelt in anscheinend noch nie getragene, gutgeschnittene Kleider aus gutem Stoff, Kleider, die bauschig in schlotternden, sackartigen Falten um das steckendürre Gestell hingen, und der Hals kam aus einem Kragen hervor, durch den, so schien es, die ganze Gestalt leichtlich hätte hindurchschlüpfen können.

Trotzdem brannte das Geschöpf von einer wilden Energie, die wie ein elektrischer Strom durch den verdorrten Körper floß, einer Energie, die es ihm ermöglichte, mit diesem gewichtlosen, unheimlichen Schritt einherzugehen, einem Schritt, der etwas Launisch-Lustiges hatte, wie ein zu Boden gefallener, aufdotzender Kork, und diese Energie schäumte und sprudelte nun in ihm, als er ungeduldig in der Tür stand, und grellte in seinen Augen mit einer verderbten, verhängnisvollen Heiterkeit, einem irrsinnigen, flackernden Frohlocken, einer brennpunkthaften Heftigkeit von Triumph, Freude und Haß.

Als Eugen die Tür öffnete, trat der Mann sofort ein, ging hurtig mit diesem gewichtlosen, korkartigen Tritt ins Zimmer und sagte munter in seiner hauchdünnen Flüsterstimme: »Guten Abend! Sind wir alle beisammen? Geht's uns allen gut? Hat jemand was gesagt?« Er blickte sich fragend um und sagte dann enttäuscht: »Nein. Ich dachte schon, jemand hätte was gesagt. Nun denn, Mr. Upshaw, treten Sie bitte näher! Danke, sehr gern! Wollen Sie nicht Platz nehmen? Ei freilich, sehr liebenswürdig.« Er setzte sich. »Darf ich Ihnen was zu trinken anbieten? Es wäre reizend ...« Er nahm die Flasche, schüttete einen tüchtigen Schluck Whisky in ein Glas und stürzte den Trunk hinunter. Alsdann sah er sich etwas ruhiger um, bis sein Blick mit böswilliger Bemessenheit auf seiner Gattin haften blieb. »Hallo, Martha«, sagte er beiläufig und leise. »Wie geht's?« Sie antwortete ihm nicht. Nach einer Minute sprach er wieder, ganz so boshaft-ruhig wie zuvor, aber mit einem heftigeren, gehässigeren Ton: »Hör' mal, Du gottverdammte Hündin! Antworte, wenn ich Dich was frag! Wie geht's Dir?«

»Wie bist Du hergekommen?« fragte sie.

»Ah! Überrascht, mich hier zu sehn? Nun, ich will Dir's erzählen, mein Liebchen. Ich wollte zu Fuß gehn, falls es nötig wäre, und daran kannst Du sehn, wie sehr ich mich nach Dir gesehnt haben muß. Also, ich wollte den ganzen verdammten Weg zu Fuß gehn von Denver über die Berge und die Prärien und die Flüsse, aber es stellte sich 'raus, daß das nicht notwendig war. Ich fand einen Zug, der auf mich wartete, Liebchen. ›Warum gehn?‹ sagte ich. Als ich nach Kansas City kam, fand ich, daß dort ein Flugzeug auf mich wartete. ›Warum mit der Bahn fahren, wenn fliegen so viel schneller ist?‹ sagte ich. Und so bin ich also hergekommen.« Er hielt inne, nahm sich Whisky und trank.

»Woher wußtest Du denn, wo ich zu finden wäre?« fragte Martha.

»Oh!« sagte Upshaw ergötzt und leichthin. »Das war ganz einfach. Wo solltest Du wohl zu finden sein, meine Teure? Wo konnte ich Dich anzutreffen hoffen? Freilich doch im Schlafzimmer meines lieben, alten Busenfreundes Mr. Robert Weaver. Ich wußte, daß er sich um Dich bekümmern würde. Ich wußte, daß er ein unschuldiges junges Mädchen wie Dich nicht allein in der gefährlichen Großstadt herumlaufen lassen würde ... Heh, Robert!« rief er herzlich und grüßte freundschaftlich mit erhobener Hand, ganz so, als ob er Roberts Gegenwart nun erst bemerkte. »Wie geht's Dir, alter Junge! Freut mich, Dich zu sehn. Du hast Dich meiner Frau angenommen, nicht wahr, Robert? Hast sie ritterlich beschützt, nicht? Bin Dir sehr verbunden, Du ... Hundesohn«, schloß er ruhig und langsam ab mit einem unendlich verachtungsvollen Ton.

