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Viertes Buch
Proteus: Die Weltstadt

XLVI

Als der Zug nordwärts durch New Jersey stampfte, begann auf dem Nebengleis ein andrer Zug mit ihm um die Wette zu laufen. Über eine Zehnmeilenstrecke hin ging der mächtig donnernde Kampf, und den Reisenden, die das Rennen heftig teilnehmend miterlebten, wurde auf eine Zeitlang jeder andre Gedanke ausgelöscht.

Der andre Zug – ein Lokalzug Philadelphia-New York – erschien mit einer Selbstverständlichkeit auf der Bildfläche, daß zuerst niemand an ein Wettrennen dachte. Langsam, mit prallem Gebrüll und schwerfälligen Schütterstößen schob die Lokomotive, das große, schwarzrüsselige Ungetüm, heran; frei und locker schwangen die blanken Kolbenstangen an den Rädern, und der Rauch paffte kurz-rhythmisch aus dem niederen Schornstein. Die Lokomotive kam langsam und selbstverständlich heran an die Fenster des Fern-Schnellzuges, das furchtbare Ungetüm mit dem ungeheuren Schmetterpäng fraß sich vorwärts und draußen vor den Fenstern vorbei, und das geschah so langsam, daß es anfangs schwer zu verstehn war, mit welcher tollen Geschwindigkeit der Lokalzug lief, bis man durch die Fenster auf der freien Seite hinaussah und erkannte, daß schon der eigne Zug ungeheuer schnell fuhr, denn die platte, formlose, durch nichts Besondres ausgezeichnete Landschaft New Jerseys wurde vorbeigepeitscht wie Pfähle an einem Zaun.

Als die Lokomotive den Wagen, in dem Eugen saß, einholte, konnte dieser auf eine Entfernung von anderthalb Armlängen den Maschinisten sehen, der, eine behandschuhte Hand ständig am Drosselventil, ruhig und gelassen in seiner Führerkabine stand, alle Energie und Aufmerksamkeit wie Strahlen auf einen Brennpunkt auf das Geleis gerichtet. Der Maschinist, ein junger Mann in einer sauberen, blaugestreiften Arbeitsjacke, eine Schutzbrille vor den Augen, hatte ein gesundrotes, kräftiges, angenehmes Gesicht, auf dem die Eigenschaften Mut und Würde und dazu eine ungemeine berufliche Sachkenntnis zu lesen waren. Und nun lag das Grinsen einer gutartig-heiteren Entschlossenheit auf diesem Gesicht. Hinter dem Maschinisten stand, über das ganze berußte Gesicht grinsend, dämonisch, die Schutzbrille vor den Augen, von dem wilden Widerschein der Glut bezuckt, der Heizer. Er schaufelte unablässig und so schnell er nur konnte, Kohlen aufs Feuer und hielt sich dabei auf dem von den Schütterstößen der Maschine schwankenden Fußboden gewandt im Gleichgewicht. Und derweilen kam der Lokalzug heran, heran, fraß er sich Stück für Stück vorwärts, die Lokomotive war schon außer Sicht, und die ersten Personenwagen erschienen.

Und nun geschah das Wundervolle. Als die schweren, rostroten Wagen des Lokalzugs herangerumpelt kamen und vorüberrollten, merkten die Fahrgäste in beiden Zügen auf einmal, daß ein Wettrennen stattfand. Eine ungeheure Erregung bemächtigte sich mit verwandelnder Zaubergewalt dieser Reisenden. Zuvor waren sie dagesessen mit ihren grauen Hüten, mit ihren grauen, abgespannten Großstadtgesichtern, die gleichgültigen, angemüdeten Augen teilnahmslos auf ein Zeitungsblatt geheftet, und hatten den Eindruck gemacht, als wären sie so oft unter einsamen Himmeln über das öde Antlitz der Erde dahingesaust, daß ihnen die allzu bekannte Landschaft da draußen keines Aufblicks mehr wert schiene. Nun aber stieg die Röte der Erregung in diese grauen, toten Gesichter, und die stumpfen, glanzlosen Augen begannen vor freudiger Teilnahme zu funkeln. Die Fahrgäste in den beiden Zügen drängten sich ans Fenster und lachten vor Entzücken und Jubel wie kleine Kinder.

Eugens Zug, der sich eine Zeitlang gleichmäßig neben dem Rivalen gehalten hatte, blieb nun allmählich zurück. Der Lokalzug glitt mit zunehmender Geschwindigkeit vor den Fenstern vorbei, und der freudige Triumph seiner Passagiere war schier unglaublich. Die Gesichter der Leute im Fernschnellzug aber wurden finster und bitter angesichts der Niederlage. Die Leute fluchten, murmelten, blickten böse drein; mit vorgeblicher Gleichgültigkeit, so, als interessiere sie die Sache gar nicht mehr, wandten sie sich ab, und sahen dann doch wieder mit empörtem Blick zu, wie der verhexte Lokalzug vor den Fenstern mit der Unvermeidlichkeit des Todes oder des Schicksals vorbeiglitt.

Das Personal der beiden Züge nahm ebenso leidenschaftlich und mit dem gleichen heftig-scharfen Wetteifer an dem Rennen teil wie die Fahrgäste. Die Schaffner und die schwarzen Pullmandiener drängten sich an die Fenster und grinsten und spotteten, genau wie es die Reisenden taten, nur freilich mit dem Unterschied, daß das Interesse des Zugpersonals ein sachverständiges und persönliches war. Der Schaffner fragte den Pullmandiener von Eugens Wagen: »Wer führt denn den Zug da? John McIntyre?« Und der Neger antwortete im Ton des genauen Bescheidwissens: »Nöh, nöh! Des is' nich' dem Captain Mclntyre seiner! Den Zug hat der olle Rigsby. Hah! Do isser ja!« rief er, als grade ein andrer Wagen heranglitt und das alte, graubärtige, grinsende Gesicht des Zugschaffners von drüben in Sicht kam. Der Zugschaffner ging kopfschüttelnd weiter.

Der Neger war ein fettes Ungeheuer von einem Kerl, mit einer Haut schwarz wie Tusche, einem mächtig breiten Hintern, einem üppigen Nackenwulst und gediegenen, glänzend-weißen Zähnen. Er gluckerte ein kullerndes Lachen vor sich hin, murmelte dann und wann etwas dazu. Wenn er lachte, bibberte er wie Gelee. Eugen kannte ihn seit Jahren, denn dieser Neger kam aus seiner Vaterstadt, und der Pullmanwagen K19, in dem er reiste, verkehrte ständig auf der 700-Meilen-Strecke Altamont-New York. Nun saß dieser Neger auf dem Endsitz des Abteils, er räkelte sich breit auf dem grünbespannten Polster und murmelte einem schwarzen Berufskollegen zu, der ihn durchs Wagenfenster des Lokalzuges angrinste.

»Schon recht! Mach Dich nur fort, Du saumseliger Nigger! Uh! Uh!« lachte er hämisch. »Bild Dir nur nicht ein, Du wärst jemand! Ich hab Dich schon gesehn! Mach Dich nur fort! Mach Dich nur fort, daß ich Dein leberlippiges Gesicht nimmer seh!« meinte er ungeduldig.

Und auch dieses höhnisch grinsende Gesicht entschwand, und bald war der ganze Lokalzug vorausgefahren und entschwunden. Der schwarze Pullmandiener aber saß immer noch am Fenster und stierte hinaus. Von Zeit zu Zeit schüttelte er den Kopf, gluckerte sein Lachen und murmelte in einem vorwurfsvoll-ungläubigen Ton vor sich hin:

»Der hat kein Recht, das zu tun ... Der hat kein Recht, das zu tun ... uh ... uh ... das ist ja bloß ein kleiner Lokalzug aus Philadelphia ... der darf nicht so schnell fahren ... und wir sind auf dem Außengleis ...« Er schüttelte den Kopf, gluckerte und meinte dann: »Das hat uns heute aber nicht geholfen ... nein, nein, fährt da an uns vorbei, als wär'n wir überhaupt nicht da, und der hat doch gar kein Recht, das zu tun ...« Dann erklärte er trübselig: »Den holen wir nimmer ein.« Es schien, als hätte er recht.

Eugens Zug lief nun im offnen Licht durch die freie Landschaft, die Reisenden hatten sich schließlich mit der Niederlage abgefunden und waren wieder in die vorherige Teilnahmslosigkeit zurückgefallen. Plötzlich aber schien es, als spränge und hüpfe der Zug mit neuerwachter Triebkraft dahin, und bald war es offenbar, daß er seine Fahrtgeschwindigkeit beschleunigte, denn die Landschaft vorm Fenster strich schneller und schneller vorbei. Die Fahrgäste blickten auf, ihr Interesse war abermals geweckt, und sie sahen einander fragend an.

Und nun wandte sich das Blatt. Nach einer kleinen Weile hatte der in rasendem Tempo dahinbrausende Zug den Lokalzug erreicht, und genauso wie dieser ihn zuvor überholt hatte, so überholte er jetzt diesen mit dem gelassenen Ungestüm einer unwiderstehlich vorantreibenden Gewalt. Während aber bei der ersten Begegnung die Passagiere der beiden Züge übereinander gespottet und gewitzelt hatten, lächelten sie sich nunmehr ruhig-gutmütig, ja fast freundlich-wohlwollend zu. Es machte ganz den Eindruck, als dächten die Leute im ›Philadelphia Local‹, ihr Zug habe sein Bestes geleistet, als er es vorhin so tapfer mit dem gewaltigen und vornehmen Rivalen aufgenommen hatte, und so dürften sie sich jetzt vergnügt drein ergeben, daß der ›Limited‹ voranführe.