Niemand sprach, und Upshaw, der seine Frau wieder eine Zeitlang mit dem boshaft-ruhigen Blick gemessen hatte, fragte spöttisch: »Was ist denn los? Du freust Dich aber, scheint mir, nicht ein bißchen, mich wiederzusehn. Die meisten Frauen wären begeistert von einem Ehemann, der im Flugzeug sie besuchen käme, irrsinnig begeistert sogar!«

»Ich wünschte, Du wärst in einen Fluß gefallen und ertrunken«, sagte sie bitter.

»Na, ist das vielleicht artig? Ist das vielleicht gütig?« höhnte Upshaw in vorwurfsvoll gekränktem Ton.

Er wandte sich nun an Eugen und richtete nun zum erstenmal das Wort an ihn: »Ich rufe Sie als Schiedsrichter an, Mr. – – –« Er zögerte. »Entschuldigung, mir ist Ihr Name entfallen, Herr. Aber ist es Ihnen recht, wenn ich Sie Mr. Whipple nenne?«

»Ja«, sagte Eugen. »Mir ist es recht.«

»Fein!« rief Upshaw. »Ich wußte ja, es würde Ihnen recht sein. Der Grund ist der, daß ich mal in Cleveland einen Freund namens Charley Whipple hatte. Der war genauso ein Kerl wie Sie, dem Typ nach, Sie wissen schon wie«, sagte er mit ruhigem Hohn, »fein, blitzsauber aus dem rechten Holz geschnitzt, schöne, reine Haut, die Augen leuchtend vor Gesundheit, breitschultrig, mit beiden Füßen auf der Erde stehend, gut zu seiner Mutter. Oh, er war ein Prinz! Dem Aussehen nach genauso ein Kerl wie Sie. So wollen Sie sich also nicht dran stoßen, wenn ich Sie bei seinem Namen nenne, Sie erinnern mich so sehr an ihn. Und nun, Mr. Whipple, frage ich Sie, ob das artig ist, wenn eine Frau so zu ihrem Gatten spricht. Ist es artig? Ist es gütig? Ist es schön?«

»Sie ist nicht Deine Frau!« sagte Robert! »Sie ist meine Frau.«

Upshaw wandte sich um und sah seinen Feind zum erstenmal voll an. Er musterte ihn richtig der Länge nach, seine Augen leuchteten vor Haß. »Hast Du was gesagt?« fragte er.

»Du hast mich gehört«, sagte Robert.

»Hat Dich jemand gefragt? Hat jemand irgend etwas zu Dir gesagt?« flüsterte Upshaw. Er schwieg einen Augenblick. Er lehnte sich nach vorn über den Tisch. »Laß Dir einen Rat geben, Robert. Der einzige Fehler, den er hat, ist, daß Du außerstande bist, nach ihm zu verfahren. Aber ich will ihn Dir dennoch geben. Also hör' ihn: Spiel nicht mit einem Sterbenden, Robert. Wenn Du schon mit Menschen herumspielen mußt, dann spiel' mit den Lebenden und nicht mit den Toten. Mit den Toten spielt man immer ein schlechtes Spiel.«

»Schon gut! Schon gut!« rief Robert heiser-erregt. »Das stellt den Tatbestand der Bedrohung dar! ... Martha! Eugen! Ich rufe Euch beide zu Zeugen auf dafür, daß er mich bedroht hat! Wir werden sehn, wie das vor einem Gerichtshof klingt!«

»Gerichtshof!« sagte Upshaw, und als er das Wort aussprach, spürten die andern augenblicklich, wie hochstaplerisch Robert dahergeredet hatte, und wie unendlich inhaltlos dieses Wort für Upshaw, diesen Schatten von einem Menschen, geworden war.