Als sein Wagen neben den Speisewagen des andern Zuges heranfuhr, konnte Eugen die lächelnden Kellner in ihren weißen Jacken sehn, das schneeige Tischzeug mit den blinkenden Gedecken und die Gesichter der Essenden, die lächelnd von ihrer Beschäftigung aufsahen und freundlich herüberblickten. Nun rückten die schwergebauten ›parlor cars‹ in Sicht. Da saß ein liebes blondes Mädchen in einem roten Seidenkleid, die schönen Beine lässig übereinandergeschlagen; die eine Hand hing halb herab und hielt eine aufgeschlagene Zeitschrift, während die schlanken, spitzen Finger der andern Hand mit einem an einer langen Kette befestigten Schmuckstück spielten. Das Mädchen blickte mit einem zärtlich liebenswürdigen Lächeln herüber. Ihm gegenüber, auf dem ihm zugewandten, drehbaren Sessel saß ein alter Mann in einem grauen, eleganten, teuern Anzug aus dünnem, feingewebtem Stoff; er hatte ein mageres, müdes, vornehmes Gesicht mit braunen Hautflecken; er hatte die dünnen, abgezehrten Schenkel übereinandergeschlagen, und Eugen konnte auf einen Augenblick die Hände dieses Mannes sehen: hagere, zitternde, steife Hände mit braunen Hautflecken, in den Schoß gelegt, eine Hand über die andre geschlagen und auf dem Rücken der obenaufliegenden Hand sah Eugen deutlich die Schnüre des spröden Aderstrangs.

Und die Leute in den beiden Zügen sahen einander, glitten im Augenblick vorbei und waren auf immer entschwunden. Ihm aber, Eugen, schien es, als wäre er mit den Leuten im andern Zug besser bekannt als mit seinen Mitreisenden und daß er jener Menschen immer gedenken würde. Er dachte, daß alle diese Leute, die nun lächelnden Mundes und freundlichen Auges aneinander vorüberfuhren, empfänden wie er, denn ihm schien, als hätte sich ein wenig Kummer, ein leises Bedauern in die Stimmung eingestohlen.

In einem Augenblick aus Gruß und Lebwohl, der an die Kürze des Daseins und das Los des Menschen auf der immerdar dauernden Erde gemahnte, entschwanden die Reisenden einander, und Eugens Wagen fuhr nun neben der Lokomotive des andern Zugs. Und nun blickte der Maschinist nicht länger gradaus und grinste entschlossen, die blauen Augen fest aufs Gleis gerichtet. Er ließ seine Maschine langsam laufen, und seine Haltung war die eines Mannes, der gerade das Rennen aufgegeben hat. Er hatte sich soeben umgewandt und rief dem Heizer etwas zu. Der Heizer mit dem rußigen, grinsenden Gesicht stand die Arme in die Hüften gestemmt da und hielt so sein Gleichgewicht gegen den schaukelnden Vorwärtsdruck der Lokomotive. Der Maschinist hielt sich mit einer behandschuhten Hand an der Bretterwand seiner Kabine fest, die andre Hand hatte er auf die Hüfte gelegt. Er grinste die Vorüberfahrenden breit an, sein festes, gediegenes Gebiß so weit entblößend, daß man die blanke Goldkrone auf einem Backenzahn sah. Ein feines, freies, großherziges und wohlgelauntes Lächeln war das, und es sagte einfacher noch, als es Worte hätten sagen können: »Der Spaß ist rum, und Ihr habt gesiegt! Aber Ihr werdet zugeben müssen, daß Ihr Euch eine Zeitlang tüchtig ins Zeug legen mußtet, um zu gewinnen.«

Und die Reisenden brausten von dannen, und der Lokalzug war auf immer verloren. Der Fernschnellzug erreichte alsbald Newark, wo er hielt. Eugen blickte zum Fenster hinaus und sah ein paar Neger, die auf dem Nebengeleis mit Pickeln und Schaufeln arbeiteten. Einer von diesen Arbeitern sah auf, sprach zu dem fetten Pullmandiener, und zwar so ruhig, so beiläufig, so unüberrascht und ohne diesen auch nur zuvor begrüßt zu haben, als wäre er mit ihm seit Stunden in einem Zimmer zusammengesessen.

»Wann kommst du wieder durch?« fragte er.

»Dienstag«, sagte der Pullmandiener.

»Hast Du die olle Lange gesehn? Hast Du ihr das von mir ausgerichtet?«

»Hab' sie noch nicht gesehn, seh' sie aber bald«, sagte der Pullmandiener. »Ich sag' Dir dann, was sie gesagt hat.«

»Ich werd' nach Dir ausschauen«, sagte der andre Schwarze.

»Vergiß es aber nicht«, sagte der fette, große Neger und gluckerte. Der Zug zottelte ab, der Arbeiter ging wieder ruhig an seine Beschäftigung. Was diese erstaunliche Begegnung der beiden schwarzen Atome unter dem Riesenhimmel, was ihre beiläufige, unglaubliche Unterhaltung bedeuten mochte, das fand Eugen nie heraus. Aber er konnte den Vorfall nicht vergessen.

Und die ganze Erinnerung an diese Reise, an das Wettrennen der Züge, an die Neger, an die wie mit Zaubergewalt verwandelten Fahrgäste, die sich lachend an die Fenster drängten, insbesondre aber an das Mädchen im roten Kleid und an den Aderstrang auf der welken Hand des alten Mannes ... diese ganze Erinnerung blieb auf immer in Eugens Hirn haften. Und wie alles, was er in jenem Jahr erlebte und tat, wurde sie ein Teil seines Gedächtnisbildes von der großen Stadt.

Und die große Stadt war immer dieselbe, sooft er auch zurückkehrte. Er eilte durch die riesigen, herrlichen Bahnhöfe, die von Millionenschicksalen raunten und dem immerdar dauernden Wandellaut der Zeit, der sich unter ihren Wandelhallen fing, – er eilte auf die Straßen hinaus, und augenblicklich war die Stadt dieselbe, die sie immer gewesen war, und dennoch war sie immer fremd und neu.

In jeder Sekunde der Abwesenheit hatte er das Gefühl, etwas unwiederbringlich Köstliches zu vermissen, und zurückgekehrt, spürte er augenblicklich-inständig, daß sich nicht das geringste verwandelt habe, und daß sich dennoch unglaublicherweise alles sekündlich vor seinen Augen wütig verwandelte. Das Leben in der großen City schien ihm fremder als ein Traum und vertrauter als seiner Mutter Gesicht. Er konnte der Großstadt nicht glauben, und dennoch vermochte er nicht, an irgend etwas anderes als an die Großstadt zu glauben. Er haßte sie, er liebte sie, er ward augenblicklich von ihr verschlungen und überwältigt.

Er brachte ihr den gesamten Ruhm der Erde mit, den Glanz, die Macht und die Schönheit der Nation. Er kehrte zu ihr zurück, bebend mit dem Gedächtnis von Raum, Macht und erregenden Fernen, mit Schaubildern von Zügen, die auf Schienen rumpelten und stampften, mit der Erinnerung an Leute, die im Fenster eines andern Zuges an ihm vorbeigefahren waren, an Leute, die an blinkend gedeckten Tischen in Speisewagen gesessen hatten, an große Städte, deren Leben im ersten Frühlicht erwachte, und an tausend kleine, schläfrige, überall übers Land hin verstreute Städtchen, die nachts einsam und winzig und stumm unter der Ödnis ungeheurer und grausamer Himmel hingekauert lagen.

Er brachte das Andenken an schwerbeladene Güterzüge mit, die mit fünfzig Meilen Stundengeschwindigkeit angerollt kamen; wie wenn ein Lattenzaun vorm Auge vorüberstreicht, war das gewesen, und plötzlich wie Lücken, wenn zwischen den geschlossenen und gedeckten Wagen die offenen Kohlenwagen kamen, und dann, wenn die letzte Kabuse vorbeigepeitscht war, war aufatmend das Gefühl der Erleichterung und der Freiheit gekommen. Er erinnerte sich an die Farbe der Frachtwagen, ein stumpfes Rostrot wie getrocknetes Blut, an die Lettern, die darauf gemalt waren. Er erinnerte sich solcher Wagen, wenn sie gähnend-leer und freudig-leicht auf ein rostiges Seitengleis einbogen im unbebauten, kiefernbestandenen Land, um dort auf der einsam-wilden, gleichgültigen Erde im Licht der alten Abendröte großer Schicksale zu warten. Er erinnerte sich, wie schlackig dort die Straßenbetten aussahen und wie kahl und lieblos der Raum dort war im endlosen Land. Und an den roten Lehm der Eisenbahneinschnitte erinnerte er sich, und an die kleinen, harten Signallichter an der Geleisstrecke, die grün, rot und gelb aufblitzten in der ungeheuren dichten Finsternis und den großen, auf den Schienen hinbrausenden Zügen klein und leidenschaftlich eine Gewißheit schenkten.

Er brachte der Stadt das Herz, das Auge und die Schau dessen mit, der immerdar ein Fremdling bleibt, auch wenn er die Luft der Stadt geatmet hat und auf dem Pflaster der Stadt gegangen ist, eines Menschen, der als ein Fremdling in die Millionen dunkler, gehetzter Gesichter geblickt hat, und der außerstande ist, das Leben der Stadt zu seinem eignen zu machen.

Und schließlich brachte er der Stadt das tausendmal tausendfache Gedächtnis seiner Väter mit, mächtiger Männer, die die Wildnis gekannt und nie in Städten gelebt hatten, – das Gedächtnis von dreihundert leiblichen Vorfahren, die über den Erdteil hin ihr Blut und ihren Samen ausgesät hatten, die unter den weiten und einsamen Lichtern gegangen waren, von der bittren Kälte, dem sengenden Sonnenfeuer und den wüsten Wettern dieses Kontinents erfroren, gebrannt, umwittert, gebeugt und gebrochen, Männer, wie sie löwenhaft gegen die Riesengewalt der maßlos-unbändigen und schönen Wildnis kämpften, bis die Wildnis mit einem Schlag ihrer Pranke ihnen das Rückgrat brach und sie tötete.