»Bildest Du Dir ein, daß ich mich auch nur eine gottverdammte Sekunde um alle Gerichtshöfe der Welt schere? Bildest Du Dir ein, daß ich in den letzten beiden Jahren auch nur eine gottverdammte Sekunde darnach fragte, ob ich lebte oder stürbe?«

»Es sei denn, um mir und Martha zum Trotz am Leben zu bleiben!« sagte Robert erbittert. »Daran war Dir schon sehr viel gelegen?«

»Stimmt«, sagte Upshaw ganz ruhig. »Da hast Du recht. Ich hätte mich ans Leben geklammert, solange ich noch ein bißchen Luft in das Überbleibsel von meiner Lunge atmen konnte, und wäre mir gar keine Lunge mehr zum Atmen übriggeblieben, dann hätte ich doch weitergelebt, bloß um Euch das schmutzige Spiel zu verderben, so sehr hab ich Euch beide gehaßt. Das verstehst Du wohl nicht, Robert, wie? Das kannst Du Dir wohl nicht vorstellen, daß ein Mensch so zu hassen imstande ist, daß ihn der Haß am Leben erhält, daß ihm Haß statt einer Lunge und statt der Luft für die Lunge dient. Davon hast Du wohl keine Ahnung, nicht wahr?«

»Ich wußte das schon«, sagte Robert. »Ich wußte längst, daß Du mich bis ins Mark haßtest.«

»Bis ins Mark?« fauchte Upshaw. »Ei, verdammt sollst Du sein! Ich haßte die Erde, auf der Du gingst, haßte die Luft, die Du atmetest, haßte das Haus, in dem Du wohntest, haßte jeden Ort, zu dem du reistest, haßte alle Leute, die Dich ansahen oder mit Dir sprachen oder die je eine Stunde in Deiner Gesellschaft verbracht hatten, ... die Umwelt war verseucht für mich, wenn ich bloß den Klang Deiner Stimme vernahm.«

»Das wußte ich alles«, sagte Robert nickend. Er wandte sich zu Martha. »Was hab ich Dir gesagt?« rief er triumphierend überzeugt.

»Du willst das gewußt haben!? Du!?« höhnte Upshaw empört. »Ei, verdammt sollst Du sein, Du billiges Spottbild auf einen Halunken, Du armseliger Limonaden-Casanova, Du schmutziges kleines Schwein von einem Golf- und Tennis-Klub-Snob, Du Dorfwahrsager, Du willst das gewußt haben!? ... Seit zwei Jahren leb ich nun und hab' nicht mehr so viel Lunge in mir, als man auf einen Silberdollar legen kann, und da meinst Du vielleicht, das war, weil ich Angst vorm Sterben hätte oder gar gern am Leben bliebe? Nein, nein!!« flüsterte er und sein Gesicht, oder vielmehr dieses Ausdrucksgefüge aus Aug und Zahn wurde leidenschaftlich mit dem bittersten Ekel und Abscheu, den Eugen je an einem Menschen erlebt hatte. »Ich hab' mehr als dreißig Jahre das Leben gehabt, und, bei Gott! das genügt. Ich bin es dicksatt. Es steht mir hier oben«, flüsterte er und schlug sich heftig auf den Halsansatz. Er mußte plötzlich husten, ein paar kurze, furchtbare Hustenstöße, und mit einer schnellen, ungeduldigen Bewegung riß er ein Handtuch vom Handtuchhalter neben dem Waschstand, preßte sein Gesicht in das Handtuch, starrte dann einen Augenblick mit reglos gespannter Aufmerksamkeit in die zerknüllten Falten und warf das blutige Tuch ungeduldig weg.