Er brachte der Stadt das Gedächtnis und die Erbmasse all dieser Männer und Frauen, die gearbeitet, gekämpft, getrunken, geliebt, gehurt, gestrebt und gelebt hatten, die gestorben waren, die Erde wieder mit ihrem Blut wie mit einer Stille tränkend, deren Fleisch langsam verwest war, zurückgegeben ans herbe, schöne, unermeßliche Wesen der immerdar dauernden Erde, aus der sie gekommen waren, aus der sie bestanden hatten, auf der sie gearbeitet, gerungen und sich gereckt hatten, und in deren ungeheurer, einsamer Brust sie nun begraben lagen, die Gebeine in achtzig verschiedene Richtungen weisend über den Kontinent.

Über den Schütterstößen der mächtigen Räder waren, so schien ihm, die Stimmen dieser Männer und Frauen aus der immerdar-dauernden Erde wie Quellen aufgebrochen, die Stimmen sprachen zu ihm und gaben ihm, dem Sohn, dem Ungesehenen, das dunkle Erbtum der Erde und der Jahrhunderte, ein Erbtum, das zwar sein eigen war wie sein Fleisch und Blut, das er aber nie zu ergründen vermochte.

Die Stimmen sprachen:

»Wer immer eine Brücke über diese Erde hinbaut, wer je eine Schiene über diesen Mund hinlegt, wer je den Staub aufrührt, in dem diese Gebeine liegen, der mag sie ausgraben und den Ingenieuren seinen Hamlet sagen. Sohn, Sohn, ist die Erde üppiger dort, wo unsre eigne Erde lag? Mußt Du die Wurzel des Weinstocks aus unsren begrabenen Herzen reißen? Hast Du den Alraun aus unsern Hirnen entwurzelt? Oder die üppigen Blumen, die großen üppigen, die seltsam unbekannten Blumen?

Du mußt zugeben, daß das Gras hier dichter steht. Das Haar auf unserm begrabenen Fleisch hatte ein Wachstum wie der April. Wir Menschen sind voller Saft gewesen, und hier läßt sich ein guter Mais bauen, ein goldner Weizen. Wir Menschen wären tot, sagst Du? Nun, das mag sein. Aber hier kannst Du Bäume anpflanzen, große Bäume; Du kannst hier eine Eiche pflanzen, aber wir waren stärker als eine Eiche; Du kannst einen Pflaumenbaum anpflanzen, der größer wachsen wird als eine Eiche, und auf dem werden überall Pflaumen hängen, die so groß sind wie kleine Äpfel.

Wir waren Menschen von großer Art, und die gemeinen Leute haben uns gehaßt. Wir alle waren Menschen, die aufschrien, wenn ihnen etwas weh tat, die weinten, wenn sie traurig waren, Menschen, die aßen und tranken, die stark, schwach und voller Ängste waren, die sich laut und lärmend gehabten und stille wurden, wenn die Dunkelheit kam. Narren lachten uns aus, Witzbolde verspotteten uns: wie hätten sie wissen sollen, daß unser Hirn spitzfindiger war als das einer Schlange? Waren sie etwa feiner und zarter, weil sie kleiner gewachsen waren? Haben sie mit ihrem fahlen, saftlosen Gewebe Gefühle empfunden, die für unser Vorstellungsvermögen zu spitz waren? Wie kannst du dies denken, Kind? Unsre Herzen waren heimlicher beschaffen als das einer Katze, voll tiefer Versponnenheit, aus sehnigem Gesträhn geflochten und voll von glosenden, gleißenden Feuern. Und unsre Nerven waren wunderbar und hatten flammende Enden; sie waren wie unendlich verschlungne Leitungsdrähte, viel zu tüftelig verworren für das Verständnis der andern.«

Die Stimmen hoben sich über den Lärm der Räder mit sieghaftem Geprahl:

»Was hätten denn jene sehn und wissen können von Menschen unsrer Art, deren Väter, von einem Faustschlag der immerdar dauernden Erde gefällt, unter selbstzubehauenen Grabsteinen liegen in Bergen, Ebnen und Wäldern, in Granithügeln, über die ein Strom schießt? Sieh doch, wo diese Menschen begraben liegen! Ihre aufgehäuften Gräber stehn im großen lachenden Licht der Blumen – – sag, hast Du je so üppige Blumen auf andern Gräbern gesehn?

Wer besät denn die driesche Erde? Wir haben unser Blut und unsern Samen in die Wildnis gesät. Dreihundert leibliche Vorfahren von Dir sind wieder in die Erde, aus der sie stammten, hineingepackt, und wir sind's gewesen, die der Einsamkeit eine Zunge, der Wüste einen Pulsschlag gaben, die driesche Erde empfing uns und gab uns unsre Schmerzen zurück, und wir sind's gewesen, die die Erde aufschreien machten. Einer von uns liegt in Oregon, und wieder einer von uns liegt auf der Wanderstraße in den Westen, liegt neben einem zerbrochenen Rad und einem Pferdeschädel, die Knochenhand noch um einen Flintenkolben gekrallt. Ein andrer hat die Scholle Virginiens reicher gemacht. Einer fiel bei Chancellorsville in der blauen Uniform der Unionisten, und ein andrer lag tot auf dem Schlachtfeld von Shilo in der grauen Uniform der Konföderierten mitten unter den Gefallenen der Yankees. Einem andern wurde bei einer Rauferei in einer Schenke der Bauch aufgeschlitzt, und seine Eingeweide nachdenklich mit den Händen festhaltend, ging er noch drei Straßenblöcke, um einen Arzt zu finden.

Eine starb in Pennsylvanien, als sie nach einer Gabel griff; sie hatte ihre Reichweite überschätzt, sie fiel und brach sich das Hüftbein, und so ward sie im Alter von sechsundneunzig von rotem Roastbeef und gerösteten Maiskolben auf immer getrennt. Einer hurte und predigte seinen Weg vom Kap Hatteras in Nord-Karolina bis zum Goldnen Tor in Nord-Kalifornien; er predigte Milch und Honig für die Nieren, Sassafras gegen Gelbsucht, Schwefel gegen Harnsäure, die schleimige Splintfaser der Rotulme gegen Mundfäule, Spinat gegen den Kropf, Rhabarber gegen Gelenkrheumatismus und das Zipperlein der Muskeln und reines Quellwasser mit Essigtropfen gegen jenes große, venusinische Leiden, das die Franzosen mit aller Welt blutsverwandt macht. Er predigte das Brudertum und die Menschenliebe, er weissagte den Tag von Harmagedon und die Rückkehr Christi auf Erden auf das Ende des Jahres 1886, er gründete sowohl die ›Söhne des Abel‹, die ›Töchter der Ruth‹ und die ›Kinder des Pentateuch‹ als auch zwanzig weitere Sekten, und schließlich starb er, vierundachtzig Jahre alt, als ein Kind Gottes, ein Prophet und ein Heiliger.

Und zweihundert liegen begraben in den Hügeln der Heimat. Diese Männer nahmen Land, zogen eine Fenz drumherum, besaßen es, ackerten es. Sie handelten mit Holz, Stein, Mais, Tabak. Sie bauten Häuser und Straßen; sie pflanzten Bäume an und hegten Obsthäge. Und wo auch immer diese Männer hinkamen, sie nahmen Land und rodeten die Scholle, bauten Häuser darauf, legten Äcker an, verkauften Land und erwarben mehr Land dazu. Diese Männer waren in den Bergen geboren und wurden von den Bergen heimgesucht; sie alle kannten das Gebirge, aber nur wenige von ihnen kannten das Meer.

So sind wir, Kind. Wir entbehren vielleicht unsre tausend Jahre und die zerfallenden Mauerwerke, aber ein Ruhm ist uns zu eigen, der von Meer zu Meer über dreitausend Meilen Erde reicht. Es sind Vogelrufe erschallt nach unserm Fleisch in der Wildnis. So ruf denn, bitte, ruf! Ruf die Rotkehlchen und die Zaunkönige, die in dunklen Wäldern die freundlosen Leichen der Unbegrabenen verraten!«

Und die Stimmen riefen:

»Unsterbliches Land, grausam und unermeßlich wie Gott, wir werden auf Deiner Brust hinwandern auf immerdar! Wohin uns die großen Räder tragen, ist unser Zuhause, – eine Heimstatt für unsern Hunger, eine Heimstatt für unser Alles, nur für das kleine, umzäunte Herzinnerste nicht, den Wohnort der Liebe.

Wer besät die driesche Erde? Wer braucht das Land? Ihr werdet noch größere Maschinen bauen und höhere Türme errichten. Und was ist eine Mulde voll Knochen gegen einen Turm? Brauchst Du die Erde? Wer der Erde bedarf, soll sie haben. Unser Staub, diesem Land eingemengt, von den Millionen Lauten dieses Landes geregt, bebt und schüttert, wenn die Räder darüber hinrollen. Wer der Erde bedarf, mag ihr Nutznießer sein. Geh hin und grab uns aus und beginn dort mit Deiner Brücke. Aber wer immer eine Brücke über diese Erde hin baut, wer je eine Schiene über diesen Mund hinlegt, wer je des Grabenstücks bedarf, in dem diese Gebeine liegen, – der mag hingehn, sie ausgraben und den Ingenieuren seinen Hamlet sagen.«

 

So waren diese hundert Stimmen wie Quellen aus dem Erdreich aufgebrochen und hatten ihm, ihrem Sohn und Bruder, über den Schütterstößen der mächtigen, dahinbrausenden Räder zugerufen. Und die Erinnerung an ihre Worte, an die sieghafte Zunge der todlosen Stille und dazu das ganze Gewicht des ihm anvertrauten Erbtums brachte er von der Erde mit in die schwärmenden Straßenschlüfte und zu den tausend Zungen der unaufhörlichen, der fabelhaften, der millionenfüßigen Stadt.