»Du und etwas wissen?!« sagte er dann ruhiger. Seine Stimme klang nun etwas müde und mühselig, es war so, als wäre die grelle Flamme leidenschaftlicher Energie, die ihn bis hierher getrieben hatte, am Verlöschen. »Ei, nichts weißt Du. Um so zu hassen, muß man ein Mann sein ... und zwar ein besserer Mann, als Du je sein könntest ... Ja! ... Mit nicht mehr Lunge, als ein Karnickel im Brustkorb hat, bin ich immer noch ein besserer Mann, als Du je sein könntest, denn Du bist nichts wie ein Ding, das nicht mal den Mut zu seinen eignen, verfaulten Überzeugungen hat ...«

Verdrießlich angewidert blickte er die beiden an, die von einem mürrischen Trotz dumpf gedunsen dasaßen und kein Wort sprachen. »Mein Gott! Ihr zwei!« wisperte er. »Was für ein Paar! ... Die gute Zeit, die ich damit verschwendete, Euch zu hassen! ... Die gute Zeit, die ich still unterm Rasen hätte liegen können, statt mich ans Leben zu klammern, indem ich an diesen Augenblick dachte! ...« Ein gräßliches, lautloses Lachen schüttelte ihn. »Mein Gott! ... Daß ich je daran dachte, eins von Euch umzubringen!«

»Uns umzubringen!« rief Robert heiser, aber nicht aus Furcht, sondern anklägerisch, so, als sammle er belastendes Material für eine gerichtliche Anklage.

»Ja, Euch umzubringen ...« wiederholte Upshaw mit derselben verdrossenen Stille. »Ich hab geatmet, gegessen und getrunken, weil ich an nichts anderes dachte. Ich habe um dieses Augenblicks willen gelebt. Ich bin die zweitausend Meilen über den Kontinent hergereist, um Euch jedem eine Kugel in den Kopf zu schießen ...«

»Hast Du das gehört?« rief Robert und sprang erregt auf. »Hast Du gehört, was er gesagt hat, Martha? Hast Du gehört, daß er mich bedrohte?«

»Setz Dich!« sagte Upshaw ruhig. »Ich hab' mir Dich nun angeguckt und bin zufrieden. Ich werde Dir nichts tun. Ei, Gott verdammt, Ihr zwei wärt es nicht wert.« Und wieder musterte er die beiden mit langsamem Ekel. Er lachte lautlos. »Euch umbringen! Nein, so einen großen Gefallen möcht' ich Euch nicht tun. Soviel Glück habt Ihr nicht verdient. Ihr sollt am Leben bleiben und zusammen verrotten ... Nimm sie! Nimm sie!« keuchte er laut, und seine Augen brannten vor Wut. »Nimm sie! ... Aber eh Du's tust –« Er zog schnell ein paar zusammengerollte Dollarscheine aus der Tasche. »Da! Das schenk ich Dir!« Er schmiß Robert die Scheine ins Gesicht. »Nimm's und kauf Dir erst mal 'ne gute Hure!«

Einen Augenblick saß Robert vollkommen still. Dann erhob er sich, ging zur Tür, riß sie weit auf und kam zum Tisch zurück.

»Mach, daß Du hier 'rauskommst!« sagte er.

Upshaw rührte sich nicht. Er saß da und musterte Robert stumm mit einem vorsätzlich verächtlichen Katzenblick.

»Hast Du verstanden?« fragte Robert. »Mach, daß Du hier 'rauskommst!«

»Setz Dich!« sagte Upshaw. »Du belästigst mich.«

»Dich belästigen! Ich werde Dich belästigen, Du verdammter Schuft!« rief Robert wütend und schlug plötzlich Upshaw mit der Hand ins Gesicht. »Mach, daß Du hier 'rauskommst! Diese Minute noch! Verstanden?!« schrie er. »Ich werde Dir zeigen, ob ich mich in meinem eignen Zimmer beleidigen lasse!« Er ging mit geballten Fäusten auf ihn los.

Was nun geschah, geschah so jählings und schnell, daß Eugen sich später nie der genauen Reihenfolge der Ereignisse erinnern konnte. Robert ging auf den kleinen Mann los, Martha befahl Robert scharf, sofort aufzuhören, im selben Augenblick wurden zwei Stühle umgeworfen, und der Tisch stürzte mit dem Geklirr zerbrechender Gläser um. Upshaw war mit einer unglaublichen Behendigkeit aufgesprungen und zog sich vor Roberts sausender Faust gewandt zurück. Und dann kam eine furchtbare Sekunde, als Upshaw katzenhaft geschwind in seine Manteltasche griff und Eugen das helle, böse Aufblitzen von Stahl sah. Martha stürzte sich sofort auf Upshaw, klammerte sich besessen an seinen Arm, drängte ihn gegen die Wand und entrang ihm die Waffe.

Es ward auf einen Augenblick still im Zimmer bis auf den schnellen, schweren Atemgang der drei Erregten, und dann kam noch ein andrer Laut, der furchtbare Laut von Upshaws heiser rasselndem, losbrechendem Husten. Upshaw hustete Blut. Die ersten Worte nun kamen von Martha.

»Mach die Tür zu!« befahl sie scharf.

Robert, anstatt dem nachzukommen, wandte sich mit einem schreckstarren Licht in den Augen an Eugen: »Hast Du das gesehn?« flüsterte er. »Hast Du gesehn, daß er den Revolver gegen mich zog? ... Ei!« rief er. »Das war tätlicher Angriff mit einer Schußwaffe! Genau das! Versuchter Totschlag!« Er war außer sich vor Staunen und Erregung. »Ich hole die Polizei!« rief er und rannte hinaus in den Gang.

»Bringen Sie den verdammten Narren zurück!« sagte Martha zu Eugen. »Und Tür zu!«

Eugen rannte hinaus in den Gang. Er sah gerade noch, wie Robert mit seinem langen, steifen Schritt um die Ecke verschwand, in Richtung auf die Fahrstühle im Haupthaus zu. Als Eugen ihn dort erreichte, war Robert fieberhaft dabei, die Knöpfe zu drücken. Aber das Antwortlicht blitzte nicht auf. Vermutlich war der Fahrstuhlführer unten in der Halle eingeschlafen.

Eugen packte Robert am Arm und zog ihn mit Gewalt fort; er wollte ihn in sein Zimmer zurückschleifen.

»Laß mich los!« sagte Robert.

»Verdammter Narr! Willst Du uns alle ruinieren?«

Nachdem Eugen ihm gut zugeredet hatte, schien Robert ein wenig nüchtern und vernünftig zu werden. Sie gingen recht leise ins Zimmer zurück. Dort stand Martha und hielt Upshaw über das Waschbecken. Upshaw war ohnmächtig, oder zum mindesten halbohnmächtig. Die wilde, unheimliche Energie, die so unglaublich gebrannt hatte, daß dieses schwerkranke, halbtote bißchen Mensch kraft ihrer über den Kontinent reisen konnte, war erloschen, und das Wesen, das Martha nun in einer dunklen, dumpfen Zärtlichkeit mit den Armen stützte, schien ebenfalls erloschen zu sein. Von einem Körper war da überhaupt nichts mehr zu merken, er schien wie ein Gestell aus verdorrten Stecken in einem Kleiderbündel, er baumelte haltlos wie die Glieder an einer Stoffpuppe. Da war nur noch der Kopf, dieser totenhafte Kopf aus Schädeldach, Aug und Zahn, und dort entsprangen unglaublich und unvorstellbar ganze Brunnen von Blut. Das Blut stürzte gleichzeitig aus dem Mund und den Naslöchern, die Haut war mit Blut bespritzt, das Becken war mit Blut gefüllt, es war nicht auszudenken, woher diese Sprudel hellen Blutes aus diesem vertrockneten, winzigen Menschenwesen kommen konnten.

Robert sagte: »Nun ... das ist Deine letzte Gelegenheit ... Mir ist's genug ... Länger ertrag ich's nicht ... Jetzt und hier mußt Du Dich zwischen uns beiden entscheiden.«

Martha gab ihm keine Antwort. Er setzte sich mürrisch in einen Sessel. Er schwieg und verfiel in ein dumpfes, stumpfsinniges, halbtrunknes Dösen.