Sein ganzes Erderlebnis und alle seine Erderinnerungen brachte er der großen Stadt mit, und dieses Gut schien ihm ein ergänzendes, zugehöriges und bestimmendes Gegenstück zum Wesen der Stadt zu sein. Das Bild der Stadt, wie es sich ihm ins Herz schrieb, war so unglaublich, daß es ihm wie ein Erfundenes, eine Fabel, ein ungeheurer, selbstgeträumter Traum vorkam, so unglaublich in der Tat, daß er nie dachte, er könne es bei einer Rückkehr vorfinden – und dennoch: die Stadt war bei jeder Rückkehr wieder ganz so, wie er sich ihrer erinnert hatte. Er fand das im Augenblick, in dem er aus dem Bahnhof kam. Da waren die Flutgezeiten der Gesichter, da war die Straße, die ihn brutal bestürzte, da waren die Hochhäuser, ungemein, anmaßend, grell, schwunghaft emporgereckt. Fabelhaft und unglaublich blieb das immerhin, aber daß es schlechthin da war, stand außer allem Zweifel.

Und abermals sah er dann die Millionen Gesichter, dunkle, trübe, gehetzte, abgespannte und verderbte Gesichter, – Gesichter, gezeichnet mit all den bekannten Merkmalen des Mißtrauens und des Argwohns, der Gerissenheit und der Ränke, eines harten und dummen Zynismus, – schlaue, verschmitzte, verstohlne Gesichter, Gesichter, zu denen harte, verzogene Münder und schnarrende Stimmen gehörten und Augen, die unnatürlich von entfachten Rauschgiftfeuern glitzten. Darunter waren die schmalen, fiebrigen Gesichter von Taxichauffeuren, die grausamen, anmaßenden und wissenden Gesichter zinkennäsiger Juden, und fast pervers wirkend mit ihrer sanguinischen Vitalität im Strom der Graugesichtigen leuchteten da die rindfleischroten, schwerfällig-rohen Gesichter der irischen Schutzleute, prall von der dummen, schnellen zorndrohenden Gewalt der Bevorrechtung. Sie waren alle da, diese Gesichter, ganz wie er sich ihrer erinnert hatte, verraßt, dunkel und fiebrig schwärmten sie ständig auf den Bürgersteigen, im Einklang mit einer großen, zentralen Energie, dem Leben der Stadt, von dem sie durchweg erfüllt waren wie von einem dynamischen Fluidum.

Und unglaublich – unglaublich! – diese gemeinen, verhetzten, rohen, öden Gesichter, die Gesichter, die er millionenmal gesehen hatte, ja, sogar die brachen, zusammengescharrten Worte, die diese Gesichter schnarrten, ... sie schienen nun berührt von dem magischen Nun und Immer, jener seltsamen, legendären Eigenschaft, die die Stadt an sich hatte, und darum schienen sie selber, diese Gesichter und diese Worte, zu etwas Fabulösem und Verzaubertem zu gehören. Die Leute, gemein, stumpfsinnig, grausam, alltäglich wie sie waren, schienen ein fester, einbezogener Bestandteil von etwas Maßgeblichgültigem und Ewigem zu sein, das in der immerdar dauernden Wandelbarkeit und Stete der Zeit bestand und sich darstellte in der fabulösen Wirklichkeit des Großstadtlebens. Sie formten dieses Großstadtleben, sie waren ein Teil dieses Großstadtlebens, und zu nichts anderm auf der Welt hätten sie gehören können als gerade zu dieser Großstadt.

Wenn er sie wieder sah, wieder hörte, wenn sie an ihm vorbeiströmten und er ihren Worten lauschte, diesem kiesigen Geknirsch harscher Flüche und raspelnder Ausrufe, dem großen, einzigen Anathem ihrer bitteren, schrillen Zungen, die sich einhellig und unausgesetzt mit der Niedertracht, der Narrheit und der Falschheit ihrer Mitbürger befaßten, dann schien ihm, ein Dämon von ewiger Gehässigkeit müsse diesen Großstädtern die Sprache verliehen haben, damit sie alle Mannesgemeinheit und alle Weiberfalschheit ausdrücken könnten. Wenn er dieser großen, einzigen Zunge des Hasses, des Schlechten und Schlimmen, der Narrheit lauschte, schien es ihm unvorstellbar, daß diese Leute die glänzende Luft ohne Verdruß, ohne Sterbensqualen, ohne Beschwer atmen könnten, daß diese Leute unter der dicken Schminkkruste und dem Giftandrang ihres Daseins leben und sich regen und bewegen könnten.