Martha wusch mit einem Handtuch das Blut von Upshaws Gesicht, dann bat sie Eugen, er möge ihr helfen, Upshaw aufs Bett zu tragen. Eugen nahm Upshaw und trug ihn aufs Bett; die Last war nicht anders, als wenn er ein Bündel dürren Reisigs höbe, Upshaw wog nicht mehr als ein zehnjähriges Kind. Dieses Wesen, in der seltsamen und furchtbaren Verwandlung des Sterbens begriffen, schien bereits von Sekunde zu Sekunde sichtbar zu verschrumpfen und zu zerfallen. Nur der Kopf blieb wie ein von diesem formlosen, grotesken Kleiderbündel getrennter Teil unverwandelt in einer ungemeinen Erhabenheit aus Licht und Form, in einer kalten, erstarrenden, aufwärtsgewandten Ruhe.

Eugen ging hinunter ins Büro und verständigte die Leute dort. Der Angestellte, der am Pförtnertisch Nachtwache hatte, ein fetter, tapperiger Alter mit einem milden, teigigen Gesicht, und der Neger, der am Telephonschalter saß, sie beide nahmen die Nachricht mit erstaunlicher Ruhe und Sachlichkeit auf. Und dann handelten sie mit bewundernswürdiger Kühle, Geschwindigkeit und ruhiger Genauigkeit. Eugen mußte in der Folgezeit oft daran denken, denn die Art, wie diese Leute ihre Schuldigkeit taten, offenbarte ihm eine gewisse Geheimkunde, einen verborgenen Ernst hinter dem arbeitenden Hotelbetrieb, – und außerdem zeigte dies ihm, wieviel Verständnis, Fähigkeit und Entschiedenheit hinter den Gesichtern von untauglich und töricht aussehenden Leuten stecken kann.

Eugen sah auf die Uhr in der Hotelhalle. Es war zehn Minuten nach drei Uhr morgens. Zwanzig Minuten später stand bereits ein Krankenwagen vorm Hotel, und ein Arzt und zwei Krankenwärter waren im Haus. Der Arzt, ein junger Jude mit einem Schnurrbärtchen, Assistent am Krankenhaus, trat mit einer ruhigen Selbstverständlichkeit ein; in seinen Ohren staken die Enden des Stethoskops. Eugen hatte geglaubt, Upshaw wäre bereits verschieden, denn das Haupt hatte die aufwärtsgereckte, marmorne Starrnis des Todes. Aber nach einer Untersuchung, die nur einen Augenblick dauerte, sprach der Arzt ruhig ein paar Worte zu seinen Begleitern. Die beiden Männer stellten die Streckbahre auf den Boden und hoben die verdorrte Gestalt auf. Als sie ein paar Schritte taten, begannen Upshaws Arme mit steifen, grotesken Ruck- und Zuckbewegungen zu flappen. Der Arzt sprach abermals, die Träger stellten die Last ab, der Arzt kniete nieder, löste flink Upshaws Krawatte aus dem Kragen und band damit lose die Handgelenke zusammen. Martha ging hinter der Krankenbahre her; sie trug Upshaws Hut. Auch Eugen und Robert gingen mit. Martha fuhr mit dem Ambulanzwagen hinüber ins Krankenhaus, das nur ein paar Straßenblöcke entfernt in der Fifteenth Street lag. Eugen und Robert fuhren in einem Taxi hinterdrein. Niemand war auf den Straßen. Die Gebäude und die Bürgersteige hatten die harte, nackte Kantigkeit, die sie um diese Stunde immer haben. Eugen und Robert warteten in einem kleinen Zimmer im Erdgeschoß. Kurz nach fünf Uhr morgens kam Martha herunter. Sie sagte ihnen, daß Upshaw soeben gestorben war.

Robert und Martha blieben im Krankenhaus, als Eugen sie verließ. Er ging zu Fuß zum Hotel zurück. Die Straßen waren noch kahl und leer, aber im Osten kam breit das erste Frühlicht durch, kaltstahlgrau, harsch und von scharfer Reinheit. Der Tag brach an. Eugen konnte einen Milchwagen hören, Hufklang, Rädergerassel und Flaschengeklinker hinter sich in der einsamen Straße.


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