Und dennoch: sie atmeten, sie lebten, sie regten und bewegten sich, und zwar taten sie das mit einer wilden, ganz unbezweifelbaren Heftigkeit, mit einer unergründlichen Energie. Hartmäulig, hartäugig, schrillzüngig mit ihren millionenfachen harten, grauen Gesichtern strömten sie stets und ständig die Straßen entlang, waren sie wie ein einziges Tier, wie ein unheilvolles, sich sehnig windendes Ungetüm von einem Reptil. Und die zauberische, die glänzende Luft war über ihnen, das seltsame, feindlich-scharfe und verwunschene Wetter war über ihnen, und die begrabnen Menschen lagen eingestreut in die Erde, die sie traten, und der Schmuckgürtel der Meeresgezeiten umsprühte sie, und der Fabelfels von Manhattan, auf dem sie schwärmten, schwang ostwärts in den Sonn-Marschen in die Ewigkeit und war bemastet wie ein Schiff mit seinen ungeheuren Türmen und stand da mit der Haltung eines Löwen vor dem Schlund des endlosen, allverschlingenden Ozeans. Und frohlockende Freude drang ihm mit einem Triumphschrei in die Kehle, denn er fand die Stadt wunderbar.

Die Stimmen der Leute schienen ihm zu einer allgemeinen Stadtstimme zu werden, er empfand sie wie ein einziges schrilles Gefauch, wie ein einziges schiefgezogenes Lästermaul, ständig schmähend unter den unentweglichen und unsterblichen Himmeln der Zeit, wie eine einzige höhnische Zunge, die sich mit bösartiger Beständigkeit aus der Erde herauf mit üblen Gerüchten über die Niedertracht der Menschen in den gleichgültigen Raum und gegen die Stille der Ewigkeit erging.

Die Stadtstimme raunzte: »Der Kerl da, dem ich die vierzig grünen Lappen gepumpt habe, dieser Freund von Dir, den Du mir vorgestellt hast, sag mal, wann gibt der sie mir zurück?« Die Stadtstimme belferte: »Haben Se gehört?! Machen Se, daß Se da fortkomm'n mit Ihrer Blechkarre, vastehn Se?!« Die Stadtstimme tuschelte damenhaft fein: »Was den Chef angeht, so is' dat reine Geschäftssache, und was meinen Freund angeht, so is' dat meine eigne Sache, und nach fünf Uhr nachmittags bin ick mein eigner Herr. Hab ick ihm abah gesagt!« Die Stadtstimme gestand in der süßen Tonlage der mütterlichen Kümmernis: »Aba sicha! Un ob ick ihr eine reingehauen habe! Der Mann sitzt uffen Lokus und will Friehstick hab'n, der Kleene kreischt und will seine Flasche, un det Mähchen steht da rum und biegt dem Kleenen de Finger zurück, daß er noch mehr schreit. Da is mir die Geduld gerissen, un da hab ick ihr eine gehauen, un das Schreckliche bei mir is, daß es dann nich' bei einer bleibt.« Die Stadtstimme vermeldete in der heißen Wallung empörter Wohlanständigkeit: »Er, wo ihr anjetrautah Mann is und ihr'n Kies jiebt, jeht aus ahbeeten, un der andre, der scheene Jingling, kommt und legt sich bei sie ins Bette.« Die Stadtstimme, freundlich-vertraulich, verabredet sich: »Also, acht Uhr, Kleene! O Keh! Spaß beiseite, ick werde dasein!« Und die Stadtstimme, im säuselnden Zärtlichkeitston der Liebe hierauf antwortend, verabschiedete sich: »Is man jut, Eddy. Bis dann denn. Ick jeh schlafen.«

So redete sie mit Millionen Zungen, diese große einzige Stadtstimme, so hatte er sie zu tausend Malen vernommen, so erklang sie ihm abermals – augenblicklich und unglaublich – bei jeder Wiederkehr. Wenn er den Leuten lauschte, war ihm, ihre Sprache könne ihm nicht fremder sein, wenn sie Marsbewohner wären. Er starrte, er gaffte, er riß den Mund auf vor Verwunderung, er hörte zu und erlebte immer wieder, wie dieses Wesen ihm ins Gesicht sprang mit dem Ton und den Bewegungen seiner eignen, zentralen, einzigartigen und unvergleichlichen Lebenskraft.

Und dieses ganze Stadtwesen war so wirklich, daß es magisch wirkte, so wirklich, daß den Menschen alles, was sie nur dumpf gewußt hatten, im Nu aufgedeckt wurde, so wirklich, daß er es von jeher gekannt zu haben glaubte und gleichviel dennoch dachte, er lebe mitten in einem Traum.

Auf diese Weise geschah ihm die große Stadt, und sein Geist schrie: »Unglaublich! O unglaublich! Sie lebt! Sie lebt mit all den Millionen Gesichtern!« Und daß dem so sei, das erkannte er stets.


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